Projekt Genesis: Synthetische Biologie – Das Leben aus dem Labor

Projekt Genesis
Synthetische Biologie – Das Leben aus dem Labor

(Linz, 1.8.2013) Sie zählt zu den brisantesten Entwicklungen in den modernen Naturwissenschaften. Sie ist weitgehend experimentell, teils gar konzeptionell. Ihre ersten Durchbrüche muten beinahe so fantastisch an wie die Chancen, die sich in Zukunft auftun könnten. Mögliche Negativszenarien dagegen klingen ziemlich beängstigend. Die Rede ist von der synthetischen Biologie. Mit einer neuen Ausstellung widmet sich das Ars Electronica Center Linz diesem „Projekt Genesis“ und zeigt damit einerseits den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Forschung sowie andererseits künstlerische Kommentare dazu. Insgesamt 18 Arbeiten von KünstlerInnen aus Australien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Indien, Irland, Japan, Lettland, Österreich, Schweiz und Spanien werden präsentiert. Begleitet wird die Ausstellung von einem Workshop- und Vermittlungsprogramm, das etwa vor Augen führt, wie Information erst in Binärcode und dann in DNA-Sequenzen verwandelt wird. Die Ausstellung „Projekt Genesis – Das Leben aus dem Labor“ ist ab 2. August 2013 zu sehen.

Synthetische Biologie – die Lehre vom künstlichen Leben

Wozu noch Straßenlaternen aufstellen, wenn wir Bäume zum Leuchten bringen können? Warum nicht ausgestorbene Tierarten wieder zum Leben erwecken oder gar neue erschaffen? Und wäre es nicht wünschenswert, uns vor Viren und Krankheiten ein für alle Mal zu schützen, indem wir uns den dafür notwendigen genetischen Code einschreiben?

Leben aus der Retorte, das war schon der Traum der frühneuzeitlichen Alchemisten. Doch erst im Laufe des vergangenen Jahrhunderts gelang es WissenschaftlerInnen ein immer tieferes Verständnis der Grundlagen des Lebens zu gewinnen. Als Schlüsselprojekt dabei gilt das Human Genome Project, das in den 1990er Jahren gestartet und 2003 abgeschlossen werden konnte. Was dabei gelang? Nichts weniger als die vollständige Sequenzierung des menschlichen Genoms. Ein Durchbruch, der unheimlichen Schub entwickelte. Seither gehen WissenschaftlerInnen ganz ernsthaft daran, nicht mehr nur einzelne Gen-Bausteine gezielt zu nutzen, sondern Lebewesen zu schaffen. Erste Erfolge wie die Herstellung des künstlichen Bakteriums Mycoplasma mycoides JCVI-syn1.0 durch das Team des US-amerikanische Biochemikers Craig Venter führen den Beweis, dass es bereits ist, Erbinformation nicht bloß zu lesen, sondern selbst zu schreiben. Aus WissenschaftlerInnen werden damit DesignerInnen, die im ersten Schritt „minimale Lebewesen“ gestaltet wollen, Lebewesen, die ausschließlich aus lebensnotwendigen Systemkomponenten bestehen. Daraus sollen schließlich Lebewesen geschaffen, die für unsere Gesellschaft konkreten Nutzen haben. Fragt sich, was passiert, wenn diese künstlich geschaffenen Lebewesen auf jene treffen, die über Jahr Millionen durch die Evolution hervorgebracht wurden?

BioArt

„Biologische Kunst“ ist eine Kunstform des 21. Jahrhunderts. Ihre VertreterInnen arbeiten vor allem mit organischen Materialien und nutzen dabei Methoden, Erkenntnisse und Gerätschaften der Naturwissenschaften, wie der Biotechnologie oder der Gentechnologie. Gearbeitet wird in einem Hybrid aus Atelier und Labor, die hier entstehenden Werke reichen von genmanipulierten Hasen bis zu Bildern aus Bakterienpopulationen. Bildträger dabei ist keine Leinwand, sondern das Nährmedium in einer Petrischale. Der Begriff BioArt wurde vom Künstler Eduardo Kac (BR) geprägt, der bevorzugt in dieser Kunstform arbeitet.

„Projekt Genesis“ im Ars Electronica Center

Die Ausstellung „Projekt Genesis“ reicht über zwei Stockwerke des Ars Electronica Center. Die Verteilung der Werke orientiert sich an den vier thematischen Schwerpunkten der Schau: Biomedia, Synthetic Hybrids, Genetic Ethos und Citizen Science. Im ersten Obergeschoss ist zudem ein Workshopbereich verortet, der in „Do-it-Yourself“-Manier in die synthetische Biologie einführt. Über beide Stockwerke verteilt sind übergeordnete Basisinformationen zu Schlagworten wie Genom, Biologie, BioArt oder DNA. Wissenschaftliche und künstlerische Positionen werden einander in der Ausstellung stets gegenüber gestellt. Die künstlerischen Arbeiten sind dabei im Raum verteilt und nehmen auf den ersten Blick eine vorherrschende Position ein. Die Präsentation des wissenschaftlichen Forschungsstandes ist räumlich gesehen am „Rand“ gelagert. Wie eine Klammer umschließen die Inhalte dieser Wandprints die künstlerischen Perspektiven und eröffnen so Diskussion- und Reflexionsräume zum Themenfeld „Synthetische Biologie – das Leben aus dem Labor“.

Das Vermittlungsprogramm zur Ausstellung umfasst neben Workshops eine donnerstägliche Spezialführung sowie eine Vortragsreihe mit Molekularbiologe und Chemiker Manuel Selg vom FH OÖ Campus Wels, der seit 2008 zudem als wissenschaftlicher Berater des Ars Electronica Center tätig.

Kooperationspartner

Mit der Ausstellung „Projekt Genesis“ präsentiert das Ars Electronica Center eine Reihe von Projekten, die im Rahmen des Programms „Studiolab“ entstanden sind. Letzteres wird durch das 7. EU Rahmenprogramm für Forschung, technologische Entwicklung und Demonstration gefördert und bietet eine Plattform, auf der Wissenschaft, Kunst und Design zusammenlaufen. Der Fokus dabei liegt auf der Schnittmenge von Künstlerstudio und wissenschaftlichem Forschungslabor. Studiolab Partner sind Science Gallery, Trinity College (Dublin), Le Laboratoire (Paris), The Royal College of Art (London), Ars Electronica (Linz), MediaLab-Prado (Madrid), ISI Foundation (Turin), Synergetica Lab (Amsterdam), École de Recherche Graphique (Brüssel), Leonardo-Olats (Paris), CIANT International Centre for Art and New Technologies (Prag), RIXC Centre for New Media Culture (Riga), Medical Museion (Kopenhagen) und Bloomfield Science Museum (Jerusalem).

Projekt Genesis
Synthetische Biologie – Das Leben aus dem Labor

Genetic Ethos

Die Technologie hat das Tempo rund um die Sequenzierung von DNA rasant erhöht und gleichzeitig die damit verbundenen Kosten nach unten geschraubt. Gesetzliche Regelungen hinken hinterher, wenn es um die Frage geht, wer die genetischen Informationen von Lebewesen eigentlich besitzen und verwalten darf. Heute werden Änderungen am genetischen Code eines lebenden Organismus patentiert wie andere Erfindungen auch. Einmal rechtlich geschützt, können Unternehmen, Labors und WissenschaftlerInnen über die weitere Verwendung des jeweiligen Codes bestimmen. Kein Wunder also, dass in den Gerichtssälen in aller Welt seit Jahren über das Eigentum von genetischer Information gestritten wird.

David Benqué (UK): The New Weathermen (2013)

Wie lässt sich der Klimawandel aufhalten? Durch den künftigen Verzicht auf Technologie oder im Gegenteil, durch ihren noch stärkeren, noch effektiveren Einsatz? Hinter „The New Weathermen“ verbirgt sich eine fiktive Gruppe von AktivistInnen, die in der synthetischen Biologie eine Antwort auf den Klimawandel gefunden zu haben glaubt. Prüfstände und Experimente sollen ihr groß angelegtes Vorhaben veranschaulichen.

The New Weathermen: http://studiolab.di.rca.ac.uk/projects/the-new-weathermen

Superflux (UK/IN): Dynamic Genetics V Mann (2013)

In der Sache Arnold Mann gegen „Dynamic Genetics“ schaut es ganz nach einem Sieg des Gentherapie-Großkonzerns aus. Gleich eine Reihe von Videos, Fotografien und Dokumenten legen nahe, dass Arnold Mann illegalerweise im Besitz von urheberrechtlich geschützter DNA ist. „Dynamic Genetics V Mann“ ist ein Gedankenspiel, das einen Eindruck davon geben will, was in naher Zukunft Realität sein könnte. Schon bald könnten Staaten sich nicht mehr für die Gesundheitsvorsorge zuständig erklären, sondern diese an Unternehmen auslagern. Letztere könnten individuelle Krankenversicherungen anbieten und dafür das Genom jeder versicherten Person vollständig registrieren lassen. Anhand der jeweiligen Gen-Kombinationen wiederum lässt sich errechnen, wie wahrscheinlich der oder die Versicherte einmal an Krebs erkranken wird – und dementsprechend die Höhe des Beitrags festlegen.

Dynamic Genetics V Mann: http://studiolab.di.rca.ac.uk/projects/dynamic-genetics-v-mann

Hideo Iwasaki (JP) / Oron Catts (AU): Biogenic Timestamp (2013)

„Biogenic Timestamp“ zeigt, dass Bakterien die Fähigkeit besitzen, sich technologische Kreationen einzuverleiben und zu verändern. Exemplarisch kommen dabei genetisch veränderte Blaualgen zum Einsatz und werden dafür auf elektronische Komponenten „losgelassen“. Diese Cyanobakterien zählen zu den frühsten Formen des Lebens und sind durch ihre Fähigkeit zur Fotosynthese auf Lichtenergie angewiesen. Sie nehmen Elemente wie das Silizium, Gold oder Eisen der Computer-Hardware auf, ordnen sie dabei neu und bringen so die lineare Logik der elektronischen Schaltkreise durcheinander.

Synthetic Aestetics: http://www.syntheticaesthetics.org/residents/iwasaki-catts/Synthetic%20Biology

Johanna Schmeer (DE/UK): Mousetraps No. 3, 14 and 18

Was geschieht, wenn wir Lebewesen verändern und sie irgendwann wieder freilassen? Johanna Schmeer hat drei Mausefallen gestaltet, die auf genetisch und technologisch veränderte Mäuse zugeschnitten sind, wie sie heute in Versuchslaboren eingesetzt werden. Die „Waltzing Mouse“ leidet durch einen Gendefekt an Gleichgewichtsstörungen und kann sich deshalb nur in Kreisen fortbewegen – sie wird in einem spiralförmigen Schlauch gefangen, in dem sie sich nicht mehr umdrehen kann. Die Mausefalle der „Cyborg Mouse“, die ein Gehirnimplantat zur Steuerung ihrer Bewegungen in sich trägt, zieht die Labormaus mit einem starken Magnetfeld an und macht sie damit bewegungsunfähig. Die „Birdsong Mouse“, eine in Japan entwickelte Maus, die wie ein Vogel singt, wird hingegen von Vogelstimmen aus einem Lautsprecher angelockt.

Mousetraps: http://www.johannaschmeer.com/MOUSETRAPS-NO-3-14-18

Shiho Fukuhara (JP) / Georg Tremmel (JP/AT): Common Flowers / White out (2013)

Die blaue Nelke des Unternehmens Florigene Ltd. war die erste kommerziell erhältliche genmanipulierte Pflanze, die auch heute noch erworben werden kann. Nelken gab es zuvor zwar bereits in vielen verschiedenen Farben, doch erst durch die eingesetzten Gene einer Petunie blüht die vormals weiße Nelke blau. „Common Flowers / White Out“ nimmt sich dieser Umwandlung an und entwickelt Strategien, die es fachlichen Laien ermöglichen soll, die eingesetzten Gene wieder zu entfernen. Im Zuge dieses Rückgängigmachens tun sich jedoch Fragen auf: Ist eine Pflanze, deren ursprüngliche Gene wiederhergestellt wurden trotzdem nicht auch weiterhin eine genmanipulierte Pflanze? Und wem gehört sie eigentlich?

Common Flower: http://www.common-flowers.org/

h.o (JP) / Takeshi Kanno (JP): Momentrium (2012-2013)

„Momentrium“ besteht aus zwei leuchtenden Pfeilen. Der von der Decke herabhängende Pfeil „#1 Core“ zeigt zum Kern der Erde, auf der wir leben. Der Pfeil verweist auf die Schwerkraft, als eine Konstante. Der zweite, horizontal ausgerichtete Pfeil „#2 Future“ verweist dagegen in die Zukunft seiner BetrachterInnen und ändert, ganz im Gegensatz zum ersten Pfeil, laufend seine Richtung. Dies soll verdeutlichen, dass unsere Zukunft eben nicht einen gleichbleibenden Kurs einschlägt, sondern sich ihr Verlauf Schritt für Schritt ändern kann.

Matthew Gardiner (AU): Synthetic Memetic (2013)

Mit „Never gonna give you up“ stürmte der britische Popsänger Rick Astley in den 1980er-Jahren die internationalen Charts. Mehr als 20 Jahre später sorgt das sogenannte „Rick Rolling“ im Internet für Aufsehen – anderslautende Headlines oder Bilder und Videos verlinken unerwartet zu Rick Astleys Ohrwurm. In Anspielung darauf ließ Matthew Gardiner eine DNA-Sequenz so zusammensetzen, dass die Reihenfolge ihrer Basen den Buchstaben des Songtitels entspricht und band sie symbolisch in eine Pistole ein. Letztere verweist auf den Umstand, dass die britische Polizei bereits DNA-Sequenzen mit bestimmten Codes einsetzt, um verdächtige Personen mit einem Schuss aus einer speziellen Pistole zu markieren.

Citizen Science

Obwohl Gesetze den Zugang zu bestimmten Chemikalien oder synthetisch erzeugter DNA regeln und nach wie vor eine sehr hochpreisige Ausstattung nötig ist, um optimale Laborbedingungen zu schaffen, lässt sich eine immer größere Community nicht davon abhalten, innerhalb ihrer Möglichkeiten eigene Experimente zu starten. Der Anspruch, unsere Gesellschaft insgesamt damit nach vorn zu bringen, steht dabei zumeist an erster Stelle.

Andy Gracie (ES): Deep Data Prototype_1 (2009)

Was ist der Ursprung des Lebens? Wie sieht es außerhalb der Erde aus und wie ist es um die Zukunft von Lebensformen im Weltraum bestimmt? Diesen Fragen widmet sich die Astrobiologie. „Deep Data Prototype_1“ nimmt darauf Bezug und setzt Bärtierchen, weniger als einen Millimeter große Mikroorganismen, Magnetfeldern aus, wie sie von den Raumsonden Voyager und Pioneer auf ihrer Reise durch unser Sonnensystem gemessen wurden. Aus der Beobachtung des Verhaltens dieser widerstandsfähigen Organismen sollen nun Erkenntnisse für das irdische Leben an unwirtlichen Orten im All und während langer Weltraumreisen gewonnen werden.

Deep Data: http://hostprods.net/projects/deep-data/

Rasa Šmite, Raitis Šmits, Voldemars Johansons in collaboration with Martins Ratniks, RIXC (LV): Biotricity (2012)

„Biotricity“ führt vor Augen, dass in herkömmlichem Abwasser eine ganze Menge Energie steckt. WissenschaftlerInnen und KünstlerInnen haben mit mikrobiellen Brennstoffzellen (MBZ) experimentiert und diese „lebenden Batterien“ in verschiedenen Umgebungen getestet. Im Abwasser wurden sie schließlich fündig: Hier sind Stoffe enthalten, die genau dem Energiebedarf von Mikroorganismen entsprechen. Kommen die Bakterien damit in Berührung, entstehen Elektronen, die auf Elektroden übertragen werden, wobei chemische Energie in elektrischen Strom umgewandelt wird. Kontinuierliche Messungen geben visuell und akustisch Einblick in diesen Vorgang der Stromerzeugung. Die Kläranlagen der Zukunft könnten mit dieser Technologie zu Kraftwerken aufgewertet werden.

Biotricity: http://vimeo.com/51380366

Rüdiger Trojok (DE): Gene Gun Hack (2012)

Genkanonen sind spezielle Luftdruckgeräte, mit deren Hilfe DNA, die an kleinen Goldpartikeln haftet, in Zellen geschossen werden. Hier wird die DNA von ihren Trägerpartikeln gelöst und ins Erbgut der Zelle eingebunden. Genkanonen zählen zu den wichtigsten Arbeitsgeräten der modernen Biologie – viele der heute genetisch veränderten Pflanzen werden mit dieser Technologie erzeugt. Durch den hohen Anschaffungspreis von mehreren Tausend Euro pro Stück sind diese wissenschaftlichen Instrumente professionellen Laboren vorbehalten. Bis jetzt. Dem Biologen Rüdiger Trojok ist es gelungen, seine eigene Genkanone zum Preis von 50 Euro nachzubauen.

https://labitat.dk/wiki/File:Rudiger_Trojok_gene_gun_hack-v01.pdf

Urs Gaudenz (CH) / Denisa Kera (CZ): DIY Mobile Gen Lab – Hackteria Object Collection (2013)

Um mit Bakterien und Mikroorganismen zu arbeiten, braucht es längst keine hochpreisigen Laborinstrumente mehr. Das „Lab-in-a-Box“ ist eine Zusammenstellung einfacher und kostengünstiger Gerätschaften, die es allen Interessierten ermöglicht, zuhause ihre eigenen Experimente zu betreiben. Die Idee stammt von Hackteria.org – ein Netzwerk, das weltweit KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen miteinander verbindet. Die ausgeklügelten Pakete, die aus dieser Zusammenarbeit entstehen, werden in mehreren Workshops getestet und erweitert. Im Sinne des Open-Source-Gedankens sind die dazugehörigen Bauanleitungen öffentlich zugänglich und können nach Belieben weiterentwickelt und verändert werden.

Lab In A Box: http://hackteria.org/

Alexandra Daisy Ginsberg (UK): The Synthetic Kingdom (2009)

Die synthetische Biologie macht es möglich, DNA-Codes aus der Natur zu entnehmen und mit diesen biologischen Bausteinen neue Lebensarten zu formen. Aber welcher Gruppe ordnen wir das von Menschen geschaffene „natürliche“ Leben zu? Die vom Wissenschaftler Carl von Linné im 18. Jahrhundert erstellte Einteilung des Lebens in Pflanzen und Tiere ist längst nicht mehr aktuell. Heute werden zelluläre Lebewesen meist in drei Gruppen geteilt: In Archaeen, den einzelligen Urbakterien, in Bakterien, in denen die DNA frei in der Zelle zu finden ist, und in Eukaryoten, die alle Lebewesen miteinschließt, deren Zellen einen Zellkern besitzen – wie Menschen, Tiere und Pflanzen. Alexandra Daisy Ginsberg schlägt in ihrer Animation vor, diesen „Baum des Lebens“ um den Ast der Synthetika zu erweitern, den künstlich erzeugten Lebensformen.

The New Tree of Life: http://www.daisyginsberg.com/projects/synthetickingdom.html

Biomedia

Die synthetische Biologie eröffnet ungeahnte Möglichkeiten. Bald schon wird es möglich sein, neue Lebensformen zu schaffen, deren Eigenschaften ganz genau nach unseren Vorstellungen beschaffen sein werden. Doch welche Auswirkungen wird dies auf unsere Biosphäre haben? Wie kein anderes, je von Menschen hervorgebrachtes Werkzeug, erfordert die synthetische Biologie einen verantwortungsvollen Umgang.

Science Gallery (IE): Opimilk (2013)

Um Schmerzmittel herstellen zu können, braucht es die sterile Infrastruktur der pharmazeutischen Industrie schon bald nicht mehr – der Stall eines Bauernhofs könnte dafür mindestens genauso gut geeignet sein. Sofern hier milchgebende Kühe mit gänzlich neuen Eigenschaften zum Einsatz kommen. Ein Team aus Dublin verfolgt die Idee, den Organismus einer Kuh in einen lebenden Bioreaktor zu verwandeln, um ein wirkungsvolles Medikament direkt aus dem Euter der Kuh melken zu können. Dazu wird das Gen des schmerzstillenden Opiorphins aus dem menschlichen Speichel isoliert, vervielfältigt und in eine befruchtete Eizelle einer Empfängerkuh injiziert. Das daraus entstandene Kalb gibt dann als erwachsenes Tier das Schmerzmittel mit seiner Milch ab, die wie gewöhnliche Mich auch zu Käse oder Joghurt weiterverarbeitet werden kann.

Le Laboratoire (FR): Organight (2013)

In der Stadt der Zukunft übernehmen Bakterien die Aufgabe der Straßenbeleuchtung. An großflächigen Schaufenstern angebracht, speichern sie tagsüber die notwendige Sonnenenergie und nehmen einen Teil des städtischen CO2-Ausstoßes auf. Wie ein Aufkleber kann „Organight“ an allen verfügbaren Glasscheiben angebracht werden und damit nicht nur städtische Gehwege, sondern auch die Dekorationen der Geschäfte mit „natürlichem“ Licht erhellen. Möglich wird dies durch die synthetisch veränderten Bakterien Bacillus subtilis und Lux Operon, die zwischen zwei Folien eingebettet sind. Die biologisch abbaubare Beleuchtung kann mehrere Monate lang verwendet werden und setzt einen weiteren Schritt in Richtung energieunabhängiger und umweltschonender urbaner Lebensräume.

Organight: http://www.youtube.com/watch?v=PAAvdHKeXvg#at=12

Theresa Schubert (AT): Chroma+Phy (2013)

„Chroma+Phy“ wird wie ein Armreif getragen. Durch verschiedene Farbcodes macht das Gerät gegebenenfalls auf gefährliche UV-Strahlung aufmerksam, fordert rechtzeitig dazu auf, Flüssigkeit zu sich zu nehmen, informiert über aktuelle Körpertemperatur, misst die Luftfeuchtigkeit und überwacht sogar den Schlafzyklus der jeweiligen TrägerInnen. Das lebende Display von „Chroma+Phy“ macht sich die Eigenschaften der Schleimpilzart Physarum polycephalum und die pigmenthaltigen Farbstoffzellen (Chromatophor) von Chamäleons zunutze.

Chroma+Phy: http://www.theresaschubert.org/chromaphy.html

Sonja Bäumel (AT), Manuel Selg (AT), Ars Electronica Futurelab: Metabodies (2013)

Jeder Mensch ist ein wandelndes Biotop, in bzw. auf dem Milliarden Bakterien leben. Zwischen zwei und drei Kilogramm von ihnen tragen wir tagtäglich mit uns herum und damit auch ein Hundertfaches mehr an genetischen Informationen, als unser eigenes Erbgut enthält. Um die Vielfalt dieses verborgenen Ökosystems sichtbar zu machen, richtet „Metabodies“ den Blick auf die Kommunikation dieser Bakterien. Genutzt wird dabei ein Effekt, den WissenschaftlerInnen „Qurom Sensing“ nennen: Erreichen Bakterien eine gewisse Anzahl beginnen sie untereinander chemische Stoffe auszutauschen, die sie zum Leuchten bringen. Dieser Effekt tritt auch ein, wenn ein bakterieller Abdruck unserer Haut in ein Nährmedium eingebracht wird und sich hier ungestört weiterentwickeln kann. Das visuelle Ergebnis eröffnet eine völlig neue Perspektive auf unseren Körper. Und die Erkenntnis, dass wir uns nicht nur genetisch, sondern auch bakteriell voneinander unterscheiden.

Sonja Bäumel / Bacteria: http://www.sonjabaeumel.at/bacteria

SYNTHETIC HYBRIDS

Dass sich in der Natur innerhalb nur eines Generationswechsels neue Lebensformen entwickeln, ist so gut wie nicht möglich. Auch die Kreuzung zweier unterschiedlicher Arten führt schnell in eine genetische Sackgasse: Wächst aus einem Pferd und einem Esel etwa ein Maulesel heran, kann dieser Hybrid sich nicht mehr fortpflanzen. So manche gekreuzte Pflanzenarten dagegen sind sehr wohl in der Lage, weitere Keime mit überlegenen Merkmalen hervorzubringen. Was aber passiert, wenn Menschen die natürliche Fortpflanzung durch den Einsatz von Technologie umgehen und synthetische Hybride schaffen, die noch nie zuvor auf dieser Welt existiert haben?

Tobias Revell (UK), Royal College of the Arts: Into Your Hands Are They Delivered (2013)

Das erste Buch der Bibel, die „Genesis“, widmet sich der von Gott erschaffenen Welt mitsamt ihren Lebewesen. Dem Menschen wird dabei eine übergeordnete Rolle zugeschrieben. In Anspielung darauf befasst sich Tobias Revell mit der Familie der Schlupfwespen, die ihre Eier in den Körper anderer Insekten legen und sie als Larven von innen heraus auffressen. Kann es wirklich sein, dass auch solch grausame Lebewesen die Schöpfung eines wohltätigen Gottes sind? Und stehen wir Menschen tatsächlich über dem Tierreich? Wo liegen die Grenzen zwischen Mensch und Natur, und wo gibt es Brüche in diesen scheinbar so klaren Einteilungen?

Into Your Hands They Are Delivered: http://studiolab.di.rca.ac.uk/projects/into-your-hands-are-they-delivered

Patricia Piccinini (AU): The Listener (2012)

Das menschenähnliche Lebewesen, das Patricia Piccinini und ihr Team in mühevoller Kleinarbeit aus Silikon, Fiberglas und menschlichem Haar geschaffen haben, wirkt ganz und gar verletzlich. Durch seinen aufwärts gerichteten, freundlichen Blick scheint es auf Anerkennung zu hoffen und darauf, dass wir uns an seiner Fremdartigkeit nicht stoßen. Patricia Piccinini verweist darauf, dass auch wenn wir Menschen die Natur und ihre Geschöpfe nach unseren Vorstellungen verändern und formen können, wir unser Einfühlungsvermögen nicht verlieren dürfen.

Newborn: http://www.roslynoxley9.com.au/artists/31/Patricia_Piccinini/1259/43783/

Hybrid Art

Seit 1987 ist der Prix Ars Electronica eine interdisziplinäre Plattform für alle, die den Computer als universelles Gestaltungsmedium in ihrer künstlerischen Arbeit an der Schnittstelle zwischen Kunst, Technologie und Gesellschaft einsetzen. Nicht zuletzt durch die alljährliche Beteiligung international anerkannter KünstlerInnen aus über 70 Ländern ist der Prix Ars Electronica ein Trendbarometer der Medienkunst. Als eine von insgesamt sieben Wettbewerbskategorien widmet sich „Hybrid Art“ den hybriden und transdisziplinären Projekten, bei denen die Verschmelzung unterschiedlicher Medien und Genres zu neuen künstlerischen Ausdrucksformen sowie das Überschreiten der Grenzen zwischen Kunst und Wissenschaft, zu sozialem und politischem Engagement, aber auch zu popkulturellen Bereichen im Vordergrund stehen.

Prix Ars Electronica / Hybrid Art: https://ars.electronica.art/prix/de/kategorien/hybrid-art/

Pressetext „Projekt Genesis: Synthetische Biologie – Das Leben aus dem Labor“ / PDF

Am AE Blog finden Sie Interviews mit KünstlerInnen rund um das Projekt Genesis.

Photo:
Sujet Projekt Genesis / Ars Electronica / Printversion / Weitere Bilder

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Gene Gun Hack / Rüdiger Trojok / Printversion / Weitere Bilder

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Metabodies / Sonja Bäumel / Printversion / Weitere Bilder