Murmur – Auf den Spuren der Legasthenie

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Foto: Sean Goldhtorpe

Es dauerte 21 Jahre bis er seinen eigenen Namen richtig schreiben konnte. Der Künstler Aakash Odedra hatte bereits in der Schulzeit stark mit seiner Legasthenie zu kämpfen und schließlich im Tanz seine eigene Ausdruckssprache gefunden. Er gab ihm in einer Welt der geschriebenen Worte den Halt, den er brauchte. Gemeinsam mit dem Ars Electronica Futurelab hat er nun die Tanzperformance „Murmur“ auf die Beine gestellt, die mit Visualisierungen, Licht, Klang und Bewegung seine Sichtweise dieser Lese-Rechtschreib-Schwäche erzählt. Die Premiere der Show ist für den 6. Mai 2014 im renommierten DanceXchange in Großbritannien angesetzt – im Rahmen des International Dance Festival Birmingham 2014.

Es war eine sehr ergreifende Erfahrung, den eigenen Namen endlich richtig schreiben zu können. Denn in der indischen Zahlenkunde prägt besonders die Anzahl der Buchstaben und das Buchstabieren des eigenen Namens die Identität einer Person. Im indischen Tanzstil Kathak hat der 28-Jährige einen perfekten Anknüpfungspunkt gefunden, auf den sich seine Tanzperformance stützt. Konzipiert ist „Murmur“ für eine mindestens acht Quadratmeter große Tanzfläche, deren Requisiten und technischen Hilfsmittel rasch aufgebaut werden können.

Foto: Kristefan Minski

Die Zusammenarbeit mit dem Ars Electronica Futurelab begann bereits im Frühling 2013. Die Auszeichnung durch den „Sky Arts Futures Fund 2013“ eines britischen Pay-TV-Anbieters trieb das Projekt weiter voran. Und mit der Empfehlung der britischen Tageszeitung „The Guardian“, dass Aakash Odedra ein Tänzer ist, dem man folgen muss, sind die Erwartungen der Premiere von „Murmur“ besonders hoch gesteckt. Im April 2013 haben wir ihn und seinen Choreographen, Lewis Major, bei ersten Proben im Studio des Ars Electronica Futurelab interviewt. Damals hatten sie davon gesprochen, vor einem „Wald voller Ideen“ zu stehen, mit der Aufgabe, daraus einen Zahnstocher zu formen. Jetzt, ein Jahr später, waren sie erneut zu Gast im Futurelab. Wir haben die Gelegenheit genutzt, um kurz vor der Premiere nochmals nachzufragen, wie es um „Murmur“ gerade steht.

Habt Ihr den Zahnstocher schon gefunden?

Lewis Major: Ich denke, wir sind immer noch auf der Suche nach weiteren Ideen. Wir mussten uns einige Bäume aussuchen und von diesen Bäumen formen wir jetzt unseren Zahnstocher. Um bei dieser Analogie zu bleiben: Wir haben jetzt die Bäume, und es geht nun um das Finden des Zahnstochers. Das ist, was wir vor drei Wochen gemacht haben, wir hatten eine weitere Woche mit den Leuten vom Futurelab hier bei uns in Großbritannien.

Foto: Kristefan Minski

„Murmur“ ist der Titel Ihrer Tanzperformance, der sich auf den Begriff Murmuration bezieht…

Aakash Odedra: Murmuration bezeichnet buchstäblich einen Vogelschwarm an Staren, wenn sie aufeinandertreffen. Dieser Schwarm ändert laufend seine Form und Größe. Was wir bei unseren Recherchen herausgefunden haben, ist, dass wenn man optisch auf ein Objekt blickt, dies ins Gehirn weitergeleitet wird und sich die Idee dieses Bildes zu verändern beginnt. Diese Veränderung der Wirklichkeit, diese Fähigkeit, Objekte verändern zu können, das ist das, was wir auch erforschen möchten. Murmur bezieht sich grundsätzlich auf diese Idee eines Schwarms, dessen Strömung sich zu einer Einheit formt und sich dann wieder trennt. Wie ist es möglich, dass ein Star, der sehr intelligent ist, als Individuum in diese Masse fliegt und schließlich die Dynamik dieses einen Vogels den ganzen Schwarm verändert? Grundsätzlich ist das die Erfahrung von Legasthenie…

Lewis Major: Legasthenie war ein erster Ansatzpunkt, aber es stand von Beginn an fest, dass wir dazu etwas machen wollten. Im Wesentlichen geht es um die Erfahrung mit Legasthenie. Ein Bruchstück wird Teil der Geschichte eines Individuums, das seinen Weg durch die Welt findet und dabei lernt, wie andere die Welt wahrnehmen.

Aakash Odedra: Daher wird das allgemeine Verständnis von Legasthenie sogar unterbewusst herausgefordert. Bei unserer Recherche haben wir herausgefunden, dass sich die Geschwindigkeit des Denkens im Gehirn bei Legasthenikern um 400 bis 2.000 Mal vervielfacht. Und dann wird es schwierig, mithalten zu können. Hier gibt es einen Weg, den jeder Einzelne für sich finden muss. Und dieses Stück handelt über die Suche dieses Wegs. Im Allgemeinen muss jeder im Leben einen Weg finden, wie auch immer der Erfolg dann aussehen mag. Aber das Stück beginnt mit der Idee von Legasthenie und dann findet man einen Weg, um eine Welt oder ein Universum zu erschaffen, das für jeden vertraut ist.

Foto: Sean Goldhtorpe

Murmur verbindet Tanz mit Technologie…

Lewis Major: Tanz und Technologie, das ist keine völlig neue Sache, aber ich denke, der Weg sich gemeinsam mit Ars Electronica der Technologie über eine Live-Performance zu nähern, ist vielleicht ein anderer. Gerade, weil es so eine gemeinsame Erforschung von Legasthenie war, dem sich das Stück vor allem widmet. Es geht nicht darum, ein paar schöne Bilder für ein Tanzstück zusammenzustellen. Der Tanz versucht, etwas zu sagen, und fordert Menschen mit ihren Ideen und Konzepten heraus. Wir versuchen Technologie dahingehend zu verwenden, um das, was wir sagen, lauter und größer zu machen. Aakash ist der einzige Tänzer und es gibt einen großen Raum, der in verschiedenen Arten gefüllt werden kann. Und es gibt ein Bündel an Ideen, das wir mit Technologie erforschen möchten, um diese Ideen hervorzuheben und daraus die Konzepte abzuleiten. Das ist der Grund, warum wir mit dem Ars Electronica Futurelab zusammenarbeiten wollen.

Aakash Odedra: Schauen wir doch einmal auf die Technologie und die Computer, die wir haben. Hier gibt es immer ein System. Im Tanz haben wir genauso ein System. Was oft passiert, wenn wir Technologie und Tanz nutzen, ist, dass uns diese Systeme scheinbar getrennt vorkommen. Wichtig bei diesem Stück ist jedoch, dass wir diese beiden Systeme miteinander verbinden möchten. Das System des menschlichen Denkens und des Tanzes, und des Körpers, und die Mechanik und die Technologie, die wir besitzen. Und auch, um Objekte virtuell in den Raum zu bringen. Wir leben in einer Welt voll von Technologie und wir nutzen sie die ganze Zeit. Manchmal ist es auch eine virtuelle Welt, die wir erzeugen, und die manchmal eindimensional wird. Aber nur die Möglichkeit zu haben, in diese Welt hineintreten zu können, bringt diese beiden Elemente zusammen und erschafft dieses dreidimensionale Universum, an dem sich Menschen orientieren können. Das ist etwas, das wir versuchen, mit diesem Projekt zu erreichen.

Lewis Major: Die Idee einer Realität, in der wir leben, und die Idee dieses surrealen Universums, das wir in unserem Kopf leben, das ist, denke ich, ein sehr guter Punkt: Technologie kann dieses surreale Element ergänzen.

Aakash Odedra: Technologie kann dir einen Einblick in deine Gedanken verschaffen – nicht, was genau in deinem Kopf vorgeht, aber sie erlaubt es, ein Fenster des Vorstellungsvermögens zu schaffen. Das ist das, was wir mit unserem Stück versuchen: Einer Person zu ermöglichen, auch in die Welt der Vorstellung eintreten zu können – mit Technologie.

Foto: Sean Goldhtorpe

Ist es schwierig für Sie als Tänzer, sich in dieser Virtualität zu bewegen?

Aakash Odedra: Ich denke, es ist auch ein Entdeckungsprozess für uns alle. Alleine wie schwierig es sein kann zu tanzen… Es gibt nicht nur mich auf der Bühne, da gibt es eine Verbindung zu Lewis, der von außen auf mich blickt, da gibt es die Verbindung zur Technologie, die versucht, alles miteinander zu verbinden und eine Balance von all den Energien auf der Bühne zu finden. Das ist sehr herausfordernd und eine Art Reise, bei der man die richtige Balance herausfindet, was funktioniert und was nicht. Wir versuchen immer noch, wie Lews bereits sagte, die Bäume und daraus die Zahnstocher zu finden.

Foto: Sean Goldhtorpe

Wie ist das Ars Electronica Futurelab in das Projekt involviert?

Lewis Major: In einer sehr breiten Perspektive. Wir haben alle auf eigenen Wegen profitiert, denke ich, aber ein gemeinsames Ziel angesteuert. Es ging nicht nur ums Programmieren, und um Beleuchtung und Projektionen und um Mapping. Es ging um das Stellen von Fragen über das, was es bedeutet, diese Erfahrung mit Legasthenie gemacht zu haben. Wir haben unsere Meinung zum Thema gegeben und haben das wirklich von Grund auf gemeinsam aufgebaut. Nur in verschiedenen Wegen. Ich bitte Aakash, etwas mit seinem Körper zu tun, und so können sie das auch. Eine sehr sympathische Erfahrung.

Foto: Sean Goldhtorpe

Aakash Odedra: Es ist fast so wie Tennis. Du gibst eine Idee, sie schlagen zurück und daraus wird ein Schneeball. Dieser wird größer, es wird interessanter. Genauso wie es unser künstlerisches Engagement gab, machten auch sie genauso mit. Ich beziehe mich da auf die Einstellung, die jeder am Anfang hatte: Wir sagten nie Nein zu einer Idee, egal wie lächerlich sie auch sein mochte. Wir hatten anspruchsvolle Ideen und wenn sie nicht verwirklicht werden konnten, so halfen sie uns, Lösungen zu finden. Sie wurden die Wegbereiter und halfen uns, die Äste zu formen, damit sie in unsere Richtung wachsen können. Wir waren alle auf derselben Seite. Wenn wir auf ein Bild blickten, konnten wir alle gemeinsam einverstanden sein oder es ablehnen, ziemlich gleich, ob es funktioniert oder nicht, was phänomenal war.

Lewis Major (links) und Aakash Odedra (rechts), Foto: Martin Hieslmair

Wird es ein Ende des Projekts geben?

Aakash Odedra: Es ändert sich immer wieder aber irgendwann kommen wir wieder zurück. Wir glauben, das Stück hat Potential.

Lewis Major: Es wird eine Möglichkeit geben, zurück zu kommen und vielleicht eine Party zu veranstalten, und auch, um alles ein bisschen mehr zu verfeinern hier im Lab. Wir könnten sicher mehr entwickeln, Diskussionen fortsetzen und sehen, wo uns das Stück hinbringt. Ich glaube, die letzte Aufführung wird nicht das Ende des Projektes sein.

Aakash Odedra: Für Lewis und mich, denke ich, war es wie eine Familie zu werden. Auch wenn es nicht der Arbeit wegen ist, müssen wir wiederkommen. Ehrlich gesagt, geben wir dem Projekt kein Ende. Wir behalten es mit einem Fragezeichen. Wir müssen immer zurückkommen, wir müssen es immer wieder verbessern, und alles wachsen lassen. Wir finden diesen Ort sehr inspirierend, auch seine Leute. Sie erlauben es, unsere künstlerische Vorstellungskraft weiter wachsen zu lassen, als man es sich vorstellen kann.