Ob DNA, Briefe oder Berge – es gibt viele Materialien und Dinge auf unserer Welt, die sich an bestimmten Stellen falten lassen oder gefaltet werden, egal wie groß sie sind. Schon in seiner Kindheit war der Künstler Matthew Gardiner von Origami, der japanischen Kunst des Papierfaltens, fasziniert. Heute forscht der Experte im Gebiet der Oribotik, das sich mit der Verbindung von Natur, Origami und Robotik beschäftigt, am Ars Electronica Futurelab und ist dabei auf der Suche nach neuen faltbaren Oberflächen. Im Mai dieses Jahres war er bei der O’Reilly’s Solid Conference in San Francisco zu Gast, um mit seinem Vortrag „Folding = Coding for Matter“ einen Ausblick darauf zu geben, wie viele Möglichkeiten in der Methode des Faltens stecken, an deren Vielfalt nicht nur die Kunst sondern auch zahlreiche wissenschaftliche Disziplinen anknüpfen können.
Warum ist das Falten so wichtig für die Zukunft der Dinge?
Matthew Gardiner: Zunächst ist es wichtig zu wissen, wenn wir über das Falten sprechen, dass dies nicht nur etwas mit Papier zu tun hat, wie wir es von Origami kennen. Es geht vielmehr darum, dass man damit Materialen grundlegend formen kann. Ich verwende hier gerne den Begriff des „Programmierens von Materialien“. Und das beinhaltet nicht nur von Menschen konstruierte Dinge aus den Bereichen der Architektur, dem Design, der Mode oder sogar dem Design von neuen Autos. Hier sprechen wir vor allem von einer der Hauptsprachen der Natur. Man sieht es bereits beim Falten der Proteine – WissenschaftlerInnen erforschen, wie Proteine ihre Sequenz zusammenfalten, um DNA und RNA zu komprimieren und neue Formen zu schaffen. Lange Fäden werden hier regelrecht gefaltet. Für mich ist das wie eine strukturelle Sprache. Es ist auch eine Sprache, die einen Zweck erfüllt. Ich als Künstler betrachte dies jedoch aus einem ästhetischen Blickwinkel. Ich baue diese unglaublich schönen, nahtlos bezaubernden kompliziert gefalteten Oribots, die genau zu diesen neuen Entwicklungen verweisen, um die Natur zu verstehen. Die natürlichen Formen, die ich verwende, haben einen Bezug zur Natur, die technologischen Objekte beziehen sich auf die Natur des Faltens.
Die Bedeutung des Faltens hat sich von der Idee des Origami als ein Kunsthandwerk über die letzten 20 bis 50 Jahre ausgebreitet – von Japan kommend nach dem Zweiten Weltkrieg – und fand seinen Weg in amerikanische Gemeinschaften durch Kulturaustausch, und erst vor kurzem kam die Idee einer eigenen Origami-Wissenschaft auf. Es gab immer mehr engagierte Origami-KünstlerInnen, die hauptberuflich PhysikerInnen oder MathematikerInnen waren. Von dieser Ecke aus entstand auch die Idee der Huzita-Hatori-Axinome des Origami – eine Reihe an mathematischen Regeln, die die Wege definieren, wie wir etwas falten können. Zum Beispiel, wenn man ein flaches Material hat und es von Punkt A nach Punkt B faltet – dies definiert den Falz, die zwei Punkte, der gleiche Abstand zwischen beiden, und den Winkel des Falzes. Die Axiome sind sehr hilfreich für das geradlinige Falten, gebogene Faltungen sind ein ganz anderer Bereich.
Ich bin wirklich überzeugt davon, dass das Falten die Technologie des 21. Jahrhunderts ist. Es basiert auf eine ganze Reihe an Ideen des 21. Jahrhunderts – in Biologie, in Mathematik, in unserem Verständnis von Natur, in den Arten von Ästhetik wie sie in der Architektur vorkommen.
Das Falten könnte ArchitektInnen helfen, mehr und mehr über natürlichere Formen zu erfahren und sie zu verwenden. Als ich mich mit der philosophischen Seite des Faltens beschäftigte, stieß ich auf Gilles Deleuze – dies veränderte meine Art des Sehens grundlegend. Wenn ich jetzt auf Gebäude und andere Materialen schaue, sehe ich Beton und Metall als eine Art von gefaltetem Material. Deleuze schrieb viel über die Hüllen der Seele, für mich sprach er eigentlich über die DNA! An einem bestimmten Punkt brachten mich seine Ideen zum Nachdenken: Die Vorstellung des Faltens der Seele wie eine physikalische Eigenschaft, aber auch von abstrakten metaphysischen Eigenschaften über die gefaltete Sprache der Natur. Ich finde das sehr beeindruckend – nicht nur philosophisch, sondern auch für alle anderen Bereiche der Wissenschaft. Es ist schwierig für mich, nicht diese Verbindungen zu sehen, zu all diesen verschiedenen Disziplinen.
Matthew Gardiner’s Keynote bei der O’Reilly Konferenz im Mai 2014.
Bei der O’Reilly Konferenz hast du viele Leute getroffen. Welche Eindrücke hattest du von dieser Community?
Matthew Gardiner: Durch meine Keynote in San Francisco und die Ausstellung meiner Oribotics kam ich mit vielen ins Gespräch, die meine Kunstwerke kaufen wollten. Ich hatte aber auch die Gelegenheit, mit zahlreichen Menschen zu sprechen, die aus den Bereichen der Architektur, des Designs oder der Biologie kamen. Sie haben mir bestätigt, selbst zu wissen, wovon ich spreche. Sie konnten auch die vielen Verbindungen sehen, die ich skizzierte. Ich hatte wirklich überzeugende Unterhaltungen mit Menschen, deren Hintergrund in anderen Gebieten breit genug war, da sich mein wissenschaftliches Verständnis der Biologie in Grenzen hält. Ich lernte so viel über synthetische Biologie dazu als ich die Ausstellung „Projekt Genesis“ im Ars Electronica Center zusammenstellte. Während dieser Zeit begriff ich die vielen Möglichkeiten, DNA als Material zu nutzen – und der wesentliche Mechanismus hierbei ist das Falten! Man kann Formen aus DNA falten, im Nanobereich.
Wir sind also alle gefaltet…
Matthew Gardiner: Ja, ich bin zum Punkt gelangt, dass alles gefaltet ist. Obwohl das jetzt sehr einfach und nett klingt, ist es eigentlich sehr kompliziert. Für mich ist das Falten ein Faktor, der sehr wesentlich ist in unserem Universum. Natürlich ist das jetzt nicht alles, was es darüber zu sagen gibt. Das Thema des Faltens hat so viele verschiedene Verbindungen zu so vielen verschiedenen Disziplinen. Nicht viele Menschen verstehen das. So versteht ein Architekt, der die Technik des Faltens nutzt, vielleicht den Zusammenhang in der Biologie nicht. Ein Biologe hat wahrscheinlich keine Ahnung, dass er sich auf die gesamte Kunstgeschichte gefalteter Formen bezieht.
Der Grundsatz, der sie fasziniert, ist jedoch im Grunde genommen der Gleiche: Wir können aus einem Material, nur durch das Verwenden von Falttechniken, Strukturen erzeugen.
Bei Origami geht es darum, alles, nämlich wirklich alles, nur durch das Falten zu formen. Ganz ohne etwas zu schneiden. Bei DNA-Origami geht es darum, dass jede Art von Form erschaffen werden kann, die wir gerne hätten, indem kleine Stücke der DNA verwendet werden, die dafür programmiert sind, sich selbst zu falten oder selbst aufzubauen. DNA hat spezielle Eigenschaften, die etwas mit Verbindungen zwischen den molekularen Paaren haben, und einige ForscherInnen entdeckten, wie es möglich ist, diese zu verbinden, damit sie Strukturen falten und formen. Ich frage mich, ob diese ForscherInnen die Arbeiten anderer kannten, aber als ein Künstler bin ich nicht nur an einem Bereich interessiert – es geht mir vielmehr um die Verbindungen zwischen den Bereichen. Die Idee dahinter ist, uns das Verständnis zu vermitteln, wenn wir Architektur betrachten, wenn wir viele gefalteten Designobjekte sehen, und ich möchte erklären, warum diese so anziehend auf uns sind. Ist es deshalb, weil wir alle gefaltet sind? Möglich wäre es, das Konzept des Faltens damit zu unterstreichen, und das ist es, woran ich arbeite.
Matthew Gardiner stellt seine Oribotics vor
Und an was arbeitest du gerade?
Matthew Gardiner: Derzeit betrachte ich die Welt aus mehreren verschiedenen Blickwinkeln: ich erforsche Soft-Robotik, synthetische Gewebe, Harz- und Polymerguss von gefalteten Oberflächen. Ich entwickle mein eigenes theoretisches Grundgerüst. Momentan sehe ich den Maßstab, das Material und Ausdehnung als Schlüsselkriterien des Faltens und der Technologie. Neben meinen Experimenten mit Materialien führe ich einige algorithmische Objektdesigns durch, aber auch Studien über komplex gefaltete Oberflächen. Diese ästhetischen Entwicklungen reifen nun immer mehr heran in meiner künstlerischen Tätigkeit. Mein FWF-PEEK-Projekt „On the Aesthetics of Folding and Technology“ beginnt zu starten; mich freut es so sehr, im Team des Ars Electronica Futurelab zu arbeiten, um die Grenzen dieses komplexen und facettenreichen Forschungsfeldes endlich aufzubrechen.