Das Ars Electronica Festival 2024 stellt unter dem Titel HOPE die Menschen in den Mittelpunkt, die uns Anlass für Optimismus geben.
Das Ars Electronica Festival und seine Themen sind stets eine Antwort, eine Reaktion auf die Beiträge tausender Künstler*innen und Protagonist*innen aus Wissenschaft und Gesellschaft weltweit. Die letzten Jahre standen im Zeichen großer gesellschaftlicher Herausforderungen, von der Klimakrise über den Energiewandel bis hin zu essenziellen Fragen der Demokratie und deren Entwicklung. Trotz vieler Gründe zur Sorge bieten weltweite Initiativen durch ihre Aktivitäten Anlass zur Hoffnung. Dies inspirierte das diesjährige, Thema der Ars Electronica: „HOPE – Who will turn the tide“. Es symbolisiert einen optimistischen Ansatz, der tief in der DNA von Ars Electronica verwurzelt ist. Optimismus, hier verstanden als zuversichtliche Perspektive und Vertrauen darauf, dass wir als Menschen die Fähigkeit haben, aktiv Veränderungen herbeizuführen.
In diesen unbeständigen Zeiten sind es unter anderem Industriedesigner*innen, die auf Wiederverwendung setzen, afrikanische Open-Source-Gemeinschaften, die den Zugang zu mächtigen KI-Systemen demokratisieren wollen, und Künstler*innen, die nachhaltige Umweltprojekte initiieren, die als Hoffnungsträger*innen fungieren. Dieser Beitrag beleuchtet Ideen und Initiativen, die in einer Zeit globaler Herausforderungen Hoffnung geben und zeigen, wie Kunst und Technologie zusammen innovative Lösungen für drängende Probleme bieten können.
Innovative Technologien für eine nachhaltige Ressourcennutzung
In einer Welt, die sich zunehmend den Herausforderungen von Abfallmanagement und Nachhaltigkeit stellt, rücken innovative Ansätze zur Abfallreduktion und Energiegewinnung ins Zentrum der Aufmerksamkeit. In Katalonien werden täglich 720.000 kg Lebensmittel weggeworfen, was jährlich 260.000 Tonnen entspricht – ausreichend für den Jahresbedarf von 500.000 Menschen. „Remix el Barrio“ entstand im Fab Lab Barcelona im regenerativen Viertel Poblenou, um durch handwerkliche und digitale Fertigungstechniken innovative Nutzungsmöglichkeiten für Lebensmittelabfälle zu erkunden. Das Projekt ermöglicht Designer*innen durch Peer-Learning und Zugang zu Ressourcen die Entwicklung neuer Materialien und Produkte, wobei lokale Lebensmittelabfälle kreativ wiederverwertet werden. Verschiedene Techniken wie Gießen, Extrusion und 3D-Druck kommen zum Einsatz, um Prototypen mit zirkulären Erzählungen zu schaffen. Über das Pilotprojekt hinaus hat sich Remix in ein Kollektiv verwandelt, das die Wirkung der Kreislaufwirtschaft erlebt, nicht nur durch die Herstellung von Materialien aus lokalen Lebensmittelresten, sondern auch durch das Erforschen von Zusammenarbeit, Inklusivität und Selbstmanagement hin zu gemeinsamem Wissen mit lokalen Akteur*innen und globaler Ausstrahlung. Für ihre innovative Zusammenarbeit zwischen Industrie und den Künsten, hat das Kollektiv 2021 den S+T+ARTS Prize Innovative Collaboration gewonnen.
Lebensmittelabfälle sind jedoch nicht das einzige Problem. Weltweit stellen Plastikabfälle eine erhebliche Herausforderung dar, wobei der globale Durchschnitt der Recyclingquote nur etwa 9% beträgt. Der Großteil des Plastiks wird nicht recycelt, sondern verbrannt, deponiert oder verschmutzt die Natur. Diese geringe Recyclingrate ist oft auf die hohen Kosten und Patentierungen herkömmlicher Recyclingmaschinen zurückzuführen. Das Projekt „Precious Plastic Universe“, welches 2020 im Zuge des S+T+ARTS Prize eine Honorary Mention erhielt, hat das Ziel, den Zugang zur Recyclingtechnologie zu erweitern und zu vereinfachen. Es entwickelt Open-Source-Maschinen und Werkzeuge, die online für alle zugänglich gemacht werden, und fördert so ein globales Netzwerk, das sich dem Recycling widmet. Durch die Bereitstellung von Starterkits mit Werkzeugen und Anleitungen möchte das Projekt nachhaltige Geschäftsmodelle in jeder Phase der Kunststoffrecycling-Wertschöpfungskette ermöglichen – von der Sammlung bis zur Produktion. Dies schafft ein lokales Netzwerk unabhängiger Organisationen, das Kunststoffabfälle recyclet und in wertvolle Produkte umwandelt. Es fördert das Verständnis und die aktive Teilnahme am Recyclingprozess, um den Verbrauch von Einwegkunststoff zu reduzieren und das Bewusstsein für den Wert von Kunststoff zu erhöhen.
Auch als Honorary Mention für den S+T+ARTS Prize 2021 erwähnt wurde das Projekt Living Light von Nova Innova, das die mikrobielle Brennstoffzellentechnologie (MFC) verwendet. Diese innovative Methode, Energie aus organischem Abfall wie Kompost, Schlamm, Urin und Pflanzenresten zu gewinnen, wurde von der Europäischen Kommission als einer der „100 radikalen Innovationsdurchbrüche für die Zukunft“ anerkannt. „Living Light“ hat bereits Innenraumleuchten und Parkmodule entwickelt, die natürlich vorkommende Mikroben im Boden nutzen, um Energie zu erzeugen. Diese Technologie könnte, ähnlich wie Solarzellen vor zwanzig Jahren, eine wichtige Rolle im Bereich der erneuerbaren Energien spielen. Das Projekt strebt danach, die MFC-Technologie weiterzuentwickeln und zu demonstrieren, wie durch innovative Nutzung nachhaltiger Energiequellen unsere Energieversorgung und unsere Beziehung zur Natur verbessert werden können.
Kunst und Wissenschaft im Einsatz für ökologische Herausforderungen
Die vielfältigen Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf Natur und Umwelt stehen zunehmend im Fokus von Wissenschaft und Kunst. Die folgenden Projekte setzten sich mit dem Schutz und der Wiederherstellung von Ökosystemen sowie der Untersuchung von Umweltbelastungen auseinander, verdeutlichen die Notwendigkeit eines neuen Bewusstseins für unsere Interaktionen mit der Umwelt und fordern ein Überdenken der konventionellen Ansichten über menschliche Eingriffe in ökologische Systeme.
Bienen, Schmetterlinge, Motten, Wespen, Käfer und andere Bestäuber sind für die Fortpflanzung vieler Pflanzen und für das Gedeihen unserer Ökosysteme unerlässlich. Doch der vom Menschen verursachte Verlust von Lebensräumen, Pestizide, invasive Arten und der Klimawandel führen zu einem erschreckenden Rückgang ihrer Populationen. Mit „Pollinator Pathmaker“ hat die Künstlerin Alexandra Daisy Ginsberg ein algorithmisches Werkzeug entwickelt, das die Bepflanzung nach dem Geschmack der Bestäuber und nicht nach dem Geschmack der Menschen gestaltet. In Zusammenarbeit mit führenden Bestäuberexpert*innen und einem KI-Wissenschaftler hat Ginsberg dieses Tool entwickelt, um mit Empathie für andere Arten zu planen. Das Ergebnis ist eine unbegrenzte Sammlung von algorithmisch erzeugten, lebendigen Kunstwerken, die auf der Website pollinator.art frei zugänglich sind. Für diese beeindruckende Leistung wurde das Projekt mit dem S+T+ARTS Prize 2023 in der Kategorie Artistic Exploration ausgezeichnet.
Das Projekt Oceans in Transformation von Territorial Agency erforscht die umfassenden Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf die Weltmeere. Durch die Nutzung von geographischen und Fernerkundungsdaten schafft es Diskussionsräume über verschiedene Plattformen hinweg, die multidisziplinäre Expert*innen, Wissenschaftler*innen und Naturschützer*innen zusammenbringen. Ziel ist es, die dynamischen und empfindlichen Ökosysteme des Ozeans besser zu verstehen und Strategien zur Bewältigung der Herausforderungen des Anthropozäns zu entwickeln, einer Epoche, in der menschliche Eingriffe tiefgreifende Auswirkungen auf planetarische Systeme haben. Das Projekt, welches 2021 mit dem S+T+ARTS Prize ausgezeichnet wurde, betont die Notwendigkeit, die konventionellen Ansichten über menschliche Interaktionen mit der Umwelt zu hinterfragen und fördert ein neues Bewusstsein für die kritischen ökologischen Dynamiken des Ozeans.
Weltweit werden Chemikalien wie Tränengas und Chlorgas eingesetzt, um um Proteste zu unterdrücken und Lebensräume zu zerstören. Diese Stoffe verbreiten sich als Wolken, die schwer zu kontrollieren sind und komplexe, langfristige Auswirkungen haben können. Forensic Architecture nutzten in dem Projekt „Cloud Studies“ hochmoderne Techniken wie digitale Modellierung und maschinelles Lernen, um solche Ereignisse zu dokumentieren und zu analysieren. Ihre Forschungen zeigen, wie staatliche und unternehmerische Akteure den Luftraum nutzen, um repressive Maßnahmen durchzusetzen und lebensfeindliche Atmosphären zu schaffen. Diese Studien werfen ein neues Licht auf die transnationalen Auswirkungen dieser Taktiken und fordern ein Umdenken hinsichtlich globaler Rechte, insbesondere des universellen „Rechts zu atmen“.
Globale Stadtplanung und lokale Sprachen
Wie man mit Hilfe innovativer Ansätze positive Veränderungen herbei führen kann, zeigt das Projekt Ciutat Vella’s Land-use Plan. Es verkörpert eine neue Art der Stadtplanung, die umfangreiche Datenmengen aus Open Data und Big Data sowie qualitative Bürger*innenbeteiligungsdaten nutzt. Durch den Einsatz maschinellen Lernens und künstlicher Intelligenz werden neue Methoden der räumlichen Analyse angewandt, um städtische Ordnungen zu gestalten, die die Lebensqualität erhalten. Der technologiegestützte Ansatz hat den bisherigen Masterplan grundlegend verändert, der öffentliche Einrichtungen, Lebensmittelgeschäfte und touristische Dienstleistungen im zentralen Stadtteil von Barcelona reguliert. Das Projekt durchlief mehrere Phasen, darunter Forschung, Ko-Kreation, Vorschlagsentwicklung und die rechtliche Genehmigung, wobei jeder Schritt spezifische Ergebnisse lieferte. Diese Herangehensweise hat nicht nur zu einem verbesserten Verständnis der urbanen Dynamik geführt, sondern auch eine Plattform für den Austausch und Vergleich von städtischen Daten auf europäischer Ebene geschaffen. 2019 wurde das Projekt mit dem S+T+ARTS Prize Grand Prize – Innovative Collaboration ausgezeichnet.
Trotz der Tatsache, dass 2000 der weltweit existierenden Sprachen afrikanischer Herkunft sind, finden sie kaum Eingang in den technologischen Sektor. Diese Marginalisierung ist auf den Einfluss des Kolonialismus zurückzuführen, der die Förderung, den Erhalt und die Integration afrikanischer Sprachen beeinträchtigt hat. Infolgedessen sind ihre spezifischen kulturellen und historischen Kontexte im technologischen Bereich oft nicht repräsentiert. Die Initiative Masakhane will diesen Zustand ändern, indem sie die Forschung in neuro-linguistischer Programmierung für afrikanische Sprachen fördert und vorantreibt, basierend auf den Prinzipien der Menschenwürde, des Wohlergehens und der Gleichberechtigung. Masakhane fördert eine integrative Gemeinschaftsbildung, offene partizipative Forschung und Multidisziplinarität, um Menschen aus Afrika zu befähigen, den technologischen Fortschritt aktiv mitzugestalten. Dafür ist die afrikanische Initiative letztes Jahr mit dem Ars Electronica Award for Digital Humanity des Bundesministeriums für Europäische und Internationale Angelegenheiten ausgezeichnet worden.
Diese Auflistung an Projekten und Initiativen soll einen kleinen Einblick in das Thema des diesjährigen Ars Electronica Festivals geben, welches von 4. – 8. September in der POSTCITY und elf weiteren Locations in Linz stattfinden wird. Mehr Informationen zum Festival findest du hier.