TOTAL RECALL – The Evolution of Memory

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Gerfried Stocker stellt im Gespräch das Thema und die Inhalte vom Festival Ars Electronica 2013 vor.

Wie lautet der Titel des diesjährigen Festivals, worum wird es gehen?

Der Titel lautet heuer TOTAL RECALL – The Evolution of Memory und beschäftigen werden wir uns mit Erinnerung. Wir werden Experten und Expertinnen befragen wie Erinnerung entsteht, wie sie bewahrt und weitergegeben wird, aber und auch wie Erinnerung verloren gehen kann. Anschauen werden wir uns vor allem drei Bereiche: die Natur, Kultur und Technik sowie die Zukunft. Dem lassen sich auch die Schlagwörter Human Memory, Global Memory sowie Future Memory zuordnen.

Die Pyramiden. Für die Ewigkeit gebaut, um die Macht und den Glanz der Pharaonen für immer zu präsentieren. Eine passende Volksweisheit aus Ägypten besagt: Alles fürchtet sich vor der Zeit, aber die Zeit fürchtet sich vor den Pyramiden. Fotocredit: J. Griffin Stewart

Der Reihe nach: Human Memory, was kann man sich darunter vorstellen?

Es geht hier vor allem um die wissenschaftliche Forschung. Gemeinsam mit Geistes- und NaturwissenschaftlerInnen werden wir uns fragen, wie Erinnerung überhaupt funktioniert und entsteht, was da in unserem Gehirn passiert, was Erinnerung auslöst und welche Auswirkung Erinnerung auf uns hat. Denn Erinnerung ist ja eine der Grundkomponenten für unsere Persönlichkeit, Identität und Bewusstsein. Mit Fug und Recht kann sie daher als ein elementarer Baustein des menschlichen Daseins bezeichnet werden.

Nebenbei ist es recht spannend, gerade den Neurowissenschaften eine wichtige Rolle im Festival zukommen zu lassen, weil es uns nicht nur um deren Forschungsergebnisse geht, sondern auch darum, die Methodiken der Hirnforschung zu präsentieren und zu untersuchen. Es sollen deshalb auch nicht nur Erinnerungs-ExpertInnen zu Wort kommen, sondern möglichst viele verschiedene Richtungen der Hirnforschung repräsentiert sein, weil dadurch deutlich wird, welch großen Einfluss sie allesamt darauf haben, wie wir heute über unsere Welt denken. Diese Rolle hat ja die Gentechnik in den vergangenen 20 Jahren gespielt, nun aber eben an die Neurowissenschaften abtreten müssen.

Wie sieht es mit Global Memory aus?

Der zweite Bereich, Global Memory, wird sich damit beschäftigen, wie wir mit Erinnerung als Kulturleistung, wie wir mit der Speicherung von Daten umgehen. Natürlich beginnend mit der Frage, wieso wir alles aufbewahren wollen und wieso wir uns so viel antun, irgendwelche Tonscherben auszugraben und zu untersuchen. Hier bietet sich dann auch eine Schnittstelle zur Philosophie an und zur Frage, wieso Erinnerung so wichtig für uns ist. Da sind wir wieder bei Bewusstsein und Identität. Wieso hängen wir da so einen enormen technischen Aufwand rein, wieso entwickeln wir ständig neue Technologien, mit denen wir speichern und noch mehr speichern können?

Eines der Datenzentren in CERN, Sinnbild für den Stand der heutigen Datenverarbeitungstechnologie.

Das führt dann zur Analyse der gegenwärtigen Situation, dazu dass wir den Eindruck haben, in einer Zeit der völligen Datenüberflutung zu leben. Die Menschheit hat das in ihrer Kulturgeschichte schon sehr oft erlebt, jedes Mal nämlich, wenn neue Technologien aufgetaucht sind und plötzlich wesentlich mehr Information produziert und gespeichert wurde. Ein Beispiel ist Leibnitz, der eine Bibliothek aufbaute und das dezimale Klassifikationssystem entwickelt hat, um darin Ordnung zu schaffen. Trotzdem hatten die Menschen das Gefühl mit so viel Information nicht mehr umgehen zu können.

Das Gleiche ist dann mit der Entwicklung des Buchdrucks passiert, mit der Erfindung von Druckmaschinen, wo man nicht mehr manuell drucken muss und Bücher und Zeitungen in riesigen Mengen erzeugt werden und die Leute sowohl auf Boulevard- als auch auf Wissenschaftsebene darüber jammern, dass sie mit Informationen geflutet werden.

Das Gleiche passiert dann natürlich mit Radio und Fernsehen und jetzt erst recht mit dem Computer. Wir haben heute das Gefühl, dass all das, was im Internet an Information herumschwirrt, so eine unvollstellbare Menge ist, dabei haben gerademal 32% oder 33% der Leute die Möglichkeit, aufs Internet zuzugreifen. Also wenn wir jetzt schon glauben, dass das alles zu viel ist, sollten wir vielleicht nicht so wehleidig sein, denn wenn erst einmal die Hälfte oder zwei Drittel der Menschen ins Internet kommen, dann wird sichs erst so richtig abspielen. Dann werden die Speicherkapazitäten nochmal zulegen.

Und dann stellt sich natürlich wieder die unbeantwortbare Frage: Wieso tun wir das alles? Wieso speichern wir alles, wenn wir eh schon längst wissen, dass wir nicht damit umgehen können, dass das viel zu viel wird.

Obwohl schon veraltet gilt die Diskette immer noch als Symbol fürs Speichern. Credit: KDE

Da knüpft beim Festival die Übersicht über die Funktionsweise von Speichertechnologien an, die Frage, was wirklich passiert, wenn ich beispielsweise bei Google nach etwas suche, dass ich schon während des Eintippens einer Frage eine Antwort erhalte. Ich hoffe, es gelingt einigermaßen, dieses riesige technologische Babylon abzubilden, es ist ja eigentlich mit kaum etwas anderen vergleichbar, von der Größenordnung, von der Geschwindigkeit, welche Algorithmen da programmiert werden müssen, die Datenzentren, die ständig abgeglichen werden, und natürlich auch die Frage nach der Manipulierbarkeit des Ganzen.

Weil wir ja mit dem Internet etwas haben, das uns den Zugang zum gesamten Wissen der Menschheit geben könnte, doch umso mehr es das kann, umso mehr wird es durch kommerzielle Interessen und Business-Modelle kompromitiert. Jeder, der von zwei Standorten arbeitet, kennt das Problem: Man bekommt am iPad andere Suchergebnisse, als am Standrechner, an einem Ort andere Daten als an einem anderen.

Das im Internet verfügbare Wissen ist allerdings nicht für alle zugänglich, es gibt genug Netze, die nach außen hin abgeschottet sind und nur für bestimmte Personenkreise zugänglich sind, oder gegen Bares. Damit wird sich das Festival beschäftigen, mit dem allgemeinen Zugang zur Global Memory. Was hilft mir ein Internetzugang, wenn ich beispielsweise als Student in Lagos nicht auf das Wissen von Unis in den Vereinigten Staaten zugreifen kann?

Wir leben in der Zeitzone mit den zweitmeisten Internetnutzern, Deutschland und Frankreich ist da natürlich groß, aber den größten Einfluss hat Lagos, und dort hauptsächlich Smartphones. Der Internetzugang ist also vorhanden, man stellt sich das aber so idealistisch vor, dass die Kinder in den Schulen damit arbeiten können, aber das ist natürlich recht weit von der Realität entfernt, es sind wirklich nur sehr limitierte Zugänge, die die Statistiken auch verzerren.

Future Memory ist der dritte große Themenblock.

Future Memory wird sich dann damit beschäftigen, wie dieses Thema in Zukunft behandeln wird, da wird über Datenzentren gesprochen, da gibt es wunderschöne Beispiele, wie ein Speicher vor 20 Jahren ausgeschaut hat, wie schaut er heute aus, wie wird es in Zukunft ausschauen.

Für mich persönlich ist eine der spannendsten Entwicklungen in diesem Bereich das Speichern von Daten in DNA, wo unser Freund George Church auch eine gewichtigte Rolle spielt. Einem Forschungsteam ist es gelungen, ein Video in DNA zu kodieren und von den USA nach Europa zu schicken. In den Berichten darüber kursierte dann eine Zahl, die mich fasziniert hat, das gesamte Datenvolumen von CERN, das zugegebenermaßen recht groß ist, das lokale Datenzentrum plus das weltweite Netzwerk, hätte laut diesem Artikel auf 40mg oder 40 g DNA Platz.

DNA, die Zukunft des Speicherns? Credit: Michael Ströck

Dabei werden Daten in ACTGs umgewandelt, was prinzipiell recht einfach ist, das ist schon lange bekannt. Die Schwierigkeit dabei ist, genauso wie beim Abspeichern auf anderen Datenträgern, das Dekodieren. Wenn du die Daten einfach nur ablegst, kannst du sie nicht mehr dekodieren, das heißt, man braucht eine komplexe Struktur, mit Fehlerkorrekturmechanismen, so dass man auf die Daten strukturiert zugreifen kann. Am Ende kommt jedenfalls eine Serie von ACTGs raus, die man synthetisieren kann, ein weißes Pulver, das ist dann sozusagen die DNA. Du kannst sie natürlich auch an Lebewesen übertragen, an Bakterien, wo sie meistens einfach wieder ausgeschieden wird. Aber man kann das natürlich auch so bauen, dass sich die DNA mit dem Lebewesen verbindet.

1999 oder 2000 hatten wir das Projekt von Eduardo Kac, der den Bibelsatz, dass der Mensch sich die Erde Untertan machen solle, in eine DNA-Sequenz umgewandelt hat, hat die DNA synthetisieren lassen und dann Ecoli-Bakterien kontaminiert, sozusagen. Damals konnte er einfach von den USA nach Europa reisen, heute wäre es wohl eher schwierig, damit zu vereisen.

Die Herausforderung ist jedenfalls, die Daten so abzuspeichern, dass du sich fehlerfrei wieder abrufen kannst, das ist dann nicht mehr so trivial. Aber das gelingt jetzt schon, in einem ersten Prototypstatus, aber vergleichbar mit 1957, 1958, als die ersten Transistoren gebaut wurden, das waren ja auch noch nicht Bauteile, mit denen man einen Computer machen hätte können, aber es war ein Durchbruch hin zu dem, was wir heute haben, Prozessoren, etc, wo auf Quadratmillimetern Millionen von Transistoren werken. Das ist jetzt 50 Jahre lang her, die Wahrscheinlichkeit, dass wir in 50 Jahren tatsächlich die ganze Datenmenge von CERN auf 40 g Pulver abspeichern können, ist relativ groß.

Das Problem wird sein, dass in diesen 50 Jahren das Datenvolumen so anwachsen wird, dass wir wahrscheinlich wieder etwas Neues brauchen werden, wieder das gleiche Problem haben werden, wie jetzt. Umso mehr Kapazität, umso mehr Daten, umso mehr Daten, umso mehr Kapazität. Das nimmt ja kein Ende, und der Eindruck, den wir haben, dass das Ende da oben sein wird, diesen Eindruck hatten die Menschen im Verlauf der Geschichte schon öfter.

Ob das das oft zitierte Beispiel mit der Geschwindigkeit ist, dass der Mensch nicht schneller als 30 km/h reisen sollte, weil sonst sein Gehirn nicht mehr zurechtkommt, und jetzt springt ein Mensch mit Überschallgeschwindigkeit aus einem Ballon.

Ähnlich ist es mit den kognitiven Fähigkeiten, wir sind ja nicht wirklich gescheiter als vor 4000 Jahren, oder als die antiken Griechen, aber trotzdem haben wir gelernt, mit Dingen umzugehen, Dinge zu ignorieren, vielleicht ist das Speichern eine Kulturtechnik, mit der wir vieles wegräumen. Backup ist Löschen für Weicheier, wenn man sich nicht traut, sich von etwas zu trennen, dann speichert mans halt.

Das Festival wird jedenfalls sowohl die Hardware- als auch die Softwareebene beleuchten, wie sehen die Datenzentren der Zukunft aus, wie die Algorithmen, um Inhalte global zu verteilen und zugänglich zu machen. Der Kreis würde sich dann bei der Frage schließen, ob wir schon so weit sind, das menschliche Gehirn, wo das Gedächtnis angefangen hat, synthetisch nachbilden zu können. Projekte wie das Blue Brain – Projekt in der Schweiz oder Synapse von IBM und eine Reihe von anderen, wo man schon einiges geschafft hat, um die Komplexität der neuronalen Vernetzung von einfachen Gehirnen nachzubilden und die die Vermutung zulassen, dass es eine Frage der Zeit ist, bis die Rechenstrukturen vorhanden sind, um diese vernetzten Prozesse des Gehirns in Silicium entstehen zu lassen.

Dann sind wir schon in der Dimension der Fiktion, der Philosophie, was passiert dann wirklich, wenn diese Komplexität erreicht ist, wird dann sowas wie autoemergente Intelligenz entstehen.

Alles in allem sind das keine neuen Themen, aber wenn es gelingt, den Bogen, den Kreislauf zu schließen, der spielt der Ars Electronica wieder die Rolle zu, gesamtheitlich über ein Thema nachzudenken, basierend auf Kunst, Technologie und Gesellschaft. Wir machen keine Wissenschaftskonferenz über die Neurosciences, oder, oder, sondern wir wollen den Bogen schließen. Im Grunde genommen ist dieses Thema total relevant, als Entwicklung, als Problemstellung, deswegen wollen wir es in einer größeren Form zusammenhängend denken.

Hier gibt es einen Mitschnitt der Themen-Pressekonferenz, bei der Christine Schöpf, Gerfried Stocker und Martin Honzik das Festivalthema im Detail vorstellen:

TOTAL RECALL – The Evolution of Memory beginnt am 5. September 2013 und findet bis inklusive 9. September 2013 in Linz statt. Details zum Programm, KünstlerInnen und SprecherInnen finden Sie auf ars.electronica.art/totalrecall.

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