Alle animierten Bilder, wie handgefertigt sie auch sein mögen, werden heutzutage im Produktions- oder Vertriebsprozess digital und damit zur „Computeranimation“. Es geht in dieser Kategorie daher darum zu hinterfragen, inwiefern sie als Kommunikationstool funktionieren und welche Erfahrungen sie den Betrachter:innen ermöglichen, wobei die Bandbreite von abstrakten Werken, Musikvideos, Essayfilmen, Charakteranimationen über Datenvisualisierungen und Rauminstallationen bis zu Virtuellen Realitäten (VR, AR und MR) reicht.
Honorary Mention
Vastum, 2020
L.A. Raeven (NL)
Wie geht unsere Gesellschaft mit Alter und Krankheit um, wenn Entwicklungen in der Gentechnologie ganz neue Möglichkeiten zur Optimierung eröffnen – zumindest jenen, die es sich in der Zukunft leisten können? In Vastum (lateinisch für „Abfall“) beschäftigt sich das Künstlerinnenduo L.A. Raeven (Liesbeth und Angelique Raeven) mit der Angst vor Alter und Degeneration und entwirft dabei ein düsteres Szenario. Ihre Arbeit wird in einer Box präsentiert, in der ein junges Mädchen durch ein kleines Guckloch zu sehen ist. Sie wird so zu einem Objekt der Beobachtung, das den neugierigen Blicken zu entkommen versucht. Die animierte Figur hat Progerie – eine seltene erbliche Störung, die vorzeitiges Altern verursacht. Ihre seltsamen Bewegungen sind das Ergebnis einer „digitalen Kreuzung“ zwischen einem Progeriepatienten und einer Laborratte. Mithilfe modernster Computertechnologie möchten die Künstlerinnen unangenehme Fragen über die Entwicklung unserer Gesellschaft angesichts des unaufhaltsamen wissenschaftlichen Fortschritts aufwerfen.
Credits
Videoinstallation
With support from: Mondriaanfonds
laraeven.net
Honorary Mention
Dirtscraper, 2020
Peter Burr (US)
Dirtscraper erzählt die Geschichte einer unterirdischen Megastruktur. In 48 Kapiteln entwirft Peter Burr ein digitales Porträt einer verfallenden, kranken Architektur. Über Text-Pop-ups gewähren Mitglieder dieser virtuellen Gemeinschaft Einblicke in ihre Lebensrealität, in der Wohnblöcke der Industrie weichen, Bewohner:innen vertrieben werden und das Individuum verkümmert. Es ist die Geschichte einer sich ständig verändernden, dynamischen Stadt und der Menschen, die trotz allem in ihr leben. 2020 wurde das Kunstwerk in Form eines Livestreams bei der Galerie bitforms veröffentlicht: als einwöchiges Zero-Player- Computerspiel. Gesteuert von einer KI wurden während dieser Übertragung ständig neue Geschichten, architektonische Anordnungen und Perspektiven präsentiert.
Credits
Videoinstallation (1′ 26″)
peterburr.org
Award of Distinction
AIVA, 2020
Veneta Androva (BG)
Im Mittelpunkt dieser Computerspiel-Animation steht die Figur der Künstlerin AIVA, der die Zuseher:innen bei ihrem Schaffen, aber auch bei ihren Ausstellungen und dem Verkauf ihrer Werke zusehen können. Charakter, Verhalten und Karriere von AIVA sind stark vom männlichen Objekt / Blick / Gönner geprägt. Die weibliche Figur wird von Veneta Androva dargestellt, als wäre sie von einem rein männlichen Team erdacht und programmiert. Mit ihrer klischeehaften „Kunstdoku“ thematisiert die Künstlerin die systematische Benachteiligung von Frauen in der Kunst und den hier nach wie vor vorherrschenden Mythos des männlichen Genies. Darüber hinaus möchte sie den Mangel an weiblichen Perspektiven im Bereich der Künstlichen Intelligenz aufs Tableau bringen – siehe Siri, Alexa, Cortana, Samantha oder Ai-Da. So besteht die Gefahr, dass weiblich gegenderte KI-Produkte problematische Stereotype über die Rolle der Frau in der Gesellschaft reproduzieren.
Credits
Videoinstallation (13′),
venetaandrova.com
Golden Nica
When The Sea Sends Forth A Forest, 2020
Guangli Liu (CN)
Mit When the Sea Sends Forth a Forest widmet sich Guangli Liu der vergessenen Geschichte der chinesischen Bevölkerung Kambodschas, die in den 1970er- Jahren von den Roten Khmer verfolgt, vertrieben und getötet und dabei von China im Stich gelassen wurde. Angesichts des Mangels an historischem Bildmaterial aus dem damals nach außen hin völlig abgeschotteten Land nutzt Guangli Liu einerseits die Propagandavideos des Regimes und andererseits die Schreckensbilder, die nach dessen Sturz in alle Welt verbreitet wurden. Er verwebt die alten Aufnahmen mit 3D-Darstellungen einer Game-Engine und schafft so eine eindrückliche visuelle Narration. Erzählt von der Stimme eines Zeitzeugen, entfaltet sich eine zarte, persönliche Geschichte als virtuelle Realität einer rekonstruierten jüngeren Vergangenheit.
Credits
Videoinstallation (20′)
Produced by Le Fresnoy – Studio national des arts contemporains
liuguangli.net
liuguangli.net/whentheseasends.html
Award of Distinction
OPERA, 2020
Erick Oh (US)
OPERA ist eine bildgewaltige Animation, die unsere Gesellschaft und Geschichte in all ihrer Vielfalt, Schönheit und Absurdität porträtiert. Eine Zivilisation steigt und fällt (und steigt wieder) in einer kontinuierlichen Bewegung. Der Animationsfilm versteht sich als eine zeitgenössische animierte Darstellung, inspiriert von Renaissance-Freskenmalereien und Künstlern wie Bosch, Michelangelo und Botticelli. Mit unzähligen Details erzählt Erick Oh von einer sich wiederholenden Menschheitsgeschichte und gibt Einblicke in die Bandbreite menschlicher Emotionen. OPERA ist gleichsam hoffnungsvoll, lustig, nachdenklich, erschreckend und traurig. Es ist eine Einladung, die Mechanismen, nach denen unsere Gesellschaft und wir selbst funktionieren, zu hinterfragen – und im Idealfall daraus zu lernen.
Credits
Videoinstallation | video installation
opera.beastsandnatives.com