ARS and the CITY

Retrospektive im LENTOS Kunstmuseum Linz

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(Linz, 4.9.2019) Windgetriebene Standbiester, viertausend begeisterte Pong-SpielerInnen auf dem Linzer Hauptplatz und Radios in den Fenstern, die eine riesige Klangwolke über Linz entstehen ließen: Die Ausstellung ARS and the CITY im LENTOS Kunstmuseum Linz blickt zurück auf 40 Jahre Ars Electronica und ruft legendäre und wegweisende Kunstprojekte in Erinnerung, die seit 1979 im öffentlichen Raum in Linz realisiert wurden und internationale Beachtung fanden.

Eine Stadt im Wandel
War das Image von Linz jahrzehntelang geprägt von der Großindustrie, vollzog sich Ende des 20. Jahrhunderts ein Wandel, bei dem sich die Kunst als wichtiger Impuls- und Ideengeber hervortat. Dass Ars Electronica als Festival für Kunst, Technologie und Gesellschaft diesen Wandel einleitete und vorantrieb, gehört längst zum Gründungsmythos dieses einzigartigen Projekts. Von allem Anfang an lag dessen Augenmerk nämlich auf gesellschaftlichen und kulturellen Zukunftsaspekten, die Arbeit in und mit der Stadt wurde mit ebenso viel Optimismus wie Aufwand in Angriff genommen. Und schon bald sollte sich herausstellen, dass Medienkunst perfekt dafür geeignet war, die traditionellen Räume der Kunstdarbietung und -vermittlung zu verlassen und auf unverwechselbare Art und Weise neue Wege in die Öffentlichkeit zu beschreiten. Die Ausstellung im LENTOS Kunstmuseum Linz lässt eine Vielzahl dieser Projekte und Initiative Revue passieren, grob gegliedert in vier thematische Bereiche – Donaupark, Hauptplatz, voestalpine und Stadtwerkstatt.

Grünfläche und Erholungsraum: der Donaupark

Der Donaupark als innerstädtische Grünfläche und Erholungsraum steht nicht zufällig am Beginn dieser spannenden Reise. Genau hier wird 1979, im Rahmen der Eröffnung des ersten Ars Electronica Festival, die ebenfalls erste Linzer Klangwolke, ein spektakuläres Open-Air-Konzert, zelebriert. Schon Wochen davor wird die Bevölkerung vom ORF OÖ aufgefordert, während dieses Events ihre Radios in die Fenster zu stellen und so die Übertragung von Bruckners Achter Symphonie über den Donaupark hinaus zu einer echten Klangwolke über der ganzen Stadt geraten zu lassen. Ein Medium wird damit zum sozialen Raum – und die erste Klangwolke zum prototypischen Vorläuferprojekt der Social-Media-Ära. 33 Jahre danach wird der Donaupark wieder zum Schauplatz einer Premiere, die um die Welt geht – 50 Quadrocopter des Ars Electronica Futurelab formen einen autonomen Schwarm und steigen zu einer einzigartigen Show in den Nachthimmel auf. Dank der Linzer Klangwolke war der Donaupark in den vergangenen vier Jahrzehnten immer wieder Bühne für aufsehenerregende Kunstprojekte, die um die Welt gingen – von Klang- und Lichtinstallationen bis hin zu bemerkenswerten Performances.

Zentrum der Stadt: der Hauptplatz

Mit seinen 13.140 Quadratmetern und seiner barocken Architektur wird der Linzer Hauptplatz immer wieder zum Schauplatz groß angelegter Projekte, die tausende BesucherInnen anlocken. Viele LinzerInnen erinnern sich noch an Loren Carpenters Aktion „Audience Participation“ aus dem Jahr 1994, bei der 4000 Menschen am Hauptplatz gemeinsam das Videogame „Pong“ spielen. Publikumsbeteiligung wird hier schon 1980 großgeschrieben, als zum „Mitmachkonzert“ geladen wird, zu dem jede und jeder ihr/sein eigenes, selbstgebasteltes Musikinstrument mitbringen und alle zusammen auf dem Hauptplatz dann ein gemeinsames Großkonzert zur Aufführung bringen sollen. Aufsehen erregte 1986 die „Aurora Elettronica“ mit einem rund um die Dreifaltigkeitssäule errichteten, buntbeleuchteten Stahlgerüst sowie bewegten Projektionen auf den Hauptplatzgebäuden und elektronische Klangwirbel. 2002 transformiert Rafael Lozano Hemmer mit „Body Movies“ die Architektur des Linzer Hauptplatzes dann mit gigantischen Schattenspielen, während 2003 eine überdimensionale Computertastatur an der Fassade der Kunstuniversität erklettert wird und durch das Berühren der riesigen Tasten Programmierbefehle ausgelöst werden können. Riesige, windgetriebene, aus Holz und Plastikrohren konstruierte Strandtiere bevölkern 2004 den Linzer Hauptplatz, im Jahr darauf bringen hunderte RadfahrerInnen per Muskelkraft einen künstlichen Mond am Nachthimmel zum Leuchten und 2015 dreht mit dem Mercedes-Benz F 015, das zu der Zeit am weitest entwickelte Forschungsfahrzeug der Welt, eine Runde vor dem Alten Rathaus. Stichwort Rathaus: Mit dem Hauptplatz rückt nicht zuletzt die Rolle der Linzer Stadtverwaltung in den Blickpunkt der Ausstellung, die dann auch festhält, dass ohne die intensive und kontinuierliche Unterstützung der Stadtregierung und -verwaltung viele Projekte unmöglich zu realisieren gewesen wären. Bezeichnend dafür, dass Jahr für Jahr immer noch viele Menschen die Eingangshalle des Alten Rathauses am Hauptplatz besuchen, um ein riesiges Luftbild von Linz zu betrachten, das 2007 im Rahmen eines Mitmach-Projekts der Ars Electronica entstand: „Ganz Linz“ rief die LinzerInnen auf, für einen Fotoüberflug sichtbare Zeichen auf Dächern, Balkonen, Gärten und Parkanlagen zu hinterlassen.

Wirtschaftlicher Motor: die voestalpine

Das riesige Betriebsgelände der voestalpine avanciert mit dem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg zum wirtschaftlichen Motor der Stadt, der über Jahre die Identität von Linz als Stahlstadt prägte. Aus diesem Grund taucht die voestalpine daher auch seit Anfang des Ars Electronica Festival thematisch und als Austragungsort für außergewöhnliche Projekte regelmäßig auf. Sowohl die Linzer Stahlsinfonie 1980 als auch die Linzer Stahloper 1982 proben mit musikalischen Aktionen die Integration von Kunst- und Arbeitswelt mit Stahlarbeitern, MusikerInnen und Maschinen als ProtagonistInnen. Legendenstatus haben auch die nächtlichen musikalischen Zugfahrten durch das Werksgelände, die von Fadi Dorninger zwischen 1996 bis 2000 organisiert werden. Weitere Beispiele für die Nutzung der industriellen Infrastruktur der Stadt sind Events in den Werkshallen am Linzer Hafen sowie ein Eröffnungsevent in der Montagehalle der ÖBB an der Unionstraße.

Freie Szene: die Stadtwerkstatt
Ein weiterer Bereich der Ausstellung widmet sich der Rolle der freien Szene, namentlich der Stadtwerkstatt, deren Aktionen und Initiativen die Linzer Stadtentwicklung mitprägen. Mit dem Verlassen des institutionellen Rahmens der städtischen Kultureinrichtungen wird der freien Szene von Anfang an ein großes Ausmaß an Gestaltungsautonomie eingeräumt. Bemerkenswert ist auch, welche Möglichkeiten der ORF damals der freien Szene eröffnet. So werden etwa im Rahmen von Van Gogh TV per Satelliten-Uplink drei Tage lang europaweit Livesendungen auf 3sat übertragen, bei denen ZuseherInnen das Programm mitgestalten können. 1991 sorgte dann ein Kooperationsprojekt von Stadtwerkstatt und ORF OÖ für großes Aufsehen: die „Hundesprengung“. Bei dieser Aktion können die ZuseherInnen zuhause vor dem Fernseher durch das Wählen einer bestimmten Telefonnummer über Weiterleben oder Tod eines Hundes entscheiden – mit dem Hinweis, dass die getroffene Wahl mit dem eigenen Gewissen vereinbart werden müsse: Die Entscheidung fiel dann auch zu Ungunsten des Hundes aus. Tags darauf klärte „Oberösterreich Heute“ auf, dass die vermeintliche Sprengung des Hundes nur ein videotechnischer Trick gewesen war und sich das Tier nach wie vor bester Gesundheit erfreue. Neben der Stadtwerkstatt erweist sich auch das KünstlerInnenkollektiv Time’s Up immer wieder als wichtiger Vertreter der freien Szene und ist mit „Turnton Docklands“ daher auch Featured Artist des Ars Electronica Festivals 2017.

ARS on the WIRE
Neben „ARS and the CITY“ blickt während des Festivals noch eine weitere Ausstellung auf 40 Jahre Ars Electronica zurück: „ARS on the WIRE“ in der POSTCITY legt den Fokus auf die Entwicklung des Internets, von den Anfängen des WWW bis ins Jahr 2019. Die Schau zeigt, wie sich das Internet von einer zunächst rein technischen Infrastruktur zu einem sozialen, öffentlichen Raum entwickelte und schließlich zum Brennpunkt unserer Gesellschaft wurde. Die Ausstellung ruft in Erinnerung, dass sich junge Netz-KünstlerInnen schon Ende der 1970er Jahre mit den Strukturen dieses neuen Mediums befassten und dessen Potentiale ausloteten. Ein Schauplatz dieser wegweisenden künstlerischen Auseinandersetzung war schon damals die Ars Electronica in Linz.

Andreas J. Hirsch: Creating the Future – A Brief History of Ars Electronica 1979 – 2019

Einen Rückblick auf 40 Jahre Ars Electronica bietet auch Andreas J. Hirschs reich bebilderter Jubiläumsband „Creating the Future – A Brief History of Ars Electronica“. Das Buch erzählt die Geschichte der Ars Electronica, von den Pioniertagen ihrer Gründung über die turbulenten Zeiten zu Beginn der digitalen Revolution bis hin zu den Herausforderungen einer international tätigen, schnell wachsenden Organisation, die sich ständig neu erfindet. Das Buch beschreibt, wie sich Technologie auf immer neue und herausfordernde Weise auf die Gesellschaft und unser aller Leben auswirkt, zu welch bemerkenswerten Innovationen die Zusammenarbeit von Kunst und Wissenschaft führen kann und wie Ars Electronica auf die Zukunft vorbereitet.

LightWing II / Uwe Rieger (DE/NZ), Yinan Liu (NZ), arc/sec Lab (NZ)
Im Auditorium des LENTOS Kunstmuseum Linz ist während der Ars Electronica auch die interaktive Installation „LightWing II“ zu sehen. Eine kinetische Konstruktion wird dabei mit stereoskopischen 3D-Projektionen und räumlichem Klang überlagert und entführt BesucherInnen in holographische Räume voller virtueller Ereignisse.

Photo:
Stahloper – Giorgio Battistelli / Credit: Sepp Schaffler / Printversion / Album

Photo:
Linzer Stahlsinfonie – Klaus Schulze / Credit: Peter Wurst / Printversion / Album