HOPE

Optimismus ist nicht der Glaube, dass es schon irgendwie gut gehen wird, sondern das Vertrauen in unsere Fähigkeit, Einfluss zu nehmen und Verbesserung herbeizuführen. Und das beschreibt vielleicht den Kern des Prinzips Hoffnung am besten, nicht als eine passive Position, sondern als aktive Kraft, die uns dazu motiviert, trotz Widrigkeiten weiterzumachen.

Doch keine Angst, das diesjährige Festival wird keine Untersuchung der psychologischen oder gar evolutionären Grundlagen des Prinzips Hoffnung sein und auch keine Reflexion über unser unstetes Wanken zwischen Hoffnung und Pessimismus.

„HOPE“ als Festivalthema ist kein resignatives Statement, dass uns nichts mehr übrigbliebe als darauf zu hoffen, dass irgendwer oder irgendwas unsere Probleme lösen wird, sondern eine Manifestation, dass es tatsächlich viele Gründe für Hoffnung gibt. Das drückt sich im Untertitel „who will turn the tide“ aus, der nicht intendiert zu wissen, wie die Wende zu schaffen sein kann, sondern den Fokus darauf lenkt, wer die treibenden Kräfte dafür sind.

Das Festival setzt sich zum Ziel, möglichst viele jener Menschen ins Rampenlicht zu stellen, die sich bereits auf den Weg gemacht haben und die mit ihren Aktivitäten – egal wie groß oder klein diese jeweils sind – der ganz konkrete Anlass sind, Hoffnung zu haben.

Vertrauen in die Möglichkeit von Veränderung ist die Voraussetzung für die Möglichkeit zur Verbesserung, insbesondere wenn alle Zeichen darauf stehen, dass die Wege, die wir aktuell beschreiten, vielfach Sackgassen sind.

Doch das Vertrauen allein wird nicht ausreichen, es erfordert eine Kombination aus Vertrauen, Vision, Zusammenarbeit und es braucht Bereitschaft für konkretes Handeln. Eine Bereitschaft, die wir brauchen, auch wenn wir uns noch nicht im Klaren sind, wie wir die Kurve kriegen können, wie wir die Probleme lösen und wie wir mit den Auswirkungen der Probleme umgehen werden, die wir nicht (mehr) lösen können.

Was wir uns nicht leisten können, ist mit den notwendigen Veränderungen zu warten, bis wir diese Lösungen gefunden haben. Was wir uns auch nicht leisten können, ist zu glauben, dass Technologie unsere Probleme lösen wird; denn das hieße einmal mehr, dass wir nicht nur unsere Technologien nicht verstehen, sondern noch viel weniger unsere Probleme.

Genau das rückt das seit 45 Jahren erfolgreiche Gedankenmodell der Ars Electronica ins Rampenlicht: die Zusammenschau von Kunst, Technologie und Gesellschaft, die Alternativen und neuen Perspektiven, die sich uns erschließen, wenn wir auch mit den Mitteln der Kunst und dem Blick der Künstler*innen auf die gesellschaftlichen und kulturellen Aspekte technologischer Entwicklung blicken.

Ja, Technologie wird nicht unsere Probleme lösen, aber es wird viel an Technologie brauchen, um den Problemen entgegenzutreten. Doch das erfordert ein anderes Verständnis von Technologie und unserer Verantwortung für den Einsatz von Technologie. Solche Visionen dürfen uns aber auch nicht zur Ausrede gereichen, nicht zu handeln, dürfen uns nicht dazu verführen, die Hände in den Schoß zu legen und auf die „alles lösende Supertechnologie“ zu warten.

„HOPE“ als Festivalmotto stellt somit auch eine wichtige Frage an die Rolle und die Aufgaben eines Festivals in herausfordernden Zeiten und versteht sich als klare Ansage gegen die dummen, kurzsichtigen Pseudo-Konzepte und Fake-Argumente populistischer Politik, gegen das Unsinn-stiftende Geschrei aus den massenmedialen Sümpfen (analog wie digital), ebenso wie gegen Sinn-entstiftendes Schönreden und Ignorieren.

Manchen scheint dies als „crisis of imagination“, weil sie keine großen, spektakulären Zukunftsentwürfe mehr sehen, doch was sich verändert hat, ist nicht die Imaginationskraft, der visionäre Mut, sondern die Perspektive. Die spektakulären und radikalen Ideen befassen sich plötzlich nicht mehr mit Wachstum, sondern mit Reduktion. Das Diagramm, das die dramatische Kurve zeigt, in welcher wir die CO2-Emission in den nächsten Jahren reduzieren müssen, ist zu einer neuen Ikone geworden, die in ihrer Radikalität auch zeigt, wie radikal unsere Ideen sein müssen. Welchen Mut es braucht, diese Radikalität überhaupt zu denken, ohne den Mut zu verlieren.

Hoffnung ist das Gegenteil von Angst, doch es gibt viele Gründe, Angst zu haben. Das Ars Electronica Festival 2024 wird zeigen, dass es auch viele Gründe zur Hoffnung gibt – Menschen, viele, die mit Ideen, Projekten, mit Handlung und Haltung begonnen haben, an der Veränderung zu arbeiten.

Junge Architekt*innen, die keine neuen Häuser mehr bauen wollen, sondern die existierende Infrastruktur erneuern; Dörfer, die erfolgreich „Zero-Waste“ praktizieren; Industriedesigner*innen, die ihren Konzepten Re-use statt Recyclen zu Grunde legen und nicht nur über neue Materialen nachdenken, sondern die dafür notwendigen Änderungen im Design der Produkte entwerfen; afrikanische Open-Source-Gemeinschaften von Computerwissenschaftler*innen, die mächtige KI-Systeme nicht nur in den Händen weniger Großkonzerne belassen wollen.

Aber auch technische Visionär*innen, die neue, effizientere Formen der Energiegewinnung entwickeln; Ökonom*innen, die neue Modelle einer sozial und global gerechten Arbeits- und Profitverteilung in einer von Automation und digitalen Systemen geprägten Zukunft entwerfen; Menschen, die sich nicht für die Demontage, sondern für die Weiterentwicklung von Demokratie engagieren; Senior*innen, die gemeinsam mit ihren Enkelkindern für das Menschenrecht auf Klimaschutz kämpfen; Künstler*innen, die Gärten für Insekten entwerfen, … usw. usw. usw. …

Erst gerät man ins Staunen, wieviel weltweit schon passiert, und dann keimt die Hoffnung. HOPE – who will turn the tide.

Gerfried Stocker,
Co-CEO / Artistic Director Ars Electronica

Gerfried Stocker (AT) ist Medienkünstler und Ingenieur der Nachrichtentechnik. Seit 1995 ist Gerfried Stocker künstlerischer Leiter und Geschäftsführer von Ars Electronica. Mit einem kleinen Team von Künstlerinnen und Technikerinnen entwickelte er 1995/96 die Ausstellungsstrategien des Ars Electronica Center und betrieb den Aufbau einer Forschungs- und Entwicklungsabteilung, dem Ars Electronica Futurelab. Unter seiner Führung erfolgte ab 2004 der Aufbau des Programms für internationale Ars Electronica Ausstellungen, ab 2005 die Planung und inhaltliche Neupositionierung für das 2009 baulich erweiterte Ars Electronica Center, ab 2015 die Expansion des Ars Electronica Festival und im Jahr 2019 die großangelegte thematische und innenarchitektonische Neugestaltung des Ars Electronica Center. Stocker berät zahlreiche Unternehmen und Institutionen in den Bereichen Kreativität und Innovationsmanagement, ist Gastredner auf internationalen Konferenzen und Universitäten. 2019 erhielt er ein Ehrendoktorat der Aalto University, Finnland.

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