Deep Space LIVE: Die Rekonstruktion der alten Linzer Synagoge

Ars Electronica Center
Deep Space LIVE: Die Rekonstruktion der alten Linzer Synagoge

Pressetext: Deep Space LIVE – Die Rekonstruktion der alten Linzer Synagoge / PDF
Fotoalbum auf Flickr
Beitrag am Ars Electronica Blog

(Linz, 14.3.2017) In der Pogromnacht vom 9. auf 10. November 1938 wurden unzählige Synagogen in ganz Deutschland und Österreich ausgeraubt, verwüstet und in Brand gesteckt. Auch die Synagoge der Linzer jüdischen Gemeinde ging in den Morgenstunden des 10. November 1938 in Flammen auf. Das am 10. Mai 1877 eingeweihte klassizistische Gotteshaus an der Linzer Bethlehemstraße 26 fiel einem Feuer zum Opfer, das von Angehörigen der SA und SS gelegt worden war. Im Deep Space 8K des Ars Electronica Center können sich BesucherInnen Dank einer detailgetreuen digitalen Rekonstruktion ein Bild der alten Linzer Synagoge machen – etwa am Donnerstag, 16. März 2017, wenn Dr.in Cathrin Hermann vom Archiv der Stadt Linz zu einem virtuellen Rundgang lädt und interessante Details zur Geschichte des Sakralbaus präsentiert.

Die alte Linzer Synagoge

Am 16. Mai 1876 legte man an der Bethlehemstraße 26 den Grundstein für das erste Gebetshaus der Jüdischen Gemeinde in Linz. Knapp ein Jahr später war der Bau fertig, der mit einer Tiefe von 25 Metern und einer Breite von 17 Metern über eine Geschoßfläche von rund 425 Quadratmetern verfügte. Seine architektonische Gestaltung orientierte sich an der neuromanischen Synagoge in Kassel und ihren charakteristischen Rundbogenfenstern und Türen sowohl an der Stirnseite als auch den Seitenfronten. Obwohl sich die Linzer Version gut ins hiesige Stadtbild einfügte, fiel ihre Architektur dennoch durch eine gewisse Eigenständigkeit auf. Indem der Bau auf ein Podest gestellt wurde, überragte er die angrenzenden Häuser, sein Eingangsniveau wurde über drei Treppenläufe erreicht. Die Innengestaltung der Synagoge dagegen folgte nicht dem Kasseler Vorbild – ganz im Stile des zu der Zeit üblichen romantischen Historismus entschied man sich anstelle von Rundbögen und Tonnengewölben für gusseiserne Säulen zur Abstützung von Emporen und Decken. Im Betraum selbst befanden sich die Sitze der Männer im Erdgeschoss, jene der Frauen auf den Emporen, die Ehrensitze für Rabbiner und Kantor befanden sich gegenüber des Eingangs an der Rückwand der Synagoge. Dank sechs großer Doppelfenster an jeder Seite konnte der Raum untertags natürlich beleuchtet werden, abends und nachts sorgten 16 Deckenleuchter, ein Kronleuchter und zahlreiche Kerzen für ausreichend Licht. Mit rund 255 Quadratmetern bot der Betraum Platz für 300 Sitzplätze im Erdgeschoß und weitere 200 Plätze auf den Emporen. Im Jahr 1906 erweiterte man die Synagoge. Die Gebäudetiefe wuchs auf 30,5 Meter, wodurch sich die Geschoßfläche auf rund 500 Quadratmeter vergrößerte. Die Synagoge erhielt nun ein Sakristei und einen Chorraum für die Orgel.

Virtuelle Rekonstruktion zerstörter Synagogen

Seit 1998 werden zerstörte Synagogen an der TU Wien mittels computergestütztem Verfahren aufgearbeitet. Der Schwerpunkt der Auseinandersetzung betraf zunächst Wiener Standorte, die rund um 1900 entstanden und Teil eines europaweiten Baubooms darstellten. Auch wenn der jeweilige städtebauliche Kontext das Bestreben nach Zurückhaltung verspüren lässt, wurde das Stadtbild dabei um eine wichtige Facette bereichert. Bei der Zerstörung dieser Synagogen und der damit einhergehenden Beseitigung des Jüdischen Kulturerbes aus dem Stadtbild wurde nichts dem Zufall überlassen.
Nachdem sämtliche Synagogen in der Bundeshauptstadt flächendeckend bearbeitet waren, weitete die TU Wien ihre Rekonstruktionstätigkeit auf Gebäude in den Bundesländern bzw. Kronländern der Donaumonarchie aus. Die zerstörten jüdischen Sakralbauten sind inzwischen durch mehr als 50 virtuelle Rekonstruktionen dokumentiert. Mittels unterschiedlicher Darstellungsformen ist es damit einem breiten Publikum möglich, sakrale Raumeindrücke interaktiv zu erfahren und sich ein eigenes Bild davon zu machen.

René Mathe rekonstruiert die Linzer Synagoge

Die Mehrzahl der detaillierten Rekonstruktionsmodelle entstand im Rahmen von akademischen Abschlussarbeiten. Für eine davon zeichnet René Mathe verantwortlich: Im Rahmen seiner Diplomarbeit am Institut für Architektur und Entwerfen setzte er sich die virtuelle Rekonstruktion der alten Linzer Synagoge zum Ziel. Betreut und unterstützt wurde er dabei von Ao.Univ.Prof.Dr. Bob Martens und Arch.Dipl.-Ing. Herbert Peter. Der Beginn ihrer Arbeit erwies sich als schwierig: Weil das NS-Regime sämtliches Kulturgut der jüdischen Gemeinschaft für immer aus der Geschichte zu löschen versuchte, waren zunächst nur wenige brauchbare Aufzeichnungen rund um die damalige Synagoge zu finden. Erfolg hatte René Mathe schließlich in den Archiven der Stadt Linz, der Linzer Diözese sowie der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien. Das Jüdische Museum Wien stellte ihm zudem textliche Beschreibungen sowie Augenzeugenberichte zum Novemberpogrom zur Verfügung. Eine weitere Informationsquelle erschloss sich René Mathe im Kriegsarchiv, in dem sich vor allem alte Luftbilder befanden, die Aufschluss über den städtebaulichen Kontext gaben. Nachdem René Mathe all diese Pläne, Fotos und Berichte gesammelt und ausgewertet hatte, konnte er mit der detailgetreuen Rekonstruktion der zerstörten Synagoge beginnen. Schlussendlich war es ihm möglich, fotorealistische Abbildungen zu erzeugen, die einen äußerst lebendigen Eindruck dieses prächtigen Gebäudes vermitteln.

Ars Electronica Futurelab ermöglicht virtuellen Rundgang durch die alte Linzer Synagoge

Ausgehend von René Mathes umfangreicher Arbeit erstellte das Ars Electronica Futurelab eine 3-D-Visualisierung, die im Deep Space 8K einen virtuellen Rundgang durch die alte Linzer Synagoge möglich macht. Die Applikation erlaubt es, den Sakralbau durch den Haupteingang an der Bethlehemstraße zu betreten und sich einen sehr lebendigen Eindruck der einstigen Wirkung und Atmosphäre dieses Raums zu machen. Ein Rundgang auf den Emporen erschließt dabei eine zusätzliche Perspektive.

Zur Person: Cathrin Hermann

Cathrin Hermann studierte Geschichte und Kunstgeschichte an den Universitäten Tübingen und Wien. Ab 2005 war Cathrin Hermann dann als Kulturvermittlerin an mehreren Institutionen tätig. Im April 2010 beginnt sie ihre Arbeit als Honorarkraft beim Projekt „Linz 1918 1938“ des Archivs der Stadt Linz. Seit 2013 ist sie wissenschaftliche Archivarin beim Archiv der Stadt Linz.

Photo:
Virtuelle Rekonstruction / Fotocredit: Ars Electronica, Robert Bauernhansl / Printversion / Album

Photo:
Virtuelle Rekonstruktion / Fotocredit: René Mathe / Printversion / Album