Digitale vs. echte Identität; „Erfundene“ Identität, Identitätenklau; Digitale Identität immer mobiler; Dinge, die man bewusst preisgibt; Dinge, die man unbewusst preisgibt
Martina Mara, Medienforscherin im Ars Electronica Futurelab
Der Wecker läutet, aber es ist schon lange kein Wecker mehr, sondern eine App. Man schnappt sich das Smartphone, drückt auf Snooze, aber der Daumen hat auf Facebook geklickt, oder auf Twitter, oder auf Google+, oder, oder, oder. Ganz automatisch, man ist noch gar nicht so recht wach, schon gehts los: „Hat gestern noch jemand etwas gepostet? Wie gefällt den anderen mein neues Profilfoto? Wer hat meinen Witz weitergeleitet, der war doch wirklich großartig. Zwar nicht meiner, aber das spielt ja heute eh keine Rolle…“ Schon ist man wieder mitten drin in einem Radl, das nicht mehr still steht. Weil es nicht ein Rad ist, das sich dreht, sondern Millionen. Und kaum jemand fragt sich, welche Rolle man darin übernimmt.
Früher war das irgendwie leichter. Man ging in die Schule, oder auf die Universität, in die Arbeit, legte in der Früh eine Maske an, das Gesicht, die Identität, von der man möchte, dass sie nach außen wahrgenommen wird. Je nachdem, mit welchen Leuten man sich getroffen hat, hatte man womöglich eine andere Maske, denn andere Leute haben eine andere Vorstellung, andere Wünsche, andere Ängste und Träume. Schließlich möchte man gefallen, man möchte sympathisch wirken. Oder zumindest nicht auffallen.
Lange Zeit war der direkte Austausch die einzige Möglichkeit, einen Menschen kennenzulernen. Natürlich, man konnte recherchieren, und vor allem bei Berühmtheiten konnte man so einiges in Erfahrung bringen, aber wenn man nicht gerade bei einem Geheimdienst arbeitete, war das herausfinden darüber, was jemand anderer mit seiner Zeit so alles anfängt, ein ziemlich mühsames Unterfangen.
Das Internet hat diese Situation Hand in Hand mit den Sozialen Medien, die ihren Namen wohl nur aus Gründen der Coolness tragen, denn sozial ist an ihnen kaum etwas, verändert. Zunächst fingen Technologieaffine und/oder Extrovertierte damit an, eigene Webseiten zu basteln (erinnert sich noch jemand an Geocity?!). Doch die Vernetzung zwischen den Webseiten war schwierig, ein richtiger Austausch fand auch auf Grund recht sperriger Technologien noch eher schüchtern statt.
Dann fing es auf einmal an, mit Friendster, Myspace, mit uboot (ja, die größte deutschsprachige Website dieser Art), StudiVZ und natürlich Facebook und Twitter, später Google+, Pinterest, LinkedIn und Xing, Netzwerke für Leute, die netzwerken wollen, ohne es zu müssen, für jede Sparte ein eigenes Netzwerk, die mittlerweile auch immer mehr miteinander verstrickt sind. Und plötzlich mussten alle ein Profil haben, weil schließlich muss man sich ja irgendwie präsentieren.
Und wenn man eine Bühne geboten bekommt, dann muss man natürlich schauen, dass man auf ihr nicht allzu peinlich wegkommt. Das Profilfoto ist schon 12 Jahre alt? Na, im Wesentlichen hat man sich nicht verändert, die 2, 3 Kilo mehr sieht man im Gesicht sowieso nicht. Wie oft treibe ich Sport? Natürlich mindestens 4 Mal die Woche, man will ja schließlich nicht an Herzverfettung sterben. Man unterstützt afrikanische Kinder, gratuliert Obama zu Wahlsiegen, und das After-Work-Bierchen wird zur größten Party der Weltgeschichte, man möchte sich schließlich nicht lumpen lassen.
Eine Zeit lang existierte diese digitale Identität, die weit mehr ist, als das, was man von sich preisgibt, tatsächlich bloß in der Nähe von Computern. Doch in den letzten Jahren hat sie durch den Einsatz von Smartphones nochmal eine völlig neue Qualität bekommen. Alles, was man tut, kann immer und überall mit anderen geteilt werden, oftmals hat man beinahe das Gefühl, etwas findet nicht statt, wenn nicht mindestens eine Person darüber twittert. So sind die eigenen Abenteuer genauso immer verfügbar wie die der anderen, immer mehr dringt das digitale Ich in die „echte“ Welt, die Selbstdarstellung, das Bild von sich, das man anderen zeigen möchte, wird immer komplexer in der Handhabung.
Ist das gut oder schlecht? Muss man sich davor fürchten, muss man es kritisieren? Das lässt sich nicht einfach so beantworten, aber man sollte sich mit diesen Fragen auf jeden Fall auseinandersetzen. Das Internet wird sich allem Anschein nach doch durchsetzen, die Frage danach, welche Spuren man nicht mehr nur virtuell hinterlässt, wird bald einen erheblichen Teil unseres Lebens darstellen, sofern das nicht schon der Fall ist.
Martina Mara, Medienforscherin im Ars Electronica Futurelab, wird als Gastautorin den Ars Electronica Blog mit ihrer Expertise aus den Themenkreisen Digitale Identitäten, und Web, Social Media, aber auch Robotik und Mensch-Roboter-Beziehungen und Androide beehren, darauf kann man sich jetzt schon freuen.