Schizophrenia Taiwan 2.0 – Interview mit den KuratorInnen

schizophrenia,

Schizophrenia Taiwan ist eine der Ausstellungen von TOTAL RECALL – The Evolution of Memory und behandelt ein Land, deren Einwohner in einer permanenten Identitätskrise leben. Wieso, das berichten die KuratorInnen der Ausstellung im Interview.

By starting the content, you agree that data will be transmitted to www.youtube.com.
Data Protection Declaration

TOTAL RECALL ist der erste Halt für „Schizophrenia Taiwan“, die Ausstellung wird danach weitere Städte besuchen. Wie kam es zur Konzeptionierung der Ausstellung?

Pierre Bongiovanni (FR): Schizophrenia Taiwan beschreibt nicht nur die Schizophrenie in Taiwan, sie beschreibt die Schizophrenie in der ganzen Welt. Taiwan ist ist ein kleines Land, mit einer großen Stadt, einer großen Geschichte, Taiwan ist wie ein Extrakt aller Gegensätze in der Welt, aber es ist auch wirklich schizophren, man kann es überall sehen. Wenn wir uns diese Realität anschauen, können wir besser verstehen, was in der abendländischen Kultur passiert.

Was macht Taiwan so schizophren?

Pierre Bongiovanni (FR):Zum Beispiel hat Taiwan eine chinesische Zivilisation, die vom kontinentalen China abstammt, das spürt man in der Mentalität. Aber sie sind weder Kommunisten, noch Kapitalisten. Die Bevölkerung ist chinesisch mit japanischer Kultur. Es gibt hier 14 Sprachen, 14 Kulturen, die alle aus China stammen, über 3000 Jahre alt sind, es gibt hier als chinesische Kultur, japanische Kultur, eingeborene Kultur und technologische Kultur, was fängt man damit denn an?

Chien-hung Huang (TW): Wenn man unser Land mit westlichen Kulturen vergleicht, fällt auf, dass man womöglich ein fragmentiertes Leben führt, aber es gibt Traditionen, ein Sozialsystem, ein staatliches System, das dieses fragmentierte Leben ausbalanciert. Wenn man in Taiwan lebt, gibt es so viele verschiedene Stämme, so viele verschiedene Gepflogenheiten, dass es keine eindeutige Identität gibt. Wir sind nicht Chinesen, aber wir gehören auch zu keinem anderen Land. Wir erhalten viel Informationen von außen, jeder versucht, daraus etwas zu komponieren, eine eigene Welt zu schaffen. Es gibt so viele verschiedene Zugängen, auch sehr, sehr eigenartige.

Gleichzeitig leben wir in großen Spannungen zu China und Individualisierung ist sehr, sehr wichtig für unsere Zivilisation, weil es eben keine gemeinsame Identität gibt.

I-Wei Li (DE/TW/CA), Pierre Bongiovanni (FR), Chien-hung Huang (TW), Ching-Wen Chang (TW)

Technologie hat in Taiwan einen riesigen Stellenwert, Taiwan ist einer der größten Produzenten von High-Tech, wie hat man das geschafft?

Ching-Wen Chang (TW): Wir betrachten Taiwan als eine Art Satellit, der auf der ganzen Welt operiert. Wir absorbieren all die Bilder, die wir von verschiedenen Teilen der Welt bekommen. Gleichzeitig erschaffen wir in Taiwan selbst Bilder und schicken diese wieder zurück an andere. Taiwan ist natürlich ein Teil dieser Welt, aber manchmal befinden wir uns außerhalb, was eine sehr interessante Situation ist.

I-Wei Li (DE/TW/CA): Wir haben eine sehr spezielle Beziehung zu der restlichen Welt, durch die Technologie, die wir produzieren, sind wir sehr, sehr gut vernetzt, und wir haben sowohl die Innen-, als auch die Außenansicht. Wegen unserer politischen Situation, dass Taiwan oft gar nicht als Land eingestuft wird, sondern als etwas anderes, ist es nicht immer klar, wie mit Taiwan umzugehen ist. Das gibt uns die einmalige Chance, Brücken zu bauen, nach innen und nach außen. Und das wird in der Ausstellung abgebildet.

Chien-hung Huang (TW): In Taiwan haben wir eine sehr populäre Produktionsmethode, die OEM-Methode, die man vor allem aus dem Bereich der Computer-Hardware kennt. Es ist deswegen interessant, weil wir keine eindeutige Identität wie eine große Marke haben können. In unserer aktuellen Gesellschaft ist das ein sehr spannendes Konzept, man arbeitet an etwas, aber man kann seinen Namen nicht draufstempeln. Im OEM-Prozess gibt es sehr viel Platz für Kreativität, aber wenig Platz für Identität. Im internationalen Diskurs wird viel über eine gemeinsame Identität gesprochen, um fruchtbare, nachhaltige, friedliche Beziehungen miteinander zu führen, aber ich denke, dass Taiwan der Beweis ist, dass man auch ganz gut ohne Identität durchkommt.

The Unconscious Voyage / Wan-Jen CHEN

I-Wei Li (DE/TW/CA): Was ich noch zum OEM-Prozess hinzufügen möchte, ist die Tatsache, dass es während des gesamten kreativen Prozesses nie eine dezidierte Autorenschaft gibt, man kolaboriert, die Fabrik ist das eigene Wohnzimmer, die ganze Familie ist involviert, macht Kabel, lötet, auf diese Art hat sich Taiwan aus den wirtschaftlich schwierigen Zeiten der 1950er und 1960er-Jahre herausarbeiten können. Jetzt sind wir natürlich wesentlich weiter, bieten sehr viel High-Tech, haben eine sehr hohe Exportrate.

Die Künstler, die für die Ausstellung ausgesucht wurden, stammen allesamt aus einer jungen Generation, die zwischen der Ära des Farbfernsehens und der Ära der Smartphones geboren wurde, sie sind sehr gut vernetzt, sind ständig auf Facebook, Twitter etc, etc.

Wenn sie zurückblicken, was mit den Generationen vor ihnen passiert ist, ihren Eltern, ihren Großeltern, dann sind sie wesentlich bereiter, ein Risiko einzugehen, sie sind bereit, die Geschichte kritisch zu betrachten. Es ist für sie kein Problem, die Autorenschaft für ihr Projekt einzufordern, sie haben ihren eigenen Stil, sind einzigartig.

Jedes Projekt ist ein Mash-Up in sich selbst, eine andere Komposition der eigenen Identität, eine Komposition in Beziehung zu Taiwan, man wird die Vielfalt sehen, es gibt High-Tech-Projekte, es gibt Low-Tech-Projekte, aber es ist kein Problem, dass sie im selben Raum existieren. Ich glaube vielmehr, dass genau das Taiwan sehr gut repräsentiert, die schizophrene Nature, die Art und Weise, wie wir arbeiten.

Ich denke, dass wir sehr gut darin sind, mit Krisen umzugehen, wahrscheinlich weil wir sehr lange Zeit in Krisen gelebt haben, wir sind sehr elastisch, wir sind sehr gut darin mit Spannung umzugehen. Diversität bedeutet nicht, dass man die eigene Identität aufgibt, es heißt nicht, dass man seine eigene Stimme verliert.

Aus dem OEM-Prozess haben wir viel gelernt, sind bereit, zu teilen, man sieht es sogar an dieser Ausstellung, wie die KünstlerInnen bereit sind, sich gegenseitig zu helfen, sich zu unterstützen, ich glaube, dass das ziemlich einzigartig ist. Sie sind sehr offen und tolerant, Satelliten, um wieder zu diesem Bild zurückzukehren.

Man kann auch keine Highlights der Ausstellung bestimmen, die Ausstellung an sich ist ein Kunstwerk, wo die einzelnen Projekte zusammenarbeiten. Der Grund, wieso ich hier dabei bin, ist der, dass hier tatsächlich ein Dialog zwischen den einzelnen Stücken stattfindet. Es ist notwendig, die gesamte Ausstellung gesamtheitlich zu erfahren, sie ist sehr herausfordernd, sie regt zum Nachdenken an.

Es würde mich freuen, wenn das Publikum über die eigene Situation nachdenkt, die Leute sich erinnern, wo sie sich gerade in ihrem Leben befinden, über die politische Situation reflektieren, über den kulturellen Austausch, den sie betreiben. Taiwan ist ein Fenster, die Ausstellung bietet Fenster an, und wir hoffen, dass man die Verbindung spüren kann.

Das Opening von Schizophrenia Taiwan findet am 5. September um 17:00 Uhr in der Tabakfabrik statt, die Ausstellung läuft bis Montag, den 9. September.