Seit 1979 begleitet, antizipiert und analysiert die Ars Electronica die digitale Revolution, ihre Ursprünge, Erfolge und auch Irrwege. Als Festival für Kunst, Technologie und Gesellschaft stand und steht dabei immer die kulturelle und gesellschaftliche Bedeutung neuer technischer und wissenschaftlicher Entwicklungen im Vordergrund. In diesem Jahr feiert die Ars Electronica ihren 40. Geburtstag und lenkt auch diesmal den Blick nach vorne, auf die künstlerisch-wissenschaftliche Vermessung der digitalen Realität, ihrer Zukunftsperspektiven und unserer Handlungsoptionen.

Unter dem Motto “Out of the Box – die Midlife-Crisis der Digitalen Revolution“ begeben wir uns auf eine Expedition zur künstlerisch-wissenschaftlichen Vermessung unserer modernen techno-ökonomisch geprägten Welt, ihrer Zukunftsperspektiven und unserer Handlungsoptionen.

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„Out of the Box heißt für uns alle, raus aus der Komfortzone! Um als Menschheit angesichts der brennenden Fragen im Kontext Künstlicher Intelligenz, der Verschmelzung von Gen- und Biotechnologien und der ökologischen Zerstörung unseres Planeten handlungsfähig zu bleiben, gilt es, sich auf das unbekannte Terrain der von uns Menschen geschaffenen digitalen Systeme vorzuwagen; mithilfe der Kunst über unsere Gartenzäune zu blicken, Möglichkeiten auszuloten und zu überschreiten.“

40 Jahre Ars Electronica — 40 Jahre Art-Thinking

Kunst als “second opinion“ für kritische Menschen, als zweite Meinung zur digitalen Revolution.

Ein Festival für Kunst, Technologie und Gesellschaft zu sein, heißt, mit den Mitteln der Kunst, mit dem Sensorium der KünstlerInnen die potentiellen zukünftigen wie auch aktuell in der Gegenwart ablaufenden Transformationsprozesse zu beobachten, zu analysieren und Schlüsse auf ihre kulturelle und gesellschaftliche Dimension und Konsequenzen zu ziehen.

Das altbewährte Prinzip künstlerischen Denkens und Handelns “das Unsichtbare sichtbar zu machen“, die Neugierde hinter die Vorhänge und Kulissen zu blicken und der Reiz, mehr daraus zu machen, die Unzufriedenheit mit den einfachen Antworten, das Misstrauen gegen die vorgegebenen Lösungen, die unermüdliche Kreativität im Suchen und Finden von neuen Wegen, all das sind Aspekte, die aus dem Ökosystem der Kunst kommend, bestens dafür geeignet sind, jene aufgeklärten, kritischen und kompetenten Positionen zu formulieren, die wir dringend auf dem Weg in die Zukunft brauchen. Ein Weg, der die Probleme der Gegenwart genauso berücksichtigen muss, wie er Visionen für eine bessere Zukunft braucht.

Die Geschichte der Ars Electronica und die Vielzahl an visionären künstlerischen Projekten, deren positive wie negative Zukunftsszenarios sich nun immer öfter bewahrheiten, sind ein deutlicher Beweis für die Wirkungskraft der Zusammenarbeit von Kunst, Technologie und Gesellschaft. Umso bemerkenswerter ist die Visionskraft jener Leute, die vor 40 Jahren Ars Electronica gegründet haben.

Out of the Box oder die Midlife-Crisis der digitalen Revolution

Out of the Box hat mehrere sehr unterschiedliche Bedeutungen. Zum einen meint man damit vorgefertigte sofort einsatzbereite Produkte, also ziemlich genau das, was man uns mittlerweile mit den konsum- und spaßorientierten Geräten und Produkten der Social Media und ihrer digitalen Welt feilbietet. Vor elegant designten Glastempeln stehen wir Schlange um unnötig teure Geräte zu kaufen, die wir nur mehr so benutzen können, wie sie von dem Konzern, der sie auf den Markt bringt, vorgesehen sind. Nicht einmal den Akku können wir selbst wechseln, genauso wie man uns das Recht genommen hat, über die Verwertung der Daten und Informationen, die dabei anfallen, selbst zu bestimmen.

Was als Traum von einer einfach und von jeder/m zu nutzender Technologie begonnen hat, ist zum Alptraum einer digitalen Hundeleine geworden, für die wir auch noch saftige Preise zahlen. Wie schon so oft in der Geschichte zuvor, setzt mit dem wirtschaftlichen Erfolg der Niedergang der Kreativität und Innovationskraft ein; “Out of the Box“ kommen schon lange keine neuen nutzenstiftenden Features, sondern das Gleiche in anderer Verpackung.

Diesem sehr ernüchternden Out of the Box der Wirtschaft steht die charismatische Ikone der Start-up und Innovationswelt gegenüber. Out of the Box, meint dann, raus aus den eingetretenen Pfaden, ganz neu, disruptiv und gegen alle Konventionen denken, um die Welt (oder zumindest gewinnbringende Produkte) neu zu erfinden. Wenn man Wohnungen online selbst vermieten kann, wieso nicht auch gleich sein/ihr eigenes Auto und seine/ihre Arbeitszeit als ChauffeurIn und wenn man dabei elegant Steuern und Abgaben sparen kann…

Out of the Box erinnert aber auch ganz schnell an die sprichwörtliche Büchse der Pandora, als deren Ursprung wir nur zu oft die vielen aktuellen Probleme mit unsere High-Tech-Lebenswelt vermuten.

Ganz egal welche dieser Lesarten wir bevorzugen, in jedem Fall müssen wir alle “Out of our Boxes“. Raus aus der Deckung und Komfortzone, raus aus unseren Bubbles und raus aus unserer Ignoranz. Raus aus der irrigen Meinung, dass wir uns um die Verantwortung für die Gestaltung der Zukunft drücken können.

40 Jahre digitale Revolution und eigentlich stehen wir erst am Anfang

Als Ende der 1970er die Ars Electronica in Linz erdacht und ins Leben gerufen wurde, war die digitale Revolution zwar eine technologisch ernstzunehmende Größe aber darüber hinaus weitgehend unbemerkt. Gerade 10 Jahre zuvor wurden überhaupt zum ersten Mal vier Computer an unterschiedlichen Standorten im Westen der USA zu einem Netzwerk zusammengeschaltet, im Schatten der spektakulären Erfolge des Apollo-Programms. Doch 1978 kommen mit dem Apple II und einigen anderen Geräten die ersten leist- und brauchbaren Desktop Computer auf den Markt und 1981 gibt der IBM-Konzern seinem neuen Modell die Bezeichnung PC (Personal Computer). Es beginnt eine neue, und wahrscheinlich die folgenschwerste Phase des digitalen Zeitalters, die Personalisierung der Computer, die damit aus den Datenzentren der Großrechner und Forschungslaboren in unsere Welt, in unseren Alltag vordringen. 1989, zehn Jahre nach der ersten Ars Electronica entwickelte unter anderem Tim Berners Lee die Grundlagen für das World Wide Web, stellt sie frei zur Verfügung und tritt damit die größte technologische Lawine aller Zeiten los — man könnte es die Sozialisierung der Computer nennen — in deren Folge mittlerweile ca. 4,5 Milliarden Menschen weltweit ans Internet angeschlossen sind.

Mit Ausnahme kurzer Hypes und dem Nervenkitzel dystopischer Science Fiction Romane und Filme fristete die Artificial Intelligence bis vor kurzen ein recht kümmerliches Dasein, doch das hat sich nun schlagartig geändert. Bislang war die Digitale Transformation eine Digitalisierung der industriellen Welt und ihrer Prozesse — was wir vorher ohne Computer gemacht haben, machen wir jetzt digital bzw. digital unterstützt bis hin zu unserem sozialen Zusammenleben. Doch nun setzen wir an zur Digitalisierung des Denkens und Entscheidens und auch wenn wir noch weit entfernt sind von eigenständigen, starken bzw generellen künstlichen Intelligenzen, wir beginnen den digitalen Systemen eine Selbstständigkeit zu geben — gewissermaßen ein Schritt von der Automation zur Autonomisation.

Und abermals stehen wir staunend und ängstlich vor dem was daraus alles entstehen könnte. Aber wir wissen aus den letzten 40 Jahren, dass wir diese Entwicklung nicht den Technologiekonzernen überlassen dürfen. Diese Ignoranz hat uns nicht zuletzt in die aktuelle Misere einer schrankenlosen Datenwirtschaft gebracht. Diese Krise der digitalen Revolution sollten wir dazu nutzen unsere Fragen an die Zukunft neu zu formulieren und uns nicht nur dafür zu interessieren, was technologisch möglich ist, sondern was wir damit tun wollen.

Ars Electronica Festival 2019 eine internationale Plattform für Kunst, Technologie und Gesellschaft

In dem umfangreichen 5-tägigen Programm aus Konferenzen, Podiumsdiskussionen, Workshops, Ausstellungen, Performances, Interventionen und Konzerten wird diesen Fragen nachgegangen. Geplant, organisiert und umgesetzt wird das Festival gemeinsam mit internationalen KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen, IngenieurInnen, DesignerInnen, TechnologInnen, Entrepreneurs und Social Activists aus der ganzen Welt.

Festival-Hotspot wird einmal mehr die POSTCITY, das ehemalige Post- und Paketverteilerzentrum am Linzer Hauptbahnhof sein. Darüber hinaus verläuft das Festival auch in diesem Jahr quer durch die gesamte Innenstadt und macht Halt: im Linzer Mariendom, im OK im OÖ Kulturquartier, in der Kunstuniversität Linz, im LENTOS Kunstmuseum, Donaupark, in der Stadtwerkstatt, im neu gestalteten Ars Electronica Center und in der Anton-Bruckner-Privatuniversität und wird als besondere Attraktion auch einen Samstag-Ausflug in das außergewöhnliche Ambiente von Stift St. Florian machen.

Gerfried StockerGerfried Stocker (AT) ist Medienkünstler und Ingenieur der Nachrichtentechnik. Seit 1995 ist Gerfried Stocker künstlerischer Geschäftsführer von Ars Electronica. 1995/96 entwickelte er mit einem kleinen Team von KünstlerInnen und TechnikerInnen die richtungsweisenden neuen Ausstellungsstrategien des Ars Electronica Center und betrieb den Aufbau einer eigenen Forschungs- und Entwicklungsabteilung, des Ars Electronica Futurelab. Unter seiner Führung wurden ab 2004 das Programm für internationale Ars Electronica Ausstellungen aufgebaut und ab 2005 die Planung und inhaltliche Neupositionierung für das neue und erweiterte Ars Electronica Center aufgenommen und umgesetzt. Stocker ist Gastredner auf zahlreichen internationalen Konferenzen und Gastprofessor der Deusto University Bilbao und berät zahlreiche Unternehmen in den Bereichen Kreativität und Innovationsmanagement.

Christine SchöpfSeit 1979 wirkt Christine Schöpf (AT) maßgeblich an der Entwicklung von Ars Electronica mit. Zwischen 1987 und 2003 war sie federführend an der Konzeption und Organisation des Prix Ars Electronica beteiligt und ist seit 1996 gemeinsam mit Gerfried Stocker für die künstlerische Leitung des Ars Electronica Festival verantwortlich. Christine Schöpf studierte Germanistik und Romanistik und war anschließend als Radio- und Fernsehjournalistin tätig. Von 1981 bis 2008 leitete sie das Kultur- und Wissenschaftsressort des ORF Oberösterreich. Seit 2009 ist Christine Schöpf Honorarprofessorin der Kunstuniversität Linz.