Temporary Stored / Joseph Kamaru (KE), Impressions / Press Tour POSTCITY / Prix & STARTS Exhibition Credit: tom mesic

Temporary Stored

Joseph Kamaru (KE)

Digital Musics & Sound Art

Honorary Mention

Seit jeher werden Archive von Institutionen und Museen gemäß einer westlichen Perspektive auf das Fremdartige gestaltet. Diese Darstellungsformen von materiellen oder immateriellen Artefakten problematisieren die Art und Weise, wie Wissen über oder Geschichte von Völkern vermittelt werden. Die meisten afrikanischen Traditionen werden mündlich gelehrt und überliefert, dann aber meist aus dem Kontext gerissen und in einer eurozentrischen Form wiedergegeben. Schriftliche Quellen gelten im Westen als ontologisch konkret und immun gegen individuelle Verzerrungen, während mündliche Quellen nebulös und subjektiv konstituiert erscheinen. (…)

Temporary Stored ist ein Rückführungsprojekt, das die Bedeutung von Tonarchiven in Museen hinterfragt. Anhand ausgewählter Klänge aus einem Archiv des Sound Archive of Royal Museum of Central Africa wird ein mediales Stück entwickelt, das die archivierten Klänge und das damit verbundene kulturelle Erbe der Länder in Ost- und Zentralafrika neu kontextualisiert. Das Stück konzentriert sich auf Erzählungen, die aus verschiedenen Klängen aus dem Archiv, aus Feldaufnahmen und Synthesizern bestehen, und rekonfiguriert das klangliche Denken durch aufgezeichnete Vergangenheiten und Zukünfte.

Jury Statement

Temporary Stored ist ein wichtiger Aufschrei und hat mit Klang das beste Medium gefunden. Der größte Diamant der Welt, der Große Stern von Afrika, wurde 1905 in Südafrika gestohlen. Er wurde erst kürzlich, im Mai 2023, bei der Krönung von König Charles III. im Zepter gefasst pompös zur Schau gestellt. Die Normalisierung von Bewunderung und der Nutzung gestohlener Artefakte aus ehemaligen Kolonien ist ein wiederkehrendes Problem in Europa. Temporary Stored ist jedoch kein Aufwärmen europäischer kolonialer Gewalt—dieses Stück verwendet Klang vielmehr zur Beschwörung von Gespenstern aus der oralen und kulturellen Geschichte Zentral- und Ostafrikas. Die eindringlichen Klänge erinnern an alte orientalistische Vorstellungen vom „Fremdartigen“ als dem Bösen, stehen aber gleichzeitig in krassem ironischem Kontrast zu Klängen als Manifestationen lebendiger Wissensquellen. Diese Skulptur ist kein Objekt für die europäischen Konsumentinnen. Sie ist eine zutiefst politische Ausgrabungsarbeit, die in diesem Fall von den rechtmäßigen Eigentümerinnen dieser Geschichte durchgeführt wird.

Auszug aus dem Jury Statement
Photo: Joseph Kamaru

Joseph Kamaru (KE)

Für den in Nairobi geborenen und in Berlin lebenden Klangkünstler Joseph Kamaru (KMRU) ist Klang ein sensorisches Medium, mittels dessen sich soziale, materielle und konzeptionelle Interpretationen in seinen Werken manifestieren. KMRU trägt einen Fundus an Hörerfahrungen aus Nairobi und darüber hinaus mit sich, erweitert seine klanglichen Praktiken und bringt durch kreative Kompositionen, Installationen und Performances ein Bewusstsein für die Umgebung mit. Durch Auftritte und Veröffentlichungen im Barbican, bei Berlin Atonal, Présences électronique und bei Editions Mego, Subtext und Seil Records hat er international Anerkennung gefunden. KMRU hat sich einen festen Platz auf der Liste der unverzichtbaren Autor*innen der experimentellen Ambient-Musik erobert und ist einer der produktivsten und innovativsten Künstler seines Faches.