Über das Eliminieren von Barrieren

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Es muss nicht immer teuer sein: AsTeRICS ist ein Open-Source-Bausatz für „assistierende Technologien“

Reden, schreiben, hören, lesen. Viele von uns Menschen können sich glücklich schätzen, auf keine dieser selbstverständlichen Kommunikationsarten verzichten oder sich auf Einschränkungen einstellen zu müssen. Schätzungen der UNO zufolge leben derzeit etwa 15 Prozent der Weltbevölkerung, also etwa eine Milliarde Menschen, mit einer Behinderung. Ob schon seit der Geburt, durch Krankheiten oder durch folgenschwere Ereignisse – oft ist dabei auch der kommunikative Austausch mit anderen Menschen in unterschiedlichen Graden beeinträchtigt. Technische Hilfsmittel bzw. „assistierende Technologien“ sollen Menschen mit Behinderung vor allem dabei helfen, die Anknüpfung an die digitale Gesellschaft nicht zu verlieren und ihre Einschränkung damit in gewissen Bereichen zu kompensieren. Selbstständigkeit, Teilhabe an der Gesellschaft, der Kontakt mit anderen Menschen – es sind Wünsche, die sich dank Technologien zumindest teilweise erfüllen lassen.

Gerhard Nussbaum vom Linzer Kompetenznetzwerk Informationstechnologie zur Förderung der Integration von Menschen mit Behinderungen (KI-I) gibt im Interview einen ersten Überblick über „assistierende Technologien“. Zu den „Science Days: Anatomie für alle“ im Ars Electronica Center Linz, am SA 28.6. und SO 29.6.2014, wird er neben anderen ExpertInnen aus dem medizinischen Bereich einen Vortrag zu diesem Thema halten und über ein mundgesteuertes Interface einen Quadrocopter fliegen lassen.

Welche Eingabe- und Ausgabegeräte kommen im Jahr 2014 vor allem zum Einsatz?

Gerhard Nussbaum: Bei den grundlegenden Techniken der Ein- und Ausgabegeräte hat sich in letzter Zeit nicht sehr viel getan. Menschen mit Körperbehinderungen setzen vor allem alternative Zeigegeräte und Tastaturen ein. Bei den Zeigegeräten spannt sich der Bogen von speziellen Joysticks und Trackballs über die Saug-Blas-Maus bis hin zu Head- und Eyetrackern und bei den Tastaturen von Spezialtastaturen in jeglicher Größe über virtuelle Tastaturen bis hin zum Brain-Computer-Interface. Menschen mit Sehbehinderungen setzen Techniken von Vergrößerungssoftware über Brailledisplays bis hin zur Sprachausgabe ein.

Auch das ist möglich: Einen Quadrocopter über eine mundgesteuerte Prothese steuern.

Wo liegen die wesentlichen Grenzen dieser Technologien?

Gerhard Nussbaum: Zwischenzeitig könnten eigentlich fast alle Menschen mit Behinderungen mit Technologien versorgt werden, die ihnen die Bedienung eines Computers ermöglichen. Allerdings sind zudem viele BenutzerInnen auch auf barrierefreie Software und barrierefreies Web angewiesen. Gegen Barrieren dieser Art sind „assistierende Technologien“ unter Umständen machtlos.

Wie sieht es eigentlich mit der Finanzierung solcher assistierenden Technologien aus? Gibt es dafür finanzielle Unterstützung in Österreich?

Gerhard Nussbaum: Ja und nein. Es gibt keinen gesetzlichen Anspruch. Werden jedoch assistierende Technologien für Arbeit und Ausbildung benötigt, so werden diese in der Regel durch das Bundessozialamt finanziert. Manche Bundesländer geben auch Zuschüsse für Hilfsmittel, die man zuhause benötigt. Im Vergleich zu anderen Ländern hinkt hier Österreich hinterher.

Das Brain Computer Interface ist Teil der Ausstellung „Neue Bilder vom Menschen“ im Ars Electronica Center.

Das Brain-Computer-Interface im Ars Electronica Center ist ein Versuch, Kommunikationsbefehle des Gehirns direkt über ein EEG entgegenzunehmen. Welche Entwicklungen zeichnen sich derzeit auf dem Gebiet der assistierenden Technologien ab?

Gerhard Nussbaum: Brain-Computer-Interfaces kommen ja ursprünglich auch aus dieser Ecke. Es sollte Menschen mit Locked-In-Syndrom ermöglicht werden, die bei vollem Bewusstsein im eigenen Körper gefangen sind, mit Hilfe des Computers zu kommunizieren. Eine Möglichkeit, die die ForscherInnen gefunden haben, sind derartige Interfaces. Zwischenzeitig gibt es auch schon erste kommerzielle Systeme am Markt, die Menschen mit Behinderungen einsetzen können. Es handelt sich hier vor allem um sogenannte Speller – eine Art virtuelle Tastatur – die zur Texteingabe verwendet werden. In der Forschung und Entwicklung werden aber auch andere Möglichkeiten der Interaktion mit dem Computer mit Hilfe von Brain-Computer-Interfaces untersucht, z.B. Steuerung des Mauszeigers.

Das Projekt „BlindMaps“ wurde vor kurzem mit einer Goldenen Nica des Prix Ars Electronica 2014 ausgezeichnet – das Interface ermöglicht es sehbehinderten Menschen, sich in Städten besser zurechtzufinden. Welche Interfaces würden Sie sich noch wünschen?

Gerhard Nussbaum: Es wäre toll, wenn sämtliche Software und sämtliche Webseiten inklusive Services barrierefrei wären. Alleine das würde für viele Menschen neue Welten öffnen. Nicht zu vergessen sind natürlich auch die gesamte Consumer-Electronic (TV, Player, Stereoanlagen, Handys etc.) und Automaten (Ticketautomaten, Bankomaten, etc.). Es werden hier immer neuere, noch coolere Benutzerschnittstellen entwickelt, die auch benutzerfreundlicher sein sollen. Auf deren Barrierefreiheit wird jedoch kaum Wert gelegt. Menschen mit Behinderungen haben es teilweise schon schwer, dass sie derartige Geräte finden, die sie bedienen können. Es wäre sehr wünschenswert, wenn diese existierenden und auch die zukünftigen Interfaces barrierefrei gestaltet würden.

Das Interface „Blindmaps“ von Markus Schmeiduch, Andrew Spitz und Ruben van der Vleuten wurde 2014 mit einer Goldenen Nica in der Kategorie “ [the next idea] voestalpine Art and Technology Grant“ ausgezeichnet.

Können Sie uns ein paar weiterführende Links zum Thema empfehlen?

Gerhard Nussbaum: Wenn es um Technische Hilfsmittel geht, sind große Hilfsmitteldatenbanken ein erster Ansatz. Hier ist auf jeden Fall die deutsche Rehadat (www.rehadat.de) eine gute Quelle. In der Forschung und Entwicklung tut sich ja auch einiges. Hier gibt es auch zwei sehr große europäische Konferenzen zu diesem Thema. Dies sind die ICCHP, die International Conference on Computers Helping People with Special Needs (www.icchp.org), und die Konferenz der AAATE, der Association for the Advancement of Assistive Technology in Europe  (www.aaate.net). Beim IKTForum (www.iktforum.at) in Linz am 1. und 2. Juli 2014 gibt es außerdem viele interessante Vorträge zu diesem Thema.

DI Gerhard Nussbaum ist stellvertretender Geschäftsführer und Technischer Leiter beim Kompetenznetzwerk Informationstechnologie zur Förderung der Integration von Menschen mit Behinderungen (KI-I). Er hat an der Johannes Kepler Universität in Linz Informatik studiert und 2003 mit Auszeichnung abgeschlossen. Er hat Vorträge bei verschiedensten nationalen und internationalen Konferenzen (z.B. ICCHP, ICOST, uDay, Mensch und Computer) gehalten und in mehr als 15 Projekten mit Partnern aus dem öffentlichen Bereich, direkt mit Wirtschaftspartnern, in nationalen und europäischen Forschungsprojekten in den Bereichen Technologien für Menschen mit Behinderungen, Accessibility und Usability moderner IT sowie e-Government mitgewirkt. Seine derzeitigen Forschungsgebiete behandeln vor allem Informations- und Kommunikationstechnologien, die die Integration von Menschen mit Behinderungen ermöglichen bzw. erleichtern. Dazu gehören unter anderem assistierende Technologien und IKT für Menschen mit Behinderungen, Accessibility und Usability aktueller IT und dem Internet, eAccessibility und Design for All. Seine Spezialgebiete sind Intelligentes Wohnen und Umgebungssteuerungen sowie Web- und Software-Accessibility.

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