CODE – Die Sprache unserer Zeit

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Mit der Eröffnung der Ausstellung „CODE – The Language of Our Time“ sowie Vorträgen und Workshops zum Thema startet am 6. November 2014 die neue Reihe „Ars Electronica in the Knowledge Capital“ in Osaka – mit 2,6 Millionen Einwohnern die drittgrößte Metropole in Japan. Die Diskussionsplattform im Grand Front Osaka, einer eigenen Stadt in der Stadt, ist die konsequente Fortführung des Programms “Creative Cloud Osaka”, das im vergangenen Jahr gestartet wurde. Mit dabei im November: Golan Levin, Pionier im Bereich der interaktiven Kunst, und die japanische Künstlergruppe exonemo.

Jeder Jahreszeit sind in Osaka ab sofort brandaktuelle Themen zugeordnet, die die Ars Electronica schon vor einiger Zeit aufgegriffen hat. „CODE – the Language of Our Time“, das Herbst-Thema, bezieht sich auf das gleichnamige Festival 2003. Wir haben uns mit Gerfried Stocker, dem künstlerischen Leiter der Ars Electronica, getroffen, um gemeinsam einen Blick auf sein kuratorisches Statement vor elf Jahren zu werfen und darüber zu reden, wie sich die Sichtweisen auf Kunst und Code seitdem geändert haben oder gleich geblieben sind.

Gerfried Stocker während des Festivals 2014, Foto: Florian Voggeneder

„Das Internet ist kein gesetzloses, chaotisches, ungeordnetes Niemandsland mehr. Längst steht es im Zentrum von handfesten Versuchen, es einer lückenlosen Regulierung und Kontrolle zu unterwerfen.”, Gerfried Stocker 2003.

Würden Sie diesem Satz noch etwas hinzufügen, 11 Jahre danach?

Gerfried Stocker: Das Jahr 2003 stand für den Moment, wo wir besonders stark merkten, dass immer mehr Unternehmen das Internet für sich entdeckten. Natürlich gab es damals bereits Projekte wie Amazon oder eBay, aber besonders in Europa war das noch nicht so ersichtlich. Aber zu dieser Zeit wurde es immer klarer, dass das steigende Interesse, das Internet für eigenständige geschäftliche Tätigkeiten zu verwenden, dazu führte, dass immer mehr Druck und Macht sichtbar wurde, das Internet organisieren zu wollen. Das hat die Vorstellung über das Internet, die viele Leute damals hatten, ganz besonders beeinflusst. Bis dahin galt das Internet als ein Ort für Computerfreaks und Gesetzlose – es zählte damals immer noch ein bisschen zum „Untergrund“. Aber um Geschäfte machen zu können, muss man bestimmte Dinge tun. Schauen Sie doch einfach auf die Geschäfte, die uns umgeben: Man muss einen schönen glänzenden Ort schaffen, wo sich Menschen sicher fühlen und bestimmte Regeln einrichten, die jede und jeder versteht. Das ist es, was im Jahr 2003 begann, und das ist es, warum wir uns damals Gedanken über die Regeln machten, die hinter dieser Infrastruktur steckten.

Jetzt, elf Jahre später, haben wir den Eindruck, dass das Internet beinahe komplett vom Geschäftsleben in Besitz genommen wurde.

Wir haben nun immer wieder Schwierigkeiten zu verstehen, dass es immer noch eine Menge an Bereichen und Gebieten gibt, die nicht kommerzialisiert worden sind. Die Perspektive hat sich geändert und vielleicht auch das Gleichgewicht: im Internet treffen wir auf ein großes Unternehmensfeld, das dadurch sichtbar wird, dass Medien darüber sprechen – egal, ob man die Zeitungen liest, Magazine durchblättert oder im Fernsehen darauf stößt. Alles dreht sich um das „Big Business“ – denken Sie nur an Google oder Uber, der Streit gegen die neue Idee, Taxis und Personenverkehr neu zu organisieren. Vor elf Jahren konnte man hauptsächlich über Unsicherheiten und all den Hackern, Computerfreaks und Abenteurern lesen. Das ist es, wie sich die Perspektive geändert hat. Wir als Ars Electronica müssen nun viel mehr dazu beitragen, Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit in all diesen interessanten kulturellen und bildenden Communities zu bekommen. Denn 2003, als wir das Festival und sein Thema „CODE“ vorbereiteten, war auch die Zeit, als wir darüber nachdachten, die Kategorie der „Digital Communities“ im Prix Ars Electronica einzuführen. Das ist einer der wirklich wichtigsten Punkte heute: mehr Aufmerksamkeit auf den kulturellen und bildenden Teil des Internets zu werfen.

Eyecode von Golan Levin, Foto: John Berens

Im Artikel aus 2003 stellen Sie sich selbst die rhetorische Frage, ob Kunst programmierbar ist und ob Software selbst auch Kunst sein kann. Was würden Sie heute darauf antworten?

Gerfried Stocker: Software und Code sind sehr gut mit Kunst vergleichbar. Kunst ist auch eine Form, bei der man etwas formuliert, das sehr abstrakt ist und unter dem Strich eine Botschaft, eine Geschichte, ein Objekte, ein Musikstück oder ähnliches herauskommt. Ich denke, das Schaffen von etwas aus einer abstrakten Materie, das ist sehr charakteristisch für Kunst und das ist im Grunde genommen auch das, was das Schreiben von Code bedeutet. Man hat eine große Anzahl an abstrakten Regeln und Codes und Befehlen. Und dann, wenn man sie richtig zusammensetzt, bekommt man etwas heraus, das einen echten Einfluss auf das reale Leben haben kann. Es ist dieser Vergleich, warum Kunst so spannend sein kann, um die Welt der Codes und Software zu verstehen, wenn plötzlich etwas auftaucht, das gänzlich virtuell ist und nur als Abstraktion existiert.

Der Übergang von Virtualität in die Realität, das ist ein besonders spannendes Verhältnis zwischen Kunst und Code.

Antibot T-Shirts von exonemo, Foto: exonemo

Die “heißen Bereiche” und neuen Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts werden Bioinformatik, Digital Biology sein, nach Artificial Intelligence und Neurobionik, wie sie damals schrieben. Das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts ist nun vorbei. Hat sich Ihre Vorhersage bewahrheitet?

Gerfried Stocker: Dies war nicht wirklich eine Vorhersage – ich denke, man kann das nur dann als Vorhersage bezeichnen, wenn man darüber in den 1970er Jahren geschrieben hätte. Das Ziel der Ars Electronica ist es nicht, etwas vorherzusagen. Wir möchten vielmehr die Themen aufgreifen, die sich gerade im Entstehen befinden oder schon bestehen, und darüber nachdenken, welche Folgen und Auswirkungen damit verbunden sein könnten. Es ist, denke ich, ganz besonders wichtig, dies nicht als Vorhersage wahrzunehmen. Die Entwicklungen waren im Jahr 2003 schon sehr deutlich sichtbar, und das ist noch nicht lange her. Das erste Schaf wurde 1996 geklont, das Festival CODE fand sieben Jahre später nach „Dolly“ statt. Sogar das Human Genome Project war beinahe beendet zu dieser Zeit, wir hatten es bereits mit Personen wie Craig Venter zu tun, die reiche Unternehmer wurden, indem sie den Code der menschlichen DNA verkauften und neue Geschäftsmodelle mit menschlicher DNA etablierten.

Aber natürlich sehen wir heute, dass Bereiche wie Bioinformatik, Bionics oder Artificial Intelligence immer mächtiger werden. Es gab sehr viele wesentliche Durchbrüche in den letzten elf Jahren. Mittlerweile haben wir es mit Supercomputern wie Watson zu tun, die bei Jeopardy gewinnen können, und dergleichen. Besonders wenn wir uns dem Thema Bioinformatik zuwenden, denke ich, haben wir es mit einem noch nicht ganz von der Öffentlichkeit wahrgenommenen Feld zu tun. Aber die Bedürfnisse der Informationstechnologie, die Bedürfnisse für Supercomputer, für schnelle Speicherlösungen und hohe Bandbreiten und die Bedürfnisse, die sich aus dem Feld der Biotechnologie ergeben, sind besonders hoch – wie es bei DNA-Analysen der Fall ist. Sie sind zur Antriebskraft geworden, wenn es darum geht, neue Software zu entwickeln, künstliche Intelligenz zu nutzen und all die Daten analysieren zu können. Es ist immer noch ein sehr technisches und wissenschaftliches Feld, dessen Bedeutung aber wirklich immens ist.

Was wir auch immer mehr und mehr erkennen können, ist, dass das Lernen von der Natur und biologischen Organismen etwas ist, das immer wichtiger wird bei der Entwicklung von Computertechnologien – beispielsweise wenn es um die Organisation von Information geht oder wie wir mit der Umgebung interagieren.

Ich glaube, wir sind erst am Beginn dieser Entwicklung, und vermutlich müssen wir sagen, dass da noch viel kommen wird. Heutzutage können wir viel deutlicher mögliche Anwendungen und betroffene Bereiche erkennen, wo die Verbindung von digitalem Code und biologischem Code, von Computertechnologie und Biotechnologie, stattfinden wird. Man denke dabei nur an die ganze Entwicklung der bionischen Prothesen der vergangenen elf Jahre. Einige Objekte, die wir im Ars Electronica Center zeigen, sind nun keinerlei seltsame wissenschaftliche Forschungsprojekte mehr sondern sie wurden Wirklichkeit für Patienten, denen Elektroden implantiert wurden, um robotische Prothesen oder eine Roboterhand steuern zu können. All diese Ideen für die Prototypen gab es bereits schon im Jahr 2003. Das ist es, warum wir nicht von einer Vorhersage sprechen können, und warum es eventuell für manche Menschen von uns heute schon Realität sein kann.

Bereits vor 11 Jahren widmete sich das Festival Ars Electronica dem Thema „CODE“. Foto: Sabine Starmayr

Sie haben geschrieben, dass digitale Codes die „Materia Prima“ unserer modernen, globalen Informationsgesellschaft sind. Wie kann Kunst die Sprache unserer Zeit unterstützen?

Gerfried Stocker: Es ist tatsächlich der Fall, dass Code die “Materia Prima” ist, das Rohmaterial. Die wichtigste Aussage hinter diesem CODE-Festival im Jahr 2003 war, wirklich zu verstehen, was möglich ist durch das Schreiben von Code.

Je mächtiger diese Technologie und die Maschinen sind, desto mächtiger ist auch der Code, der sie antreibt.

Im Jahr 2003 gab es schätzungsweise 300 Millionen Menschen, die mit dem Internet verbunden waren, heute sind es über 2,6 Milliarden. Und für all diese Menschen bestimmt der Code, was sie mit dieser Technologie tun können. Wenn sie das neueste Gadget wie ein Smartphone oder andere Dinge kaufen, wenn Sie als WissenschaftlerIn mit einem Supercomputer arbeiten – Code bestimmt, wie sie diese Technologie nutzen können und wie sie diese für sich nutzen können. Der immer wichtiger werdende Punkt heute ist jedoch die Idee einer Kompetenz, Code schreiben zu können. Ich denke, jede und jeder, auch in Schulen, sollte das Programmieren lernen. Es geht nicht darum, Programmiererin oder Programmierer zu werden, aber die Macht und Wichtigkeit von Code zu verstehen. Solange dies nicht geschieht, ist es die Aufgabe der Kunst, dies zu tun. Sie kann die fehlende Erfahrung im Bereich der Information und des Wissens kompensieren, das die allgemeine Öffentlichkeit nicht hat. Die meisten Menschen, die das Internet nutzen, haben keine Ahnung davon, wie Code funktioniert. Genau deshalb sind wir so überrascht von Überwachungen und dergleichen. Wenn man etwas davon versteht, wie Code funktioniert und wie Software entwickelt wird, dann wären wir nicht so überrascht gewesen. Wir hätten viel früher damit begonnen, uns zu wehren. Ich glaube, Kunst hat eine äußert wichtige Rolle für uns, um zu verstehen, wie Code unser modernes digitales Zeitalter formt und strukturiert.

Die Ausstellung “CODE – The Language of Our Time” ist von 6. November 2014 bis 25. Jänner 2015, von 10:00 bis 21:00, im Knowledge Capital Osaka bei freiem Eintritt zu sehen. Mehr Informationen finden Sie auf http://kc-i.jp/arsinkc/en/