Kreative Konvergenzen zwischen Kunst und Wissenschaft
Während sich Kunst und Wissenschaft einst aus einer gemeinsamen Quelle speisten, wurden die beiden Disziplinen mit dem Ende der Renaissance in getrennte Bahnen gelenkt. Der Aufschwung der Medienkunst Mitte des 20. Jahrhunderts markiert einen Wendepunkt dieser gegenläufigen Entwicklung. Technologische und wissenschaftliche Errungenschaften werden von der Kunst absorbiert, avancieren zum Ausgangsmaterial des ästhetischen Ausdrucks.
György Kepes, Gründer des „Centers for Advanced Visual Studies“ am Massachusetts Institute of Technology, schrieb 1956: „The larger the areas that are brought into the same scale and meaning, the more important becomes awareness of form relationships; we focus less and less on the facts themselves and more and more upon their interconnection. Thus, in its evolution, science approaches art.”1
Im Angesicht vernetzter Systeme und Lebenswelten sind Konvergenzen zwischen Kunst und Wissenschaft ein wirkmächtiges Werkzeug. Sie setzen Kreativität frei, die vor dem Hintergrund immer komplexer werdender globaler Herausforderungen als größter Hoffnungsträger für neue Lösungsansätze gilt. Aus diesem Grund schmiedete die Johannes Kepler Universität Linz mit der Universität für angewandte Kunst Wien 2019 die Allianz „Innovation durch Universitas“ und vertiefte die Kooperation mit Ars Electronica.
Nach dem großen Erfolg des vergangenen Jahres selektierte die Johannes Kepler Universität im Rahmen eines Sondercalls des Linz Institutes of Technology auch heuer wieder eine Reihe universitärer Projekte im Spannungsfeld von Kunst und Forschung, die auf der internationalen Bühne des Ars Electronica Festivals erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt wird. Insgesamt sieben interaktive Installationen und Inszenierungen, Artefakte und VR-Anwendungen verwenden künstlerische Ansätze als Vehikel, um bestehende Strukturen in der Welt der Wissenschaft aufzubrechen.
Im Hinblick auf die Bedeutung von Mehrphasenströmungen für die Wasseraufbereitung, Abgasreinigung oder Impfstoffproduktion lässt die Installation „Do You Feel Stressed“ in den Klangkosmos von Blasensäulen eintauchen und gewährt Einblicke in die Gesetzmäßigkeiten der Hydrodynamik.
In Form von raumgreifenden Häkel- und Stickarbeiten visualisiert das Projekt „A student’s perspective“ Datensätze, die der Lebenswirklichkeit von Studierenden in Zeiten pandemiebedingter Distanzlehre Rechnung tragen.
Die verfassungsrechtlichen Implikationen der Covid-19 geschuldeten Virtualisierung von Gerichtsverfahren beleuchtet die immersive Installation „The Virtual Court. Reality.“ Die Besucher*innen finden sich als Protagonist*innen einer virtuellen Verhandlung um ein kontroverses Betriebsanlagenprojekt wieder, die demonstriert, welche Chancen und Risiken VR- und KI-Technologien für juristische Entscheidungsfindungsprozesse bergen.
Lebendige chromogene Bakterienkulturen bilden die Farbstoffe eines Kunstwerks mit dem Titel „Growing colors: Patterning with living pigments”. Diese mikrobielle Textilmalerei illustriert das Potenzial umweltschonender Färbemethoden für die Modeindustrie.
Mit dem Projekt „Music Tower Blocks“ wurde ein Musikempfehlungssystem geschaffen, das nicht nur auf den musikalischen Geschmack, sondern auch auf die jeweilige Stimmung der Anwender*innen reagiert, indem eine künstliche Intelligenz deren nutzer*innengenerierte Inhalte durchforstet. Das Interface präsentiert sich als 3D-Visualisierung einer Stadt, die den gesamten Musikkatalog des Systems verkörpert und Sammlungen ähnlicher Songs als Hochhäuser in Szene setzt.
Ein Synthetic Aperture Radar, der gewöhnlich für die Fernerkundung genutzt wird oder in selbststeuernden Fortbewegungsmitteln Verwendung findet, schärft die Sinne des Roboterhunds Spot. Im Zuge des Projekts der Abteilung für Hochfrequenzsysteme und des Instituts für Robotik an der Johannes Kepler Universität navigiert der prominente Vierbeiner mühelos durch ein Labyrinth mit äußerst schlechten Sichtverhältnissen.
Die aktuellen Möglichkeiten und Grenzen des Einsatzes von maschinellem Lernen loten drei interaktive Erlebniswelten des LIT Robopsychology Labs aus. Die erste Installation lockt Besucher*innen in einen Wald, wo sie mit Unterstützung einer KI-basierten App zur Pflanzenbestimmung virtuelle Pilze sammeln – und beurteilen müssen, ob sie der künstlichen Intelligenz hinsichtlich der Identifikation giftiger Exemplare vertrauen oder nicht. Die Bewertung KI-gestützter Entscheidungshilfen bestimmt auch das VR-Forschungsspiel „Serum 13“, in dessen Zentrum die Entwicklung eines lebenswichtigen Arzneimittels steht. Eine kritische Auseinandersetzung mit den medialen Abbildern künstlicher Intelligenz, die vielfach Ängste schüren oder schlicht falsch sind, bietet die Videoinstallation „Faces of AI“.
Diese Aktivitäten an der Schnittstelle von Kunst und Wissenschaft eröffnen außergewöhnliche Perspektiven, die neue Erkenntnisse und Anstöße für unerwartete Entdeckungen liefern. Die dauerhafte Verankerung künstlerisch-wissenschaftlicher Vorhaben im Forschungsalltag ist deshalb ein langfristiges Ziel, um die Innovationskultur der Universität maßgeblich zu bereichern.
Autor*innen: Christopher Lindinger (AT) & Nina Fuchs (AT)