Grundrechtstag 2017: Luxus Menschenrechte?

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Vor genau 150 Jahren, nämlich im Jahr 1867, trat der Grundrechtskatalog im Staatsgrundgesetz in Kraft. Seit dem Jahr 2007 finden alle zwei Jahre die sogenannten „Grundrechtstage“ statt, wo über aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen und deren Auswirkungen auf die Grundrechte der Menschen in Österreich diskutiert wird.

Der Grundrechtstag 2017, der im Sky Loft des Ars Electronica Centers stattfand, und von der Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter, der Johannes Kepler Universität Linz und der Ars Electronica Linz veranstaltet wurde, widmete sich der heiklen und provokanten Frage, ob Menschenrechte in unserem herkömmlichen Verständnis angesichts der veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ein Luxus sind, den man sich nicht (mehr) leisten kann oder will. In offener und kritischer Diskussion wurde an zwei Tagen in Symposien erörtert, welche Herausforderungen die aktuelle Situation für den Grundrechtsschutz, zu dem sich die österreichische Richterschaft bekennt, mit sich bringt.

Die ersten Vortragenden waren, neben Kulturwissenschaftler Thomas Macho, zwei Bekannte der Ars Electronica: Christoph Wachter und Mathias Jud, die 2016 in der Kategorie Interactive Art eine Goldene Nica beim Prix Ars Electronica gewannen. Sie gaben Einblick in eine Reihe digitaler Kunstprojekte, an denen sich zahlreiche AktivistInnen aus aller Welt beteiligen.

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Herr Wachter, welche Rolle spielt Kunst beim Thema Menschenrechte?

Christoph Wachter: In der Vorbereitung zu dieser heutigen Tagung, fand ich es extrem spannend, wie die einzelnen Aspekte der Grundrechte heute eigentlich gar nicht mehr so streng auseinanderdividiert werden können – vor allem in der digitalen Kommunikationsgesellschaft. Dieses Buzzword ist so ein komplexer Begriff, unter dem wir uns, glaube ich, erstmal wenig vorstellen können. Aber tatsächlich durchkreuzen diese Digitalisierungs- und Kommunikationssituationen sämtliche Aspekte unseres Daseins. Heute denken wir oft, dass digitale Kommunikation eine Bedrohung ist. Wir können uns davon aber nicht ausschließen. Einerseits können wir es nicht, weil es alle unsere Lebensbereiche durchzieht, andererseits können wir es aber auch deshalb nicht ausschließen, weil wir soziale und kommunikative Wesen sind und davon abhängig sind zu kommunizieren. Wir sind abhängig in einer Gesellschaft wahrgenommen zu werden.

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Im ersten Panel an diesem Tag sprachen Katharina Pabel, Dekanin an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Johannes Kepler Universität Linz und Seyran Ateş, Rechtsanwältin, Autorin und Frauenrechtlerin türkisch-kurdischer Herkunft über die Kollision von Grundrechten im Zusammentreffen von Kulturen und Religionen. Wir haben bei Frau Ateş nachgefragt.

Was genau versteht man unter einer Grundrechtskollision – vor allem im Hinblick auf Kultur und Religion?

Seyran Ateş: Es kommt zu einer Grundrechtskollision, wenn zwei Grundrechte bzw. Grundfreiheiten, wie beispielsweise Recht auf Berufsfreiheit oder Erziehungsrecht der Eltern und ein anderes Recht, wie zum Beispiel das Recht auf Religionsausübung oder das Recht auf Gleichberechtigung der Geschlechter miteinander kollidieren. Wenn zwei Grundrechte gleichzeitig betroffen sind, heißt das, man muss eine praktische Konkordanz herstellen. Man überlegt, welches Grundrecht im gesellschaftlich-politischen Kontext wichtiger ist, als das andere. Danach wägt man ab und sagt, hier ist es beispielsweise viel wichtiger die Neutralität des Staates zu wahren. Bei der Kopftuchentscheidung ist es vielleicht einfach zu erklären, dass hier die Gerichte in einigen Entscheidungen gesagt haben, die Religionsfreiheit geht vor der Neutralität bzw. die Neutralität ist da nicht so wichtig, als dass die Frau ein Kopftuch trägt, weil die Religionsfreiheit für uns ein ganz wichtiges Rechtsgut ist.

Sie haben auch von Ihrer selbstgegründeten Moschee gesprochen…

Seyran Ateş: Ja, wir haben eine Moschee gegründet in der mehrheitlich liberale Muslime zusammenkommen, wo Männer und Frauen zusammen beten und Frauen keinem Kopftuchzwang ausgesetzt sind. Sie können selber entscheiden, ob sie es tragen wollen oder nicht. Es ist kein Verbot, aber auch kein Zwang, da. Eine Frau kann auch das Gebet leiten, vorbeten und darf auch die Predigt sprechen. Das heißt, wir brechen mit Traditionen – mit konservativ-fundamentalistische Traditionen. Über soziale Medien habe ich deswegen so viele Morddrohungen bekommen, dass das Landeskriminalamt zu der Einschätzung gelangt ist, mich rund um die Uhr schützen zu müssen. Aber es gibt auch die Leute, die sagen: „Es reicht endlich! Wir können das nicht mehr hören, dass unsere Religion nur noch mit Terror in Verbindung gebracht wird. Das, was du da machst, ist großartig! Wir als Männer können einer wissenden Person folgen – auch, wenn sie eine Frau ist.“

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Nach der Mittagspause ging es mit dem Panel „Digital ist besser: Jugend und Netzkultur im Spannungsfeld von Recht und gelebter Praxis“ weiter. Matthias Rohrer und Thomas Lohninger sprachen über Chancen und Risiken digitaler Medien, den rechtlichen Rahmenbedingungen und dem sinn- und verantwortungsvollen Umgang mit den digitalen Alltagswelten von (jungen) BürgerInnen. Wir haben mit Jugendkulturforscher Matthias Rohrer über „Fake News“ gesprochen.

Der Begriff „Fake News“ wurde erst kürzlich im Duden aufgenommen. Wie sollen – vor allem Jugendliche – damit umgehen?

Matthias Rohrer: Prinzipiell haben wir das Problem, dass es immer schwieriger wird Dinge zu überprüfen. Wenn man mal überlegt, welche Informationsflut heute auf uns einprasselt – das betrifft ja nicht nur Jugendliche und junge Erwachsene – dann hat man ja kaum mehr die Zeit, diese irgendwie zu filtern, gegen zu checken oder zu bewerten, ob Informationen stimmen oder nicht. Das heißt, den wesentlichsten Punkt sehe ich darin, Bewusstsein zu schaffen mit digitalen Informationen umzugehen und zu etablieren, dass man für sich selbst nachfragt, was man von einer Information hält. Man muss jungen Menschen das Handwerkszeug geben, wie man Informationen hinterfragen und anschließend dann bewerten kann. Das ist der wesentliche Punkt.

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Am Abend ging ein spannender und aufschlussreicher erster Symposiumstag mit einer Präsentation im Deep Space und einer Highlight Führung durch die aktuellen Ausstellungen im Ars Electronica Center zu Ende.