10. bis 14. November 2021
Für das Taiwan Creative Content Fest (TCCF) in Taipeh, Taiwan hat Ars Electronica videobasierte Kunstwerke kuratiert, die uns einen anderen Blick auf das Festivalthema “Metaverse“ erlauben.
Digitale Technologien haben vieles bewirkt. Sie ermöglichen und bewerten komplexe Daten, die Gestaltung von intelligenten Materialien, Formen und Verhaltensweisen und eröffnen neue Produktions- und Darstellungsmethoden, die soziale und kulturelle Veränderungen bewirken. Digitale Technologien sind in der Lage, aus gigantischen Datenmengen komplexe Zusammenhänge zu konstruieren und sie so darstellbar zu machen, dass aus ihnen Logik, Information und Wissen entstehen. Die Gabe des Menschen, Technologien zu entwickeln, um dem Wunsch nachzukommen, die eigenen Grenzen zu überschreiten, konstruiert gleichzeitig immer neue Realitäten, die erkannt und verstanden werden müssen. Die Ausstellung im Rahmen der Kooperation zwischen TAICCA und ARS ELECTRONICA widmet sich diesem Thema und zeigt anhand von unterschiedlichen künstlerischen Positionen dreier Künstler*innen, welche neuen Realitäten wir uns durch digitale Technologien geschaffen haben, wo die Herausforderungen, Risiken und Chancen liegen und vor allem mit welchen Kompetenzen sich die Menschheit ausstatten muss, um die neu geschaffenen Realitäten für sich wirksam machen zu können.
Neben den Kunstwerken teilen Mitglieder des Ars Electronica Teams ihr Wissen im Rahmen der Ars Electronica Future Thinking School.
Die digitale Revolution lässt keinen Stein auf dem anderen. Sie bringt neue Technologien und Geschäftsmodelle hervor und verändert die Art, wie wir leben und wie wir denken. Ziel ist es, diese Revolution aktiv als Bestandteil unserer kulturellen Identitäten und unseres Selbstverständnisses zu gestalten. Im Rahmen der Ausstellung bietet die Ars Electronica Future Thinking School im TAICCA Bildungsformate an, die Portale in jene Bereiche unserer Gesellschaft öffnen, in denen durch neue, innovative Technologien herausfordernde Veränderungsprozesse stattfinden werden oder bereits stattgefunden haben. Natürlich wird es darum gehen, diese Herausforderungen zu identifizieren und zu analysieren. Aber viel mehr wird es darum gehen, eine Generation von Menschen auszubilden, die die Kraft des Wandels verstehen und für sich wirksam machen können. Menschen, die in der Lage sind, neue Wege und Strategien für sich selbst und die Allgemeinheit zu entwickeln, um Technologie dort zu nutzen, wo sie verbindet und nicht trennt. Für eine bessere und gemeinsame Zukunft.
Während der Veranstaltungstage werden wir den Ausstellungsraum einmal täglich öffnen und ihn in eine Schule der Zukunft verwandeln. Es soll gezeigt werden, wozu Kreative und Künstler mit ihrem kritischen Denken – ART THINKINGS – fähig sind, wenn sie sich an der Lösung von Problemen außerhalb der Kunstwelt beteiligen.
Winds of Taipei. AI Data Painting
Refik Anadol (TR/US)
Wind of Taipei Data Paintings ist ein ortsspezifisches Werk, das die unsichtbaren Windmuster in und um Taipeh in eine Reihe von poetischen Datenbildern auf einer digitalen Leinwand verwandelt. Unter Verwendung eines über ein Jahr gesammelten Datensatzes aus Taipeh
entwickelte Refik Anadol Studios eine spezielle Software, um Windgeschwindigkeit, -richtung und Böenmuster in Verbindung mit Zeit und Temperatur in 20-Sekunden-Intervallen das ganze Jahr über zu lesen, zu analysieren und zu visualisieren.
Credits: Refik Anadol Studio
Refik Anadol (*1985, Istanbul, Türkei) ist ein Medienkünstler, Regisseur und Pionier auf dem Gebiet der Datenästhetik und maschinellen Intelligenz. Sein Werk positioniert die Kreativität an der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine. Indem er die Daten, die uns umgeben, als primäres Material und das neuronale Netzwerk eines computerisierten Verstandes als Kollaborateur nimmt, malt Anadol mit einem denkenden Pinsel und bietet uns radikale Visualisierungen unserer digitalisierten Erinnerungen und erweitert die Möglichkeiten von Architektur, Erzählung und dem Körper in Bewegung. Die ortsspezifischen KI-Datenskulpturen, audiovisuellen Live-Performances und immersiven Installationen von Anadol nehmen viele Formen an und ermutigen uns, unsere Auseinandersetzung mit der physischen Welt, ihren zeitlichen und räumlichen Dimensionen und dem kreativen Potenzial von Maschinen zu überdenken.
The Substitute
Alexandra Daisy Ginsberg (GB/ZA)
Am 20. März 2018 verkündeten die Medien den Tod von Sudan, des letzten männlichen Nördlichen Breitmaulnashorns (Ceratotherium simum cottoni). Wir trauerten kurz um eine Subspezies, die dem menschlichen Verlangen nach den vermeintlich lebensverlängernden Eigenschaften ihres Horns zum Opfer gefallen war, und trösteten uns mit dem Gedanken, dass sie mithilfe der Biotechnologie zurückgebracht werden könnte, wenn auch von einer anderen Subspezies. Aber würden die Menschen ein wiederauferstandenes Nashorn schützen, nachdem sie eine ganze Art dezimiert haben? Und würde dieses neue Nashorn echt sein?
The Substitute erforscht ein Paradoxon: unsere Beschäftigung mit der Erschaffung neuer Lebensformen, während wir die bestehenden vernachlässigen. Ein Nördliches Breitmaulnashorn wird digital zum Leben erweckt, unterstützt durch die Entwicklungen in der menschlichen Erschaffung künstlicher Intelligenz (KI). Auf der Grundlage von Forschungsergebnissen des KI-Labs DeepMind agiert das Nashorn als künstlicher Agent, als autonomes Wesen, das von seiner Umgebung lernt. Eine lebensgroße, 5 m breite Projektion zeigt das künstliche Nashorn, das sich in einer virtuellen Welt bewegt und immer “realer” wird, je mehr es die Grenzen des Raums begreift. In dem Maße, in dem sich das künstliche Nashorn an seinen Raum gewöhnt, wechseln seine Form und sein Klang von Pixeln zu lebensechten Bildern – und erinnern den Betrachter daran, dass dieses lebende, atmende Nashorn, das ohne seinen natürlichen Kontext zum Leben erwacht, völlig künstlich ist. Die experimentellen Daten werden auf einem zweiten Bildschirm abgespielt, der den Weg und die Entwicklung der Gitterzellen zeigt. Die Verhaltensweisen und Geräusche des Nashorns sind seltenen Forschungsaufnahmen der letzten Herde entnommen, die von Dr. Richard Policht zur Verfügung gestellt wurden. Ist dieses Nashorn, das losgelöst von seinem natürlichen Umfeld zum Leben erwacht, ein optimierterer Ersatz für das echte Nashorn?
Credits: Commissioned by the Cooper Hewitt, Smithsonian Design Museum and Cube design museum, 2019. Animation by The Mill with behaviour based on research by DeepMind.
Dr. Alexandra Daisy Ginsberg ist eine Künstlerin, die unsere angespannte Beziehung zu Natur und Technologie untersucht. In ihren Kunstwerken, Schriften und kuratorischen Projekten erforscht Daisy Ginsberg so vielfältige Themen wie künstliche Intelligenz, synthetische Biologie, Naturschutz, biologische Vielfalt und Evolution und untersucht dabei den menschlichen Impuls, die Welt zu “verbessern”. Daisy hat sich über zehn Jahre lang experimentell mit dem Bereich der synthetischen Biologie auseinandergesetzt und neue Rollen für Künstler und Designer entwickelt. Sie ist die Hauptautorin von Synthetic Aesthetics: Investigating Synthetic Biology’s Designs on Nature (MIT Press, 2014). 2017 schloss sie Better, ihren PhD by Practice, am Royal College of Art (RCA) in London ab und untersuchte, wie mächtige Träume von einer “besseren” Zukunft die Dinge formen, die entworfen werden. Sie studierte Architektur an der University of Cambridge, war Gastwissenschaftlerin an der Harvard University und erhielt ihren MA in Design Interactions vom RCA. Daisy gewann 2011 den World Technology Award für Design, 2012 die London Design Medal for Emerging Talent und 2019 den Dezeen Changemaker Award. Ihre Arbeit wurde zweimal für Designs of the Year nominiert (2011, 2015), wobei Designing for the Sixth Extinction als “romantisch, gefährlich… und alles andere, was uns inspiriert, die Welt zu verändern und zu hinterfragen” beschrieben wird. Daisy stellt international aus, unter anderem im MoMA New York, im Museum of Contemporary Art in Tokio, im National Museum of China, im Centre Pompidou und in der Royal Academy. Ihre Arbeiten befinden sich in privaten und musealen Sammlungen, darunter das Art Institute of Chicago, das Cooper Hewitt Smithsonian Design Museum und das ZKM Karlsruhe. Zu ihren Vorträgen gehören TEDGlobal, PopTech, Design Indaba und das New Yorker Tech Fest. Daisy ist Resident in den Somerset House Studios, London, und wird 2021 eine große neue Auftragsarbeit für das Eden Project in Angriff nehmen.
All Watched Over By Machines Of Loving Grace / Deeper Meditations #1 – #6
Memo Akten (TR/US)
In Anlehnung an das Gedicht des verstorbenen amerikanischen Dichters Richard Brautigan aus dem Jahr 1967 ist “All watched over by machines of loving grace” ein kurzer Experimentalfilm über unsere Besessenheit, Fetischisierung und Vergötterung der Technologie. In unserem fortwährenden Wettlauf um Optimierung und Computerisierung, um “schnelle, bahnbrechende Dinge” in Hingabe an unsere heiligen Missionen des “Wachstums” und des “Fortschritts” übersehen wir oft die unerwünschten Folgen unserer falsch eingeschätzten begrenzten Intelligenz – geschweige denn, dass wir sie vorhersehen.
Da die Grenzen zwischen “Natur” und “künstlich”, zwischen “Mensch” und “Technologie” imaginär und nicht existent sind, sind unsere Bemühungen, die Natur zu zähmen und sie unserem Willen zu unterwerfen, in Wirklichkeit ein Versuch, uns selbst zu zähmen und einzusperren.
Der Film wurde mit einer speziellen Software erstellt, die auf modernsten Algorithmen des maschinellen Lernens und der künstlichen Intelligenz basiert. Auf den zweiminütigen Film folgen sechs kürzere Filme aus der Reihe “Deeper Meditations”, die sich mit der Selbstreflexion befassen und den Geist eines künstlichen und eines biologischen neuronalen Netzwerks erforschen.
Memo Akten ist ein Künstler, experimenteller Filmemacher, Musiker und Informatiker aus Istanbul, Türkei. Er arbeitet mit neuen Technologien und Computern als Medium, um Bilder, Klänge, Filme, groß angelegte interaktive Installationen und Performances zu schaffen. Er ist fasziniert von dem Versuch, das Wesen der Natur und der menschlichen Existenz zu verstehen, und schöpft aus Bereichen wie biologische und künstliche Intelligenz, Computerkreativität, Wahrnehmung, Bewusstsein, Neurowissenschaften, Grundlagenphysik, Ritual und Religion. Er promovierte in Künstlicher Intelligenz / Deep Learning und expressiver Mensch-Maschine-Interaktion an der Goldsmiths University of London und ist Assistenzprofessor für Computational Arts an der University of California, San Diego (UCSD).
Akten erhielt 2013 den Prix Ars Electronica Golden Nica für sein Werk “Forms”. Er hat international ausgestellt und ist an Orten wie dem Grand Palais (Paris FR), dem Barbican (London UK), dem Victoria & Albert Museum, dem Moscow Museum of Modern Art (Moskau RU), dem Shanghai Ming Contemporary Art Museum (Shanghai CN) und vielen anderen aufgetreten. Er hat auch mit Persönlichkeiten wie Lenny Kravitz, U2, Depeche Mode und Professor Richard Dawkins zusammengearbeitet.