„Organism and Excitable Chaos“ verbindet Klangskulptur, Instrument und kinetisches Experiment. Die Arbeit erforscht, wie organische Formen, instabile Pfeifen und ein chaotisches Pendel neue Möglichkeiten des Zusammenspiels von Material, Klang und Publikum eröffnen.
Was passiert, wenn Chaos nicht gebändigt, sondern als schöpferische Kraft ins Zentrum eines Kunstwerks gestellt wird? In „Organism and Excitable Chaos“ haben der interdisziplinäre Künstler und Instrumentenbauer Garnet Willis und der Komponist Navid Navab eine Skulptur entwickelt, die Klang, Bewegung und Material in einen unvorhersehbaren Dialog bringt.
Während Navid Navab die philosophischen und kunsthistorischen Dimensionen der Arbeit betont, nähert sich Garnet Willis dem Projekt von der praktischen Seite: als Konstrukteur, Tüftler und Klangforscher, der in jahrzehntelanger Auseinandersetzung mit chaotischen Systemen gelernt hat, Überraschungen nicht zu vermeiden, sondern als Motor künstlerischer Prozesse zu begreifen.
Im Interview spricht Garnet Willis über die Entstehung von „Organism and Excitable Chaos“, über magische Momente, in denen Pfeifen „sprechen“ oder Pendel ihre Bewegungsrichtung wechseln, und darüber, wie sein Werk unser Verhältnis zu Technologie, Klang und Natur neu denkt.
Kannst du Momente in „Organism“ beschreiben, in denen dich das System überrascht hat oder sich auf unerwartete Weise verhalten hat?
Garnet Willis: Dieses Projekt war im Grunde eine Suche nach Überraschungen, und mehrere Momente waren entscheidend für seine Entwicklung. Mein Zugang liegt eher im Bereich Design und Problemlösung, während Navid den philosophischen und kunstwissenschaftlichen Kontext beisteuert, Verbindungen zur westlichen Tradition aufzeigt und verdeutlicht, wie das Werk diese zugleich in Frage stellt. Zusammen waren diese sehr unterschiedlichen Perspektiven entscheidend für „Organism and Excitable Chaos“.
Die Orgel (Organism) besteht aus sieben Modulen, die in einem Halbkreis angeordnet sind, mit Entwürfen für ein achtes Modul in Arbeit. Jedes Modul beherbergt Familien von Orgelpfeifen, die in einem langen Prozess von Iteration und Experimentieren entwickelt wurden. Anders als traditionelle Orgeln, die den Pfeifen gleichmäßige Luft zuführen, um reine Töne zu erzeugen, destabilisieren unsere Module den Luftstrom – indem sie die Pfeifen überblasen, aushungern oder die Luftzufuhr schnell ein- und ausschalten. So entstehen unerwartete Klänge, und Navid wählt anschließend die Pfeifen mit der größten „Persönlichkeit“ aus.

Eine der ersten Überraschungen ereignete sich gleich am allerersten Testmodul mit acht kleinen Flöten. Als die mechanischen, elektronischen und softwaretechnischen Systeme erstmals liefen, begann eine Pfeife plötzlich, sprachähnliche Laute hervorzubringen – es klang wie „yo babba“. Es war unheimlich, fast so, als würde ein Baby sprechen lernen. Dieser Moment war so prägend, dass der Name „babba“ geblieben ist: Heute trägt jedes Modul diesen Namen in Kombination mit seiner Pfeifenzahl, etwa „Conic 11 babba“ oder „28 babba“. Auch wenn wir den ursprünglichen Klang nie wieder reproduzieren konnten, erinnert die Namensgebung an diese Entdeckung.
Bis 2023 war „Organism“ funktionsfähig, und wir begannen, „Excitable Chaos“ zu entwickeln. Unser Ziel war es, ein sich selbst generierendes, sonifiziertes dynamisches System zu schaffen, das zu chaotischem Verhalten fähig ist – ein Werk, das sich ständig weiterentwickelt und immer wieder überrascht. Nach Überlegungen zu verschiedenen Phänomenen wie Flammen oder Nebel entschieden wir uns schließlich für das Dreifachpendel als Experimentierfeld.
Die erste Version habe ich in meiner Werkstatt nahe Montreal gebaut. Sie erlaubte Anpassungen an den Drehpunkten und Dämpfungsgewichten, und ich achtete darauf, genügend Flexibilität einzubauen, damit die Energie lange erhalten bleibt, ohne dass das Ganze zerbricht. Schon am allerersten Tag kam es zu einer erstaunlichen Überraschung: Nach mehreren Schwüngen über die obere Umlaufbahn verlangsamte sich das Pendel und kehrte plötzlich seine Rotationsachse um – etwas, das ich mir nie vorgestellt hätte. Das war die Bestätigung, die wir brauchten.
Navid und ich experimentierten dann monatelang damit, bis wir schließlich die Kugellager verschlissen hatten. Aus dieser Phase entstand der „Chaos-Motor“, mit dem wir Bewegungsfamilien über längere Zeiträume beobachten und aufrechterhalten konnten. Dabei zeigte sich: Viele Konfigurationen führten zu einfachen, periodischen Bewegungen, andere jedoch zu seltsam vielfältigen Manifestationen von Chaos. Diese „Modi des Chaos“ führten schließlich zur Entwicklung eines zweiten, wesentlich größeren Pendels, das sich während des Schwingens dynamisch rekonfigurieren lässt – fähig, von einem chaotischen Modus in den nächsten zu wechseln und dabei die Energie der vergangenen Bewegung in die nächste mitzunehmen.
Für mich schließen diese Überraschungen direkt an einen roten Faden in meiner Arbeit an, der in den 1990er-Jahren begann, als ich erstmals chaotisches Verhalten in meinen Klangskulpturen erlebte. Zunächst dachte ich, die Werke seien kaputt, bis mir klar wurde, dass sie die Dynamiken komplexer Systeme offenbarten. Diese Erkenntnis prägte die Flux-Serie und meine andauernde Suche nach Wegen, offene Systeme zu entwerfen, die ihre eigenen Formen hervorbringen. „Organism and Excitable Chaos“ steht genau in dieser Tradition – Werke, die die Lebendigkeit der Materialien freilegen und ihre Zukunft in unvorhersehbaren, chaotischen Prozessen selbst weiterschreiben.
Aus deiner Perspektive: Wie denkt „Organism“ das Verhältnis zwischen Performance und Instrument – oder zwischen Publikum und Maschine – neu?
Garnet Willis: Ich fange mit dem Aspekt „Publikum und Maschine“ an. In der Installationsversion von „Organism and Excitable Chaos“ denke ich weniger an eine Maschine als vielmehr an eine kinetische Skulptur, auch wenn sie natürlich auf komplexer Technik basiert. Entscheidend ist für mich die Unmittelbarkeit der Erfahrung: Das Publikum kann das Werk fast wie ein natürliches System wahrnehmen, dessen Verhalten sowohl visuell als auch klanglich erfahrbar ist. Das Pendel agiert dabei wie eine Art Performer, der durch seine eigene Neigung zum Chaos die entstehende Form des Werks fortlaufend prägt. Es soll dabei nicht Natur symbolisieren, sondern einfach sein, so wie natürliche Prozesse, die sich unvorhersehbar durch komplexe Ketten von Ursachen und Verflechtungen verändern.
Weil die physischen und klanglichen Formen nie vollständig vorhersehbar sind, nimmt das Werk Unbestimmtheit und chaotische Verflechtung bewusst in sich auf. Es lässt die „materialeigene Intelligenz“ der bewegten Massen ihre eigenen Gleichgewichte und Ausdrucksweisen finden. So entsteht eine direkte, spürbare Erfahrung eines kohärenten, aber unvorhersagbaren Prozesses – eine Erfahrung, die das schöpferische Potenzial lebendiger Materialien hervorhebt, unsere Tendenz in Frage stellt, Materie als passiv zu betrachten, und uns auffordert, der unmittelbaren Erfahrung ebenso zu vertrauen wie der Sprache.
Die Konzertversion, Organism in Turbulence, sehe ich in der langen Tradition der Maschinenmusik. Eine Schlüsselfigur ist hier Conlon Nancarrow, der das Selbstspielklavier nutzte, um extrem komplexe Polyrhythmen in kaum fassbaren Geschwindigkeiten hörbar zu machen. Doch bei ihm war jede Note vorab festgelegt, und die Komplexität führte nie ins Chaos. Im Gegensatz dazu argumentierte Robert Morris in seinem Essay Antiform von 1968 für Zufall, Unbestimmtheit und die Weigerung, vorgegebene Endformen anzuerkennen – eine Haltung, die unserem Ansatz deutlich nähersteht.
Bei uns werden Nancarrows gelochte Klavierrollen durch digitale Controller ersetzt, die Abläufe flexibel und unbestimmt halten, anstatt sie im Voraus festzulegen. Navid hat diesen performativen Aspekt sehr weit entwickelt, und auch wenn die Konzertversion im Moment vor allem sein Bereich ist, kann ich mir gut vorstellen, irgendwann eigene Stücke für die Orgel zu komponieren. Bis dahin bin ich sehr stolz, die physischen und gestalterischen Grundlagen mitentwickelt zu haben, die diesen erweiterten Klangraum überhaupt ermöglichen.
Eine der größten Stärken der Orgel liegt genau in dieser turbulenten Unvorhersehbarkeit. Die Pfeifen wurden bewusst wegen ihrer Instabilität ausgewählt – das heißt, sie klingen nie zweimal gleich: Was in der Probe funktioniert, kann im Konzert scheitern oder unerwartet etwas völlig Neues hervorbringen. Für Navid bedeutet das, jedes Mal auf die Bühne zu gehen mit dem Wissen, dass er auf den Wellen surfen muss, die die Orgel ihm vorgibt. Und um auf deine ursprüngliche Frage zurückzukommen: Genau das macht jede Aufführung einzigartig.
Wie bist du an das Design und die Konstruktion eines Systems herangegangen, das sich so haptisch und lebendig anfühlt?
Garnet Willis: Ich glaube, wir alle haben eine ursprüngliche Neigung, uns tief mit der Komplexität der Welt auseinanderzusetzen, doch die Moderne hat uns davon entfremdet. Um Paul Shepard zu paraphrasieren: Unsere vor-agrarischen Vorfahren wuchsen in eine Welt unendlicher Komplexität hinein und lernten, ihre sinnliche Fülle mit Freude und Staunen zu navigieren. Die Moderne dagegen hat diese Fülle als „Chaos“ im negativen, zerstörerischen Sinn umgedeutet und eine starre, westlich-rationale Ordnung – also Monotonie und Wiederholung – über etwas gelegt, das in Wirklichkeit unser ästhetisches und materielles Erbe ist.

Für mich wird das deutlich, wenn ich einfach hinausblicke. Gerade eben flog ein Falke durch die Bäume, zog meine Aufmerksamkeit auf sich und band mich in die dichte Vielfalt des Waldes hinein. Diese Begegnung braucht keine Repräsentation, sie ist ihre eigene Bedeutung. Wenn ich aber zu einem Pilz gehe, den ich neulich gesehen habe, trage ich eine mentale „A-nach-B“-Karte im Kopf, die Bäume, Felsen oder Bäche völlig ausblendet. Würde ich dieser Linie strikt folgen, müsste ich dem Wald Gewalt antun – mit Kettensägen, Bulldozern, Brücken. In der Realität weiche ich Hindernissen aus, trete manchmal barfuß auf einen Stein. Das ist unmittelbare, verkörperte Erfahrung. Unsere Technologien des Weltbaus bevorzugen jedoch die abstrakte Gerade und ersetzen so das „Falken-Sein des Waldes“ durch kartesische Raster. Und während wir nun an die Grenzen der planetaren Belastbarkeit stoßen, stellt sich die Frage: Panic? Yes/No.
„Organism and Excitable Chaos“ ist ebenfalls eine Technologie – aber eine, die unser utilitaristisches Verhältnis zu Maschinen auf den Kopf stellt. Anstatt gerade Linien durch die Komplexität zu schneiden, erzeugt sie Chaos direkt vor unseren Augen. Ihre systemische Ästhetik zeigt sich als organisches, unmittelbares Ganzes – im gleichen Maßstab, Tempo und Rhythmus, in dem auch unsere Körper existieren. Das Tempo war dabei eine bewusste Designentscheidung: Das erste Testpendel war zu klein und erzeugte eine hyperaktive, gehetzte Bewegung. Indem wir es vergrößerten, konnten wir das Tempo so weit verlangsamen, dass eine kinästhetische Resonanz entstand, die das Publikum körperlich mitfühlt – ähnlich wie man unbewusst im Rhythmus der Atemzüge von Tauchern in einem Unterwasserfilm mitatmet.
Die Orgelmodule („babbas“) haben eine ähnliche Entwicklung durchlaufen. Die frühen Versionen waren rechteckig – aus Gründen der Fertigungseffizienz. Nachdem wir jedoch viele technische Probleme gelöst hatten, konnten wir über die Geradlinigkeit hinausgehen und biomimetische Formen entwickeln, inspiriert von Korallen und anderen Unterwasserlebewesen. Mich fasziniert seit langem, wie Korallen Geometrie und organische Form verbinden, und so habe ich Proportionen wie den Goldenen Schnitt verwendet, um Kreise, Bögen und Splines zu gestalten, die Orgel und Pendel eine intuitive Verwandtschaft verleihen. Der hölzerne Pfeifenhalter auf dem 28 babba zum Beispiel war Navids Idee – inspiriert von einer Lotuswurzel.
In all dem ging es darum, eine Technologie zu schaffen, die keine Ordnung aufzwingt, sondern Komplexität, Unvorhersehbarkeit und materielle Lebendigkeit verkörpert – und uns so wieder in eine direkte, verkörperte Beziehung zur Welt einlädt.
Das Projekt „Organism“ wird im Rahmen des Ars Electronica Festival in Linz von 3. bis 7. September 2025 im Mariendom zu sehen sein. Das vollständige Programm findest du hier.

Garnet Willis
Garnet Willis ist interdisziplinärer Künstler, Audioingenieur, Komponist und Instrumentenbauer. Er verbindet seine vielfältigen Fähigkeiten als Designer, Holz- und Metallbearbeiter, Sound Engineer und Elektronik-Tüftler zu multivariaten Kunstwerken, die das energetische Zusammenspiel von physischer Form, musikalischer Schnittstelle und Klang erforschen. Für seine Arbeiten, Kompositionen und Aufnahmen erhielt er renommierte internationale Auszeichnungen, darunter die Golden Nica der Ars Electronica und den Bourges Prize. Seine Werke wurden in den USA, Großbritannien, Frankreich, Italien, Mexiko, den Niederlanden, Kroatien, Österreich und Kolumbien ausgestellt und aufgeführt.