AR Hunter. The Seven Deadly Sins of Russia. / Art Group Yav, Photo: Art Group Yav

State of the Art(ist) – Research

Ars Electronica (AT), Austrian Ministry of Foreign Affairs (AT)

State of the Art(ist) wurde 2022 als ein gemeinsames Projekt von Ars Electronica und dem österreichischen Außenministerium ins Leben gerufen, das jedes Jahr einen inhaltlichen Schwerpunkt setzt.

2022 waren in Not geratene ukrainische Künstler*innen nicht nur Ausgangspunkt der Initiierung des gesamten Projektes, sie standen auch im absoluten Fokus des Open Calls. Dem Grundsatz folgend eine Initiative für Künstler*innen in Not aus der ganzen Welt zu sein, entschieden sich die Projektinitiator*innen für den inhaltlichen Schwerpunkt „What is Risk?“. Aus Respekt gegenüber den ukrainischen Teilnehmer*innen an State of Art(ist) Award sollten keine russischen Projekte neben einer ukrainischen Gewinnerin stehen. Was aber stets möglich sein sollte, ist die Möglichkeit sich inhaltlich mit systemkritischem, oppositionellem Kunstschaffen auch aus Russland oder Belarus auseinanderzusetzen. So entstand die Idee zu einer Recherche zum Thema „What is Risk?“ um die für Demokratie und Frieden eintretenden Künstler*innen aus den beiden genannten Ländern außerhalb des State of the Art(ist) Award als eigenes Unterfangen zu zeigen.

Die Recherche greift drei Themen auf: Eintreten für LGBTQ+ Rechte, Queer Life und Religion, kritische Street Art sowie Dokumentarfotografie zwischen Journalismus, Kunst und Aktivismus. In jedem dieser Bereich sind Aktivist*innen und Künstler*innen in Russland und Belarus akut gefährdet.

Queer Crucession, Alisa Verbina

Videoinstallation bestehend aus einem Dokumentarvideo (2018) und einem durch KI überarbeitetem Video (2023)

Im Zentrum der Arbeit steht eine reale Persönlichkeit, jene des St. Petersburger Priesters Alexanders, eines Geistlichen der in der LGTBQ+ Community St. Petersburgs und der Geistlichkeit Russlands eine unikale Stellung einnimmt.
In ihrer Arbeit spielt Alisa Verbina mit den Strategien moderner russischer Propaganda, bedient sich derer Argumentationsstrategien, dreht dabei aber die Argumentationsrichtung gleichsam um. Sie versucht damit das System mit seinen eigenen Waffen zu schlagen und bloßzustellen. Hierzu zwei Beispiele:

  1. widersprüchliche Gesetzgebung: In den meisten autoritären Regimen versteckt sich repressives Verhalten oft in bewusst gesetzter und widersprüchlicher Gesetzgebung. Artikel 6.21 des russischen Strafgesetzbuches verbietet jegliche Beörderung nicht-traditioneller Beziehungen. Die Künstlerin stellt diesem Paragraphen den ebenfalls unter Putin erlassenen Artikel 148 des russischen Strafgesetzbuches gegenüber, der das Verletzen der Gefühle von Gläubigen unter Strafe stellt. Ein Straftatbestand, der 2012 eingeführt wurde und die Grundlage für die Verurteilung der Punk Gruppe Pussy Riot bildete, die ein Gebet für ein Ende der Amtszeit des russischen Präsidenten abhielt. Am Beispiel des Wirkens des Priesters Alexanders wird die Widersprüchlichkeit der beiden genannten Artikel deutlich. Für den gläubigen Priester, der aus seiner religiösen Überzeugung heraus für den Schutz der LGTBQ+ Community eintritt, sollte jener Artikel 148 gelten der die Verletzung religiöser Gefühle unter Strafe stellt. Stattdessen wird er aufgrund desselben Anliegens nach Artikel 6.21 desselben Strafgesetzbuches verhaftet, was für die Künstlerin nichts anderes als die Illustration staatlicher Willkür im Bereich der Gesetzgebung ist.
  2. Geschichtlichkeit – Queer Crucession zieht eine geschichtliche Linie von der Christianisierung Russlands durch den Kiever Rus über den Bloody Sunday 1905, der ersten mit Waffengewalt niedergeschlagenen russischen Revolution der Arbeiterschaft gegen den zaristischen Staat, angeführt vom Priester Georgi Gapon hin zur Queer Crucession 2018 unter Beteiligung von LGTBQ+ Priester Alexander, die mit einer Auflösung und zahlreichen Verhaftungen, auch der des Priesters, endete.

In ihrem KI-gestützten Video verschmelzen Bilder der 2018 real stattgefundenen LGTBQ+ Demonstration mit artifiziell generierten Modifikationen vergangener Epochen.

Die sieben Todsünden Russlands, YAV Art Group, 2015 – 2021

Streetart, Graffiti, Application


The Bridge, YAV Art Group, 2022

Videodokumentation der gleichnamigen Performance

Since 2014, when Russia seized Crimea, YAV has created over 150 system-critical artistic works in public space, the majority of them in Russia. By its own account, YAV is oriented toward ideals of democracy, opposition to war, opposition, science and ecology. The artists‘ group continues to work in Russia despite massive, repeated attempts at intimidation, with the goal that their art in public space will make people think. In the face of persecution by police authorities, both artists had to realize their works outside Russia in virtual space.

The work The Seven Deadly Sins of Russia was created from 2015 to 2021. With the help of an app, viewers can decode images of Matryoshka dolls placed in public spaces and reveal the sins of the Russian state.

The second work of the artist duo is called Bridge and was created as a reaction to Russia’s war of aggression against Ukraine.
The short video documents an intervention on the Day of Unity of Russia, in which two brothers stand at opposite ends of a bridge before the bridge between them is set on fire and burns down.

A third part of the State of the Art(ist) research was published as an article in the September issue of the art magazine EIKON, coordinated with the dates of the Ars Electronica Festival.
It presents two photographers, Alyona Malkovskaya and Lesia Pcholka, whose documentary work has often exposed them to risks of arrest and repression, and yet they have continued. Alyona Malkovskaya’s photographs of everyday Russian political life can regularly be seen as footage for international reporting, while Lesia Pcholka works steadily on her visual archive of Belarusian history and contemporary events. Both create and preserve lasting images of what is happening in their countries and, moreover, are willing to take personal risks to do so.

Research & Text: Simon Mraz

  • AR Hunter. The Seven Deadly Sins of Russia.

    AR Hunter. The Seven Deadly Sins of Russia.

    Art Group Yav – Anastasya Vladychkina (RU), Alexander Voronin (RU)

    Bei dem Projekt handelt es sich um die Entwicklung der AR Hunter App, welche die Umgehung von Zensur ermöglicht und oppositionelle Street-Art zeigt. Die Werke stellen die Seven Deadly Sins of Russia in Form von Matrjoschkas dar und symbolisieren die Probleme der russischen Macht. Das Projekt fördert die kreative Freiheit und regt die Bürger zum…

  • Queer Crucession

    Queer Crucession

    Alisa Verbina (RU)

    Indem sie das Gefühl hervorruft, einem „völlig Anderen“ zu begegnen und diese numinose Erfahrung umarmt, dient Queer Crucession als kreatives Bestreben, Menschen mit verschiedenen Hintergründen und politischen Ansichten zu vereinen und sich direkt mit einem wichtigen Problem der modernen russischen Gesellschaft auseinanderzusetzen—dem Fehlen von Solidarität.