POSTCITY, Pre-Festival: Ein Rundgang durch unsere Festival-Location

Post City Ars Electronica Festival 2016 Tour
Tour PostCity-9,

Die POSTCITY, also das ehemalige Post- und Paketverteilzentrum direkt neben dem Linzer Hauptbahnhof, wurde 2014 stillgelegt – das sind 80.000 Quadratmeter, die seitdem mitten in der Stadt meist unbenutzt ihr Dasein fristen und auf den Abriss warten. Dieser ist jetzt endgültig beschlossen und das Schicksal der riesigen Hallen damit besiegelt: nichts wird stehen bleiben, alles muss gehen.

Bevor das passiert, wird die POSTCITY aber noch einmal zum Veranstaltungsort der Extraklasse. Bereits zum zweiten Mal in Folge wird das Ars Electronica Festival die großen Industrieräume als Location nutzen und die leeren Flächen mit Kunst und Technologie füllen. Das Festival findet von 8. bis 12. September 2016 unter dem Motto „RADICAL ATOMS – and the alchemists of our time“ statt. Martin Honzik, der Leiter des Ars Electronica Festivals, hat sich etwas Zeit genommen und uns durch die noch leeren Räumlichkeiten geführt – wie die POSTCITY jetzt gerade aussieht, was sich für das Festival ändern wird und welche die Besonderheiten der Hallen sind, erklärt er hier.

Post City Ars Electronica Festival 2016 Tour

Martin Honzik erklärt den Plan der POSTCITY. Mit kleinen Notizen sind schon die Standorte der verschiedenen Projekte vermerkt. Credit: Vanessa Graf

Noch bevor wir die erste Halle betreten, bleiben wir vor einem Tisch stehen. Darauf: ein Mini-Modell der gesamten POSTCITY. Was hat es mit dem Architektur-Modell auf sich?

Martin Honzik: Das Architektur-Modell wurde von Julius Jell und Felix Ganzer, unseren diesjährigen Architekten, entworfen. Es ist eine gute Grundlage, damit können wir eigentlich alle Ideen, die hier für das Festival entstehen, auf ihre praktische Umsetzbarkeit überprüfen. Das Modell wird später noch viel ausschlaggebender werden, wenn es tatsächlich in die Detail-Planungsphase geht. Ich habe bei solchen Projekten den Anspruch, mit einer anständigen Planungsgrundlage zu arbeiten – die Investition in dieses Modell ist es also hundertprozentig wert. Es ist ein manifestiertes, materialisiertes, gemeinsames Bild, das ist ganz wichtig bei den vielen Projektmanagern und Vorstellern, die es beim Festival gibt.

Post City Ars Electronica Festival Tour

Credit: Vanessa Graf

Gleich nebenan stehen rote Gerüste, wie man sie eigentlich von Baustellen kennt. Welche Rolle werden die Gerüste beim Festival spielen?

Martin Honzik: Das Baugerüst ist eines der tragenden Elemente, die den Raum architektonisch prägen werden. Es ist ein völlig normales, funktionales Gerüst von der Firma Ringer aus Oberösterreich. Die Firma wird über 600 dieser Elemente zur Verfügung stellen. Sie werden multifunktional eingesetzt: nicht nur als gestalterisches, architektonisches Mittel, sondern auch als Bänke, Vitrinen, Interview-Plattformen, Front- und Backoffice-Elemente und architektonische Rauminterventionen, bei denen wir mit diesen Elementen den Raum sozusagen brechen werden. Wir werden der POSTCITY eine temporäre Prägung mit unserem Festival geben – genau wie bei Baugerüsten. Es ist perfekt als materielle Metapher: wenn man ein Haus oder ein Objekt renovieren möchte, dann verpackt man es zuerst in dieses Gerüst. Es ist etwas Temporäres, es kommt und es geht auch wieder. Es ist ein Zeichen für Veränderung.

Nach dem Festival werden diese Gerüste wieder an die Firma geliefert und im Bau eingesetzt. Bei einem Festival in dieser Dimension läuft man schnell in Gefahr, dass man massiv Mittel verbrennt und Müll anhäuft. Das bedeutet, dass man sich überlegen muss, wie man es bewerkstelligen kann, dass man einen Raum verdichtet und füllt und gleichzeitig in einem Materialmix über die Bühne gehen lässt, der keinen Mist macht. Das ist fast analog zu Ameisen – Ameisen sind die größte Spezies auf der Welt, jeder Abfall, den sie machen, macht die Welt nur reicher. Das haben wir Menschen noch nicht geschafft.

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Credit: Vanessa Graf

Wir stehen jetzt in der großen Konferenzhalle – was wird hier passieren?

Martin Honzik: Es werden von den Stadtgärten Linz über 60.000 Blumen und Gräser angebaut, die diesen Raum dann atmosphärisch gestalten werden, neben den Konferenzen. Man muss sich daran erinnern, dass die POSTCITY früher ein Ort war, der mehr einer Maschine glich. Er war nicht für Menschen geschaffen, sondern nur für Schwerverkehr. Die Menschen hier waren fast nur Diener, oder Bediener einer Maschine. Man muss architektonisch diesen Wurf schaffen, dass man beim Betreten der Halle schon nicht mehr an den giftigen Qualm und Ruß erinnert wird, sondern süße Gerüche wahrnimmt. Man betritt den Raum, der Körper sagt: Industrie. Doch plötzlich duftet es, es duftet nach Brot von unserem Biomarkt, es duftet nach vier verschiedenen Blumensorten, die alle blühen. Man geht etwas weiter und sieht über 200 Bäume – wir werden eine Installation hier beherbergen, die einen exemplarischen Waldboden einrichtet. Was das Auge im Gehirn an Fragen und an potentiellen Antworten hervorruft, wird vollkommen umgedreht. Die Antworten sind: Diese Maschine riecht wie frischgebackenes Brot oder wie eine Blume. Die Atmosphäre hier hat eine Luftfeuchtigkeit als wäre man im Wald, ebenso die Luftqualität. All das zieht sich durch die Ausstellungen – wir werden auch Trinkbrunnen hier haben, Wasserquellen, einen Biomarkt. Wir sind ein Green Event, wir benutzen nur Dinge aus der Region. Mittlerweile hat sich das zu einer Kultur der Umsetzung bei uns entwickelt, zu einer Regel. Du musst dir am Morgen im Spiegel immer noch in die Augen sehen können – ist das, was wir sagen, auch wirklich umsetzbar, oder nur reine Marketing-Floskel? Das mir persönlich einfach wichtig.

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Credit: Vanessa Graf

Auch letztes Jahr fanden hier Konferenzen statt, doch das Rahmenprogramm war anders. Wie kommt es, dass dieses Jahr hier Blumen wachsen werden?

Martin Honzik: Neben der Konferenz stellten wir letztes Jahr hier 750 Architekturmodelle aus oberösterreichischen Bauprojekten aus. Am Tag nach dem Festival, nachdem wir beim Festival prophezeit hatten, dass außerhalb der europäischen Grenzen viele Menschen darauf warten, dass sie die Festung Europa, die Wände der Festung Europa, die Außenmauern, überwinden und erklimmen und nach Europa gehen, um ihren Frieden zu suchen, nachdem wir angekündigt hatten, dass es in Syrien an der Grenze zu Jordanien Flüchtlingslager gibt, die die Dimensionen von Städten haben – nach alldem waren die Leute am Ende des Festivals dann auf einmal direkt da. Das war einer der intensivsten Reality-Checks meines gesamten Lebens, auch von meinem Team. Wir hatten dann die Aufgabe, dass wir in dieser Notsituation ankommende Flüchtlinge aus Ungarn, wo sie ganz schlecht behandelt wurden, beherbergen mussten. Neben dem Westbahnhof in Wien war dieser Ort der zweitgrößte Hub in Österreich. Innerhalb weniger Stunden mussten wir die 750 Architekturmodelle abbauen und fast exakt 750 Notbetten aufstellen. Am Tag darauf wurden diese Notbetten dann von Flüchtlingen belegt. Das war als jemand, der Kunst und sozusagen Künstlichkeit ausstellt, dann schon eine extreme Ãœberprüfung davon, was man eigentlich die ganze Zeit beim Festival sagt – ob man das auch danach in der eigenen Intuition lebt, ob man wirklich willens ist, zu helfen, ob man trotz aller Müdigkeit sagt, es ist meine Pflicht als Mensch, zu helfen. Es war damals wirklich riesengroß und stark, dass ich niemandem aus meinem Team sagen musste, was jetzt passiert. Jeder hat vollkommen autonom gedacht und gehandelt, nur von dem Hintergrund her, Mensch zu sein. Wir bekamen auch vom Roten Kreuz eine Gratulation. Ich bin heute noch immer sehr stolz auf die Leistung und auf mein Team, darauf, dass wir, alle, die hier gearbeitet haben, uns nicht von den ganzen Medien beeinflussen ließen. Wir hatten keine Angst. Wir trafen die Menschen hier direkt vor Ort und menschlich hat sich bei uns niemand die Blöße gegeben.

Dieses Jahr werden wir wieder dasselbe Setting haben, wieder die Konferenz, aber mit dem Unterschied, dass es circa 36.000 Flüchtlinge sind, die bisher in diesem Haus im Transit Zeit verbracht haben. Wir werden diesen ungefähr 36.000 Menschen noch einmal die Ehre geben, indem wir hier auch 36.000 Blumen hier aufstellen und damit symbolisch die unmittelbare Vergangenheit dieses Ortes aufleben lassen.

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Martin Honzik zeit ein Bild der Notbetten, die noch vor einem Jahr in der Halle standen. Credit: Vanessa Graf

Ein ganz besonders auffälliges Merkmal der POSTCITY sind die blauen Paketrutschen. Wie werden diese für das Festival genutzt?

Martin Honzik: Bei den Paketrutschen versuchen wir, was die Bespielung betrifft, dieses Jahr einen anderen Zugang zu finden als letztes Jahr. Letztes Jahr hat die Diaspora Maschine von Anatol Bogendorfer und Peter Androsch gespielt. Dieses Jahr wird das FM Einheit übernehmen, ehemaliges Mitglied der Einstürzenden Neubauten. Das wird eine ziemlich intensive Erfahrung für die Zuseher werden. Er war bei den Einstürzenden Neubauten dafür bekannt, dass er perkussiv auf schweres Gerät losgegangen ist – es wird also auf jeden Fall sehr laut werden.

Es ist sehr schön, dass man die Spuren der BenutzerInnen an den Paketrutschen noch immer sieht. Einerseits haben hier natürlich Menschen gearbeitet, die sich ihren Arbeitsplatz gestaltet haben, zum Beispiel mit Stickern. Das sind lauter Dinge, mit denen wir spielen, die wir dankbar annehmen, weil sie ja alle gemeinsam eine Geschichte von diesem Ort erzählen. Dann gibt es noch Spuren von uns, vom letzten Jahr – es hat in der Zwischenzeit zum Beispiel niemand die Partituren für die Schlagwerker abgehängt. Dann gibt es noch diese kleinen Zeichen, die die Flüchtlinge an Wänden und an diversen Orten hinterlassen haben. Und jetzt kommen wieder wir. Wir werden natürlich auch nicht aufräumen, sondern wir nehmen das einfach an und spielen mit der Geschichte dieses Ortes. Die Rutschen sind eine Sensation, fast wie eine Orgel.

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Credit: Vanessa Graf

Die Gleishalle heißt so, weil hier tatsächlich Zuggleise in das Gebäude führen. Für das Festival wurde sie letztes Jahr als Konzerthalle genutzt, auch dieses Jahr wird sie wieder mit Musik gefüllt. Wo liegen die Herausforderungen in dieser Halle?

Martin Honzik: Die Gleishalle hat circa 250 Meter Länge, ein Echo von circa sechs Sekunden – im musikalischen Sinne ein höchst komplexer und komplizierter Ort, aber ein Ort, der, hat man die richtige Künstler- und Künstlerinnenschaft bei der Hand, einer ist, wo man Raum und Klang in ein experimentelles Umfeld und in einen experimentellen Zusammenhang bringen kann, um am Ende des Tages die eigene Verortung im Raum besser verstehen zu können. Das wird durch mehrere Beispiele auch gezeigt, zum Beispiel durch Sam Auinger, der hier unten Konzerte durchführen wird, die diesem Klang- und Raumphänomen in diesem speziellen Fall hier verschiedene Perspektiven geben werden. Es wird eine Konzertreihe sein, die sich über das gesamte Festival ziehen wird. Diese Halle wird auch ein zentraler Ort für das Opening sein. Es wird hier von klassischer Musik bis zu Noise Art verschiedenste Zugänge geben, mit dem Raum zu spielen. Auch die Nightline wird hier passieren, sowie auch das Bruckner-Orchester spielen wird.

Der Raum ist riesengroß, wir sind direkt in der Maschine, das heißt, es ist ein dreidimensionaler Freiraum, es gibt jetzt nicht wirklich eine grundsätzliche Aufteilung in Publikum und Performer. Es wird zum Beispiel Aufführungen geben, die im Publikum partizipativ und irritativ arbeiten. Das Bruckner-Orchester braucht dafür natürlich für 100 bis 120 MusikerInnen einen eigenen Raum. Es wird auch Projektionen geben zwischen den Säulen. Zwischendurch wird man natürlich auch die Tonleiter der Taurus-Lok hören, die ÖBB wird ihren Betriebsverkehr nicht wegen der Ars Electronica schließen. Das heißt, dass es zu sehr spannenden Überlagerungen zwischen den Alltagsgeräuschen, die hier natürlich durch den Bahnhof geprägt sind, und dem inszenierten Sound kommen wird.

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Credit: Vanessa Graf

Ganz tief unter der POSTCITY befindet sich ein geräumiger Atombunker. Was hat es mit dem unterirdischen Räumen auf sich?

Martin Honzik: In den 1980ern und 1990ern gab es, wenn man Gebäude ab einer gewissen Größe gebaut hat, die Auflage, dass man im Fall eines nuklearen Angriffes oder Unfalls gewisse Bunkerkapazitäten haben muss. Ausgerichtet ist der Bunker auf 3000 Menschen. Er wurde glücklicherweise nie verwendet und wird auch mit dem Rest des Gebäudes abgerissen werden. Wir werden die Gänge und Räume dafür nutzen, Kunst auszustellen. Einige Teile werden wir völlig im Dunkeln lassen, dazwischen werden wir Arbeiten ausstellen. Natürlich gibt es auch InfotrainerInnen. Dieser Raum wird sehr kuratorisch komponiert bespielt werden, zum Beispiel planen wir, einen Tisch auszustellen, auf dem eine Rauchwolke wie magisch schwebt, fast wie ein Irrlicht in einem Moor.

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Credit: Vanessa Graf

Manche Türen sind leider verschlossen, doch dahinter liegen noch einige Schätze vergraben. Welche besonderen Räume gibt es noch in der POSTCITY?

Martin Honzik: Es gibt hier unten noch einen ganz geheimnisvollen Ort – den Paketspeicher. Das ist ein fast Fußballfeld-großer Raum, eine Halle, die völlig angefüllt ist mit Förderbändern. Es ist ein System, das nicht von Menschen betrieben, sondern nur bedient wurde. Das Gebäude hatte den Zweck, dass Pakete auf der einen Seite hinein kommen und dann so verteilt werden, dass sie letztlich bei den Menschen zuhause ankommen, aber es gab natürlich auch Fälle, in denen Pakete unzustellbar waren. Dafür existierte dieser unterirdische Raum, zwei Stockwerke unter dem Leben, das die Menschen führen, wo Tag und Nacht, im Schichtbetrieb, die Förderbänder mit den Unzustellbaren liefen. Pakete, die darauf warteten, dass sie einen Impuls vom System bekamen, um wieder nach oben zu kommen und zugestellt zu werden. In meiner Fantasie hat sich hier eine ganz eigene Welt entwickelt – es gibt hier Pakete, die nur, weil sie der Spezies Pakete angehören, in ein System gesteckt werden, in dem sie permanent in Bewegung sind und auf die Zustellung warten, obwohl der Ort der Zustellung selbst eigentlich immer noch nicht bekannt ist. Das ist für mich, in meiner Vorstellung von Romantik und Poesie, genau das: ein unglaublich poetischer Moment, der völlig in einer Parallelwelt passiert, wo es keine Menschen gibt.

Das Medienkunstfestival der Ars Electronica wird von 8. bis 12. September in verschiedenen Orten in Linz unter dem Thema „RADICAL ATOMS and the alchemists of our time“ stattfinden. Hauptveranstaltungsort ist auch dieses Jahr wieder die POSTCITY neben dem Hauptbahnhof Linz. Um mehr über das Festival zu erfahren, folgen Sie uns auf FacebookTwitterInstagram und Co., abonnieren Sie unseren Newsletter und informieren Sie sich auf ars.electronica.art/radicalatoms . 

Martin Honzik Festival Leiter Ars Electronica

Martin Honzik ist Künstler und Leiter des Bereichs Festival/Prix/Exhibitions bei Ars Electronica. Er absolvierte das Studium für visuelle, experimentelle Gestaltung an der Kunstuniversität Linz (Abschluss 2001) wie auch den Master Lehrgang für Kultur- und Medienmanagement der Johannes Kepler Universität Linz und ICCM Salzburg (Abschluss 2003). Von 1998 bis 2001 war er Teil des Produktionsteams im OK Offenes Kulturhaus im OÖ Kulturquartier und wechselte 2001 zum Ars Electronica Future Lab, wo er bis 2005 in den Bereichen Ausstellungsdesign, Kunst am Bau, Interfacedesign, Eventdesign und Projektmanagement tätig war. Seit 2006 ist Martin Honzik Leiter des Ars Electronica Festivals, des Prix Ars Electronica wie auch der Ars Electronica Center Ausstellungen und der internationalen Ausstellungsprojekte der Ars Electronica.

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