What about AIxxNOSOGRAPHIES?

01 Špela Petrič_Strange Encounters_photo@Miha_Fras_Metafizik_presented@Kersnikova_alge in karcinom_web, Credit: Strange Encounters / Špela Petrič; Photo: Miha Fras Metafizik

von Rainald Schumacher

Wir starten mit der dritten Runde der ArtScience Residency, die von der Art Collection Deutsche Telekom ermöglicht wird. Dazu traf Office-for-Art-Direktor und Kurator Rainald Schumacher die Künstlerin Špela Petrič, die Gewinnerin der Residency 2023, zum Interview.

Deine diesjährige ArtScience Residency wird ein integraler und wesentlicher Bestandteil eines umfassenderen langfristigen interdisziplinären Prozesses sein – AIxxNOSOGRAPHIES. Was ist die Absicht und der Zeitrahmen des Gesamtprojekts?

Špela Petrič: Was mich als Künstlerin interessiert, ist die Art und Weise, wie Technologien unser Verständnis der Welt und von uns selbst prägen. Während wir uns vielleicht bewusst sind, wie abhängig wir in den letzten 20 Jahren von Internetplattformen geworden sind, werden ähnliche Technologien in anderen Bereichen der Gesellschaft eingesetzt, die dem Blick eher verborgen sind. AIxxNOSOGRAPHIES ist ein Kunst-Forschungsprojekt, das sich mit der fortgeschrittenen Automatisierung im Gesundheitswesen befasst und dabei hybride und künstlerische Methoden nutzt, um deren Einsatz für eine breitere Öffentlichkeit sichtbar zu machen und über mögliche Zukünfte zu spekulieren. Obwohl ich in früheren Projekten mit machine learning (Anm.: zu dt. maschinellem Lernen; ein Teilbereich der Künstlichen Intelligenz, kurz KI) und KI gearbeitet habe, stellt uns der Bereich der Medizin vor besondere Herausforderungen, deren Bewältigung Zeit, die Hilfe verschiedener Expert*innen und Geduld erfordern. In diesem Sinne beginnt AIxxNOSOGRAPHIES mit einer zweijährigen Forschungs- und Kartierungsphase, auf die in den nächsten Jahren künstlerische Interventionen auf der Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse folgen werden.

Credit: Vegetariat Work Zero / Špela Petrič; Photo: Kaja Brezočnik

Zusammen mit dem von Dir geleiteten Studio Teratope gibt es eine ganze Reihe von Beteiligten.

Špela Petrič: Interdisziplinäre Zusammenarbeit ist in der Tat von entscheidender Bedeutung, insbesondere wenn es um ein Gebiet geht, auf dem die Autonomie, die Privatsphäre und die Integrität des Menschen auf dem Spiel stehen. Neben der Deutschen Telekom und Ars Electronica sind die wichtigsten Partner*innen das Sustainable AI Lab Bonn unter der Leitung von Prof. Dr. Aimee van Wynsberghe und das Chirurgenteam von Prof. Dr. Kalff am Universitätsklinikum Bonn, das chirurgische Roboter einsetzt. Etwas später bekamen wir auch die Gelegenheit, mit dem ELSA AI Lab Northern Netherlands zusammenzuarbeiten, einem Konsortium, das die ethischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen des Einsatzes von KI im Gesundheitswesen untersucht. Gemeinsam verfügen die Partner*innen über Fachwissen und Praktiken, die ein breites Spektrum an Aspekten der KI-Implementierung abdecken, was für ein umfassendes Verständnis des Bereichs entscheidend ist.

Du sprichst von einer weit gefassten Definition der Fürsorge – einem eher ontologischen Zustand unserer Existenz und Koexistenz.

Špela Petrič: Eines der Vorrechte der Kunst ist es, eine Verfremdung herbeizuführen, die es uns ermöglicht, alltägliche Dinge neu zu sehen. Ich habe mir zum Beispiel vorgenommen, die „Automatisierung der Pflege“ in Gewächshäusern und medizinischen Zentren zu vergleichen. Natürlich sind Gemüse und Menschen ontologisch sehr verschieden, aber die Aufgabe fordert uns heraus, über die Annahmen nachzudenken, die wir über technologisch vermittelte Pflege in Bezug auf verschiedene Körper haben, was in einer Zeit, in der wir unsere Abhängigkeit von Umwelteinflüssen (wieder)entdecken, besonders relevant ist. Pflege oder Fürsorge als existenzielle Notwendigkeit berücksichtigt das Beziehungsgeflecht, in das wir verwickelt sind.

Um das Wissen über den Einsatz von KI im Allgemeinen und auch speziell im Bereich der Gesundheitspraxis zu erweitern, arbeitest Du mit „performativen Ethnographien“ als öffentliche Veranstaltungen. In welcher Form könnte das während der Ars Electronica stattfinden?

Špela Petrič: „Performative Ethnographien“ sind ortsspezifische partizipatorische Veranstaltungen, bei denen das Publikum an der ethnographischen Beobachtung verborgener, komplizierter oder umstrittener Räume teilnimmt, um die vielfältigen Perspektiven aufzuzeigen, die die Haltung gegenüber einem bestimmten Phänomen prägen.

Auch wenn wir noch nicht mit der konkreten Planung gestartet haben, hoffen wir, ein Krankenhaus in Linz während des Ars Electronica Festivals 2023 besuchen zu können, um die Infrastrukturen und die Automatisierung zu erkunden, die für die Aufrechterhaltung des medizinischen Zentrums unerlässlich sind.

Credit: Vegetariat Work Zero / Špela Petrič; Photo: Hana Josič

Es gibt einen Plan für eine visuelle Kartographie, was könnten wir auf dieser Karte sehen?

Špela Petrič: Neben den „performativen Ethnografien“ und ihrer Dokumentation wird eines der Ergebnisse der Residency eine Reihe von Karten sein, die von Kate Crawfords und Vladan Jolers Anatomy of an AI System inspiriert sind, sich aber auf die medizinischen KI-Anwendungsfälle konzentrieren, mit denen die Partner*innen arbeiten. Wir werden uns mit Themen wie den bereits erwähnten chirurgischen Robotern sowie mit synthetischen medizinischen Daten, dem Einsatz von KI bei genetischen Untersuchungen, der Gesundheitsüberwachung und persönlichen Gesundheitsdatenbanken befassen.

Du erwähnst, dass sich die erste Phase eher auf Forschung und Kartierung konzentriert, gefolgt von künstlerischen Interventionen, um das Bewusstsein, das Wissen und die Kompetenz des Publikums zu erhöhen. Wenn wir uns auf den „Kunst“-Teil der ArtScience Residency konzentrieren, was ist Deine Vision für die emotionale – ästhetische und visuelle – sinnliche Erfahrung Deiner „Werke“, die wir bei der Ars Electronica im September in Linz sehen könnten?

Špela Petrič: Ich denke, der Schlüssel liegt darin, das Projekt als Ganzes und als eine Mischung von Disziplinen zu begreifen, die sich nicht sauber in künstlerische und wissenschaftliche Qualitäten trennen lassen. Vielmehr wird das Publikum in die Artefakte einer umfassenden künstlerischen Forschung und die daraus entstehenden Erzählungen eingeweiht.

Špela Petrič ist eine in Ljubljana und Amsterdam lebende slowenische Medienkünstlerin, die sowohl in transmedialer Kunst als auch in den Naturwissenschaften ausgebildet wurde. Sie hat einen Doktortitel in Biologie und ist derzeit Postdoc-Forscherin für Kunst und Wissenschaft an der Vrije Universiteit Amsterdam. In ihrer künstlerischen Praxis verbindet sie Wissenschaften, Biomedien und Performance, um die ontologischen und epistemologischen Grundlagen unserer (bio)technologischen Gesellschaften kritisch zu untersuchen. Ihre Arbeiten wurden auf zahlreichen Festivals, Ausstellungen und Bildungsveranstaltungen gezeigt (Centre Pompidou (FR), Abandon Normal Devices (UK), Nam June Pike Museum (KR), DesignSight 21_21 (JP), ZKM (DE), Modern Gallery (SI), Ars Electronica (AT)…)

Rainald Schumacher ist freier Kurator und Direktor bei Office for Art (OfA) in Berlin. Er arbeitete als Atelierleiter bei Gerhard Richter und in den Galerien Barbara Gladstone in New York und Esther Schipper in Berlin. Als Chefkurator der privaten Sammlung Goetz in München war er für das Ausstellungsprogramm, die Publikationen und das Management verantwortlich. An der Bundeskunsthalle in Bonn realisierte er Ausstellungen mit Liam Gillick und Thomas Schütte. Von 2013 bis 2017 war er künstlerischer Leiter der City Gallery in Kyiv. Seit 2009 arbeitet er mit Nathalie Hoyos als Office for Art zusammen. 2015 gründete und kuratierte OfA die erste Art Encounters Biennale in Timișoara, Rumänien. Im Jahr 2010 initiierte OfA die Art Collection Telekom mit dem Fokus auf Osteuropa.

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