In einer neuen Ausgabe stellt Michaela Wimplinger ein Projekt vor, das zeigt, wie fragil Selbstbestimmung in einer durch Technik kontrollierten Welt geworden ist.
Seit 1979 leistet Ars Electronica Pionierarbeit – sie baut Brücken zwischen Disziplinen, dient als Plattform für neue Allianzen und setzt Impulse für einen offenen, inklusiven Dialog über unsere Zukunft. In Zusammenarbeit mit Künstler*innen aus aller Welt realisieren und präsentieren wir Projekte, die Konventionen infrage stellen und Entwicklungen vorwegnehmen.
Für diese Serie bitten wir Mitglieder des Ars Electronica Teams, in unser Archiv – das weltgrößte seiner Art – einzutauchen und ein Projekt auszuwählen, das sie persönlich berührt, inspiriert oder zum Nachdenken angeregt hat und uns zu erzählen, warum dieses Projekt heute relevant ist. Gemeinsam begeben wir uns auf eine Reise zu Meilensteinen der sogenannten digitalen Revolution. Meilensteine, die „Cutting Edge“ waren.
In dieser Ausgabe gibt uns Michaela Wimplinger, die weltweit Kontakte zu Museen, Kunst- und Kultureinrichtungen, Sammlungen, Galerien, Start-ups, Stiftungen und Botschaften pflegt, einen Einblick in ein Projekt, das hinterfragt, was Selbstbestimmung in einer Welt bedeutet, die zunehmend von Algorithmen gesteuert wird.
Welches Projekt hast du ausgesucht?
Ich habe mich für das Projekt “Sovereignty” von Kathrin Stumreich entschieden. Die Arbeit wurde 2016 mit dem Marianne von Willemer-Preis ausgezeichnet und 2018 im Zuge des Ars Electronica Festivals “ERROR – The Art of Imperfection” in der POST CITY gezeigt.
Worum geht es in diesem Projekt?
Im Zentrum steht die Frage: Was bedeutet Selbstbestimmung in einer Welt, die zunehmend von Algorithmen gesteuert wird?
Die Installation spielt mit dem Begriff der Souveränität. Eine transluzente Seidenfahne, geführt von einem stählernen Roboterarm, tanzt durch den Raum. Sanft, dann plötzlich ruckartig, manchmal fast trotzig. Jeder Kontakt mit einem roten Laserstrahl löst Klang aus, mal leise, mal kreischend. Es entsteht eine neunminütige Choreografie, in der sich Stoff, Licht und Ton zu einer audiovisuellen Komposition verweben. Kathrin Stumreich kombiniert politische Symbolik mit technischer Präzision und schafft dabei eine fast meditative, poetische Atmosphäre, die zum Nachdenken anregt.
Warum ist “Sovereignty” herausragend?
Es sticht für mich heraus, weil es ein abstraktes, vielschichtiges Thema – Souveränität – in ein sinnlich erfahrbares Kunstwerk übersetzt. Es verwebt politische Haltung, technologische Präzision und eine zurückhaltende Ästhetik zu einer ausdrucksstarken Gesamtkomposition.
Kathrin Stumreich beschreibt ihre künstlerische Forschung als Suche nach dem Zufälligen, dem Unvorhersehbaren, eingebettet in Material, Bewegung, Klang. Diese Offenheit für das Chaos verleiht der Arbeit Tiefe und Charakter.
In “Sovereignty” wird dieser Ansatz spürbar: Die Fahne folgt zwar einer programmierten Choreografie, doch es bleibt immer Raum für Störungen, für Windstöße, Schatten, spontane Eingriffe. Jede kleinste Veränderung beeinflusst Klang und Bewegung, es entstehen temporäre Skulpturen aus Licht, Stoff und Ton. Kein Durchlauf gleicht dem anderen. Und genau das macht die Installation so lebendig, so eigen, so besonders. Der symbolische Moment, wenn die Fahne fällt und regungslos verharrt, entfaltet eine politische Dimension, ohne laut zu werden.
Ich kenne Kathrins Arbeiten bereits seit meiner Jurytätigkeit im Jahr 2016 und habe sie seither mit großem Interesse weiterverfolgt, zuletzt etwa ihre aktuelle Installation “Mid-air collisions”, die noch bis Ende Juni 2025 auf der Bienal’25 Fotografia in Porto zu sehen ist. Ich freue mich sehr darauf, wie sich diese Arbeit weiterentwickeln wird – regional wie international.

Inwiefern ist die Arbeit heute relevant?
Weil sie spürbar macht, was politisch und gesellschaftlich längst Realität ist und dabei auf poetische Weise eine der zentralen Fragen unserer Zeit aufwirft: Wer hat Kontrolle? Über Bewegung, über Daten, über Bedeutung?
In einer Welt, die zunehmend durch technische Systeme strukturiert wird, wirkt diese Installation wie ein Spiegel. Die Fahne folgt keinem natürlichen Wind, sondern vorprogrammierten Bewegungen. Ihr Tanz ist nicht frei, sondern vorgegeben – taktvoll, aber kontrolliert.
Souveränität, so zeigt das Werk, ist kein fixer Zustand, sondern ein Prozess, der gesteuert, verschoben und manipuliert werden kann. Besonders heute, wo soziale Medienplattformen durch Algorithmen und KI reguliert werden, wird der Begriff von Selbstbestimmung immer fluider. Eine politische Aussage wird von einem Algorithmus gepusht, ein kritischer Post verschwindet aus den Feeds – und schon verändert sich öffentliche Wahrnehmung in Echtzeit.
Auch geopolitisch wird deutlich: Technologische Souveränität ist Macht. Der 2022 von den USA unterzeichnete CHIPS and Science Act zeigt, wie sehr Halbleiter und Rechenleistung heute mit nationaler Unabhängigkeit verknüpft sind. Wer Zugriff auf die leistungsfähigsten Chips hat, gestaltet die leistungsfähigste KI und damit unsere digitale Infrastruktur.
„Sovereignty“ greift diese Entwicklungen nicht plakativ auf, sondern übersetzt sie in sinnliche Erfahrung. Die Bewegungen der Fahne werden hörbar, sobald der feine Stoff den Laserstrahl durchschneidet. Jede Berührung erzeugt Klang, ein System, das registriert, bewertet, zurückspielt. Eine leise, aber eindringliche Erinnerung an digitale Überwachung und die permanente Sichtbarkeit unseres Handelns.
Michaela Wimplinger – vielen Dank!

Michaela Wimplinger
Michaela Wimplinger ist seit 2006 Assistentin des künstlerischen Leiters der Ars Electronica, Gerfried Stocker. Seit 2017 Bereich Sonderprojekte im externen sowie auch internationalen Umfeld und organisiert internationale Kooperationen im Bereich Kunst und Kultur. Gemeinsam mit dem Frauenbüro der Stadt Linz entwickelt sie Projekte rund um den Marianne von Willemer Preis für digitale Medien. Sie kuratiert zudem Ausstellungen für das Ars Electronica Center und für das „hosted by Ars Electronica“ im Bildraum 07 in Wien. Seit 2015 ist sie Jurymitglied des IRIS Preis der Stadt Linz, und seit 2014 arbeitet sie an Gender and Diversity Programmen für die Ars Electronica und im Gleichbehandlungsnetzwerk der Unternehmensgruppe der Stadt Linz.