Was hat es mit den radikalen Atomen auf sich? Und was haben Alchemisten mit dem Ars Electronica Festival 2016 zu tun, das von 8. bis 12. September 2016 in Linz stattfinden wird? Gerfried Stocker, der künstlerische Leiter der Ars Electronica, erzählt uns mehr über die junge Generation von WissenschaftlerInnen und kreativen IngenieurInnen, die gerade daran arbeitet, die körperlose Welt der digitalen Daten mit der physischen Welt unserer Körper zu verschmelzen. Wir haben nachgefragt, was uns nach dem Internet der Dinge erwartet, und mit welchen Visionen des Übermorgen wir uns schon heute beschäftigen.
Wie kam es zu dem Thema des Ars Electronica Festival 2016, „RADICAL ATOMS and the alchemists of our time“?
Gerfried Stocker: Ausgangspunkt von RADICAL ATOMS ist zunächst die Zusammenarbeit mit Hiroshi Ishii – ein bekannter Visionär, der das Ars Electronica Festival in Linz schon seit vielen Jahren kennt. So drehte sich das Ars Electronica Festival im Jahr 1997 rund um das Thema „Fleshfactor“ und zeigte damit zum ersten Mal einer breiten Öffentlichkeit, wie die Welt des Computers und des Digitalen mit der Welt unserer Körper verbunden werden kann. Damals gab es weltweit zwei ganz große Protagonisten dieser Entwicklung: Mark Weiser und Hiroshi Ishii, die sich beide zum ersten Mal hier beim Ars Electronica Festival in Linz auch persönlich getroffen haben. Hiroshi Ishii erzählte mir oft davon, wie sehr ihn diese Begegnung beeindruckt hatte. Eines der berühmtesten und schönsten Projekte, die Hiroshi Ishii in weiterer Folge entwickelte, sind die „Music Bottles“ von 1999.
Dieses Projekt zeigt am besten, wie er mit seinem kreativen Zugang unsere Vorstellung der Schnittstelle Mensch und Maschine in den 1990er Jahren neu definiert hat. Versetzen Sie sich doch in diese Zeit zurück. Die ersten Flachbildschirme für Consumer sind 1996 auf den Markt gekommen und bis dahin hatten wir alle noch diese großen Röhrenbildschirme auf unseren Schreibtischen stehen – Computer, und selbst das was damals als Laptop verfügbar war, waren unhandliche Monster. Die Idee, dass man zur Bedienung des Computers einfach mit den Fingern über eine Oberfläche gleitet, war nicht mehr als eine vage Vision. Hiroshi Ishii dachte aber schon damals laut darüber nach, dass wir von den Paradigmen der Tastatur, der Maus und des Bildschirms wegkommen und die Schnittstellen in die Objekte unseres Alltags hineintragen müssen. Bei diesem Projekt hat er das in einer einfachen aber überzeugenden Weise gemacht. Es handelte sich dabei um Flaschen, die unterschiedliche Musikinstrumente erklingen ließen, sobald man die jeweiligen Stöpsel herausgezogen hatte. Als dies beim Ars Electronica Festival erstmals einem breiten Publikum gezeigt wurde, waren die BesucherInnen begeistert, nicht nur von den Bottles, sondern von der Vision, dass es da noch etwas ganz anderes geben wird als die grauen Kisten auf unseren Tischen.
Mittlerweile sind wir in dieser Welt hinter den grauen Kisten. Die Vision, die Hiroshi Ishii damals mit diesen kreativ-künstlerischen Prototypen gezeigt hat, ist mittlerweile Mainstream der IT-Industrie: Geräte zu finden, die nicht mehr eine besondere Eingabetastatur brauchen, sondern die man einfach angreifen und mit unserem Körper steuern kann. Was er aber damals auch schon vorgezeichnet hat ist die Idee des Internet der Dinge. Nicht mehr ein dediziertes Gerät, das wir Computer nennen, ist für die Informationstechnologie zuständig, sondern jedes einzelne Gerät in seiner unterschiedlichen Funktionsweise und -tiefe ist ein Teil eines komplexen Netzwerkes von intelligent miteinander vernetzten Maschinen. Ob das Internet der Dinge ein ebenso großer Erfolg sein wird, wie ihn das „Internet der Menschen“ in Form der Social Media erlebt hat, das ist etwas, worüber noch viel zu diskutieren bleibt. Und ich denke, dass KünstlerInnen in dieser Entwicklung eine entscheidende Rolle spielen werden.
Und dann stellt sich natürlich die Frage, was kommt nach dem Internet der Dinge?
Gerfried Stocker: Genau, ich bin selber erstaunt, wie aktuell Ishiis Arbeiten aus der Mitte der 1990er Jahre eigentlich noch immer sind, wenn es darum geht, die Frage zu stellen: Wie kommen wir wirklich hinter diese hermetische Barriere, die die Technologie immer wieder stellt? Faszinierend ist, dass sich in der Zwischenzeit ergeben hat, dass das Internet der Dinge nicht mehr nur eine Vision von irgendwelchen IngenieurInnen und kreativen DesignerInnen ist, sondern überall, ob in der Europäischen Union, in Asien oder in den USA, als die große nächste Hoffnung für den wirtschaftlichen Erfolg der IT-Industrie gesehen wird. Und wir haben es mittlerweile natürlich mit gänzlich anderen Technologien und einer komplett neuen und jungen Generation von IngenieurInnen und WissenschaftlerInnen zu tun, die an solchen Konzepten arbeiten.
Ungefähr genauso weit entfernt von einem Alltagsprodukt wie es 1999 die „Music Bottles“ waren, sind heute noch diese Prototypen von „TRANSFORM“, die die Tangible Media Group rund um Hiroshi Ishii in den vergangenen zwei Jahren vorgestellt und entwickelt hat. Mit dabei ist auch Daniel Leithinger, ein Österreicher, der übrigens zuvor im Ars Electronica Futurelab gearbeitet und sich schließlich dem MIT Media Lab angeschlossen hat. Natürlich ist das noch eine große Apparatur – aber man muss sich immer wieder daran erinnern, dass der erste Transistor 1948 so groß war wie eine Kiste und wir mittlerweile mehr als zehn Millionen Transistoren auf einem Quadratmillimeter unterbringen.
Das fantastische an diesem Konzept sind die Visionen, die es mit sich bringt. Dabei wird Kommunikation physisch in einem Raum aufgebaut, dessen Elemente aber auch an verschiedenen Orten der Welt stehen können und eine telematische Übertragung von körperlicher Aktion möglich machen. Eine völlig neue Idee, wie eine Maschine schön langsam zum Material wird. Natürlich ist der Schritt von solchen großen Elementen hin zur Nanostruktur und zu Atomen sicher noch ein sehr weiter, aber der Schritt in unserer Fantasie ist enorm kurz, wenn wir uns vorstellen wie klein das sein könnte und wie wir sämtliche Formen entsprechend dieser Vorstellung gestalten könnten.
Von einem Kollegen von Hiroshi Ishii gibt es eine äußerst schöne Produktidee, die bisher nur als Prototyp existiert. Carlo Ratti ist einer dieser neuen Generation der jungen kreativen DesignerInnen und IngenieurInnen. Lift-Bit ist seine Sofalandschaft, die individuell zusammengestellt werden kann, und wo dessen Elemente sich dank Drucksensoren an den Körper anpassen. Konfiguriert wird das Ganze dann bequem mit dem Smartphone.
Bis wir Sofalandschaften in der Größe von Atomen bauen, ist es aber noch ein weiter Weg…
Gerfried Stocker: Ja, aber mit diesen Konzepten und Prototypen wird bereits vieles von dem vorstellbar, was dann möglich sein wird – und darum geht es ja, um die Visionen und Ideen. Wirklich spannend wird es natürlich, wenn diese mechanischen Ansätze auf biologische, biotechnische und chemische Elemente übertragen werden können. Das ist einer der spannendsten Hypes unter den jungen Kreativen derzeit. BioLogic ist so ein Projekt, das ebenfalls aus der Schmiede von Hiroshi Ishii‘s Lab stammt. Eines der größten Probleme mechanischer Bewegungen ist ja, dass die Antriebe, die man dafür braucht, nur bis zu einem bestimmten Ausmaß verkleinerbar sind. Und genau da setzen die hier mit ganz unkonventionellen neuen Methoden an: Eine Substanz, die man aus der seit Tausend Jahren bekannten Fermentierung von Sojabohnen mit einem bestimmten Bakterium gewinnt, wird auf Textilien, Papier oder weiche organische Stoffe aufgebracht und führt dazu, dass dieses Material nun auf Feuchtigkeit reagiert. Damit lassen sich richtig ernsthafte Bewegungen umsetzen. Wenngleich alles noch in einem prototypischen Stadium ist, sieht man doch ganz gut, wie zum Beispiel der Stoff durch die Feuchtigkeit des Körpers in Bewegung gesetzt wird, wenn man zu schwitzen beginnt. Wie Schuppen von einem Fisch biegen sich dann die einzelnen Elemente dieses Stoffes nach oben und erlauben eine Durchlüftung. Das kann man sich in vielen weiteren Anwendungsszenarien vorstellen.
Es gibt eine Reihe von besonders interessanten Projekten in diesem Bereich. Die Künstlerin und Modedesignerin Iris van Herpen hat unter anderem mit den WissenschaftlerInnen des CERN zusammengearbeitet und Kleider hergestellt, deren Oberfläche von magnetischen Feldern geformt ist (Magnetic Motion). Eine andere Künsterlin, Behnaz Farahi, hat ein Kleid geschaffen, das auf die Blicke anderer Personen reagiert.
Und das funktioniert so lange, bis die Akkuladung wieder auf null fällt…
Gerfried Stocker: Natürlich stellt sich hier wieder die Frage, wie lange diese Technologie betrieben werden kann bis wir die Batterie wieder wechseln müssen. Mittlerweile müssen wir ja bereits alles in irgendeiner Weise wieder aufladen. Auch zu den Diskussionen rund um Elektroautos gesellt sich schnell die Frage nach der nächsten Ladestation. Die Abhängigkeit vom Aufladen ist ein zentrales Element dieser Zukunft und auch damit beschäftigen sich viele ForscherInnen. So gibt es eine spannende Entwicklung aus Kohlenstofffasern, die mit bestimmten Polymeren getränkt werden, um daraus Akkus zu produzieren. Wenn man überlegt, dass die ideale Karosserie eines Elektroautos aus Kohlenstofffasern besteht, weil es dadurch stabil und leicht ist, könnte diese Batterie der Zukunft doch gleichzeitig auch die Karosserie sein.
Oder wenn wir uns die heutige Drohnentechnologie näher ansehen, welche Ideen hier zumindest prototypisch schon umgesetzt werden: Wenn wir beobachten, wie die Drohnen der ETH-Zürich eine Seilbrücke weben, dann können wir uns vorstellen, was möglich wird, wenn einzelne autonom agierende Elemente intelligent und vernetzt zusammenarbeiten.
Oder auch wenn wir bei den Spaxels des Ars Electronica Futurelab sehen, wie 100 autonom fliegende Drohnen ein fantastisches Lichtballet im Himmel fliegen. Natürlich wird es noch sehr lange dauern bis es Drohen in der Größe eines Sandkorns geben kann, aber haben wir nicht auch schon oft genug gelernt, den Fortschritt und die Technik nicht zu unterschätzen? Für uns beim Ars Electronica Festival 2016 geht es um die Konzepte, die Ideen und Visionen. Es geht uns darum, wie kann aus den Experimenten der Wissenschaft, der Technik und der Kunst jene inspirative und imaginative Kraft und Energie entwickelt werden, die wir brauchen, damit wir unsere Zukunft spannend, interessant und wertvoll gestalten.
Und hier kommt auch der Untertitel des Ars Electronica Festival 2016 ins Spiel: Die AlchemistInnen unserer Zeit.
Gerfried Stocker: Ja, ich finde es extrem spannend, diese Menschen, die diese Entwicklungen vorantreiben, durchaus auch als die AlchemistInnen unserer Zeit zu betrachten. Damals bewegten sich die Alchemisten oftmals außerhalb der Normen, ihrer Zeit und ihrer Kultur und ihrer Wissenschaft – und so stehen sie bis heute für das Unkonventionelle, für die Grenzüberschreitung. Während sie zum Beispiel das Elixier des ewigen Lebens entwickeln wollten, ist ihnen nebenbei Schwarzpulver und Porzellan gelungen. Das war aber nicht bloß Zufall. Denn ein Zufall ist, wenn man auf der Straße geht, etwas am Boden liegt und man sich darüber freut, es gefunden zu haben. Wenn ich aber auf der Suche nach etwas bin, und dabei etwas gänzlich anderes finde, dann ist das nicht ein Zufall sondern dann ist es Innovation und Kreativität.
„Wir sprechen heute oft von disruptiven Innovationen und Innovation überhaupt ist zum Inbegriff für rasanten Wettbewerb geworden. Für den Hasen, der läuft, ist es völlig normal und selbstverständlich, wenn er den Haken schlägt, schwierig, unvorhersehbar und disruptiv ist es nur für den, der hinten dran ist. Doch wie kann ich in der Position des Laufenden bleiben, wie kann ich in dieser dynamischen Welt mithalten? Und natürlich stellt sich sofort die Frage wie geht es denen, die nicht mithalten können oder nicht mithalten wollen? Wo finden sie sich wieder und welche Vorteile kann es haben, sich außerhalb dieser Konventionen aufzustellen, oder sich gegen den Strom zu bewegen?“Gerfried Stocker, Ars Electronica
Das wollen wir heuer beim Ars Electronica Festival 2016 in vielfältiger Form präsentieren, indem wir möglichst viele dieser ProtagonistInnen hier in Linz versammeln. Interessant ist auch zu beobachten, dass mit dem Shift hin zu organischen Materialen und dem Einbinden des Biologischen, auch der Frauenanteil in diesen kreativen Engineering-Groups gestiegen ist. Es gibt in vielen Ländern spannende Initiativen, wo diese Technologien auch auf die Straße gebracht werden. In vielen Bereichen formieren sich immer mehr kreative Geister, die nicht die nächste Killer-App im Auge haben, sondern etwas, das wesentlich wichtiger ist: Die soziale Innovation. Und die Frage ist: Wie können wir neue Technologien dafür nutzbar machen?
Das Ars Electronica Festival 2016 findet von 8. bis 12. September 2016 in Linz statt. Weitere Informationen und Programmpunkte finden Sie auf ars.electronica.art/radicalatoms!