Kunst im Quantenzeitalter

Sensing Quantum /LAS Art Foundation; photo: Andrea Rossetti © VG Bild-Kunst, Bonn 2025

Das Projekt Sensing Quantum der LAS Art Foundation schafft durch immersive Erlebnisse und interdisziplinäre Zusammenarbeit neue Zugänge zur Quantentechnologie und wurde für diesen wegweisenden Ansatz mit dem S+T+ARTS Grand Prize – Innovative Collaboration ausgezeichnet. 

S+T+ARTS (Science + Technology + Arts) ist eine Initiative der Europäischen Kommission, die die Zusammenarbeit zwischen Technologie und künstlerischer Praxis fördert, um Innovationen voranzutreiben und gesellschaftliche, ökologische sowie wirtschaftliche Herausforderungen anzugehen. Im Rahmen der Initiative wird ein renommierter Preis mit einer Prämie von 40.000 Euro verliehen, der Projekte auszeichnet, die an der Schnittstelle von Wissenschaft, Technologie und Kunst bedeutende Impulse für wirtschaftliche und soziale Innovationen setzen. In diesem Jahr erhält das Projekt „Sensing Quantum“ der LAS Foundation den Grand Prize – Innovative Collaboration. 

Quantentechnologien verändern unsere Welt – doch ihr komplexer Charakter macht sie für viele unzugänglich und schwer greifbar

Das „Sensing Quantum“ Projekt der LAS Art Foundation bringt Künstler*innen, Wissenschaftler*innen und die Öffentlichkeit zusammen, um neue Zugänge zu diesen innovativen Technologien zu schaffen. Durch interdisziplinäre Zusammenarbeit und multisensorische Erlebnisse eröffnet das Programm einen Raum für kritische Auseinandersetzung, kreative Innovation und einen inklusiven Dialog über die ethischen, sozialen und politischen Dimensionen der Quantenforschung. Um ein tieferes Verständnis für das Projekt zu gewinnen, haben wir uns ausführlich mit Carly Whitefield, der leitenden Kuratorin der LAS Art Foundation, unterhalten.

Das Projekt Sensing Quantum hat sich zum Ziel gesetzt, Unsichtbares sichtbar und Komplexes greifbar zu machen. Wie geht ihr künstlerisch vor, um Konzepte aus der Quantenphysik in eine greifbare Form zu übersetzen?  

Carly Whitefield: Das Programm Sensing Quantum der LAS Art Foundation bringt Künstler*innen, Wissenschaftler*innen und Denker*innen zusammen, um kritische und künstlerische Ausdrucksformen im Kontext des sich entwickelnden Feldes der Quantentechnologien zu erforschen. Unser Ziel ist es, Künstler*innen frühzeitig die Möglichkeit zu geben, sich mit diesen Technologien auseinanderzusetzen – und die Öffentlichkeit durch die Gestaltung ihrer Begegnungen mit den entstehenden Kunstwerken aktiv in den Dialog einzubinden. 

Bei der Konzeption der Werke haben wir berücksichtigt, dass Quantenphysik in der öffentlichen Wahrnehmung oft über mediale Schlagzeilen ins Blickfeld rückt – meist im Kontext geopolitischer Machtspiele. Um ein möglichst breites Publikum zu erreichen, ist es daher entscheidend, Brücken in diese komplexe Welt zu bauen und Zugänge zu schaffen, die über die rein technische Perspektive hinausgehen.

Wir schlagen diese Brücken, indem wir Erfahrungsräume gestalten, die neue Perspektiven auf spürbare und verkörperte Weise eröffnen. So wird die Hemmschwelle gesenkt, sich mit einem so abstrakten Thema wie der Quantenphysik auseinanderzusetzen – und es entsteht etwas grundlegend Neues: eine Quantenvorstellung. Wir sind überzeugt, dass die Entwicklung einer eigenen Sprache und eines intuitiven Zugangs zur Quantenphysik ein entscheidender erster Schritt ist. Dafür arbeiten wir mit Künstler*innen wie Laure Prouvost zusammen. Sie schafft multisensorische Umgebungen, die den Betrachter auf spielerische und eindrucksvolle Weise in Welten entführen, die von neuen Logiken und Beziehungen strukturiert sind.

Sensing Quantum / LAS Art Foundation; photo: Andrea Rossetti © VG Bild-Kunst, Bonn 2025

Ihr Auftragswerk „WE FELT A STAR DYING“ (2025) ist sowohl durch Konzepte der Quantenphysik als auch durch konkrete Experimente mit Quantenwerkzeugen inspiriert. Es entfaltet sich in mehreren Bedeutungsebenen, die unterschiedliche Formen der Interpretation und Transformation sichtbar machen. Ein zentrales Beispiel ist der erste Versuch, Quantenrauschen in ein generatives KI-Modell einzuspeisen. Anders als klassisches Rauschen, das auf bekannten mathematischen Modellen basiert, entzieht sich Quantenrauschen einer exakten Vorhersagbarkeit. Die KI kann es daher nicht wie gewohnt verarbeiten – was zu einem unregelmäßigen, unvorhersehbaren Prozess der Rauschunterdrückung in den generierten Videos und Sounds führt. Das Ergebnis: unerwartete Effekte und faszinierende Momente, in denen Quantenunklarheit direkt die Pixel und Klänge formt, die das Publikum erlebt.

Im Mittelpunkt von Sensing Quantum steht der interdisziplinäre Austausch. Wie hat die Zusammenarbeit mit Expert*innen aus Wissenschaft, Kunst, Technologie und Philosophie eure Sichtweise auf künstlerische Arbeit verändert? 

Carly Whitefield: LAS lässt sich von der reichen Geschichte interdisziplinärer Zusammenarbeit inspirieren – von den Ansätzen des Bauhauses über die „Experiments in Art and Technology“ (E.A.T.) bis hin zu heutigen Residenzmodellen. Für mich persönlich ist es jedoch etwas ganz anderes, diese Geschichte nur zu studieren, als selbst Teil solcher Austauschformate zu sein. In der aktiven Teilnahme liegt das Privileg, die gesamte Bandbreite an Perspektiven und Ideen zu erleben – auch jene, die vielleicht nicht unmittelbar in einem fertigen Kunstwerk sichtbar werden.  

Der entscheidende Punkt ist, dass diese Kooperationen wirklich das Potenzial haben, multidirektional zu sein und sich gegenseitig zu bereichern. Sie dienen nicht allein dazu, ein künstlerisches Projekt zu unterstützen. Vielmehr sollten Künstler*innen die Möglichkeit haben, aktiv mitzuwirken. Sie können gemeinsam Innovationen entwickeln, verborgene Potenziale freilegen und neue ethische wie auch imaginative Dimensionen in diesen Bereichen erschließen.“ 

Die Partnerschaften, die wir mit Expert*innen aus den Bereichen Wissenschaft, Technologie und Philosophie eingehen, bilden den Ausgangspunkt für die Forschungs- und Entwicklungsphase unserer Projekte. Dieser Phase schenken wir besondere Aufmerksamkeit, indem wir ausreichend Zeit und Ressourcen für einen produktiven Austausch bereitstellen und den Prozess offen für verschiedene Ansätze und Formate gestalten. Sobald ein Projektvorschlag vorliegt, startet eine neue Runde des interdisziplinären Dialogs. Dabei binden wir weitere Fachpersonen ein – etwa Szenograf*innen, Ton- und Lichtdesigner*innen, Medienexpert*innen, Produzent*innen sowie Berater*innen für Barrierefreiheit. Das Ergebnis, das wir in diesem Zusammenhang als „künstlerische Arbeit“ bezeichnen, entsteht somit durch die Zusammenarbeit vieler Köpfe und Disziplinen. 

Wie kann Kunst eurer Meinung nach dazu beitragen, eine öffentliche Debatte über die Quantenforschung und ihre gesellschaftlichen Auswirkungen anzustoßen oder sogar aktiv mitzugestalten? 

Carly Whitefield: Die öffentliche Debatte hinkt der technischen Entwicklung oft hinterher – besonders in hochspezialisierten Bereichen wie der Quantenforschung, wo der Zugang eingeschränkt ist. Deshalb sehen wir eine große Chance für die Kunst, aktiv dazu beizutragen, eine öffentliche Vorstellung von den neu entstehenden Quantentechnologien zu gestalten – eine Vorstellung, die nicht nur reaktiv, sondern auch gestaltend wirkt. Kunst kann helfen, die Debatte von engen Narrativen über Innovation und Wettbewerbsfähigkeit hin zu pluralistischeren, kontextbezogenen und ethisch verantwortungsvollen Gesprächen zu verlagern.  

Um das Publikum für dieses Thema zu begeistern, gestalten wir Besucher*innenerlebnisse, die mit sinnlichen Begegnungen mit den Kunstwerken beginnen. Anschließend haben die Besucher*innen die Möglichkeit, verschiedene Angebote zu nutzen, um mehr über die zugrunde liegenden Quantenprinzipien, die davon inspirierten Technologien und die damit verbundenen Herausforderungen zu erfahren. Für unsere Präsentation im Kraftwerk Berlin Anfang dieses Jahres haben wir einen Lernraum mit dem Titel „Entangled Currents“ geschaffen, in dem das Publikum durch Videointerviews mit Künstler*innen und Projektmitarbeiter*innen Einblicke in die präsentierten Projekte gewinnen konnte. Zudem konnten sich die Besucher*innen mit einer Vielzahl von Quantenideen auseinandersetzen – etwa durch Magnetkarten, die unterschiedliche Konzepte veranschaulichen, durch das Lesen verwandter Bücher, das Erkunden eines Modells eines supraleitenden Quantencomputers oder durch das Experimentieren mit einem Synthesizer, dessen Klangerzeugung auf den Funktionsweisen von Quantenbits und Quantenalgorithmen basiert. Ergänzt wurde dieses Angebot durch eine Reihe von Workshops für Schulen und Familien sowie Vorträge, die die Auswirkungen des Quantencomputers aus philosophischer, geopolitischer, ethischer, wissenschaftlicher, sozialer und künstlerischer Perspektive beleuchteten. Dieser vielschichtige Ansatz zur Öffentlichkeitsarbeit ist ein zentraler Pfeiler unseres „Sensing Quantum“-Programms und verfolgt das Ziel, das Publikum frühzeitig in die Diskussion über neue Technologien einzubinden. 

Sensing Quantum / LAS Art Foundation; photo: Milena Wagner © VG Bild-Kunst, Bonn 2025

Welche Rolle spielt Immersion in eurer Arbeit, insbesondere im Hinblick auf das Ziel von Sensing Quantum, komplexe Technologien einem breiten Publikum zugänglich und begreifbar zu machen? 

Carly Whitefield: Zwar ist Immersion inzwischen ein oft verwendeter Begriff, doch es gibt gute Gründe, warum multisensorische Umgebungen eine so starke Wirkung entfalten können. Dabei geht es nicht um spektakuläre Effekte, sondern darum, Bedingungen zu schaffen, die verschiedene Arten des Denkens und Fühlens ermöglichen. Gerade bei einem so abstrakten und komplexen Thema wie der Quantentechnologie hilft Immersion, über reine Erklärungen hinauszugehen und eigene Erfahrungen zu sammeln. Sie lädt das Publikum ein, sich auf Unsicherheit, Relationalität und Unbestimmtheit einzulassen, die dynamischen Verhaltensweisen solcher Systeme zu erleben und die eigene Verflechtung mit größeren Strukturen zu reflektieren. 

Letztlich wird Immersion so zu einem wichtigen Werkzeug für Barrierefreiheit, indem sie alternative Zugänge – sei es sensorisch, emotional oder räumlich – eröffnet und dabei Neugier sowie kritisches Engagement weckt, ohne die Wissenschaft zu vereinfachen.  

Immersion schafft Raum für Intuition und Spekulation und ermöglicht es den Menschen, Quantentechnologien als etwas zu begreifen, das bereits unsere Welt prägt – und nicht als etwas Fernes oder rein Technisches.

Was erhofft ihr euch von dem von Sensing Quantum initiierten Dialog zwischen Kunst, Wissenschaft und Öffentlichkeit? Wie könnte dieser Austausch unsere Beziehung zu einer zunehmend technologisierten Welt beeinflussen?  

Carly Whitefield: Wenn Künstler*innen, Wissenschaftler*innen und die Öffentlichkeit miteinander ins Gespräch kommen, entsteht die Möglichkeit, die Chancen und Auswirkungen neuer Technologien kritisch zu reflektieren. Dabei können vorherrschende Narrative von der Unvermeidbarkeit oder Neutralität des technologischen Fortschritts hinterfragt werden. Stattdessen stellen wir neue Fragen: Was ist möglich? Was ist wünschenswert? Und für wen?

Solche Dialoge sind besonders wichtig, wenn Unternehmen nicht nur die Entwicklung, sondern auch die Regulierung von Technologien mitgestalten. Gerade im Kontext der Quantentechnologien sind solche Dialoge entscheidend, um ein öffentliches Bewusstsein zu schaffen und Gestaltungsspielräume zu eröffnen – bevor die zugrunde liegenden Infrastrukturen unumkehrbar festgelegt sind.

Das Projekt Sensing Quantum der LAS Art Foundation wird im Rahmen des Ars Electronica Festivals in Linz vom 3. bis 7. September 2025 präsentiert. Als Gewinner des Grand Prize – Innovative Collaboration ist die Arbeit Teil der STARTS-Ausstellung in der POSTCITY. Dort werden visionäre Projekte an der Schnittstelle von Wissenschaft, Technologie und Kunst vorgestellt. Aktuelle Informationen zum Projekt und weitere Programmhöhepunkte findest du auf der Festival-Website. 

photo: © Patrick Desbrosses.

Carly Whitefield

Carly Whitefield ist als Senior Curator bei der LAS Art Foundation in Berlin tätig. Seit ihrem Eintritt bei LAS im Jahr 2023 hat sie die folgenden Projekte kuratiert: Laure Prouvost: WE FELT A STAR DYING (2025, Kraftwerk Berlin), Josèfa Ntjam: swell of spæc(i)es (2024, Begleitveranstaltung der 60. Internationalen Kunstausstellung – La Biennale di Venezia), Lawrence Lek: NOX (2023, Kranzler Eck, Berlin), Marianna Simnett: GORGON (2023, HAU2, Berlin) und Alexandra Daisy Ginsberg: Pollinator Pathmaker (2023–26, Museum für Naturkunde Berlin). Zuvor arbeitete sie als Assistenzkuratorin für internationale Kunst an der Tate Modern in London sowie als Redaktions- und Forschungsassistentin bei Oslo Pilot.

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