EARTH LAB – der künstlerische Blick auf die Erde

Neugebauer Ars Electronica Export Earth Lab
Tour En L’Air,

Ein Labor ist ein Ort, an dem Wissen über meist noch unbekannte Einzelheiten der Welt, auf der wir leben, geschaffen wird. Normalerweise sind diese Labore der Wissenschaft nur kleinen Fachkreisen zugänglich und bleiben der Öffentlichkeit meist verwehrt. Nicht so in der Ausstellung EARTH LAB, die von 21. Juni bis 25. September 2016 direkt in Moskau, im Kellergewölbe der ehemaligen Schokoladenfabrik „Roter Oktober“, zu sehen ist und nichts geringeres als unseren Planeten mit ins Labor nimmt.

Gemeinsam realisiert vom Polytechnischen Museum Moskau und Ars Electronica Export stehen hier die zentralen sozialen, ökologischen und ökonomischen Zukunftsfragen rund um unseren Blauen Planeten im Mittelpunkt. Dank der unterschiedlichen Sichtweisen russischer und europäischer KünstlerInnen wird der von uns bewohnte Planet einer eingehenden Untersuchung unterzogen. Und gerade dieser künstlerische Zugang ist es, der die BesucherInnen motivieren soll, ihren Blick auf die Zukunft dieser Erde zu überdenken und neu einzustellen. Wir haben uns mit den beiden Kuratorinnen von EARTH LAB, Natalia Fuchs vom Polytechnischen Museum Moskau und Manuela Naveau von Ars Electronica, etwas näher über die Ausstellung unterhalten.

Access point

Credit: Daniil Primak, Polytechnic Museum

Die Erde als Labor – was waren die Gründe, mit dieser Ausstellung diese thematische Diskussion einzuleiten?

Manuela Naveau: Die Idee eines Labs für Moskau kam mir bereits im Jahr 2015 als die Ars Electronica in Gijon gemeinsam mit LABoral eine Ausstellung realisierte, bei der verschiedene Labore wie ein GeoLab, ein BioLab oder ein PhilosophyLab im Mittelpunkt standen. Wir haben uns damals in Spanien zum Ziel gesetzt, keine klassische Form einer Ausstellung zu zeigen, sondern wollten vielmehr an einen Prozess andocken, den wir mit der Eröffnung des Ars Electronica Center im Jahr 2009 begonnen haben. Der Schritt hin zum EARTH LAB war ein logischer: Denn, was wäre, wenn wir uns nicht nur geologischen und biologischen Themen und anderen Fragen dieser Art widmen, sondern vielmehr die Erde selbst als Testumgebung betrachten? Wie sehen wir unseren Planeten von Europa aus, wie nehmen ihn Menschen in Russland wahr und was geschieht tatsächlich auf unserer gemeinsamen Mutter Erde? Inwieweit verstehen wir unsere Welt? Und welche Perspektiven müssen wir beachten, um die verschiedenen „Labor-Perspektiven“ zu verstehen? Gerade dabei gefällt mir die Metapher eines Labors sehr gut: Das Labor als der Ort, an dem Wissen generiert wird, wobei hinter jeder Wissensgenerierung bestimmte Interessen stehen. Wer unterstützt welche Experimente und warum? Und welches Wissen wird öffentlich gemacht und welches nicht? Und erzeugen wir nicht manchmal viel mehr Nicht-Wissen als tiefsinnige Erkenntnisse über uns und unser Verhältnis zu unserer Lebenswelt? Als ich meine ersten Gedanken mit Natalia Fuchs darüber teilte, hatte ich das Gefühl, dass sie genauso tickte. Natalia brachte den Aspekt ein, dass KünstlerInnen die Rolle von KatalysatorInnen einnehmen können, und schließlich fanden wir beide einen gemeinsamen Zugang, ohne zuvor etliche kuratorische Gespräche führen zu müssen.

Natalia Fuchs: Ich denke, unsere Zugangsweise ist eine sehr natürliche Form, zeitgenössische Kunst zu zeigen. Den KünstlerInnen, die sich mit dem Digitalen, mit Technologie und der Wissenschaft beschäftigen, liegt stets ein Forschungsgedanke als Ausgangslage zugrunde. Sie beginnen immer mit einem Experiment, das in einer Laborumgebung durchgeführt wurde, oder etwas, dem ein Laborkonzept vorliegt. Wir zeigen diese Ausstellung deshalb, weil es notwendig ist, dass die Gesellschaft all diese möglichen Wege kennenlernt und sieht, wie viel an philosophischem Hintergrund in diesem modernen Ansatz liegt – und wie viel an Innovation. Wir haben das EARTH LAB so ausgerichtet, dass die BesucherInnen – ob ExpertInnen oder das breite Publikum – sich Fragen stellen und hier ihre Zeit verbringen können – in einem Raum, in dem sie Ideen austauschen und kreativ sowie nachdenklich sein können.

Red October

Die ehemalige Schokoladenfabrik „Roter Oktober“ in Moskau, Credit: Manuela Naveau

Die Ausstellung EARTH LAB befindet sich in den Kellerräumlichkeiten der ehemaligen Schokoladenfabrik “Roter Oktober”. Können Sie uns ein bisschen mehr über die Geschichte dieses besonderen Ortes erzählen?

Natalia Fuchs: Roter Oktober” ist eine der ältesten Fabriken in Moskau; sie befindet sich im Herzen der Stadt, auf einer Insel, unweit vom historischen Gebäude des Polytechnischen Museums entfernt. Unser geschichtsträchtiges Gebäude wird ja derzeit bis 2017 renoviert, deshalb arbeiten wir seit fünf Jahren mit anderen und ganz besonderen Standorten für unsere Ausstellungsprojekte zusammen. Darunter befanden sich bisher unter anderem mehrere Pavillions bei VDNKh, das Multimedia Art Museum, das Strelka-Institut, das Garage-Museum für zeitgenössische Kunst und viele weitere. Und jetzt ist es das erste Mal, dass wir mit „Roter Oktober“ zusammenarbeiten. In den vergangenen Jahren hat sich dieser Ort zu einem kulturellen Quartier gewandelt, an dem sich besonders viele junge Menschen sammeln; umgeben von vielen schönen Geschäften, Cafés und Clubs ist es eine sehr lebhafte und lebendige Umgebung für das EARTH LAB – eigentlich die beste, die wir uns dafür vorstellen hätten können!

EARTH LAB exhibition

Credit: Manuela Naveau

Wie ist die Ausstellung aufgebaut und was erwartet die BesucherInnen im EARTH LAB?

Manuela Naveau: Wir wollten einen Raum schaffen, der wie ein unterirdisches Labor aussieht, in dem geheime Tests und seltsame Experimente stattfinden. Lebende Organismen werden toten Materialien gegenübergestellt, unsichtbare Parameter haben eine Auswirkung auf Prozesse in der Ausstellung und man kann genauso über Faktoren diskutieren, dessen Einfluss unübersehbar ist. Der Zufall gibt den Weg vor! Es gibt Skulpturen aus physischem Material oder aus Datenmaterial; man trifft auf Installationen, interaktive Umgebungen und sich ständig verändernde Prozesse, die die Idee unterstützen, die Erde als Labor zu denken. Und, am wichtigsten ist, dass der gesamte Rahmen der künstlerischen Werke in dieser Ausstellung in einer eigens gestalteten Infografik eingebettet ist. Gemeinsam mit den Möglichkeiten des Shadowgrams der Ars Electronica, das als partizipatives Brainstorming-Tool genutzt werden kann, werden die Grafiken der Ausstellung mit den Stickern und Sprechblasen der BesucherInnen und ihren Gedanken der Welt ergänzt. Damit wird sich das Gesicht der Ausstellung in den kommenden drei Monaten laufend ändern…

EarthLab

Credit: Daniil Primak, Polytechnic Museum

Was sind Ihre Lieblingsstücke in der Ausstellung?

Manuela Naveau: Nun, das ist momentan sehr schwer für mich, sich für eines zu entscheiden. Gerade die neuen russischen Arbeiten in der Ausstellung sind für mich besonders spannend! Natürlich sind alle Arbeiten höchstinteressant und das ist auch der Grund, warum sie in dieser Ausstellung sind, aber da gibt es ein Werk, das mich immer mehr und mehr berührt, seitdem wir die offizielle Bestätigung dafür bekommen haben: Sonja Bäumel beschäftigt sich mit der Tatsache, dass unser Körper eigentlich nur aus etwa 10% an menschlichen Zellen besteht. Alles andere sind nichtmenschliche Bakterien oder Mikroben. Sie stellt sich damit die Frage, ob es vielleicht doch eher die Mikroorganismen sind, die eigentlich die menschliche Spezies beherrschen. Während der Ausstellungsdauer lässt sie gewissermaßen eine „Bakterienbombe“ entstehen, die nur von zertifizierten Laboren geöffnet werden darf, und in dessen Petrischale ihr körperlicher Abdruck auf der Ebene von Mikroorganismen wächst. Niemand weiß, weder sie noch WissenschaftlerInnen, die sich damit beschäftigen, was in diesen Petrischalen bis zum Ende der Ausstellung geschehen wird. Und ich glaube, das ist nicht nur visuell sehr spannend!

Mine Kafon

Credit: Manuela Naveau

Natalia Fuchs: Ich bin sehr froh über all die russischen KünstlerInnen, die an dieser Ausstellung teilnehmen – ::vtol::, Dmitry Bulatov und Alexey Chebykin, Vadim Kolosov, Yulia Glukhova, STAIN – alle von ihnen präsentieren neue Werke in dieser gemeinsamen Ausstellung mit Ars Electronica. Ich bin sehr von Sound fasziniert und deshalb liebe ich auch all jene Projekte, die sich darum drehen. Was mir ebenso gefällt ist die robotische Installation von Leo Peschta – Der Zermesser ist wirklich faszinierend. Das ist mein derzeitiger Lieblingsroboter. Mine Kafon von Massud Hassani geht hingegen so passend auf das historische Gedächtnis ein. Im vergangenen Jahr haben wir nämlich während der Renovierungsarbeiten im Polytechnischen Museum eine Bombe aus dem Weltkrieg gefunden – tief unten im Keller, direkt im Zentrum von Moskau – und wir mussten sie beseitigen. Deshalb ist diese Arbeit unserer Geschichte so nah und behandelt zeitgleich auch das große Thema Krieg. Mir gefällt es, dass Sonja Bäumel’s Kunstwerk „Expanded Self II“ gemeinsam mit dem Moskauer Labor im Orekhovich-Forschungsinstitut für Biomedizinische Chemie entstanden ist und dass wir nun neue Projekte gemeinsam entwickeln werden. Außerdem gefällt mir Earth von Finnbogi Petursson sehr gut – ich bin mir sicher, dass ich in den kommenden drei Monaten hier sehr viel Zeit verbringen und den Puls unseres Planeten fühlen werde.

Weitere Informationen zur Ausstellung “EARTH LAB – Artists as Catalysts“ finden Sie auf export.aec.at/earthlab. Das EARTH LAB ist von 21. Juni bis 25. September 2016 in der ehemaligen Schokoladenfabrik „Roter Oktober“ in Moskau öffentlich zugänglich.

Natalia Fuchs

Natalia Fuchs ist Expertin in Kunst- und Kulturmanagement und internationaler Öffentlichkeitsarbeit. Sie ist Absolventin der Manchester-Universität (Kulturmanagement 2008) und Leonardo-Stipendiatin des Medienkunstgeschichte-Programms der Donau-Universität in Österreich. 2013 wurde sie vom Polytechnischen Museum in Moskau eingeladen, das interdisziplinäre Programm Polytech.Science.Art auf die Beine zu stellen und zu kuratieren und gleichzeitig Ausstellungen und das „Elektronische Wohnzimmer“, einen experimentellen multifunktionalen Raum am Polytechnischen Museum, zu betreuen. Als Forscherin und Fachfrau arbeitet sie an einer Reihe an Themen und nimmt an verschiedenen internationalen Projekten teil, die sich auf zeitgenössische Kultur, Medienkunst, Kino und Sound fokussieren.

Manuela Naveau

Manuela Naveau lebt und arbeitet in Linz/Österreich. Seit ihrem Studium an der Kunstuniversität Linz arbeitete sie seit 1997 als Künstlerin und Kuratorin national und international. Seit 2003 ist sie als Kuratorin und Projektmanagerin für die Ars Electronica nach Linz zurückgekehrt. Gemeinsam mit Gerfried Stocker, dem künstlerischen Leiter der Ars Electronica, entwickelte sie die Abteilung Ars Electronica Export, die sie seither operativ leitet. Neben dem Kuratieren und Produzieren von Ausstellungen und dem Positionieren von Ars Electronica in einem internationalen Umfeld liegt ihr Interesse in den verschiedenen Erscheinungsformen zeitgenössischer künstlerischer Praxis.

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