Bühne frei für Theater & Digital Media

The lost limbo Sister Lin-Tou by Meimage Dance – Photo: Meimage Dance

Das Theater war schon immer eine Kunstform, die verschiedene Medien miteinander verbindet – heute auch digitale Technologien. Das Ars Electronica Festival 2025 zeigt einige der spannendsten Beispiele.

Digitale Ausdrucksformen sind längst nicht mehr nur Teil experimenteller Performances, auch klassische Theaterhäuser greifen vermehrt auf digitale Technologien zurück. Ars Electronica hat diese neuen Strömungen im Theaterbereich im Rahmen eines dreijährigen ACuTe-Projekts gemeinsam mit Partner*innen aus ganz Europa untersucht. ACuTe ist ein europäisches Innovationsprojekt, das neue Technologien nutzt, um Theater neu zu denken – vom Bühnenbild über die dramaturgische Entwicklung bis hin zur Einbindung des Publikums. Das Ergebnis des Projekts sind mehrere Produktionen sowie eine Fülle neuer Methoden und künstlerischer Ansätze. Einige davon werden nun im Rahmen des Programmschwerpunkts „Theater & Digital Media“ beim Ars Electronica Festival 2025 präsentiert. Wobei nicht nur Theaterproduktionen selbst im Fokus stehen, sondern auch relevante Medienprojekte mit neuartigen Impulsen.

The Trial Against Humanity / Det Norske Teatret (NO), Photo: Det Norske Teatret

Im Mittelpunkt vieler dieser Arbeiten steht das Verhältnis zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Akteur*innen. In „The Trial Against Humanity“ von Det Norske Teatret (NO) stellt eine allwissende Künstliche Intelligenz (KI) namens Omnitron die Existenz der Menschheit infrage und will sie schlussendlich sogar auslöschen – eine rationale und kalte Handlung, die Omnitron aber als Ausdruck ihrer Liebe für den Planeten versteht. Regisseur Peer Perez Øian (NO) lädt das Publikum mit dem interaktiven Stück dazu ein, das Urteil der KI zu hinterfragen und sich gegen deren Anschuldigungen zu verteidigen.

Publikum als Teil einer virtuellen Simulation

Ein ähnlich kritischer Blick liegt „Ekklesia“ zugrunde: eine Virtual Reality basierte, immersive Erfahrung von Benjamin Seuffert und Lukas Joshua Baueregger (DE), entwickelt am Staatstheater Augsburg. Jeweils acht Teilnehmer*innen können gemeinsam eine neue Zivilisation aufbauen. Jede Entscheidung darüber, welches Gebäude wo platziert wird, hat Konsequenzen. Sie beeinflusst nicht nur das Erscheinungsbild der Stadt, sondern auch verschiedene Aspekte einer prosperierenden Gesellschaft. Am Ende kehren die Teilnehmer*innen in die reale Welt zurück, erhalten eine Bewertung für ihre virtuelle Gesellschaft und können den Raum für offene Diskussion nutzen.

The Oracle: Ritual for the Future / Victorine van Alphen / Brave New Human, IDlab, Research Group Netherlands Filmacademy – Photo: Victorine van Alphen

Auch das interaktive Ritual, zu dem „The Oracle“ von Victorine van Alphen (NL) einlädt, ist eine immersive Erfahrung. Jeweils acht Teilnehmer*innen werden in einem aus Bildschirmen geschaffenen Raum durch eine rituelle Reise geführt. Die Performance greift auf indigene Philosophien zurück und fragt danach, wie die menschliche Subjektivität durch Bildkultur und algorithmische Strukturen stetig neu konfiguriert wird.

Die menschliche Subjektivität steht auch im Zentrum von „AREYOUARE“: Performerin Silke Grabinger (AT) interagiert dabei mit einem Staubsaugerroboter, ein Küchenroboter und ein Roboterhund. Die drei Roboter interagieren aber nicht nur mit ihr, sondern auch untereinander – und das auf unvorhersehbare Weise.

Project Butterfly, Photo: Krzysztof Mystkowski, Baltic Opera

Wie der Flügelschlag eines Schmetterlings

An anderer Stelle wird Digitalität zur Grammatik des Geschichtenerzählens. Das Projekt „Butterfly“ der Fondazione Teatro Comunale di Modena ist eine Gemeinschaftsproduktion von Studierenden aus Helsinki, Danzig und Modena. Ziel war es, Prozesse der Opernproduktion anhand nachhaltiger digitaler Infrastrukturen und Zuschauerinteraktion neu zu denken. Die Initiative lud sechzehnjährige Schüler*innen dazu ein, die treibende kreative Kraft hinter dem künstlerischen Prozess zu sein. Die Schüler*innen übernahmen die kreative Leitung und entwickelten gemeinsam in Online-Meetings und mit KI-Tools die Konzepte für drei kurze Opernstücke. So entstand eine neue Form kollektiver Autorschaft. Jede Phase der Opernproduktion wurde so wie der titelgebende Flügelschlag eines Schmetterlings mit Bedacht gestaltet.

Der Kaiser von Atlantis / Viktor Ullmann & Peter Kien / Filharmonie Brno, Dennis Russell Davies – Photo: Cori O´Lan

Orchestermusik trifft visuelle Inszenierung

Die große Konzertnacht des diesjährigen Ars Electronica Festival steht heuer ebenfalls im Zeichen der Oper. In Viktor Ullmanns 1944 im Ghetto Theresienstadt komponierter Oper „Der Kaiser von Atlantis“ erklärt Kaiser Overall den Krieg aller gegen alle – doch der Tod, der den Feldzug anführen soll, spielt nicht mit und tritt in Streik. Unter der Regie von David Bösch (DE) wird die Gleishalle der Postcity zur spektakulären Bühne, wo die Orchestermusik der Filharmonie Brno unter der Führung von Dennis Russell Davies (US) auf visuelle Inszenierungen von Cori O’Lan (AT) trifft.

White Hunger / Oulu Theatre (FI), Photos: Janne-Pekka Manninen

Ein weiteres visuelles Highlight ist „White Hunger“ von Oxi Koskelainen (FI), nach Linz gebracht vom Oulu Theatre. Das Science-Fiction-Stück spielt in einem dystopischen Finnland der Zukunft und basiert auf dem vielgelobten Roman von Aki Ollikainen. Es ist eine Geschichte über den Lebenswillen, soziale Ungleichheit und menschlichen Zusammenhalt.

Parallels / Marc Da Costa (US/PT), Matthew Niederhauser (US), Photo: Pinelopi Gerasimou

Künstliches Sehen im öffentlichen Raum

Die Installation „Parallels“ von Marc Da Costa (PT) und Matthew Niederhauser (US) macht Wahrnehmung selbst zum dramaturgischen Thema. Maschinelles Lernen verwandelt eine LED-Wand in ein Portal, durch das Betrachter*innen die Welt und sich selbst durch die Linse eines neuronalen Netzwerks erleben können. Das gelingt, indem eine Kamera hinter der Wand laufend Bilder der Umgebung aufnimmt, welche neu interpretiert und auf dem Bildschirm präsentiert werden. So entsteht ein Dialog zwischen maschineller Wahrnehmung und realem Raum.

Hybride Formen / MA Spiel und Objekt, Ernst Busch University of Theatre Arts Berlin – Photo: Michelle Mantel

Eine Bühne, die nicht ortsgebunden ist

Im Rahmen des Festivalprogramms werden außerdem fünf Arbeiten der Spiel- und Objekt-Gruppe der Ernst Busch Akademie für Darstellende Kunst (DE) gezeigt. Sie alle beschäftigen sich mit der Frage: Wie formen wir unser Selbst und wie erzählen wir Geschichten – durch das, was wir spielen, mit wem wir uns anfreunden und wie wir erinnern? Erforschung von Identitätsbildung und Erinnerung mithilfe von Spielzeug und Klangarchitekturen lässt eine Bühne entstehen, die nicht mehr an einen festen Ort gebunden, sondern verteilt und reaktionsfähig ist.

Diskussion und persönlicher Austausch

Neben den Performances und Installationen wird es auch einen Schwerpunkttag im Rahmen des Themensymposiums geben. Denn KI im Theater wirft zahlreiche Fragen auf, zum Beispiel inwiefern das Zusammenspiel von Darsteller*innen und Publikum erweitert werden kann oder wie das Theater auch im operativen Kontext mit KI arbeiten kann. Es lohnt sich ein Blick in Richtung aktueller Trends und Erfahrungsberichte in diesem Bereich.

Photo: vog.photo

Am Samstag, 6. September, findet dazu das Symposium „Staged Realities“ in der Postcity statt. Ein praxisorientiertes Programm bringt führende Technolog*innen, Künstler*innen und Forscher*innen aus dem Bereich KI im Theater und in der darstellenden Kunst auf die Bühne. Beim Townhall Meeting haben Festivalbesucher*innen die Gelegenheit, sich mit der Community zu vernetzen. Im Workshop mit Pablo Palacio (ES), Daniel Bisig (CH) und Farzaneh Nouri (IR) wird die „AI-Toolbox“ vorgestellt: ein Set generativer Werkzeuge für kreatives Arbeiten mit KI in den darstellenden Künsten.

Fearless Women*: Immersive Narratives and Real Battles / FIFTITU% (AT), Photo: Rebekka Hochreiter

Geschichten bemerkenswerter Frauen in Linz

Der Augmented-Reality-Walk „Fearless Women*: Immersive Narratives and Real Battles” verwandelt Linz in eine interaktive Bühne. Das Künstlerduo Oona Valarie und Ufuk Serbest (AT) rückt damit die Geschichten von Frauen* in den Fokus, die das kulturelle und soziale Gefüge der Stadt grundlegend geprägt haben. Als Spieler*in begegnet man historischen Persönlichkeiten wie Louise Aston, einer radikalen Schriftstellerin, die sich den Geschlechternormen des 19. Jahrhunderts widersetzte, oder Maria Lüftenegger, einer Pionierin des Schiffbaus, deren technische Innovationen weitgehend unbekannt geblieben sind. Das Projekt wird von FIFTITU% veranstaltet, einem Netzwerk für Frauen* in Kunst und Kultur mit Sitz in Oberösterreich.

Mit all den Gesprächen, Keynotes, Fallstudien und interaktiven Elementen entfaltet sich dieser Festivaltag schlussendlich wie ein großes Theaterstück.

Der Themenschwerpunkt Digital Theater wird am Ars Electronica Festival von 3. bis 7. September 2025 mit einer Vielzahl an Projekten an der Schnittstelle von Theater und digitalen Medien zu erleben sein. Das vollständige Programm finden Sie hier.

*Presented in the context of ACuTe. ACuTe is co-funded by the Creative Europe Programme of the European Union.

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