Grand Prize – Artistic Exploration: Für künstlerische Erforschungen und für Kunstwerke, bei denen die Aneignung durch die Kunst großes Potenzial zur Beeinflussung und Veränderung von Technologie und deren Nutzung, Entwicklung und Wahrnehmung hat.
Design by Decay, Decay by Design ist eine Reihe von Artefakten, die designten Verfall darstellen. Sie wurden im Rahmen der Ginkgo Bioworks Creative Residency 2019 zum Thema „Wie gestaltet man eine Welt ohne Abfall?“ gefertigt. Als Architektin und Künstlerin erkenne ich, dass die meisten meiner Kreationen auf der Mülldeponie landen. Wenn das der Fall ist, will ich Abfall entwerfen, mit dem ich leben kann, Abfall, der eine gewisse Attraktivität behält, indem er sich vor den Augen und vor Ort zersetzt. Lasst mich Abfall so entwerfen, wie die Natur ihn entwirft, nicht nur als das Produkt von Abbau und Zerstörung, sondern auch als Input für Erneuerung und Konstruktion. In der Biologie ist die Entropie des einen Systems die Organisation des anderen Systems. Mein Ziel war es, mit Hilfe von Ginkgo den Zerfall zu organisieren, indem ich Enzyme, Pilze, Bakterien und andere biologische Stoffe als Mittel zur gleichzeitigen Zersetzung und Zusammensetzung von biologischer Materie benutzte. Indem ich den Zerfall durch Artenauswahl, Kontrolle der Umweltbedingungen und Nährstofftemplatierung leite, verfolge ich aktiv die Mutabilität als eine erstrebenswerte Eigenschaft in der physischen Welt und garantiere, dass die Mechanismen der konstruktiven Erneuerung in diese Welt eingebettet werden.
Zu meinem Basissystem gehörten Biokomposite aus Chitin, Zellulose und Pektin, die aus den Exoskeletten von Garnelen, Zellstoffabfällen von Bäumen und Fruchtschalen gewonnen wurden. Diese Materialien können in unterschiedlichen Verhältnissen kombiniert werden, um verschiedene Biokunststoffe mit einem breiten Spektrum mechanischer und physikalischer Eigenschaften zu bilden, die umweltverträglich und leicht abbaubar sind. Die Arbeit ist in drei Projekten organisiert, die in Gingko’s Wetlabs mit WissenschaftlerInnen durchgeführt wurden:
- Enzyme, gewonnen aus Pilzen und menschlichem Speichel, wurden in Biokompositen mit räumlicher und zeitlicher Kontrolle integriert, um das Material umzuwandeln, anstatt es nur zu zerstören. Der Abbau war ein Herstellungsprozess.
- Verschiedene Stämme von Streptomyces-Bakterien wurden zur Besiedlung von Zellulose und verschiedenen Biokunststoffen verwednet, um diese zu transformieren. Streptomyces sind gewöhnliche Bodenbakterien und sekundäre Zersetzer, die lebendige Pigmente und Geosmin produzieren, deren Verbindung für den Bodengeruch verantwortlich ist.
- Verschiedene Pilzarten, Aspergillus niger (schwarzer Schimmelpilz) und Trichoderma viride (grüner Schimmelpilz) wurden in Co-Kulturen verwendet, um verschiedene Materialien umzuwandeln und selektiv abzubauen. Der Schimmelpilz ist ein viel mächtigeres und widerstandsfähigeres Zerfallsmittel und würde jedes von uns eingesetzte Substrat schnell besiedeln.
Die Herausforderung bei der Arbeit mit biologischen Materialien und Wirkstoffen besteht darin, dass sie auf die Umwelt reagieren und Wirkungsmacht haben. Die daraus resultierenden Artefakte sind nicht immer vorhersehbar oder standardisiert. Kontamination war weit verbreitet, ebenso wie der Verlust der Lebensfähigkeit. Als klassisch ausgebildete Architektin bin ich daran gewöhnt, meine Arbeit genau kontrollieren zu können. Die Schwierigkeit einer Entwurfspraxis wie dieser besteht darin, zu lernen, die eingebetteten Spannungen zu akzeptieren, bei denen Material und biologische Wirkstoffe manchmal im Widerspruch zu dem stehen, was ich geplant habe oder womit ich mich wohl fühle. Auch die Industrie hat Mühe, diese Unannehmlichkeiten zu akzeptieren. Wenn wir diese Unbequemlichkeiten jedoch in Kauf nehmen, kann die Verrottung im Erneuerungsprozess positiv gentuzt werden, wie z.B. den Zugang zu zirkulären Systemen und die Fähigkeit, über die buchstäbliche Verrottung hinaus zu wachsen, sich anzupassen und zu reproduzieren. Daraus kann eine Widerstandsfähigkeit entstehen, die in industriellen Systemen nicht zu finden ist.
Angesichts der Klimakrise können wir nicht mehr in erster Linie nach menschlichen und wirtschaftlichen Interessen planen; unser Überleben hängt davon ab, dass wir unsere Prioritäten und Erwartungen an die materielle Welt ändern. Bei der Verwendung dieser materiellen Systeme und dieser biologischen Wirkstoffe ist es nicht mein Ziel, ein Projekt mit niedrigem CO2-Fußabdruck zu schaffen oder Abfall in neue Produkte umzuwandeln. Vielmehr geht es darum, eine andere Art des Designs zu fördern, wobei der Prozess des Herstellens und Zerbrechens provisorisch und nicht nur verbrauchend ist. Design by Decay, Decay by Design versucht, Werte neu zu verteilen, weg von permanenten Materialien, die Ökosysteme zerstören, hin zu vergänglichen, die sie wiederherstellen. Bei der Gestaltung der Reaktionsfähigkeit, des Abbaus und der Erneuerung zu von Menschenhand geschaffenen Objekten soll sowohl ein erkenntnistheoretischer als auch ein praktischer Wert gefunden werden.
Credits
Artist: Andrea Ling
Curatorial Team: Ginkgo Bioworks + Faber Futures; Natsai Audrey Chieza, Dr. Christina Agapakis, Grace Chuang, Kit McDonnell, Dr. Joshua Dunn
Scientific advisors: Ginkgo Bioworks; Dr. Joshua Dunn, Dr. Ming-Yueh Wu, Kyle Kenyon, Duy Nguyen, Dr. Lucy Foulston
With thanks to the MIT Media Lab: Mediated Matter Group, team Aguahoja I
With support from Ginkgo Bioworks
Photos: Ally Schmaling, Andrea Ling, and Grace Chuang
Andrea Ling (CA) ist eine Architektin und Installationskünstlerin, die an der Schnittstelle von Kunst, Herstellungstechnologien und Biowissenschaften arbeitet. Ihre jüngste Arbeit konzentriert sich darauf, wie die kritische Anwendung biologisch und computergestützt vermittelter Designprozesse die Gesellschaft von ausbeuterischen zu regenerativen Produktionssystemen bewegen kann. Während ihrer Ginkgo Creative Residency 2019 erforschte sie, wie man den Zerfall von Artefakten gestalten kann, um Zugang zur materiellen Zirkularität zu erhalten. Andrea ist Gründungspartnerin von designGUILD, einem in Toronto ansässigen Kunstkollektiv, und ehemalige Projektleiterin von Philip Beesley Architect, wo sie an einer Reihe von internationalen immersiven kinetischen Installationen und Textilien für Iris van Herpen arbeitete. Außerdem ist sie ehemalige Forschungsassistentin und Designerin für die Mediated Matter Group am MIT Media Lab, wo sie und ihre TeamkollegInnen mit dem Forschungsprojekt Aguahoja I, das 2020 im MoMA und 2021 im SFMOMA gezeigt wird, den Dezeen Award für das Projekt des Jahres 2019 gewannen. Andrea hat einen MSc vom MIT Media Lab und einen M.Arch. von der University of Waterloo mit einem Hintergrund in Humanphysiologie von der University of Alberta.
Jury Statement
Andrea Ling describes herself as an architect and installation artist. In architecture, most of the parts of a building will end as landfill. Natural ecosystems in contrast do not know about waste. Ling states that in biology, one system’s entropy can be another system’s organization. This insight has motivated her to enter a creative residency at Ginkgo Bioworks—a leader in synthesized biology. Artistic director Christina Agapakis emphasizes that the company’s goal is “(…) to show, through art, the immense potential of synthetic biology and genome engineering.” This is widely seen as a path into a sustainable future, replacing petroleum-based products through grown ingredients for a fuel free future.
Ling created biological artifacts to illustrate and prove the possibility of a paradigm shift in the production of goods: First, through a shared sense of agency between engineer and living material. Second, since biological ecosystems are finite, they aren’t scalable. Overgrowth will always be punished. Biological systems can provide a far more robust system of growth and decay than extractive systems. And third, biology is a value creator using decay to fuel new life. Only by integrating biological systems into design processes can we truly meet our ambitious goals for a sustained renewal.
Finally, Design by Decay, Decay by Design illustrates the potential of combining two key-enabling technologies: ICT and biotechnology. This provides an opportunity to create new products that are sustainable by design. The artwork also exemplifies the importance for a political debate around a European approach to biotech by establishing ethical safeguards for gene editing and balancing both benefits and risks for a broader application of this technology. Andrea Ling’s bold and visionary reimagination of growth and decay in service of the circular economy merits the Grand Prize in the category of Artistic Exploration of the S+T+ARTS Prize ‘20.