Myriads: Transgression in der Post City

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Die italienischen Künstler und Gründer des internationalen Netzwerks AOS (Art is Open Source), Oriana Persico und Salvatore Iaconesi, werden am Ars Electronica Festival 2015 ihr neuestes Projekt „Myriads“ präsentieren – eine Kombination ihrer Arbeiten Human Ecosystems und Ubiquitous Commons. Dabei werden performativ die Informationslandschaft in Städten, die Auswirkung von Big Data auf unser tägliches Leben, die neuen Grenzen öffentlicher, privater und intimer Räume unserer vernetzten Gesellschaft und die Rolle von Margen und Transgressionen in Smart Cities erforscht.

Wir haben mit den beiden Künstlern gesprochen, um ein besseres Verständnis für das Projekt und seine vielschichtigen Auswirkungen zu bekommen.

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Oriana Persico und Salvatore Iaconesi

Hallo ihr beiden! Könnt ihr uns zunächst bitte mehr über das Human Ecosystems Projekt erzählen?

Salvatore Iaconesi: Jeden Tag generiert jeder von uns eine enorm große Menge an Daten und Informationen, selbst wenn wir uns dessen gar nicht bewusst sind. Wir können von diesen Daten nicht profitieren, weil sie für uns gar nicht zugänglich sind oder wir gar nicht wissen, dass es sie überhaupt gibt. Welche Informationen sammelt Facebook beispielsweise über mich? Welche sammelt mein Mobilfunkanbieter? Werde ich kategorisiert und wenn ja, in welche Schublade werden ich gesteckt? Wir wissen es nicht und wir können es auch nicht wissen.

Das Human Ecosystems Projekt behandelt genau dieses Thema, indem es alle möglichen Daten – von sozialen Netzwerken, Smartphones, Sensoren, Wearables und so weiter – sammelt, sie in Gemeingüter umwandelt und somit für jeden frei zugänglich macht.

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Human Ecosystem S. Paulo, Sesc – Vila Mariana, September 2014

Oriana Persico: So entsteht eine Art „Echtzeit-Museum“, indem sich all diese Date und Informationen befinden. Dort kann man lernen, wie man mit diesen Daten umgeht und wie sie richtig für kollaborative Zwecke eingesetzt werden können. Das „Echtzeit-Museum“ ist ein öffentlicher Raum, in dem generative Kunst, interaktive Installationen und Informationsvisualisierungen gemeinsam mit einem breiten, integrativen Bildungsprogramm angeboten wird und wo Bürger, Kinder, ältere Menschen, Künstler, Designer, Forscher und die öffentliche Verwaltung lernen, wie man gemeinsam Entscheidungen trifft, wie man sich bestmöglich in der Gesellschaft organisiert, wie man mehr über unterschiedliche Territorien und Kulturen erfährt und wie man andere dazu motiviert sich an Gemeinschaftsaktionen zu engagieren.

Natürlich treten auch ein paar Probleme auf, wenn jeder von jedem alle Informationen hat. Wie kann man sich dann beispielsweise noch selbst schützen? Das Ausbildungsprogramm beinhaltet aber auch Antworten auf solche Fragen.

Human Ecosystems kommt bereits auf unterschiedliche Arten in mehreren Städten zum Einsatz, wie in Rom, Sao Paulo, New Haven, Montreal, Toronto, Berlin, Lecce, Bari, Budapest und jetzt kommt es auch während des Ars Electronica Festival 2015 nach Linz.

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Was ist Ubiquitous Commons?

Oriana Persico: Momentan gibt es keine Tools, bei denen man seine Wünsche äußern kann, wofür die eigenen gesammelten Daten genutzt werden sollen und das Internet der Dinge verschärft diese Situation in Zukunft noch weiter. Zurzeit habe ich beispielsweise keine Möglichkeit selbst zu bestimmen, dass meine Daten für politische Zwecke, für die Wissenschaft oder für die Kunst verwendet werden sollen.

Salvatore Iaconesi: Ubiquitous Commons beschäftigt sich genau mit diesem Problem. Es handelt sich dabei um eine internationale Forschungsbemühung, die ein rechtliches und technologisches Toolkit hervorbringen will, das es einer Einzelperson ermöglicht, auszudrücken, wofür die eigenen Daten genutzt werden sollen. Es sollen gemeinsame, partizipatorische Prozesse entwickelt werden, bei denen Daten, Informationen und Wissen generiert werden und in eine hochwertige, auf Vertrauen basierende Umgebung integriert werden.

Oriana Persico: Die ersten Schritte zur Implementierung von Ubiquitous Commons sind schon gemacht, indem es auf sozialen Netzwerken und Online-Diensten bereits zugänglich ist. In den nächsten Schritten soll es auch für internetfähige Endgeräte, Wearables, biotechnologische Geräte und vieles mehr bereitgestellt werden. Bei Myriads werden wir am Ars Electronica Festival auch mehrere Workshops zu Ubiquitous Commons und dessen Auswirkungen machen.

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Projekt Myriads

Das Wort Myriads steht für „unzählbare Menge“. Was erwartet uns bei Myriads am Ars Electronica Festival 2015?

Oriana Persico: Innovationen passieren nicht isoliert. Wir Menschen entwickeln ständig Innovationen und programmieren unsere Welt um uns herum andauernd neu. Das geschieht, indem wir regelmäßig soziale Nomen brechen und Grenzen überschreiten.

Myriads kombiniert die Projekte Human Ecosystems und Ubiquitous Commons, um eine interaktive, partizipatorische Ausstellung zu entwickeln, die zum Ziel hat, die Rolle der Transgression von Smart Cities zu erkunden. Myriaden, also unzählbar viele, Mikrogeschichten einer Stadt verbinden sich unablässig und immer wieder auf’s Neue und bewirken so die ununterbrochene Mutation der Stadt.

Salvatore Iaconesi: Der Architekt Rem Koolhaas hat im September vergangenen Jahres einen Vortrag bei einem hochrangigen Meeting über Smart Cities gehalten und kritisch die Europäische Gemeinde gefragt: „Warum bedeuten Smart Cities nur Fortschritt? Wo bleibt die Möglichkeit der Transgression?“

Transgression schafft eine taktische, kulturelle, biologische Vielfalt, die den Wohlstand und den Reichtum einer Stadt darstellt. Das Geheime und das Inoffizielle bleiben bestehen – jenseits von Kriminalität – in der Transgression sozialer Normen und Grenzen. Man überschreitet keine Grenzen: man bewegt sich an ihnen entlang.

Mit Myriads wollen wir die Disziplin der Peer-to-Peer-Ethnografie in einer Stadt etablieren: eine verteilte, partzipatorische Beobachtung, die Myriaden an Geschichten sammelt, transformiert und unter anderem in Gestalt von Kunst und Bürgerinnen- und Bürgerbeteiligung ausdrückt.

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Salvatore Iaconesi (aka xdxd.vs.xdxd)

Interaction designer, robotics engineer, artist, hacker. TED Fellow 2012, Eisenhower Fellow since 2013 and Yale World Fellow 2014. He teaches Near Future Design at the Faculty of Architecture of the “La Sapienza” University of Rome and ISIA Design Florence. Founder of Art is Open Source and Human Ecosystems, Principal Investigator at Ubiquitous Commons.

Oriana Persico (aka penelope.di.pixel)

Artist, cyber-ecologist, expert in participatory policies and digital inclusion. She has worked with national governments and the EU to create best practices and researches in the areas of digital rights, social and technological innovation, practices for participation and knowledge sharing. She teaches Near Future Design at ISIA Design Florence. Co-founder at Art is Open Source and Human Ecosystems, Relation and Partners Coordinator.

Während des Ars Electronica Festival 2015 finden Sie die Ausstellung Myriads in der POST CITY, dem diesjährigen zentralen Festivalgelände. Zusätzlich finden 15 Workshops mit dem Titel „Workshop Pills” statt. Hier finden Sie nähere Informationen: https://ars.electronica.art/postcity/myriads/ und https://ars.electronica.art/postcity/myriads-of-knowledge-pills/