Die verschwimmende Grenze zwischen Kunst und Gesundheitswesen

When Hope is a Creative Act: The Arts as a Public Health Imperative / Jill Sonke (US), Photo: flap

Das Ars Electronica Festival 2025 verwischte die Grenzen zwischen Kunst und Gesundheitswesen und zeigte, wie kreative Ansätze Innovationen im Gesundheitsbereich fördern und die patientenzentrierte Versorgung neu gestalten können.

Ein Meinungsbeitrag von Dr.in Aniko Fejes, Team & Collaboration Lead bei EIT Health Austria

Ich bin ständig auf der Suche nach neuen Schnittstellen und Perspektiven, die für die Gesundheitsinnovation relevant sein könnten. Grenzüberschreitende und branchenübergreifende Initiativen gehören zu meinem Alltag. Daher ist es für mich nicht ungewöhnlich, einen Tag in einem alten Industriegebäude zu verbringen – umgeben von Kunstinstallationen, Theaterperformances und 1.472 ausdrucksstarken Künstler*innen aus 83 Ländern. Was allerdings ungewöhnlich war: Die Ars Electronica in Linz entschied sich, mir – einer Expertin im Gesundheitswesen – ein Namensschild mit der Aufschrift „Artist“ zu geben. Wow. Ich musste schmunzeln. Es fühlte sich stark an. Und ich fand sofort eine neue Perspektive – eine sehr persönliche.

Bin ich eine Künstlerin? Es fühlt sich nicht so an, wenn ich an die typischen Themen meines Instituts EIT Health Austria denke: KI im Gesundheitswesen, digitale Gesundheitsanwendungen, der European Health Data Space und vieles mehr. Doch während ich mich auf ein Panel zur Verbindung von Gesundheit und Kunst vorbereitete, fragte ich mich: Vielleicht sind Gesundheitsinnovator*innen und Künstler*innen gar nicht so verschieden? Die Grenze zwischen Gesundheitsinnovation und Kunst ist möglicherweise viel durchlässiger, als wir denken. Vielleicht ist genau diese bewusste

Medical Literacy through Art / Špela Petrič (SI), Mary Maggic (US), Patricia Stark (AT), Haley Marks (US), Photo: flap

Verbindung beider Welten der Schlüssel, um die wachsenden Herausforderungen im Gesundheitswesen zu bewältigen.

Ein Beispiel: Jill Sonke, Cultural Policy Fellow an der Stanford University und ehemalige Ballerina, arbeitet seit Jahrzehnten als „Dancer-in-Residence“ im Shands Arts-in-Medicine-Programm der University of Florida Health (UF Health). Ihre Bewegungstherapie hilft Patient*innen mit starken Schmerzen – oft mit dem Effekt, dass Schmerzmedikation deutlich reduziert werden kann. Ihre Geschichten zu verschiedenen Patient*innen waren eindrucksvoll.

Oder Andreas Leithner, Klinikvorstand der Univ. Klinik für Orthopädie und Traumatologie der Medizinischen Universität Graz, der über die Wirkung von Farben und Kunst in Spitalsräumen sprach. Positive Effekte für Patient*innen – etwa geringerer Medikamentenbedarf – und für das Personal wurden sichtbar. Ein Raum voller sterilem Weiß und Stahl wirkt eben anders als einer mit bewusst eingesetzter kreativer Verspieltheit.

Die japanische Architektin Kyoko Kunoh präsentierte ihre Entwürfe für ein Kinderkrankenhaus, in dem Tierformen und visuelle Überraschungen die Angst und Panik kranker Kinder beim Arztbesuch lindern. Diese Elemente sind keine dekorativen Nebensächlichkeiten – sie sind integraler Bestandteil des Heilungsprozesses. Und aus meiner Sicht sind sie essenzielle Interventionen.

Und dennoch: Wie Jill Sonke erinnerte, dauerte es in den USA fast 30 Jahre, bis Kunst als Teil der Genesung von der Gesundheitsindustrie ernst genommen wurde.

Impression Of Ars Electronica Festival 2025 / POSTCITY, Photo: tom mesic

Österreich kann sich so viel Zeit nicht leisten. Unser Gesundheitssystem steht vor einem tiefgreifenden Wandel. Keine inkrementellen Anpassungen. Keine Flickwerk-Lösungen. Sondern ein grundlegendes Neudenken – eines, das Nachhaltigkeit, Zugänglichkeit und vor allem die Patient*innen ins Zentrum stellt. Wir müssen das Flugzeug neu bauen, während es noch fliegt. Und trotzdem brauchen wir einen Paradigmenwechsel: von „volume to value“, von reaktiver Behandlung zu proaktiver Prävention, von isolierten Systemen zu integrierter, intelligenter Versorgung.

Die Begegnung von Gesundheitswesen und Kreativwirtschaft bei der Ars Electronica war eine bedeutungsvolle Kollision – mit Künstler*innen wie der slowenischen Gesundheitskompetenz-Aktivistin Špela Petrič, die deutlich machte: Kunst und Design sind nicht bloß ein ästhetisches Add-on am Ende eines Innovationsprozesses. Sie haben eine eigene Innovationskraft – und sind Teil des systemischen Wandels, den unser Gesundheitswesen dringend braucht. Aus meiner Sicht brauchen wir diese Künster*innen auch als Storyteller, Gestalter*innen und Vermittler*innen, um die Einführung neuer Lösungen zu beschleunigen und die digitale Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung zu stärken.

Denn eines ist klar: Technologie allein wird unser Gesundheitssystem nicht retten. Es ist die menschenzentrierte Anwendung dieser Lösungen – getragen von Empathie, Gerechtigkeit und Kompetenz – die einen nachhaltigen „Impact“ entfalten kann.

Aber es gibt keinen Grund zur PANIK – übrigens das diesjährige Motto der Ars Electronica. Es gibt in Österreich bereits Organisationen, Universitäten und Unternehmen, die bereit sind, diesen Weg als Pioniere zu gehen. Was wir jetzt brauchen, ist Mut: Kunst und die Kreativwirtschaft nicht als schmückendes Beiwerk zu sehen, sondern als gleichwertigen Innovationstreiber. Nur so entsteht ein Gesundheitssystem, das nicht nur technologisch fortschrittlich, sondern auch gesellschaftlich verankert und zutiefst menschlich ist.

The Future of Arts & Health Industries Encounters / Georg Russegger (AT), Rania Islambouli (AT), Aniko Fejes (AT), Miriam Kathrein (AT), Matthias Konrad (DE), Photo: flap

Ich war eine von 122.000 Besucher*innen der Konferenz. Als ich „Artist“ auf meinem Namensschild las, hat das etwas mit mir gemacht. Es war ein kleines, aber kraftvolles Symbol dafür, was möglich ist, wenn wir Silos aufbrechen. Mein Wunsch ist, dass wir eines Tages Künstler*innen zu unseren Gesundheitskongressen einladen – und ihnen ein Namensschild mit der Aufschrift „Innovator*in“ überreichen. Damit sie sich dort einen genauso offenen, kollaborativen und kreativ Raum fühlen wie ich bei der Ars Electronica in Linz. Denn genau in solchen Umgebungen kann echter Wandel beginnen.

“The Future of Arts & Health Industry Encounters”: Das Engagement von EIT Health Austria bei der Ars Electronica

EIT Health Austria nahm im Rahmen einer Zusammenarbeit mit der Ludwig Boltzmann Gesellschaft, EIT Culture & Creativity und Bayern Innovativ an der Ars Electronica teil. Ziel war es, in einer Podiumsdiskussion mit Georg Russegger, Rania Islambouli, Miriam Kathrein, Matthias Konrad und Aniko Fejes zu erörtern, wie sie mit Mediziner und Künstler, die sich für Medizintechnik, medizinische Daten und Gesundheitswesen interessieren, interdisziplinäre Kooperationen gestalten können, indem sie Räume und Co-Creation-Prozesse schaffen, in denen beide Welten aufeinandertreffen, um den Gesundheitssektor neu zu denken. Die Podiumsdiskussion brachte unterschiedliche Sichtweisen auf und reflektierte über aktuelle Rahmenbedingungen, sowie über zukünftige Rahmenbedingungen, die so einen Austausch fördern können. Die Aufzeichnung findet sich hier.

Dr. Aniko V. Fejes

Dr. Aniko V. Fejes ist Team & Collaboration Lead von EIT Health Austria, der jüngsten Niederlassung von EIT Health, das Teil des European Institute of Innovation and Technology (EIT) ist, einer Einrichtung der Europäischen Union. Ihre Organisation arbeitet grenzüberschreitend mit rund 100 EIT Health Mitgliedsorganisationen und Tausenden von Start-ups und Unternehmer*innen in ganz Europa und bringt so führende Innovator*innen im Gesundheitswesen zusammen, um Antworten auf die größten Gesundheitsherausforderungen Europas zu finden. Dr. Fejes ist Co-Founderin von „The Brainstorm Scientific“, einer Interaktionsplattform für Akteure aus den Bereichen Neurotechnologie und KI, und leistete bei digitalen Innovationsprojekten des globalen Schweizer Pharmaunternehmen Novartis Pionierarbeit. Sie verfügt über einen Doktorgrad im Fach Biomedizinische Wissenschaften an der Medizinischen Universität Wien und ist ehemalige Stipendiatin des European Health Young Forum Gastein.

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