Gehirn für Alle: Mit Gedankenkraft durchs Internet

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Seit mittlerweile sieben Jahren finden im Ars Electronica Center regelmäßige Vorträge rund um die Gehirnforschung statt. Als Gastvortragende der Reihe „Gehirn für Alle“ erklärte dieses Mal Ass. Prof. Dr. Selina Wriessnegger von der TU Graz, was es eigentlich mit Brain Computer Interfaces (BCIs) auf sich hat – und wie man damit im Internet surft.

Wir haben uns mit der Wissenschaftlerin zum Interview getroffen und mehr erfahren.

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Ass. Prof. Dr. Selina Wriessnegger vor dem Ars Electronica Center. Credit: Vanessa Graf

Ganz grundsätzlich, was ist eigentlich ein Brain Computer Interface?

Selina Wriessnegger: Ein Brain Computer Interface ist eine Schnittstelle zwischen Gehirn und Computer. Wir verwenden dazu Elektroenzephalografie, EEG, damit messen wir die Gehirnsignale des Menschen. Das ist die Schnittstelle Gehirn. Anschließend werden diese Gehirnsignale vom Computer analysiert und verstanden. Der Computer lernt, dass gewisse Gehirnsignale gewisse Bewegungen oder gewisse Kognitionen bedeuten. Daraus generiert er ein Steuersignal. Es sind gewisse Algorithmen, die dieses Kontrollsignal für etwa die Steuerung eines Rollstuhls oder einer Neuroprothese generieren. BCI liegt also im Bereich des Gehirns, der Hirnstrommessung und der Signalverarbeitung.

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BCI-Programmieren am Ars Electronica Festival 2017. Credit: Tom Mesic

Ganz plakativ gesagt: Man steuert etwas mit Gedanken.

Selina Wriessnegger: Man steuert mit Gedanken, aber es ist nicht so, als ob die Gedanken gelesen würden. Das heißt, wenn ich konkret zum Beispiel an eine Katze denke, kann das nicht vom Brain Computer Interface gelesen werden. Wenn man aber an eine rechte oder eine linke Handbewegung denkt, also an eine motorische Bewegung, dann kann der Computer das sehr wohl interpretieren. Es gibt ein spezielles Muster im Gehirn, das vom System erkannt und weiterverarbeitet wird.

Das heißt, motorische Funktionen sind leichter zu lesen als abstrakte Konzepte…

Selina Wriessnegger: Es ist einfach momentan nicht möglich, abstrakte Konzepte mittels EEG so sichtbar zu machen. Es gibt Studien mit anderen bildgebenden Verfahren, mit fMRI zum Beispiel, mit denen man schon wirklich Buchstaben erkennt. Mit den entsprechenden Geräten kann man also feststellen, ob eine Person an ein A, ein B oder an ein C denkt. Mit EEG ist das nicht möglich.

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Credit: Vanessa Graf

Welche Einsatzgebiete gibt es für BCIs?

Selina Wriessnegger: In erster Linie wurden sie für Patienten und Patientinnen entwickelt, zur Steuerung von Neuroprothesen zum Beispiel, oder auch für Locked-In Patienten und Patientinnen. Das sind zum Beispiel Personen, die an ALS, also an amyotropher Lateralsklerose, leiden – eine Erkrankung, bei der alle Motorneuronen aufhören, zu funktionieren. Es kommt zuerst zu einer Degeneration, die Muskeln können immer weniger bewegt werden, bis hin zum Endstadium, wo die Leute dann in einem Locked-In-State sind. Das heißt, sie sind kognitiv ganz präsent, aber können sich nicht mitteilen. Hierfür ist ein Brain Computer Interface optimal, weil die Patienten und Patientinnen dadurch gewisse Antworten geben können. Zum Beispiel ist das dann so kodiert, dass, wenn an eine rechte Handbewegung gedacht wird, der Computer „Ja“ anzeigt, oder umgekehrt. Das ist die einfachste Option, aber auch komplexere Kommunikation ist möglich.

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Credit: Florian Voggeneder

Über den medizinischen Bereich heraus ist die Technologie mittlerweile auch schon in anderen Feldern angekommen…

Selina Wriessnegger: Es gibt auch Anwendungen für Gesunde. Die Spieleindustrie hat die Technologie schon aufgegriffen – man hat einen zusätzlichen Sinn, wenn man so will, neben den Händen und Füßen. Oder man steuert einen Avatar im Computerspiel nur durch Gedanken. Der Titel meines Vortrags, „Per Gedankenkraft durchs Internet“, weist schon auf eine weitere Anwendung hin – über ein BCI im Internet zu surfen. Patienten und Patientinnen, deren Augenmuskulatur noch intakt ist, können ein spezielles BCI verwenden, bei dem erkannt wird, auf welche speziellen Icons man sieht. Für das Fokussieren hat man wieder eine spezielle Komponente im EEG, diese Information wird als Steuersignal verwendet. Hier steckt viel Technik dahinter. Man muss die Webseite zusätzlich mit kleinen Icons versehen und noch vieles mehr.

Wir haben auch ein anderes System entwickelt, mit dem man per Gedankenkraft komponieren kann. Die Personen schauen auf eine Matrix, auf der statt Buchstaben Noten stehen, und können so ein Musikstück aufs Papier bringen. Das wäre in letzter Folge auch wieder eine Anwendung für Patienten und Patientinnen, aber wir testen es zuerst an Gesunden.

Es gibt auch ganz neue Forschungsansätze, die das BCI mit Augmented Reality verbinden. So lernt man zum Beispiel mit einem Avatar und einem BCI eine Fremdsprache. Während des Lernprozesses werden die Gehirnströme aufgezeichnet. Sobald man zum Beispiel müde wird, hat man ein spezielles Signal im Gehirn, der Avatar bemerkt es und adaptiert dementsprechend –er wiederholt das Letztgesagte noch einmal oder bietet eine Pause an.

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Credit: Florian Voggeneder

Sie forschen an der TU Graz zu BCIs. Was genau sind Ihre Forschungsgebiete?

Selina Wriessnegger: Ich bin grundsätzlich in der Grundlagenforschung tätig. Bei mir geht es nicht so sehr um die Verbesserung der Algorithmen oder neue Schnittstellen, sondern mehr um die Gehirnsignale selbst. Wie kann man sie optimieren? Welche Aufgaben soll man den Testpersonen geben, damit man gute Muster zur Klassifizierung für Folgesteuersignale findet? Was passiert im Motorcortex genau, wenn man an eine Bewegung denkt? Oder – soll man die Bewegungsvorstellung komplexer machen? Wie sieht es aus mit dem Versuch, eine Bewegung durchzuführen, also „Attempted Movements“? Was kann man machen, dass die Performance der Patienten und Patientinnen besser wird? Wie kann man die Trainingsbedingungen verbessern?

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Selina Christin Wriessnegger ist Assistenzprofessorin am Institut für Neurotechnologie (BCI-Lab) an der TU Graz. Von 2001 bis 2005 war sie Doktorandin am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften und promovierte an der Ludwig-Maximilians-Universität. Während dieser Zeit verbrachte sie ein Jahr in Rom als Forschungsassistentin am IRCCS (Fondazione Santa Lucia) im Labor für Psychophysiologie. Von 2005 bis 2008 war sie Universitätsassistentin an der Karl-Franzens-Universität in Graz, Sektion Neuropsychologie. Von 2009 bis Mai 2016 war sie leitende Wissenschaftlerin am Institut für Neurotechnologie (BCI-Lab). 2017 war sie Gastdozentin an der SISSA (Scuola Internazionale Superiore die Studi Avanzati) in Triest. Ihre Forschungsinteressen liegen im Bereich der unterbewussten visuellen Informationsverarbeitung, neuralen Korrelaten von Bewegungsvorstellungen, neuen Anwendungen von BCIs für Gesunde, passive BCIs und die Verkörperung vom Erwerb von sprachlichen Fähigkeiten.

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