Digitalisierung ändert nicht unsere Welt, stattdessen aber umso grundlegender die Art und Weise, wie und was wir in dieser Welt tun können und müssen.

Im dritten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts angekommen, also in einer Zeit, für die uns ja schon selbstfahrende Autos, Flugtaxis, globaler Wohlstand und noch vieles mehr versprochen wurden, bzw. wir uns all das herbeigewünscht oder uns davor gefürchtet haben, zu einem Zeitpunkt, an dem die Diskussion um die Digitale Transformation lauter, aber auch verwirrter geführt wird als je zuvor, gilt es, die Fundamente der digitalen Welt, oder das, was wir dafür halten, neu zu denken.

Was als „Werkzeugtechnologie“ begann, ist zur zentralen und transformativen „Kulturtechnik“ geworden, was als Arbeitsumgebung entwickelt wurde, ist zu einem sozialen Lebensraum geworden, in dem sich weit über 4 Milliarden Menschen tummeln, was als lustiger, harmloser Austausch von täglichen Banalitäten und Katzenfotos begann, ist zu einem politischen Schlachtfeld geworden …

Wie wir damit umgehen, wie wir uns auf die weiteren Auswirkungen dieser Entwicklung vorbereiten, wie wir die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, politischen Rahmenbedingungen denken, hat sich jedoch nicht verändert und dort, wo wir Veränderung sehen, ist sie noch immer zu zögerlich und zu langsam. Ob wir wollen oder nicht, die Digitale Transformation ist nicht bloß ein reizvolles Wort für Sonntagsreden, sondern eine Realität bestimmende Tatsache. Die Evidenz der damit verbundenen Defizite und wie sehr sie uns zu schaffen machen, ist nicht zuletzt eine der prägenden Erfahrungen der aktuellen Pandemie-Lockdowns.

A New Digital Deal – die Frage nach unseren Handlungsmöglichkeiten und Handlungsfähigkeiten

Allerorts ist in letzter Zeit der Ruf nach neuen Deals sehr populär geworden; das spricht von einem wachsenden Bewusstsein für die Unabwendbarkeit von Veränderungen, aber wohl viel mehr auch von unserer Sehnsucht nach einfachen Lösungen, von der letztlich naiven Hoffnung, dass ein paar Verhandlungen und Vereinbarungen ausreichen würden, um die Schieflagen der aktuellen Entwicklungen zu reparieren.

Wie kann also ein neuer Deal aussehen und wie sollen wir Deal in diesem Zusammenhang denn überhaupt verstehen? Aus dem neuen digitalen Deal wird nichts werden, wenn wir ihn nur als einen schnellen Kuhhandel sehen, wenn wir nur darauf aus sind, uns ein paar Vorteile aushandeln zu können. Es ist auch kein Deal, den jemand für uns ausverhandeln kann, denn ein entscheidender Aspekt des „New Digital Deal“ ist die Frage „how are we going to deal with it“ – also die Frage nach den Handlungsmöglichkeiten und Handlungsfähigkeiten.

Wie können wir die digitale Welt „fixen“, d.h. die Probleme in den Griff bekommen und dennoch die immer öfter sichtbar werdenden Avancen eines machtpolitischen Durchgreifens verhindern? Welche Skills und welche Expertisen brauchen wir dafür, wo und wie werden wir diese Skills erwerben können, wo und wie die notwendigen Expert*innen ausbilden? Welche Rollen kommen jedem und jeder von uns dabei zu?

Deal kommt von teilen* und A New Deal heißt, die Karten neu zu verteilen!

Die Ars Electronica orientiert sich 42 Jahre nach ihrer Gründung und im zweiten Jahr der Corona-Pandemie, in dem die Digitalisierung unserer Welt, unserer daran geknüpften Hoffnungen und Befürchtungen abermals eine intensive Steigerung erfahren haben, auch an den eigenen Wurzeln.

Dem erfolgreichen Modell des letzten Jahres folgend, wird das Festival für Kunst, Technologie und Gesellschaft zu einem weltweiten Ankerpunkt. Zu einer Plattform für engagierte Menschen, die Zukunft nicht als Blick in die Kristallkugel der Technokonzerne, sondern als Verantwortung unserer Zeit sehen, die begonnen haben, diese Verantwortung auch anzunehmen, als gesellschaftliche Aktivierung und Ermächtigung, als Quelle analytischen, korrigierenden und alternativen Denkens und Handelns.

Ars Electronica in den Kepler’s Gardens wird abermals ein weltweit vernetztes Festival sein, das von mehr als hundert Partnerinstitutionen gemeinsam getragen wird – mit einem Zentrum in Linz, auf dem Campus der JKU und zahlreichen anderen Schauplätzen inmitten der Stadt.

Es reicht nicht aus, nur über die Gartenzäune zu blicken, wir vernetzen, öffnen und teilen unsere Gärten als Orte der Ideen, Inspirationen, der Denkanstöße und Vorbilder.

(*) Middle English deel, from Old English dǣl; akin to Old English dāl division, portion, Old High German teil part, https://www.merriam-webster.com/dictionary/deal

Gerfried Stocker, Co-CEO / Artistic Director Ars Electronica
Gerfried Stocker (AT) ist Medienkünstler und Ingenieur der Nachrichtentechnik. Seit 1995 ist Gerfried Stocker künstlerischer Leiter und Geschäftsführer von Ars Electronica. Mit einem kleinen Team von Künstler*innen und Techniker*innen entwickelte er 1995/96 die Ausstellungsstrategien des Ars Electronica Center und betrieb den Aufbau einer Forschungs- und Entwicklungsabteilung, dem Ars Electronica Futurelab. Unter seiner Führung erfolgte ab 2004 der Aufbau des Programms für internationale Ars Electronica Ausstellungen, ab 2005 die Planung und inhaltliche Neupositionierung für das 2009 baulich erweiterte Ars Electronica Center, ab 2015 die Expansion des Ars Electronica Festival und im Jahr 2019 die großangelegte thematische und innenarchitektonische Neugestaltung des Ars Electronica Center. Stocker berät zahlreiche Unternehmen und Institutionen in den Bereichen Kreativität und Innovationsmanagement, ist Gastredner auf internationalen Konferenzen und Universitäten. 2019 erhielt er ein Ehrendoktorat der Aalto University, Finnland.