The Aural-Memory-Machine lässt den Mariendom erklingen

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Der Mariendom wird zum dritten Jahr in Folge Spielort für eine besondere akustische Performance und Installation. Wolfgang “Fadi” Dorningers “The Aural-Memory-Machine” wird am Samstag diesen Raum mit der ganz besonderen Akustik erobern, immer wieder neue Klangwelten entstehen und wieder zusammenbrechen lassen. Es ist eine Reise durch das akustische Gedächtnis Dorningers, der für die Vorbereitung der Installation sein umfangreiches Archiv an Fieldrecordings durchforstet und aufbereitet hat. Im Gespräch erzählt er, wie die Idee zu “The Aural-Memory-Machine” entstanden ist und worauf sich das Publikum einstellen kann.

Fadi Dorninger, was erwartet das Publikum bei “The Aural-Memory-Machine”?

Die Aural-Memory-Machine besteht eigentlich aus zwei Teilen. Der eine ist eine sechs-kanalige Installation, und spät in der Nacht gibt es eine Aufführung.

Der Grund für die Installation ist in meiner persönlichen Vorgeschichte zu suchen. Ich nehme seit Tagen des Sony Profi-Walkmans alles Mögliche auf. In der Frühphase waren Fernsehprediger meine Obsession, im Verlauf der Zeit sind die Obsessionen gewandert, hinein in urbane Aufnahmen. Da hat sich dann sehr schnell herausgestellt, dass mein Hauptinteresse in den Kollisions- oder Überlappungsräumen zwischen Natur und Technik liegt. Das kann ein Feld sein, wo Technik ein Naturevent triggert, und umgekehrt, durch Zufälligkeiten. Es fahren Schranken hinunter, auf einmal steht man in einer Naturlandschaft, 3 Minuten später ist wieder ein üppiger Verkehrsdrone da und die Natur wird ausgeblendet.

Ich habe begonnen, die Fernsehprediger in meine Musik einzubauen, dann die Aufnahmen in die Musik einzubauen, und das ist dann immer obzesiver geworden. Im Grunde genommen hat die Inspiration, die aus diesen Aufnahmen gekommen ist, immer mehr zur Soundsynthese hingeführt. Irgendwann war der Punkt erreicht, wo das Ganze schon so pathologisch geworden, dass oft die Frage gestellt wurde, auch in Reviews: Wo sind da die Fieldrecordings?

Ich habe mir dann gesagt, dass ich den Fieldrecordings wieder ihre Autonomie zurückgeben möchte, aber nicht einem phonographischen Sinne, wo es schon ein riesiger Leidensweg ist, beginnend mit der Platzierung des Mikrophons, lasse ich das Environment so, wie es ist, wo mache ich den Einstieg und Ausstieg und diese Problemstellungen. Mich hat das Archivarische nicht interessiert, auch Soundmapping nicht, wo akustische Landkarten gezeichnet werden.

Dann ging es darum, wie ich die Autonomie dieser zufälligen Aufnahmen, die alle sehr einzigartig sind, Momentaufnahmen, die vielleicht nur ein Mal stattfinden, oder nur unter gewissen Konstellationen von Regenmenge, etc stattfindet, Verkehrsfluß, Temperatur, zurückholen kann.

Diese Frage hat sich vor allem für meine Aufführungen manifestiert. Ich habe festgestellt, dass ich den Algorithmus auslagern muss, dass ich meinen Gestaltungswillen bremsen und auslagern muss, am besten ans Publikum. Meine erste Idee war dann die, dass ich mir vom Publikum Text geben lasse und ich spiele dann den Text. Ich wollte meine eigene Partitur ausschalten, mich herausnehmen aus dem Gestaltungsprozess, nur noch auswählen, wie lange halte ich ein Taste, und wie laut ist der Sound, aber wann ich welche Taste drücken soll, das sagt mir das Publikum mit dem Text.

Das hat recht gut funktioniert, ich habe mir auf die Klaviatur die Buchstaben draufgeschrieben, unterschiedliche Soundbänke gemacht, meine Entscheidung war, welche Soundbank ich lade, was mir zum Text am besten gefällt. Bei einem abstrakten Texte nehme ich ein Rauschen, die Wasserfallbibliothek, war der Text persönlich oder philosophisch, habe ich vergeistigte Patterns mit Aufnahmen von Sakralräumen, großen Bibliotheken etc. hineingenommen. Das heißt, ich habe im Grunde genommen mit dem Text, den ich bekommen habe, die Auswahl getroffen, welche Sounds zum Einsatz kommen, und dann gings los.

Das Problem war gleich einmal die Frage, ob das alles nur Fake ist. “Spielt der wirklich meinen Text?” und “Was ist zu hören?”. Wie stellt sich jetzt dieser eine Klang dar, was ist dieser Klang, ist das das E? Das wäre schön, der könnte noch 4, 5 mal in meinem Text wiederkommen, wunderbar. So könnte der Gedankengang des Textspenders sein.

Ich stellte fest, dass der Text für das Publikum lesbar sein muss, und dass auch klar zu erkennen ist, welcher Buchstabe gerade aktuell spielt und welcher wieder losgelassen wurde, das hat gut funktioniert. Das Publikum hat zwei Ebenen erkannt, die eine war die, dass der Algorithmus des Publikums, der Code, der Text in eine Klanglandschaft verwandelt wird, in temporäre akustische Räume und der Spieler nicht mehr nur nach ästhetischen Prinzipien eine Komposition aufführt, sondern nur mehr in einer reagierenden Funktion sozusagen DJing betreibt.

Das war für mich sehr befreiend, weil der Text jedes Mal eine Überraschung war. Lautkompositionen, was auch immer, von Fluxus, spaßig bis ernst und politisch, die ganze Bandbreite gab es da.

Verschiedene Szenarien, verschiedene Situationen

Ab der Sichtbarkeit beginnt für mich die Installation, und zwar aus einem ganz präzisen Grund heraus: Wenn jemand in den Dom geht, zu den angegebenen Zeiten, dann entdeckt man 6 Stationen, die sind gut sichtbar, bei jeder Station gibt es ein Midi-Keyboard, auf dem die Buchstaben drauf sind, inklusive 4 Sonderzeichen (Punkt, Fragezeichen, Rufzeichen, Beistrich) und eine Leertaste, bei der natürlich nichts erklingt. Es gibt eine Taste, mit der man die Buchstaben einzeln löschen kann, von hinten nach vorne, und eine Taste, wo man alles löschen kann.

Ich nehme an, die meisten werden mal herumprobieren, dann wieder etwas löschen, neu anfangen.

Ab dem Moment, wo jemand hingeht, gibt es mehrere Optionen: Man ist gar nicht wirklich interessiert und klopft einfach nur drauf, das gibts überall. Technik hat diese Magie. Dann gibt es eine andere Stufe, jemand geht hin, klopft ein wenig drauf, schaut sich an, was passiert, die Neugierde wird geweckt, man löscht alles, und fängt dann richtig an, ich habe einen Text, den schreibe ich, ich möchte wissen, wie sich dieser Text anhört. Die Buchstaben schlagen in Echtzeit auf, man hört sofort etwas. Vielleicht möchte die Person “Ich bin Nichtwähler!” schreiben. Das ist ja eine Debatte zur Zeit. Dann drückt man aufs I, hört etwas, Wasser gurgelt vor sich hin, drückt aufs C, Polyphone ist möglich, man kann den ganzen Arm auf die Klaviatur legen und einen Drone erzeugen. I und C klingen schön zusammen, jetzt möchte die Person wissen, was das H macht, dann die Wortpause, dann das B, es wird indifferent, man möchte wissen, wie das B alleine klingt, lässt alles andere los. Das ist noch sehr textgesteuert, diese Erkundung findet recht leise statt.

Ich denke, dass neugierige Menschen verschiedene Stufen erklimmen werden, am Anfang werden sie an Hand von Text erkunden, um zu sehen, was mit ihrem Text passiert, dann werden sie sehen, dass Räume entstehen, und was noch viel spannender ist: Es gibt noch 5 andere Stationen, und wenn man Glück hat, wird auf einer anderen auch gerade gespielt. Ich kann mich hinstellen, die Textebene geht zurück, ich gehe aufs I drauf und schaue, was mit meinem Wasser passiert, irgendwo anders hört man Vögel, dort hinten ist das Vibrieren einer Autobahnbrücke. Dann entsteht in diesem Raum ein temporärer akustischer Raum.

Das ist für mich die optimale Situation, in der Installation, wenn nicht die Produktion des Chaots der Antrieb ist, sondern die Gestaltung eines Klangraums, der von einem Nullpunkt beginnt, weil ich ja selbst nicht weiß, was in diesem Raum passiert, weil mehrere Mitstreiter dabei sein können, und weil ich selbst auch Zeit brauche, um diesen Soundcontainer, der mir zur Verfügung steht, zu entdecken.

Es wird Herumgespiele sein, Leute werden wieder weggehen, weil sie nicht genügend Stromschläge kriegen, keine Bilder, die sie wegflashen, sie erscheinen nicht im Internet und schreien “Hallo, ich bin ein Star!”. Wir leben in einer Situation, in der alles sehr laut sein muss.

Bei der Installation ist der Flash der: Ich löse mit einem Buchstaben, ohne Musikwissen, etwas aus, auf einmal höre ich in einer Riesenkubatur einen Klang, das ist eine Geschichte, die man sonst nur ausprobieren kann, wenn man sich verstohlen in so einen Raum hineinbegiebt und “Huh!” ruft. Man kennt das, wenn man interagieren möchte mit einem großen System.

In dem Fall kann man noch weitergehen, die Stationen laden ein, ein riesiges akustisches Environment zu bauen. Das kann so weit gehen, dass man zu zweit kommt, zu dritt, und sich zum Ziel setzt, am Ende alle Tasten zu halten, man will wissen, wie dieser ganze Text als Ganzes klingt, man dominiert konzeptmäßig die ganze Kirche.

Ein anderer Schritt könnte sein, dass man jeden Buchstaben einzeln spielt, diese Intimität haben möchte, das singuläre Element.

Fragestellungen

Die Fragen sind: Welchen Code entwickle ich selbst? Wie beginne ich dieses Gedächtnis? Denn alle Geräusche, die vorkommen, sind ja nicht die tausend spannendsten Geräusche, die in der Welt vorkommen, ganz im Gegenteil, das sind Geräusche, die sehr für das Geräusch selbst stehen, für das Umweltgeräusch. Man hört nicht die Stimme von Maradonna, sondern die Stimme eines Landarbeiters, der mit einem Esel schimpft. Es geht nicht um die Peaks, sondern darum, dass man Sounds zur Verfügung hat, und man muss sich entscheiden, welchen Weg man geht, ob man den strategischen, rein algorithmischen Weg geht, mein Konzept bestimmt, wo ich hingehe, oder gehe ich den Weg des Hörens, der Interaktion, wie reagiert der Raum, wie reagiere ich auf Mitspieler, weil das auch genau die Fragestellung ist, die aktuell in unserer Gesellschaft so eine entscheidende ist: Wenn man Bradley Manning hernimmt, dass viele Leute sich fragen, wieso er das getan hat, dass ihm klar sein musste, was ihm passiert. Er kennt die Situation in den USA, gerade als Soldat, wie der Staat auf Weitergabe von Geheimnissen reagiert, nämlich nicht sehr freundlich.

Da ist die Frage: „Warum hat er das getan?“ Ich denke, die Antwort ist recht einfach: Weil er nicht anders konnte. Er hat diese Bilder gesehen, hat sich entschieden, dass er diese Bilder, diese Daten weitergeben muss. Andere hätten gesagt: OK, das ist unser Job, das ist unser Business, und wir müssen uns immer fragen, wie wir uns verhalten, was wir tun. Das, was in den Medien in den letzten 20 Jahren passiert ist, sind automatisierte Vorgehen, was man von uns erwartet. Wir sollen flexibel sein, wir sollen effektiv sein, gebildet sein bis zum Umfallen, wir werden formatiert, sozusagen in Bahnen gelenkt, wir werden mit Codes paginiert, mit optischen Codes, welche Marken tragen wir, wie stellen wir uns selbst in der Gesellschaft aus?

Man sieht ja, mit welcher Vehemenz versucht wurde, diese Oberfläche zu brechen, mit Piercing, mit Tatoos, mit Verunstaltungen. Wenn man sich heute abgrenzen will, aus der Mitte der Gesellschaft, muss man sich körperlich sehr anstrengen, da muss man schon sehr artistisch werden, die Hose sehr tief tragen können, damit man überhaupt einen Unterschied herstellt.

Diese permanente Frage, die man sich stellen muss, wie man sich entscheiden muss, was ist das, was mir etwas bringt, das dringt immer mehr in den Hintergrund, die Bahnen sind viel stärker und die Propaganda. Man möchte individuell sein, aber nur in einem großkontextuellen Kontext, meine Individualität ist die Mode von einem anderen Individuum.

Wenn man sich das anschaut, das geht auch in den Klang hinaus, in den Städten klingt alles ziemlich mono, nach Verkehrsfrequenzen, die Städte haben ihre eigene Akustik, die sie von den Bürgern bekommen haben, verloren, das gibts nur noch in ganz kleinen Städten, irgendwo in Frankreich oder Italien, in den Bergen, wo keine Autos durchfahren können, wo man noch akustische, singuläre Erlebnisse hört, die von Menschen gestaltet werden, wenn 5 Radios in einem Viertel laufen und gerade gekocht wird und sich die Gerüche vermischen, das wird man in Linz schon schwer finden.

Solche Erlebnisse, wo dann im Raum eine akustische Umformung stattfindet, die von den BürgerInnen selbst geschaffen wird, das sieht man zum Beispiel am Pleschinger See, dort wo die Bäume sind, wo die türkische Community immer grillt am Wochenende, du riechst spannende Sachen, du hörst verschiedene Klänge, verschiedene Sprachen, Kinder schreien. Es kann also auch die Stadt mit Klang erobert werden, aber immer nur in kleinen Enklaven.

Diese Installation soll der Frage nachgehen, ob man bloß in einem System funktionieren möchte, indem ich mit einem Text Klang gestalten kann, oder ob man sich selbst erleben möchte, einen Dialog führen möchte, wo geht die Reise hin? Es geht nicht um ein Abbild der Natur, es geht nicht darum, dass ein Archiv ausgestellt wird, sondern darum, neue Hybride, Zusammenkünfte von Klängen zu schaffen, die neue Situationen entstehen lassen. Diese Situationen schaffen Freiräume, um in einen Diskurs zu treten, was ist ein offenes, was ist ein geschlossenes System, was findet im digitalen Raum statt?

Es kann sich auch sehr schön anhören, dass man verzaubert wird, schöne Minuten verbringt, weil man eine Klangkulisse geschaffen hat, gemeinsam mit anderen, was nie wieder reproduzierbar ist.

Die 6 Stationen haben alle die selbe technische Ausstattung, es ist ein Bildschirm dabei, mit dem eigenen Textfenster, man sieht, welche Klänge an dieser Station verfügbar sind, wo sie aufgenommen wurden, was ihre Geschichte ist. Jede Station verfügt über eigene Sounds. Also jemand, der sehr interessiert ist, kann auf allen 6 Stationen spielen, das Herumwandern zahlt sich also aus.

Am Abend dann, bei der Aufführung selbst, werden die selben Container bedient, es gibt MitspielerInnen, Petra Anlanger wird zusätzlich zur Abspielmaschine ihre Stimme einsetzen und sich im Raum bewegen. Richard Eigner wird Kalimbas und andere Percussioninstrumente einsetzen, Georg Edlinger, experimenteller Schlagzeuger, wird auch Percussionelemente mitnehmen und auch eine Station bespielen, jeder bespielt eine Station dieser Maschine. Volker Kagerer, experimenteller Gitarrist und Bassist, bringt einen Bass mit. Der Domorganist Wolfgang Kreuzhuber wird auch mitspielen, das heißt, die Domorgel wird auch eingesetzt.

Wir haben 10 Themen, die wir abarbeiten. Das Spiel wird erweitert, weil wir zusätzlich zu den Texten, die vorgegeben sind und aus den Ars Electronica Katalogen stammen, alle bekommen Texte zugeordnet und alle bekommen eine sehr grobe Partitur.

Ausgehend von den Fieldrecordings, die textmäßig abgearbeitet werden, gibt es Stationen, die öfters schweigen, wo kein Text ist, wo mit einem anderen Instrument dieser Klang eine Erweiterung bekommt. Wir wollen eine temporäre Musikkomposition schaffen, ausgehend vom Dom selbst, und es endet wieder mit der Situation im Dom, dazwischen werden Themenblöcke abgearbeitet, die eine persönliche, künstlerische Interpretation brauchen.

Am Samstag, dem 7.9.2013, wird The Aural-Memory-Machine den Mariendom in Linz bespielen, definitiv ein Pflichttermin von TOTAL RECALL – The Evolution of Memory.