Rebecca Merlic erhält „Marianne.von.Willemer – Preis für digitale Medien 2020“

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Video „TheCityAsAHouse“
Ars Electronica Blog

(Linz, 15.10.2020) Der mit 3.600 Euro dotierte „Marianne.von.Willemer – Preis für digitale Medien“ der Stadt Linz geht diesmal an Rebecca Merlic. Ausgezeichnet wird die Wiener Künstlerin für ihr spekulatives Werk „TheCityAsAHouse“, das die tradierte Verknüpfung von Privatsphäre und Privatbesitz hinterfragt und nach neuen Formen des urbanen (Zusammen-) Lebens fragt. „Rebecca Merlic sucht nach neuen Wegen und Strategien, sich in urbanen Räumen zuhause zu fühlen, ohne sich dafür an die eigenen „vier Wände“ binden zu müssen“, so die Linzer Frauenstadträtin Mag.a Eva Schobesberger. „‘TheCityAsAHouse‘ ist ein spannender künstlerischer Beitrag zur Reflexion darüber, wie wir den Stadtraum künftig auf eine andere Weise nutzen könnten und wie diese Nutzung zum Mehrwert für alle werden kann.“ Offiziell überreicht bekommt Rebecca Merlic den „Marianne.von.Willemer – Preis für digitale Medien 2020“ heute Abend, 19 Uhr, im Sky Loft des Linzer Ars Electronica Center.

„TheCityAsAHouse“
Was wäre, wenn wir Infrastruktur und Dienstleistungen – oder anders gesagt die Vielzahl an Möglichkeiten und Angebote – unserer modernen Städte nutzen würden, ohne gleichzeitig irgendwelche Besitztümer erhalten – sprich warten, reparieren und laufend finanzieren – müssten? Würden wir uns freier fühlen? Würden wir uns anderen Menschen näher fühlen? Mit „TheCityAsAHouse“ wirft Rebecca Merlic konventionelle Formen des Wohnens über Bord und spekuliert darüber, wie ein gänzlich anderes (Zusammen-) Leben im urbanen Raum aussehen könnte. Ergebnis dieser künstlerischen Spurensuche ist eine begehbare virtuelle Welt, die aus einer Unzahl an Bildern, Sounds, Videos und 3D-Scans besteht, die die Künstlerin im Laufes eines zweimonatigen nomadischen Aufenthalts in Tokio gesammelt hat. Diese virtuelle Welt ist keine Nachbildung ihres realen Vorbilds, sondern eine Parallelwelt, die sich aus Erinnerungen speist. Es ist eine Sammlung eingefrorener Momente, die angenehm, unbeholfen, beängstigend, kraftvoll, langweilig, interessant oder faszinierend sind. Mittels eines Game Controllers kann jede und jeder diese einmalige Welt erkunden, sich eigene Pfade suchen, entlang derer sich durch die Verknüpfung von Orten und Erfahrungen stets neue, improvisierte Erzählungen spinnen. Im Mittelpunkt all dieser Erzählungen ist stets die Frage, was es bedeutet, sich zu Hause zu fühlen und welche Voraussetzungen es dafür braucht.
Rebecca Merlic thematisiert dabei die Vergänglichkeit und Einmaligkeit dieser ganz persönlichen Empfindung, über die wir uns zwar austauschen, die wir aber allen technischen und medialen Raffinessen unserer Zeit zum Trotz nicht teilen können. „TheCityAsAHouse“ vermeidet ideologisch voreingenommene Kritik an sozioökonomischen Schieflagen wie explodierende Immobilien- und Mietpreise und prekäre Beschäftigungsverhältnisse und plädiert dafür, inmitten des urbanen Chaos nicht verzweifelt um eine Rückkehr zu Stabilität, Übersicht und Ordnung zu kämpfen, sondern nach vorn zu blicken und neue Wege einzuschlagen.

„Rebecca Merlic öffnet einen neuen Raum für Überlegungen zur künftigen Stadtnutzung“ – das Statement der Jury
„TheCityAsAHouse“ berichtet von der Auflösung privater Räume und der Strategie, die konservative Nutzung derselben in den Raum der Stadt zu verlagern. Bei einem zweimonatigen Aufenthalt in Tokio schläft sie in öffentlichen Räumen, im Zug, im Liebeshotel, isst in günstigen Restaurants und an Straßenständen, wäscht und pflegt sich in Badehäusern. Der öffentliche Raum, in dem sie sich bewegt, wird durch die Navigation mit dem Smartphone unterstützt und setzt sich entlang der persönlichen Nutzung immer wieder neu zusammen. Ihre Erkundungen überträgt sie als Architektin in eine virtuelle Realität, die eng mit den digitalen Spuren der besuchten Orte verbunden ist. Ihr Werk schafft eine überaus gelungene Neukonstruktion der persönlichen Erzählung. Rebecca Merlic öffnet damit neuen Raum für Überlegungen zur künftigen Stadtnutzung, die auch als Mehrwert für die Gesellschaft gesehen werden kann!“

Rebecca Merlic (AT)
Rebecca Merlic lebt und arbeitet in Wien und Tokio. Sie studierte Architektur an der TU Wien, der Akademie der bildenden Künste Wien sowie der University of the Arts Tokyo. Ihre künstlerischen Arbeiten wurden bislang an der Akademie der bildenden Künste Wien (2017, 2018, 2020), in der Tappered Gallery Tokyo (2018) sowie beim „Athens Digital Arts Festival“ (2020) mit einer Soloausstellung gezeigt. Am Ars Electronica Festival 2020 war Rebeca Merlic mit einer Einzelausstellung im „Ars Electronica Garden“ der VENT Gallery beteiligt. Ihre künstlerische Arbeit kreist um alternative Gesellschaftsformen und das damit einhergehende Hinterfragen und Überwinden sozio-ökonomischer Konventionen sowie künftige Formen der Architekturproduktion, die neue Technologien zum Einsatz bringen.

Der „Marianne.von.Willemer – Preis für digitale Medien“
Mit dem „Marianne.von.Willemer – Preis für digitale Medien“ unterstützt die Stadt Linz Frauen, die digitale Medien für den künstlerischen Ausdruck nutzen. Gesucht werden innovative Arbeiten, die durch den Einsatz oder die explizite Bezugnahme auf digitale Medien gekennzeichnet sind. Was die technische Realisierung angeht, kann aus einem breiten Spektrum gewählt werden – so können Arbeiten aus den Bereichen digitale Fotografie, Digital Video, Computeranimation, generative Graphik, digitale Musik, interaktive Installationen, Netzprojekte, Medienperformances, Medienarchitektur etc. eingereicht werden. Der Wettbewerb wird alle zwei Jahre vom Frauenbüro der Stadt Linz in Zusammenarbeit mit Ars Electronica und mit Unterstützung von dorf TV ausgeschrieben, die Gewinnerin erhält 3.600 Euro. Die diesjährige Jury bildeten Mag.a art. Dagmar Schink (Geschäftsführung VALIE EXPORT Center Linz), Prof.in (FH) Mag.a art. Dr.in Rosa von Suess (Professorin Fachhochschule St. Pölten, Department Medien und Digitale Technologien) und Univ.-Prof.in Mag.a art. Brigitte Vasicek (Professorin für Zeitbasierte Medien an der Kunstuniversität Linz).

Namenspatronin des Linzer Preises ist die 1784 in Linz geborene Marianne von Willemer, die als 14-Jährige mit ihrer Mutter nach Frankfurt am Main zog und dort Johann Wolfgang von Goethe kennen lernte. Dieser wiederum verewigte Marianne von Willemer in seinem 1819 erschienenen Werk „Westöstlicher Diwan“. Erst neun Jahre nach Marianne von Willemers Tod wurde bekannt, dass mehrere der schönsten Gedichte daraus eigentlich ihrer Feder entstammten. Die Leistungen von Marianne von Willemer wurden bis heute dennoch kaum bis gar nicht beachtet.

Photo:
TheCityAsAHouse / Rebecca Merlic / Fotocredit: Rebecca Merlic / Printversion

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Rebecca Merlic / Fotocredit: Rebecca Merlic / Printversion