Synthetische Biologie

Manuel Selg,

Manuel Selg ist Molekularbiologe und Chemiker und arbeitet am FH OÖ Campus Wels als Professor für Biotechnologie für den Studiengang Bio- und Umwelttechnik. Seit 2008 ist er als wissenschaftlicher Berater für das Ars Electronica Center tätig. In dieser Funktion wirkte er am Aufbau des BioLabs und den dort stattfindenden Vermittlungsangeboten mit. Auch bei den Vorbereitungen der Ausstellung „Projekt Genesis“ war er als Fachexperte dabei. Wir haben ihn gefragt, was synthetische Biologie eigentlich ist, welchen Wissens- und Forschungsstand wir heute haben und wohin es in den nächsten Jahren noch gehen wird.


Manuel Selg während des Aufbaus der Ausstellung „Projekt Genesis“ (Foto: Martin Hieslmair)

Was ist synthetische Biologie?

Von der reinen Definition her: die Erschaffung, Kreierung – gefährliche Worte – eines biologischen Systems, das natürlich in der Natur nicht vorkommt. Sprich, die Natur hat so etwas nicht von sich selbst, sondern wir basteln etwas, ob das ein Organismus ist oder ein größeres System, wo mehrere Organismen interagieren. Durch den Eingriff vom Menschen wird dieses System erschaffen.
Das hört sich wahnsinnig gefährlich an, berührt ja auch ethisch-moralische Grundsätze bei den Menschen. Aber vorneweg ein Beispiel, wo niemand groß was dagegen hat, das es schon seit den 70er-Jahren gibt: Diabetiker brauchen Insulin als Medikament. Klassischerweise ist dieses Insulin aus der Bauchspeicheldrüse von Schweinen, manchmal auch von Rindern isoliert worden. Das ist sehr aufwendig und teuer und braucht eine immens hohe Anzahl an Tieren, die alle getötet werden müssen zur Herstellung des Medikaments. Dann ist man auf die Idee gekommen, das Insulin von einem Bakterium produzieren lassen könnte und hat das auch wirklich geschafft. Das war auch in den 70er-Jahren schon synthetische Biologie. Es ist also keine Thematik, die jetzt erst 2000/2010 angefangen hat, es gibt sie schon viele, viele Jahre.

Wo stehen wir heute?

Ein sehr aktuelles Beispiel der synthetischen Biologie, wo man einfach einen Organismus kreiert, den es in der Natur nicht gibt, sind die Anfang dieses Jahres in einem Labor erzeugten Mäuse, bei denen bestimmte Zellen im Gehirn menschliche Zellen sind, der Rest der Maus ist Maus. So etwas nennen wir einen chimären Organismus. Diese Mäuse wurden für die Gehirnforschung geschaffen: Diese speziellen Zellen im Gehirn, die Astrozyten, sind Zellen, die beim Menschen im Vergleich zu allen anderen Lebewesen, die diesen Zelltyp haben, extrem groß sind und ganz anders aussehen. Schon seit Jahrzehnten gab es die Theorie, dass daher auch die Funktion dieser Zellen im Gehirn beim Menschen vielleicht ein bisschen mehr ist als bei Tieren und das zu dem „evolutionären Vorsprung“ des Menschen führt im Vergleich zu den anderen Lebewesen auf dem Planeten. Bei verschiedenen Labyrinthversuchen mit diesen Mäusen hat man tatsächlich herausgefunden, dass sie ein viel besseres Lernverhalten haben als normale Mäuse, sie haben verschiedene Dinge schneller gelernt und hatten auch ein besseres Langzeitgedächtnis.


Mousetrap von Johanna Schmeer. Genmanipulierte Mäuse werden von Vogelgesang in die Falle gelockt. (Foto: Martin Hieslmair)

Aber synthetische Biologie ist ja nicht nur bei Tieren, sondern auch bei Pflanzen ein strittiges Thema.

Genau. Man stellt Pflanzen her, die normalerweise in der Natur so nicht vorkommen. In der Presse und der öffentlichen Diskussion gelangt man da schnell zu genetisch veränderten Saatgütern und bei Weltkonzernen wie Monsanto und Pioneer, die diese produzieren. Mais hat wie jedes landwirtschaftliche Anbauprodukt das Problem, dass er oft von Schädlingen befallen wird. In den 90er-Jahren wurde die erste Maissorte produziert, die aus einem Bakterium ein spezielles Gen implantiert hatte. Dadurch erzeugt die Pflanze ein Gift, das Insekten umbringt, sodass weniger Schädlingsbekämpfungsmittel gespritzt werden. Erst Jahre oder gar Jahrzehnte im Nachhinein hat man die schwerwiegenden Konsequenzen fürs Ökosystem gespürt: Durch das Insektengift, das vom Mais produziert wird, sind viele Insekten in diesen Gegenden dermaßen drastisch reduziert, dass das in der gesamten Nahrungskette auf einmal ein Problem wurde. Im mittleren Westen der USA sind die Bienen am Aussterben. Und jeder weiß, wie wichtig die Bienen sind aufgrund der Bestäubungsfunktion, die sie bei Pflanzen vornehmen.
Aber das heißt nicht, dass genetische Pflanzen nur böse sind. Mittlerweile arbeitet man z. B. dran, dass man bestimmte Impfstoffe in Pflanzen produzieren lässt. Im Versuchsstadium gibt es Impfstoffe gegen Tollwut, Hepatitis und Wundstarrkrampf. In der klassischen Pharmatechnik-Herstellung sind Impfstoffe sehr, sehr teuer. Wenn man die von Pflanzen produzieren lässt, könnte man billiger produzieren, war die Idee. Und das funktioniert auch.

Wenn der Impfstoff in Pflanzen produziert wird, muss ich mich trotzdem noch spritzen lassen?

Man kann z. B. Hepatitis B als Banane essen. Dann ist man geimpft. Dazu gibt es erste erfolgreiche Versuche mit Tieren. Aber auch, wenn das in die Alltagsmedizin einziehen sollte, müsste das immer noch unter ärztlicher Aufsicht sein, wegen der Reaktionen die der Körper auf Impfstoffe geben kann. Es würde sich aber schon sehr viel verschieben in der ganzen Produktionskette: Statt Pharmakonzerne hat man plötzlich Landwirte als Produzenten. Natürlich dürften diese Pflanzen aber nur in kontrollierten Gebieten wachsen, weil man nicht will, dass sich die Pflanzen mit den natürlichen Pflanzen vermischen und der Teil des Impfstoffes weitergegeben wird.

Welche weiteren Zukunftsvisionen oder -realitäten gibt es?

Für die Forschung ist ein großer Teil der synthetischen Biologie das Herstellen von synthetischen Genomen. Genom ist der Überbegriff für das Erbgut, das ein Lebewesen in sich hat. Da ist der Bauplan des Lebens drin. Aufgrund von diesem Erbmaterial sieht der Organismus so aus wie er ist, lebt dort wo er lebt, führt die Reaktionen durch, die er durchführen muss, damit er am Leben bleibt. Ein Traum wäre, wenn man das komplette Genom eines Organismus künstlich herstellen könnte. Dann könnte man Organismen zusammenbauen, die für die Gesellschaft nützliche Funktionen ausüben könnten. Wenn man an die großen Naturkatastrophen der letzten Jahre denkt, die zu Umweltschäden geführt haben z. B. Fukushima in Japan oder Deepwater Horizon, die Ölplattform im Golf von Mexiko, da treten Stoffe aus – sei es Radioaktivität oder Öl – die ein Problem für die Umwelt darstellen. Wie geschickt wär das doch, wenn wir ein Bakterium kreieren könnten, dass das im Meerwasser schwimmende Erdöl in andere weniger schädliche Stoffe verarbeiten würde. Um das zu verwirklichen, sucht man nach dem Minimalgenom. Das ist die Menge an Erbmaterial, die gerade genügt, um ein Lebewesen autonom am Leben zu erhalten. Das wäre dann der Grundlegobaustein. Dann gibt es noch die sogenannten Biobricks, Stücke an Erbmaterial, die dort wo sie eingesetzt werden, eine neue Funktion ermöglichen. Dann würde ich mit dem Minimalgenomlebewesen anfangen und mir aus dem Regal verschiedene Biobricks nehmen, die in diesen Organismus eingesetzt werden. Das ist der Traum, von dem wir noch weit entfernt sind.

Was wir als Jetztstand aber können: Craig Venter hat aus einem Bakterium, das Mycoplasma Capricolum, das Genom rausgenommen, die Zelle also innendrin nackt gemacht, und hat das Genom einer anderen Mykobakterienart nämlich von Mycoplasma Mycoides komplett künstlich im Labor hergestellt. Dieses künstliche Genom hat er in die nackte – natürliche – Zelle der anderen Art eingesetzt. Das Mykobakterium hat die Art desjenigen angenommen, von dem das Genom stammte. Wir können also das komplette Genom eines Lebewesens künstlich synthetisieren und in ein Lebewesen einsetzen und das Ding lebt nachher. Allerdings ist da noch lange keine Angst angesagt: dieses Bakterium hat 1.000.000 Bausteine im Erbgut, ein Mensch hat 3,2 Milliarden. Derzeit versucht man sich am Darmbakterium E. coli mit 4 Millionen Bausteinen und ist bis jetzt noch gescheitert. Es ist fraglich, ob wir die Vergrößerung bis zum Menschen jemals erreichen.


Impression der Ausstellung „Projekt Genesis: Synthetische Biologie – das Leben aus dem Labor“ (Foto: Martin Hieslmair)

Die Entschlüsselung des menschlichen Genoms wirft aber auch jetzt schon Fragen für unsere Gesellschaft auf.

Ja. Das menschliche Genomprojekt ist Ende der 80er-Jahre ins Leben gerufen worden, damit man das gesamte Genom eines Menschen lesen kann. Es hat 13 oder 14 Jahre gedauert und weit über 3 Milliarden Dollar gekostet, bis man die gesamte Erbfolge in den einzelnen Bausteinen bestimmen konnte. Der technische Fortschritt seitdem ist so groß, dass jetzt ein menschliches Genom innerhalb von einer Woche für weit unter 10.000 Dollar sequenziert, also abgelesen wird. Inzwischen träumen Biotechnologen vom „1.000-Dollar-Genom“ zu kommen. In diesem Genom sind alle Informationen drin, die auch auf Erbkrankheiten hindeuten könnten, die im späteren Leben mal ausbrechen könnten, Eigenschaften die ein Lebewesen hat. Wenn ich das für dieses Geld in ein oder zwei Tagen auslesen kann ist das natürlich für Versicherungsgesellschaften oder Arbeitgeber interessant, die diese Informationen bekommen möchten. Da stellt sich dann die Frage: Wem gehört eigentlich mein Genom, das ich in mir drin hab? Das ist nirgendwo gesetzlich festgelegt.

Aber woraus kann das Erbgut ausgelesen werden?

Aus irgendwelchem zellulären Material. Z. B. hängt an deiner Teetasse, aus der du jetzt zwei oder drei Mal getrunken hast, wahrscheinlich schon genügend biologisches Material von deinen Lippen dran, sodass man mit der heutigen Technologie deine gesamte DNA auslesen könnte. Das ist ein Szenario, das bedrohlich wirkt. Panik muss man nicht haben, aber die Gesellschaft muss anfangen, darüber nachzudenken, wie wir damit umgehen, wenn es in einigen Jahren soweit ist. Da muss ganz klar gesetzlich geklärt werden, wem das Genom eines Menschen gehört.

Eine abschließende Frage: Warum sollte ich die Ausstellung besuchen?

Es ist eine Ausstellung, die über die Kunst den Zugang in die synthetische Biologie sucht. Das muss auch ganz stark im Vordergrund bleiben, finde ich. Bei der Ars Electronica generell sind es die Projekte, die im Vordergrund stehen, die alle von Künstlern und Leuten durchgeführt werden, die sich mit dieser Thematik sehr gut beschäftigen. Dadurch ist es aber auch keine Ausstellung, die nur Fragen beantwortet. Weil über die Kunst der Zugang eher der ist, dass die Gesellschaft drauf aufmerksam gemacht werden sollte, dass die Problematik überhaupt besteht und man dazu ermuntert werden sollte, sich in irgendeiner Art damit zu beschäftigen, dass wenn solche gesellschaftliche Fragen einmal auftauchen, man eine Meinung hat. Das ist wichtig, um gute Regelungen zu finden. Und es wird eine Zeit kommen, wo Regelungen notwendig sind.

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