Die ITU World 2013, die von 19. bis 22. November in Bangkok/Thailand stattfand, war nicht nur als Konferenz ein großer Erfolg. Ars Electronica Export kuratierte mit The Lab eine Ausstellung, die verschiedene künstlerische Positionen zum Thema präsentierte. Philipp Huemer war einer der Infotrainer, die von Linz aus die Reise nach Bangkok antraten, und das ist sein Bericht über die größte Telekommunikationsveranstaltung der Welt.
„Was, ICH?!“ – so erging es wohl jedem von und drei, als wir erfuhren, daß wir als IT’s zur ITU 2013 nach Bangkok mitfahren sollten, um „The Lab“, ein Projekt der Ars Electronica, zu präsentieren. Eigentümlicherweise hatten wir zuvor im Haus kaum oder nie miteinander Dienste verrichtet, was die Erwartung auf das, was kommen würde zusätzlich hob: Würde ich es mit Mathias fünf Nächte lang im selben Hotelzimmer aushalten? Wer 24 Stunden am Tag Zeit miteinander verbringt, muss sich mit Dingen wie Ess- und Schlafgewohnheiten sowie deren Begleiterscheinungen auseinandersetzten, was nicht für jede/n immer leicht ist. So brachen wir am 17.11. des frühen Nachmittags vom Linzer Hauptbahnhof auf. Katharina, Mathias und ich – eine des Thai mächtig, einer Geburtstagskind und einer auf seinen fünften Aufenthalt in Thailands Hauptstadt vorausblickend.
Titelgebend für diesen Artikel ist der Plan der Plattform, einen asiatischen Wirtschaftsraum nach Vorbild des EEC zu schaffen, den AEC (siehe Foto). Nach pünktlicher Landung in Bangkok-Suvarnabhumi ab in ein Taxi und gleich eine kleine Desillusionierung. Ich hatte das falsche Novotel lokalisiert und so waren wir nicht unweit von Bangkok Downtown (Silom) stationiert, sondern weit außerhalb, am dem Flughafen gegenüberliegenden Ende der Stadt. Egal, irgendwie würden wir schon zu unseren verdienten Abenden in Südostasiens pulsierender Metropole gelangen, zweifelsohne unser aller fixer Plan zur Gestaltung der paar Stunden Freizeit pro Tag, auf die wir hoffen konnten.
Ankunft im Hotel ca. 14:00 Ortszeit, für 16:00 war dann eine Einführung und Schulung im LAB, in den riesigen Hallen der IMPACT Arena geplant. Schon der Weg dorthin lieferte einen Eindruck dessen, was uns hier erwarten würde: ohne ein Gebäude verlassen zu müssen, dauerte es täglich etwa 10 bis 12 Minuten, um die Strecke von der Hotellobby zur Messehalle zurückzulegen, man fühlte sich am ehesten an einen enormen Flughafen erinnert, inklusive Gepäckcheck und Akkreditierungskontrolle.
Dann der Eindruck der ITU-Halle selber: Gleich beim Betreten brach eine optische Tidal-Wave in Form des Thailändischen Königspavillions über uns herein – Gold, Glitter und Gigantomanie in vollendeter Messebaukunst.
Interessanterweise haben Nordamerika und Europa auf diesem Parkett nicht viel zu bieten, abgesehen von EntscheidungsträgerInnen der ITU selber. Die HauptvertreterInnen der Telekombranche kamen aus Asien sowie den arabischen Ländern. Viele Zentral-afrikanische Pavillions vermittelten einen Eindruck darüber, wohin CEOs ihre Interessen exportieren werden, denn Bedarf, vor allem nach Infrastruktur gibt es dort genug; wohl auch nach Know-How. Mittendrin ein Stand, wie er roher nicht sein könnte: Aluminium-Trussing, kaum verhüllt, die Baustelle als Symbol für Transparenz und Bewegung, für Development im ursprünglichen Sinne, ohne aufgesetzten Protz oder projezierten Glanz, ein Workspace – The Lab!
Wir waren ganz schön baff. Hier und SO wollten wir also inmitten des Tanz‘ der Eitelkeiten bestehen? Es sollte sich als der beste Weg erweisen. Nach kurzen Shakehands mit Karl Schmiedinger, dem technischen Leiter, und Regina Sipos, die seitens der ITU Verantwortliche für den Bereich des LAB war, des sogenannten „Innovators Space“, übernahmen wir spontan die Initiative, da Martin Honzik Opfer einer Flugverschiebung wurde. Basierend auf den Erfahrungen im Ars Electronica Center und dem von Veronika Liebl vorbereiteten Infomaterial, starteten wir selbst die Schulung unserer ca. 10 thailändischen Helfer, die uns abwechselnd in den kommenden Tagen zur Seite stehen würden.
Dazu bekamen wir noch, im Nachhinein doch recht witzige, Stories über die diversen technischen Probleme und kommunikatorischen Herausforderungen für unser Technik-Team im Verlauf der vorangegangenen Woche zu hören, und wie sie es doch geschafft hatten, alles irgendwie zum Spielen zu bringen, wovon man im ersten Moment anscheinend und nachvollziehbar nicht ausgehen hätte können. Die Techniker hatten mehr als nur ganze Arbeit geliefert, das war Troubleshooting mit einfachen Mitteln auf höchstem Niveau!
Als Team erwiesen wir uns geschlossen lösungsorientiert. In einem Umfeld, das letztlich doch gänzlich anders als unsere europäische Welt funktioniert, kein Nachteil. Die Zeit wurde gut genutzt, alle waren halbwegs „auf Stand“, unsere Helfer schienen auch motiviert und inspiriert von der Andersartigkeit unseres Projektes. Die Stimmung war schon mal sehr gut. Wir hatten alle das Gefühl, uns auf einander verlassen zu können.
Am nächsten Morgen dann die Brandrede von Martin Honzik: Projektbesprechung am Morgen und die größte, DIE brennende Frage: Was tun wir hier eigentlich? Martin lieferte eine Antwort, die bei uns allen einen Schalter umlegte. „Wir sind hier das Gallische Dorf, wir sind die einzigen hier, die nichts verkaufen, außer gute Geschichten und Inspiration. Das ist unsere Waffe und so werden wir sie alle kriegen!“ Vielleicht nicht wortwörtlich so, aber inhaltlich, und damit war die Parole ausgegeben, und wir hatten geistig schon die Segel von Open Source, File- und Mindsharing, Storytelling und Inspiration durch das Zusammenspiel von Kunst, Technologie und Gesellschaft in den „Vent of Data“ gehisst.
Was sich daraufhin die nächsten vier Tage abspielte, kam dem gleich, was unter Urban Gardenern als „Seed Bombing“ bezeichnet wird. Wer auch immer das LAB betrat, kam intellektuell befruchtet wieder raus. Keiner konnte es fassen, dass die Objekte und Installationen nicht zum Verkauf ausgestellt waren, und dass sie von uns ständig in Metaebenen entführt wurden, die nicht wenige als inspirierend, ja kathartisch, empfanden. Es war herrlich zu sehen, wie Menschen, deren vorrangiges Interesse an dieser Zusammenkuft dem nächsten 100-Milionen-Dollar-Deal galt, mit staunenden Augen wie Kinder dastanden und die Dollarzeichen in den Pupillen langsam zu Lichtern wurden.
„Individual Prototyping“, der Fokus von Gustavo Valera, der seine Ideen zum 3-D-Druck in Demonstrationen über Spontanität, Kreativität und Individualismus im Allgemeinsinn verwandelte, schien die Weltbilder einiger BesucherInnen regelrecht in den Grundfesten zu erschüttern. Vor allem auch, weil er als Tool – einen spottbilligen 3-D-Drucker, den Maker-Bot – verwendete.
Die Nutzungsmöglichkeiten des BCI, nur als Mock-Up in verschiedenen Versionen vorhanden, erstaunten den Leiter der ITU, dermaßen, dass er seine Stipvisite letztendlich auf etwa eine Dreiviertelstunde ausdehnte, selbst über Nutzungsformen nachzudenken begann und fassungslos dastand, als ihm Martin den Shooting Star des LAB präsentierte: „Gravity Light“ – das Gewinnerprojekt des heurigen [the next idea] voestalpine Art and Technology grants, eine Zusammenfügung simpelster Techniken in neuartiger Form, bestechend durch seine Einfachheit, sodass man sich fragen muss, warum es sowas nicht schon seit hunderten Jahren gibt: Im Prinzip handelt es sich um ein Pendelsystem wie bei einer mechanischen Standuhr, nur dass kein Uhrwerk, sondern ein Generator damit betrieben wird – einmal angehoben zieht ein Sack, gefüllt mit was-auch-immer-schwer-ist, ein Band für etwa 30 Minuten durch eine Drehspule – Strom durch Gravitation! Trampen und Campen ohne Batterie!
Wieder handelt es sich hierbei sicher nicht um die Lösung unseres westlichen „Energieproblems“, aber um eine substantielle Alternative für individuelle Bedürfnisse, vor allem in ruralen Gegenden. Vor allem bei $ 5 angepeiltem Verkaufspreis für das Teil, so wie es ausgestellt wurde. Etwa ein Drittel der Aussteller auf der ITU kommen aus Afrika, etwa die Hälfte der asiatischen Aussteller aus armen Ländern und / oder Ländern mit infrastrukturellen Mängeln. Und so lässt sich ausmalen, was diese Idee in den Köpfen von CEOs, MinisterInnen oder PräsidentInnen ausgelöst hat. Da Human Ressources in gerade solchen Gegenden zur Genüge vorhanden sind, ist es ein Leichtes, die Idee des Gravity Lights weiter zu spinnen: Nimm einen größeren Generator, Gewichte, die vielleicht 10 Mann stemmen müssen, aber erzeuge danach genug Strom, um ein kleines Dorf mit Licht zu versorgen, oder, abhängig vom Drehmoment, auch elektrische Geräte zu betreiben!
Darüberhinaus lockte viele BesucherInnen das vorrangig ästhetische Spiel der Oribots von Matthew Gardiner, wie sie auch im Ars Electronica Center zu sehen waren. Die Form der Präsentation erregte sehr viel mehr Aufmerksamkeit, da durch die An- und Unterbringung in einem schwarzen Kobel die Leute quasi wie die Motten zum Licht flogen und so ein ständiges Kichern und viele „Ahs“ und „Ohs“ aus der Richtung der Oribots zu vernehmen war. Wir brauchten oft nurmehr den Kontext zwischen Tradition (Origami, Falttechnik der Schirme) und Moderne (3-D gedruckte Bauteile) herstellen, und schon war wieder einer infiziert – „what else have you got to show here?!“
Nun, abgesehen von alten Bekannten wie den Spaxels des Futurelab, den Transparent Specimen, Necomimi, Paro und Kazamidori, fand ich den „Blind Robot“ von Jean-Phillipe Demers noch sehr interessant: Auch er spielt in dieser Installation mit Fragen nach der tolerierbaren Huminoidität von Robotern, anhand der Frage, wie es sich wohl anfühlt, wenn Roboter so etwas wie Sensibilität entwickeln, und uns zärtlich berühren, oder, gleich einem Blinden, mit den Fingern ertasten. Interessant zu beobachten, wie sehr sich in diesem Zusammenhang der kulturelle Background niederschlägt, wo und wie wir gerne berührt werden und was wir als unangenehm empfinden, und damit verbunden natürlich der Gedanke, wie wohl ein Roboter agieren müsste, der z.B. als Krankenpfeger eingesetzt werden kann. Mit entsprechender Dokumentation könnte man dieses Kunstprojekt wohl auch unter soziologischen Aspekten erforschen.
Mit Fortlauf der Tage wuchsen wir zu einer geschlossenen Einheit zusammen, jede/r unterstützte den anderen wo es ging, manche redeten sich den Mund fusselig und im Production Office stapelten sich Einladungen und Kontaktadressen. Letztlich juckte es keinen der Verantwortlichen, dass der Pressetermin am vorletzten Tag platzte, der Erfolg des Auftritts war bereits längstens absehbar.
Die Abende verbrachten wir dann mit Besuchen der Innenstadt. Bei gutem Essen (kann es sein, dass die Thailändiche Küche eine der besten der Welt ist?) und gepflegten Drinks tauschten wir uns aus und motivierten uns für den nächsten Tag, im Dreiergespann, mit den Technikern, den beiden anwesenden Artists und auch mit den lokalen Volontären, die uns an Mathias‘ Geburtstag in Ecken der Stadt entführten, an die man als Tourist nicht in erster Linie denken würde. Den letzten Tag nutzten wir drei dann noch zu einem Besuch des Chatuchak, dem größten Markt Südostasiens, einer wohltuenden Massage in der traditionsreichen Schule im Wat Pho (Wat = buddhistischer Tempel), sowie einem abschließenden Dinner mit Simon von der Technik und Gustavo, sowie zwei seiner thailändischen Freunde, bevor es dann wieder auf die Rückreise ging.
Fazit: 9,6 von zehn für das LAB (das schönste am Streben nach Perfektion ist das Wissen, es immer ein wenig besser machen zu können) und von unserer Seite Danke für das Vertrauen!
Philip Huemer ist Infotrainer im Ars Electronica Center Linz.