Robert Adrian X wird 80 – „Es ist sowieso alles Telefon“

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Mit „Die Welt in 24 Stunden“ widmete sich der Künstler Robert Adrian X schon vor über 30 Jahren dem Thema der Vernetzung. Anlässlich seines 80. Geburtstages am 22. Februar möchte die Ars Electronica dem Künstler, dem Quer- und Vordenker, dem Medienkunst-Pionier, dem Telekommunikationskünstler, dem Maler und Bildhauer gratulieren und seine herausragende Arbeit aus dem Jahr 1982 vorstellen. Manuela Naveau, Kuratorin und Projektmanagerin bei Ars Electronica, traf den kanadischen Künstler Ende 2013 zu einem Gespräch in Wien – gemeinsam mit seiner Partnerin Heidi Grundmann, der wohl herausragendsten Entwicklerin und Förderin von Radiokunst in Österreich.

Von der Gleichzeitigkeit im „elektronischen Raum“

Ich wollte mehr wissen, über jene Zeit, in der das Wort Vernetzung noch nicht mit jener Selbstverständlichkeit verstanden wurde, mit der wir es heute tun. Was heißt hier Vernetzung und was meint hier Internet? „Es ist sowieso alles Telefon“, meinte Robert Adrian X gleich zu Beginn unseres Gesprächs. Die Entwicklung des Telefons, bei dem man erstmals Sender und Empfänger in gleichzeitiger Funktion war, das war das Moment, in dem die Idee Internet zugrunde liegt. Und selbst in den 1970er Jahren und Anfang der 1980er Jahren hatte man dafür noch andere Begriffe: man sprach von der Telekommunikation und vom elektronischen Raum. Man wusste, dass es so etwas wie das Internet gab (siehe ARPANET 1969), auch wenn man sich nicht genau darunter vorstellen konnte, wie es funktioniert oder welchen Einfluss es auf unsere Kultur im Allgemeinen hat und haben wird. Man wusste, dass man nicht mehr mit nur einer Person – wie beim Telefonieren – in Kontakt war, sondern gleichzeitig mit mehreren Personen verbunden sein konnte. Was jedoch bedeutet diese Simultanität in einer unsichtbaren Realität? Hat sie einen Einfluss auf unsere Sicht auf die Welt und wenn ja, wie beeinflusst sie uns heute?

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Foto: Sepp Schaffler

Als sich Linz mit anderen Städten vernetzte

Fasziniert von Fragestellungen wie diesen konzipierte und initiierte Robert Adrian X im Jahr 1982 das Projekt Die Welt in 24 Stunden im Auftrag der Ars Electronica Linz. Von 27. September 1982 zwölf Uhr mittags bis zum 28. September 1982 12 Uhr mittags waren fünfzehn Städte im Rahmen des Ars Electronica Festivals weltweit miteinander verbunden. Es ging um ein gemeinschaftliches Erforschen des neuen elektronischen Raumes mithilfe von den zur damaligen Zeit zugänglichen Telekommunikationsmedien, die über (fünf geplante und schlussendlich) drei funktionierende Telefonleitungen simultan genutzt werden konnten. Telefon beziehungsweise Telefaxsimile, Slow-Scan-Television (SSTV) und das von Robert Adrian X ins Leben gerufene internationale Computer-Mailbox-System ARTBOX (seit 1983 ARTEX – The Artists‘ Electronic Exchange Program genannt), das auf einem Konferenzsystem der Firma I.P.Sharp (IPSA) basierte, konnten während der 24 Stunden sowohl für künstlerische Statements als auch für die Koordination genutzt werden. Wichtigste Kriterien waren, dass einerseits die jeweilige Technik mehr oder weniger zugänglich, sowie verhältnismäßig billig, einfach zu verwenden, als auch in Linz in einer von der Österreichischen Post- und Telegrafenverwaltung (ÖPTV) in zugelassener Form erreichbar waren.

ARTEX – ein Netzwerk für KünstlerInnen

Die Welt in 24 Stunden war nicht das erste Live-Telekommunikationsprojekt, sondern es basierte auf Erfahrungen, die bereits Künstler wie Douglas Davis oder Nam June Paik in den 1970er Jahren in telematischen Projekten via Satellit machten. Auch fanden bereits Computer-Kommunikationsprojekte wie Bill Bartlett´s Interplay in Toronto 1979 oder 1980 The Artist´s Use of Telecommunications Conference des SFMOMA statt, bei denen Robert Adrian X beteiligt war. Jedoch genau diese Erfahrungen in diesen Projekten waren es, die Robert Adrian X in Zusammenarbeit mit Bill Bartlett im Jahr 1980 zur Entwicklung von ARTEX inspirierten. Die Künstler, die nicht an einer Universität arbeiteten, mussten sich den Zugang zu den Geräten und Netzen selbst organisieren und oft mit privaten Mitteln aufwendig finanzieren. Beflügelt von der Idee einer weltweiten Kommunikation mit KünstlerInnen und Künstlern entwickelte daher Robert Adrian X im Jahr 1980 gemeinsam mit dem damaligen IPSA Manager Gottfried Bach in Wien ein billiges und User-freundliches E-Mail-Programm für KünstlerInnen, welches als eine der ersten Online-Plattformen oder besser gesagt Usergroup von KünstlerInnen in die Geschichte der Medienkunst einging.

„Mein Prinzip von Anfang an war es ein Netz aufzubauen, das ein Kommunikationsnetz und gleichzeitig ein Medium für Austausch ist.“

In den 1990igern hätte man wohl Chatroom dazu gesagt. Heute würden wir es Social Media Plattform für KünstlerInnen nennen. In den 1980ern jedoch hatte man noch keinen Ausdruck für diese neuartige Vernetzung. Ungefähr 30 bis 35 KünstlerInnen und ForscherInnen waren bei ARTEX gelistet. Und Robert Adrian X wusste intuitiv, dass, sobald der Zugang zum neuen elektronischen Raum gegeben war, dies auch Veränderungen brachte, die er mit dem Projekt Die Welt in 24 Stunden erforschen wollte.

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Foto: Sepp Schaffler

Stellt man die Maschine ab, ist der Raum weg

Robert Adrian X: „Man hat Ende der 1970er Jahre plötzlich gespürt, dass sich die ganze Machtstruktur in die elektronischen Systeme, also den elektronischen Raum verlagert hat. Denn sobald die Maschinen eingeschaltet sind, das Fax-System funktioniert, die Computerkommunikation funktioniert, existieren diese Firmen. Die Firmen existieren nur in diesem virtuellen Raum. Nur wenn die Maschinen eingeschaltet sind, wenn das elektronische System Verbindungen macht, dann existiert zum Beispiel Volkswagen. Ansonsten, wenn die Maschinen nicht laufen, sind es nur lauter kleine oder größere Fabriken.“

„Aber das ganze Geld, alles läuft über das unsichtbare Netz. Und Künstler, die mit dem Netz arbeiten, können dieses Netz wenigstens teilweise sichtbar machen. Denn Kunst, das ist klar, ist eine visuelle Angelegenheit. Wenn ich in ein Netz einsteige und Kunst dort mache, muss man dort etwas vorstellen.“

„Das war der Begriff der Kommunikationsskulptur. Das heißt, für mich persönlich war Die Welt in 24 Stunden eine Skulptur. Man schafft nicht nur den Raum, nein, es geht hier um skulpturale Probleme: Raum, Raummanipulation, Raumdarstellung usw. Und in diesen Systemen, wenn zwei Leute am Telefon miteinander ein Kunstwerk austauschen, stellt dieser Raum ein Kunstwerk dar, eine Skulptur, solange die Maschine an ist. Stellt man die Maschine ab, ist der Raum weg und dann ist auch das Kunstwerk weg. Genau wie Volkswagen weg ist.“

Eine Erfahrung für alle

Robert Adrian X wollte diese ersten Erfahrungen von Vernetzung jedoch nicht nur den Firmen und Institutionen überlassen. Auch hatte er keinen direkten Zugang zu Universitäten geschweige denn zum Militär. Er wollte die Technologie öffnen hin zu den Menschen, im Besonderen den KünstlerInnen, die ihrerseits die Möglichkeit bekommen sollten, Erfahrungen zu sammeln und eine Form der Übersetzung, der Visualisierung für etwas zu finden, was sich im Bereich des Unsichtbaren fortan zu formulieren begann. Auf meine Frage hin, inwieweit der Raum von den Geräten oder den Menschen hinter den Apparaturen bestimmt wird, schilderte Robert Adrian X von einer sehr persönlichen Erfahrung:

„Ich hatte es lang an meiner Wand: Es stand einmal in der Kronenzeitung zu einem World Cup – ich glaub es war in Japan – im Übertitel geschrieben: Sechs Milliarden vor dem Schirm! Und plötzlich hat man diese Vorstellung im Kopf: sechs Milliarden Personen schauen das gleiche Bild an. Nicht nur, dass alle den Fernseher ansehen, alle schauen das gleiche Bild zur selben Zeit an. Und das war plötzlich ein Moment, wo mir dieser Raum klar wurde. Denn alle sitzen quasi in der fast gleichen Position und schauen das gleiche Bild an. Und da hat man plötzlich einen Begriff für diesen Medienraum.“

Bilder einer Überwachungskamera im Wohnzimmer

Bereits in frühen Arbeiten thematisierte der Künstler Robert Adrian X die Bedeutungen der neuen, elektronisch beeinflussten Räume. Die Live-Intervention Surveillance/Überwachung aus dem Jahr 1981 manövrierte zum Beispiel Bilder einer Überwachungskamera der U-Bahnstation Karlsplatz im Zentrum von Wien in die Wohnzimmer der ÖsterreicherInnen, wo sie live am 16. Juni 1981 zwischen 18 und 22 Uhr abends immer zwischen den geplanten Sendungen auf ORF 2 (damals FS2) gezeigt wurden. Auf die Frage, inwieweit die Öffnung hin zu einem Publikum für den Künstler von Interesse war, meinte dieser:

„Das Wichtigste war, dass sich die KünstlerInnen den Zugang zu den Medien erkämpften. Es geht hier jedoch nicht um ein Massenpublikum, es geht um das Medium, um eine Auseinandersetzung mit dem Medium an sich. Es geht also um eine Medienkritik innerhalb der Medien.“

Und Heidi Grundmann ergänzte in Bezug auf die Arbeit Die Welt in 24 Stunden: „Es ging bei dieser Art von Projekten auch nicht um ein Publikum, denn entweder war man TeilnehmerIn oder nicht, denn es gibt nichts zu sehen. Es gibt keine Performance, nur Kommunikation. Im gemeinsamen Austausch entwickelte sich etwas, das nicht als Werk bezeichnet werden kann, da es um die Auflösung des Werkes als auch des Autors eigentlich geht. Und das alleine bedingt, dass es auch kein Publikum geben kann.“

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Foto: Sepp Schaffler

Eines der weltweit ersten kollaborativen Schreibprojekte

In der geschichtlichen Aufarbeitung zur Medienkunst wird Die Welt in 24 Stunden als eines der weltweit ersten kollaborativen Schreibprojekte im elektronischen Raum erwähnt. Auch wird es als das wahrscheinlich erste Projekt betitelt, das das weltweite Netz der Amateurfunker mit einbezieht. Auf die Fragen, wie Robert Adrian X seinen Beitrag zur Geschichte der Medienkunst sieht und wie sich die Zusammenarbeit mit der Funkercommunity gestaltete, winkte er ab und schilderte augenzwinkernd:

„Ein kollaboratives Schreibprojekt hat meiner Meinung nach erstmals Roy Ascott mit La Plissure du Texte 1983 geschaffen. Aber da ARTEX bereits für die Welt in 24 Stunden existierte, kann man es als Schreibprojekt sehen, da es sich um eine kontinuierliche schriftliche Kommunikation via ARTEX handelte; also ein 24 Stunden langer Chat sozusagen. Und das mit den Amateurfunkern ist auch so eine Sache: Amateurfunker dürfen grundsätzlich keine Information austauschen. Man darf nicht mal sagen, wie das Wetter ist. Auch darf niemand zuhören, wenn gefunkt wird; nicht mal die Ehefrau. Grundsätzlich können nur Geräte angeschlossen werden, die von der Post abgehört werden können. Das heißt, wenn ein Gerät genehmigt wird, dann muss die Post auch so eines haben. So ein Genehmigungsprozess kann aber dauern. Wir bekamen schlussendlich eine Lizenz für eine ‚3rd Party Participation‘ für einen Anschluss im öffentlichen Raum, betreffend den Richtlinien für Amateurfunker: wegen Belanglosigkeit. Endlich hatten wir eine Definition für Kunst: Kunst ist belanglos.“ Robert Adrian X lacht und zündet sich dabei erneut eine Zigarette an.

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Foto: Sepp Schaffler

Eine Technologie, entwickelt für Institutionen und Firmen

Mit folgenden weiteren Problemen sah sich der Künstler im Nachhinein konfrontiert: Erstens konnten nur „industrialisierte, kapitalistische“ Nationen teilnehmen, zweitens die hohen Kosten der Telefonübertragung, drittens die Notwendigkeit, das Netz der Künstler für jedes Projekt neu zu konstituieren und viertens die Tendenz zur Institutionalisierung des Zugangs von Künstlern zu telematischen Systemen“. Robert Adrian X schrieb im Jahr 1989, also sieben Jahre nachdem das Projekt realisiert wurde, dass die Annahmen, auf denen Die Welt in 24 Stunden beruhten, sich als „naiv“ erwiesen (Adrian X, Robert, Elektronischer Raum, in: Kunstforum International. Im Netz der Systeme, Bd. 103, 1989). Er merkte an, dass die Kosten zwecks Datenübertragung sich nicht – wie angenommen – senkten. Obwohl das Equipment zur Erstellung der Daten sich rasant entwickelte und die Datenmengen immer größer wurden, stiegen dennoch die Kosten für die Telefonübertragungen. Er schreibt 1989 auch von einer Art von Ohnmacht, die ihn und Künstlerkolleg/innen befiehl und die sich auf die Geschlossenheit der Systeme bezog:

„Man entdeckt sehr bald, dass die Technologie — mit Ausnahme von elektronischen Spielen und dem Unterhaltungssektor — für den „corporate user“, also für Institutionen und Firmen entwickelt worden ist.“

Robert Adrian X weiter: „Individuelle Nutzer sind von der Entwicklung neuer Technologien ausgeschlossen, weil sie keine präzisierbaren Bedürfnisse haben und deshalb ganz einfach angenommen wird, ihren Interessen sei durch Firmen gedient, die wiederum am Marketing von Nebenprodukten komplexer Technologien interessiert sind und daran, lieber bestehende Bedürfnisse zu stillen als bei der Entwicklung möglicher alternativer Richtungen elektronischer Technologien mitzuhelfen. Wenn es überhaupt eine Chance gibt, neue Techniken zu entwickeln, mit deren Hilfe private Nutzer sinnvollen Gebrauch von elektronischen Systemen machen können, um ihr Recht auf eine echte Partizipation an der Entwicklung dieser elektronischen Welt anzumelden, dann muss sie sehr bald ergriffen werden. Es ist wahrscheinlich schon jetzt zu spät, um die Richtung von Planung und Entwicklung noch zu ändern, aber wir können wenigstens versuchen, Wege zu entdecken, wie man menschliche Inhalte in die kommerziell/militärische Welt einfließen lassen kann, die in diesem elektronischen Raum schwebt.“

Im Interview mit dem Künstler stellte sich heraus, dass damals wie heute Robert Adrian X sehr kritisch die Entwicklungen hin zu scheinbar offenen Systemen, hin zu einem Internet wie wir es heute kennen, hinterfragt. Anfang der 1990er war noch nicht abzusehen, „dass die Post ihre Monopolstellung je aufgeben wird und das Internet überhaupt erlaubt wird. Denn zu dieser Zeit gab es ja bereits das Internet, aber es war nur zugänglich für Militär und Universitäten. Seit 1994 war es dann doch offen. Es hat aber völlig anders funktioniert als man gehofft hatte: Denn wenn wir 1994/95 das Gefühl hatten, dass wir ein weltoffenes System haben, so wurden wir innerhalb der nächsten fünf Jahren sofort wieder eines besseren belehrt: Es ist es zu einem völlig kommerzialisierten, daher geschlossenem System geworden.“

„Niemand weiß, worum es geht“

Auf meine letzte Frage, wie wir denn in Zukunft mit unserer mehr oder weniger neuen vernetzten Realität umgehen werden, meinte der Künstler:

„Niemand weiß, worum es geht. Man kann nicht in der Vergangenheit lesen, wohin es in Zukunft gehen wird. Hegel hat hier nichts zu sagen, denn man kann den Leuten nicht trauen, die noch nie ein Telefon benützt haben. Diese Gleichzeitigkeit, diese Simultanität die wir jetzt haben, das ist völlig neu. Auch werden die Geräte immer unsichtbarer, sowie das Internet an sich unsichtbar ist. Und mit dieser Situation können wir nur schwer theoretisch umgehen.“

„Wir denken noch wie im Industriezeitalter, wie in einer Industriegesellschaft, in einer mechanischen Welt wo Sachen verzahnt laufen. Damals ging es um Geschwindigkeit. Aber darum geht es heute nicht mehr. Geschwindigkeit ist ein Begriff aus einem anderen Zeitalter, denn es bewegt sich überhaupt nichts mehr in diesen Systemen. Es gibt keine Sequenzen mehr. Ursache und Effekt, diese klaren Begriffe die wir haben, es funktioniert nicht ganz so wie es früher funktioniert hat. Man muss sich das heute neu überlegen. Das Schöne aber auch das Problematische dabei ist: Es schaut alles gleich aus, nur innerhalb hat sich alles geändert.“