technē – Was Kunst und Technologie verbindet

Quartalsschwerpunkt im Ars Electronica Center:
technē
Was Kunst und Technologie verbindet

Pressetext: „technē – Was Kunst und Technologie verbindet“ / PDF
Fotosammlung „technē – Was Kunst und Technologie verbindet“

(Linz, 16.1.2015) Technologie ist omnipräsent in unserem Leben. So gut wie nichts in unserer modernen Welt würde ohne Computer, ohne Internet noch funktionieren. Seien es die Arbeitsgeräte, die wir tagtäglich benutzen oder die vollautomatisierten Produktionsstraßen unserer Fabriken. Seien es unsere privaten oder öffentlichen Verkehrsmittel, sei es die medizinische Betreuung in den Krankenhäusern, unser mittlerweile weitgehend bargeldloser Zahlungsverkehr oder die Energieversorgung unserer Haushalte. Nicht mehr wegzudenken ist Technologie auch aus unserer Kommunikation untereinander. Kaum eine Stunde, in der wir dank der Mobile Devices, die wir von früh bis spät mit uns herumtragen, nicht telefonisch, per SMS, via Email oder Soziale Medien erreichbar wären. Man könnte diese Aufzählung wohl endlos fortsetzen.

Technologie im Fokus der Kunst

Die zunehmende technologische Durchdringung unserer (Lebens-)Welt zieht komplexe soziale, ökonomische und ökologische Auswirkungen nach sich. Es ist daher kein Zufall, dass sich immer mehr (junge) KünstlerInnen für jene technologischen Entwicklungen interessieren, die unser Leben nachhaltig verändert haben und das auch weiterhin tun werden. Technologie wird damit zum Dreh- und Angelpunkt der (kritischen) künstlerischen Reflexion. Und das in zweierlei Hinsicht: Zum einen ist Technologie das Thema bzw. der inhaltliche Gegenstand künstlerischer Arbeiten. Zum anderen eignen sich immer mehr KünstlerInnen selbst hohe technische Kompetenz an. Vor allem letzteres beeinflusst wiederum das Selbstbild bzw. das Selbstverständnis vieler Kreativer, die sich sowohl als KünstlerIn, als auch IngenieurIn, WissenschaftlerIn, etc. sehen.

Kunst und Technologie wachsen zusammen

Genau dieses Zusammenwachsen bzw. Ineinandergreifen von technischer und künstlerischer Kompetenz steht im Mittelpunkt einer neuen Präsentation im Ars Electronica Center: „technē“ ist allerdings keine in sich geschlossene Ausstellung, sondern das Motto eines Quartalschwerpunkts, der neben insgesamt 17 künstlerischen Arbeiten auch Themenführungen und Vorträgen im Deep Space umfasst.

technē – Was Kunst und Technologie verbindet

Cloud Face / Shinseungback Kimyonghun (KR)

Cloud Face ist der Titel einer Sammlung von Wolkenbildern, die alle an menschliche Gesichter erinnern. Nur logisch also, dass Gesichtserkennungsprogramme zum selben Schluss kommen und aus Wolkenformationen „echte“ Menschen werden.

Nonfacial Mirror / Shinseungback Kimyonghun (KR)

Sobald jemand versucht, in diesen Spiegel zu blicken, wendet der sich ab. Immer und immer wieder. Der Nonfacial Mirror mag schlicht keine Gesichter. Verbirgt man hingegen ihr oder sein Gesicht hinter den Händen, verharrt der Spiegel – nur um sich sofort wegzudrehen, sobald man versucht, einen Blick auf ihn zu erhaschen.

Captives / Quayola (IT/UK)

Captives ist eine digitale Interpretation von Michelangelos Serie Prigioni und seiner berühmten non-finito-Technik. Quayola interessiert sich hierbei einerseits für die Spannung und das Gleichgewicht zwischen Form und Inhalt sowie andererseits zwischen menschlichem Streben nach Perfektion und den komplexen, chaotischen Formen der Natur. Captives wurde im Rahmen des Prix Ars Electronica 2014 mit einer Honorary Mention in der Kategorie Interactive Art ausgezeichnet.

Landscape Abbreviated / Nova Jiang (NZ)

Nova Jiangs kinetisches Labyrinth Landscape Abbreviated besteht aus Bauteilen, auf denen sich Schalen mit Moos drehen. Das Moos hat die Künstlerin auf Gehsteigen, Hausfassaden und U-Bahn-Schachtgittern in New York gesammelt. Per Computer gesteuert, verändern die Kübel unablässig ihre Position, wodurch sich immer wieder neue Wege durch das Labyrinth öffnen und schließen.

Looks Like Music / Yuri Suzuki (JP)

Eine reizvolle Art und Weise Musik zu visualisieren hat Yuri Suzuki mit der Installation Looks Like Music geschaffen. Ein kleiner Roboter fährt dabei eine schwarze Linie entlang, die einen meterlangen geschlossenen Kurs auf einer weißen Papierfläche bildet. Immer wieder wird dieser Kurs von bunten Strichen gequert oder ist mit zahlreichen bunten Tupfen und Flecken übermalt, die allesamt zu Tönen und Klängen werden, sobald der Roboter über sie hinweg fährt.

Real Imaginary Objects / Daniel Crooks (AU)

Daniel Crooks will die Zeit und ihren Verlauf als dreidimensionale Objekte darstellen. Er entwickelte dafür eigens eine 3-D-Schnitt Kamera, die es möglich macht, Querschnitt-Sequenzen eines beliebigen Raumes – in dem sich etwa eine Person bewegt – mit sehr hoher Bildfrequenz aufzunehmen. Die dabei aufgezeichneten zweidimensionalen Bilder werden nun Bild für Bild quasi aneinandergereiht, sodass sie zu einer dreidimensionalen Skulptur – einer Art „Zeitblock“ werden. Im Rahmen eines Forschungsaufenthalts am Ars Electronica Futurelab ließ Daniel Crooks dabei auch den Bildschirm als Darstellungsmedium hinter sich und schuf eine „echte“ physische Skulptur.

Face to Facebook / Paolo Cirio, Alessandro Ludovico (IT)

Zum Abschluss ihrer Trilogie „Hacking Monopolism“ nahmen Paolo Cirio und Alessandro Ludovico den Online-Giganten Facebook ins Visier. Mithilfe einer eigens entwickelten Software entwendeten sie eine Million Facebook-Profile, filterten diese mit einem Gesichtserkennungsprogramm und gruppierten sie nach Daten- und Gesichtsähnlichkeiten. Die auf diese Weise neu geordneten Profile wurden schließlich auf eine eigene Partnerbörse gestellt und ihre BesitzerInnen per E-Mail miteinander bekannt gemacht. Gerade einmal eine Woche online, rief „Face to Facebook“ ein enormes Echo hervor, das von Medienberichten in aller Welt bis hin zu Morddrohungen und Klagen reichte. Paolo Cirio und Alessandro Ludovico mussten das Projekt letztlich vom Netz nehmen.

Loophole for All / Paolo Cirio (IT/US)

Kunst, Aktivismus und investigativer Journalismus – all das steckt in Paolo Cirios „Loophole for All“. Im Mittelpunkt des Projekts: die Kaimaninseln, fünftgrößter Finanzplatz der Welt und Steuerparadies. Paolo Cirio hat die Identität von 200.000 hier registrierten Firmen gestohlen und bietet diese auf seiner Website www.loophole4all.com zum Kauf an. Möglich wird das, weil die Registrierung im Steuerparadies vollkommen anonym erfolgt. Jede und Jeder kann nun also ein Zertifikat erstehen, das sie oder ihn mit der Identität einer realen Firma ausstattet und damit Zugang zum Finanzplatz der Kaimaninseln eröffnet. Alle sollen die Möglichkeit haben, genau dieselben Steuererleichterungen zu nutzen, wie sie Konzerne ständig für sich in Anspruch nehmen, meint Paolo Cirio und bezeichnet sein Projekt als den Versuch einer Demokratisierung der Steuerflucht. Klarerweise will der Künstler und Aktivist aber vor allem auf die globale Dimension der Steuerflucht aufmerksam machen, um diese letztlich dauerhaft zu unterbinden. Dass dafür ein langer Atem notwendig sein wird, ist ihm klar – die Lobby, gegen die er hier angeht, ist doch ziemlich mächtig.

Street Ghosts / Paolo Cirio (IT/US)

Im Rahmen des Google Street View Projects entstand eine Art „weltumspannende Fotografie“, in dem Abermillionen Einzelbilder von allen möglichen Plätzen, Straßen, Wegen und Pfaden zu einem großen, im Internet verfügbaren Bild zusammensetzt wurden. Quasi nebenbei wurden auch alle Personen aufgenommen, die sich zum jeweiligen Zeitpunkt auf diesen Plätzen, Straßen, Wegen und Pfaden aufhielten. Zwar anonymisiert, aber dennoch waren sie alle plötzlich im Internet abgebildet. Mit seinen Street Ghosts drehte Paolo Cirio diesen Prozess nun um: Er fertigte lebensgroße Poster der Menschen, die auf den Google-Schnappschüssen im Netz zu sehen waren und brachte diese Poster an den entsprechenden Stellen auf den „echten“ Straßen an. Ein wichtiger Unterschied freilich besteht zwischen den digitalen Originalen und Paolo Cirios „Geistern“ – seine Poster verschwinden wieder, wohingegen die Google-Daten mit Sicherheit noch sehr lange online bleiben werden.

FADTCHA / Shinseungback Kimyonghun (KR)

Inspiriert vom sogenannten Turing-Test, eine Befragung, die nur Menschen, nicht aber Computer bestehen können, steht der „FAce Detection Turing test to tell Computers and Humans Apart“ für das genaue Gegenteil: Menschliche UserInnen sind aufgefordert, in einem Bild aus lauter farbigen Punkten ein Gesicht zu entdecken. Während dies ein Gesichtserkennungsprogramm vor kein allzu großes Problem stellt, ist es für Menschen so gut wie unmöglich, das Gesicht zu erkennen.

The God’s Script / Shinseungback Kimyonghun (KR)

„The God’s Script“ (Die Inschrift Gottes) gibt die gleichnamige Erzählung des argentinischen Schriftstellers Jorge Luis Borges auf sehr ungewöhnliche Weise wieder. Jedes einzelne Wort der englischen Ausgabe wird in Form von Bildern dargestellt, bei denen es sich stets um das jeweils erste Suchergebnis auf Google Pictures handelt.

Cat or Human / Shinseungback Kimyonghun (KR)

Die Gesichtserkennung der heutigen Videoüberwachung basiert mittlerweile auf extrem ausgeklügelten Algorithmen und dokumentiert unser Verhalten im öffentlichen Raum bzw. in Geschäften fast schon lückenlos. Gleichzeitig scheitern genau diese Programme aber wenn es darum geht, eine Katze von einem Menschen zu unterscheiden. Eine Tatsache, die fast skurril anmutet und bewusst macht, wie fehleranfällig eines der vermeintlich effizientesten Überwachungsinstrumente unserer Zeit doch ist. Die Konsequenzen, die ein solcher „Irrtum“ für die Einzelne oder den Einzelnen nach sich ziehen kann, sind ohne Zweifel alles andere als angenehm.

CAPTCHA Tweet / Shinseungback Kimyonghun (KR)

CAPTCHAs fordern uns InternetuserInnen üblicherweise dazu auf, verzerrte Zahlen und Buchstaben abzutippen und auf diese Weise zu verifizieren, dass wir „echte“ Menschen und keine Computer oder Software-Programme sind. Genau damit spielt die Applikation CAPTCHA Tweet: Sie macht es möglich, Tweets als CAPTCHA zu posten und damit quasi hinter dem Rücken der Computer miteinander zu kommunizieren.

Lapillus Bug / Kono Michinari, Takayuki Hoshi, Yasuaki Kakehi (JP)

Der Lapillus Bug besteht aus einem Teller mit Frühstücksresten und einem kleinen, schwarzen Kügelchen – dem Lapillus Bug –, das wie eine Fliege knapp über dem Teller hin und her surrt, scheinbar unentschlossen, über welchen Leckerbissen es sich zuerst hermachen soll. Dieses „Steinchen“ (genau das bedeutet das lateinische „Lapillus“) besteht aus Partikeln, die mit ultratiefen, für uns Menschen nicht mehr hörbaren, Frequenzen „beschossen“ werden und dadurch in der Luft schweben. Pure Physik also, die hinter dem geheimnisvollen Lapillus Bug steckt. Kono Michinari, Takayuki Hoshi und Yasuaki Kakehi zeigen uns, wie toter Materie scheinbar Leben eingehaucht werden kann und zwar auf eine Weise, die uns unweigerlich Vergleiche zwischen toter Materie und „ähnlichen“ Lebewesen anstellen lässt. Durch den Einsatz immer weiter entwickelter Technologie ist es möglich, Objekte oder Bilder zu schaffen, die für uns nicht mehr vom Original – also von echten Lebewesen – zu unterscheiden sind.

Portrait / Shinseungback Kimyonghun (KR)

Portrait ist die Schnittmenge aller Gesichter, die es in einem Film zu sehen gibt. Eine spezielle Software erkennt sie und schafft daraus eine Art “Durchschnittsgesicht”, das Auskunft über die Hauptfiguren und die visuelle Atmosphäre eines Films gibt.

Iris / Chloe Cheuk, Kenny Wong (HK)

Iris besteht aus einem sehr kommunikativen Paar Hände, das sich mit seinem menschlichen Gegenüber klarerweise nur durch Gesten verständigen kann. Via Versuch und Irrtum ist es letzterem tatsächlich möglich zu eruieren, auf welche Gesten Iris reagiert und auf welche nicht. Umgekehrt ist auch Iris lernfähig: die Gesten ihrer GesprächspartnerInnen werden aufgenommen und in einer Datenbank gespeichert, wodurch das Kommunikationsrepertoire der Installation kontinuierlich wächst.

A Million Seasons / Shinseungback Kimyonghun (KR)

Flickr ist die aktuell größte Fotoplattform im Internet. Unter anderen finden sich hier auch Abermillionen Fotos mit den Tags „spring“, „summer“, „fall“ und „winter“. Diese wiederum bilden das Ausgangsmaterial für A Million Seasons: Eine eigens programmierte Software „extrahiert“ je eine Million Pixel aus zig Frühlings-, Sommer-, Herbst- und Winterfotos und erstellt daraus vier abstrakte, aber in gewisser Weise ebenso repräsentative Bilder der Jahreszeiten.

Führungen und Deep Space-Präsentationen

Neben der Präsentation der Ausstellungsexponate wird im Rahmen des Quartalsschwerpunkts „technē – Was Kunst und Technologie“ auch eine Themenführung angeboten. Die Führung findet donnerstags (18:30) sowie samstags und sonntags (15:00) statt und beinhaltet neben einem Rundgang durch die Ausstellung eine Deep Space-Vorführung.

Photo:

Captives / Quayola / Printversion / Album

Photo:

Colour Chaser / Hitomi Kai Yoda / Printversion / Album

Photo:

Cloud Face / Shinseungback Kimyonghun / Printversion / Album


Captives / Quayola