Second Story: Alte Objekte, neue Geschichte

Explosions Aoife Van Linden Tol Test Festival 2016
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Die Künstlerin Aoife van Linden Tol arbeitet mit kontrollierten Explosionen und lässt Dinge, die früher einmal emotionalen Wert besaßen, in Rauch aufgehen. Verwendet wird hierfür Schwarzpulver – ein Rohstoff, der nur unter strenger Aufsicht gekauft und verwendet werden darf. Damit die Performance der irischen Künstlerin am Ars Electronica Festival 2016 überhaupt stattfinden kann, werden schon jetzt die ersten Tests durchgeführt. Außerdem zog das Festival-Team drei Sprengbefugte der Freiwilligen Feuerwehr in Leonding zu Rate, die die kleinen Explosionen auch direkt beim Festival überwachen werden.

Wir waren beim ersten Sprengtest und haben uns über das Projekt und die dazugehörigen Sicherheitsbestimmungen unterhalten. Die Künstlerin Aoife van Linden Tol selbst spricht mit uns über die Performance und ihre künstlerische Intention hinter den Explosionen. Martin Honzik, Leiter des Ars Electronica Festivals, erklärt die Zusammenarbeit zwischen Aoife Van Linden Tol und Ars Electronica, und Klaus Warsmayr, einer der Sprengbefugten der Frewilligen Feuerwehr Leonding, klärt uns über Schwarzpulver auf.

Wenn Sie selbst Interesse daran haben, einen Gegenstand ihrer Vergangenheit in Rauch aufzulösen, der für Sie emotionale Bedeutung trägt oder trug, können Sie sich hier anmelden. Aoife van Linden Tol sammelt gedruckte Objekte aus Linz, die sie für ihre Performance verwenden kann – beim Ars Electronica Festival 2016 können Sie dann aus sicherer Entfernung selbst erleben, wie sich die alten Bücher, Fotos oder Briefe in Rauch verwandeln.

Explosions Aoife Van Linden Tol Festival 2016

Alte Bücher werden mit Schwarzpulver behandelt. Credit: Vanessa Graf

Aoife van Linden Tol, Sie werden Ihr Projekt „Second Story“ beim Ars Electronica Festival 2016 präsentieren – um was geht es dabei genau?

Aoife van Linden Tol: „Second Story“ ist ein Projekt, das ich in Berlin erschaffen habe und das ich gerne in anderen Städten rund um die Welt nachmachen möchte. Beim Ars Electronica Festival werde ich einen Tag, den 10. September, damit verbringen, Objekte, die mir die Einwohner und Einwohnerinnen von Linz geschickt haben, zu markieren, zu verbrennen und zu verkohlen. Warum diese Objekte weggesprengt werden, hängt sehr von der Person ab, die den Gegenstand einsendet. Zu jedem Objekt wird auch eine Geschichte eingereicht. Ich werde diese Geschichten benutzen und mir die Gegenstände sorgfältig ansehen, um zu entscheiden, wie ich an die Explosionen mit Schwarzpulver herangehe. Das Projekt ist eigentlich die Erforschung von Menschen, ihren Gedanken und ihren Gefühlen, Glauben, Ideen. Ich werde versuchen, diese zu verstehen und das in der Art, wie ich mit den Gegenständen arbeite, zu reflektieren.

Once Upon A Fraction of Time Aoife Van Linden Tol

Once Upon A Fraction of Time, eine weitere explosive Arbeit von Aoife van Linden Tol. Credit: Aoife van Linden Tol

Ihre Arbeit basiert oft auf Explosionen – wie und warum haben Sie angefangen, mit Sprengkraft zu arbeiten, und was ist die künstlerische Intention dahinter?

Aoife van Linden Tol: Angefangen hat alles im Jahr 2000, als ich noch auf der Universität studierte und ein kraftvolles, schönes Statement mit Bomben erschaffen wollte. Ich ließ sie von oben auf Design-Landschaften fallen und wollte damit zeigen, dass die Absicht, die hinter einer Handlung steckt, eine wichtigere Aussage mit sich bringt als die Tat selbst. Man kann jemanden auch mit einem Stift umbringen – genauso kann man Liebe mit einer Bombe zum Ausdruck bringen. Jede Handlung hat eine Intention. Das war eigentlich die Grundidee, die dann in Folge zu vielen anderen Ideen im Zusammenhang mit Explosionen führte – zum Beispiel, die Wahrnehmung von Zeit, Dichte oder die instinktive Reaktion auf zerrissene und zerstörte Materialien zu untersuchen.

Aoife van Linden Tol Explosions Festival 2016

Eines der Objekte von Second Story in Berlin. Credit: Aoife van Linden Tol

Wie entwickelten Sie die Idee von „Second Story“ und welche Herausforderungen kamen dabei auf Sie zu?

Aoife van Linden Tol: Ich entwickelte die Idee zu „Second Story“, als ich eingeladen wurde, an einer Ausstellung im NKGK Berlin teilzunehmen. Das Thema war „explosive power of words and images“, also die sprengende Kraft von Worten und Bildern. Ich fuhr nach Berlin, um mich mit den Kuratoren zu treffen, und erkannte, dass ich keine Arbeit über Berlin machen konnte – dafür kannte ich die Stadt zu wenig, jede Arbeit, die ich abliefern würde, wäre zu seicht und touristisch gewesen. Zur gleichen Zeit begann ich auch zu verstehen, welchen emotionalen Einfluss meine Arbeit mit Explosionsstoffen auf mein Publikum hatte. Ich war anfangs etwas erschrocken über diese Reaktionen, erkannte aber schnell, dass es ein Geschenk war, dass die Menschen ihre Gefühle so offen mit mir teilten. Ich erschuf dieses Projekt als eines, das es mir erlauben würde, die Menschen in Berlin besser kennen zu lernen – ihre Gedanken, Hoffnungen, Ängste, ihren Liebeskummer, ihre Verluste, politischen Einstellungen, und mehr. Dieses Projekt sollte es den Menschen auch erlauben, durch einen Prozess mit jedem Gegenstand zu gehen. Jeder hat eine eigene Geschichte, also auch einen eigenen Prozess. Es wurden so viele interessante und wunderbare Dinge eingesandt, es war ein wirklich ausdrucksstarkes Projekt. Deshalb begann ich zu hoffen, das Projekt in anderen Städten der Welt weiterführen zu können.

Second Story van LInden Tol Explosions Festival 2016

Credit: Aoife van Linden Tol

Ich bin sehr gut darin ausgebildet, mit Explosivstoffen umzugehen, also waren die einzigen Herausforderungen eigentlich mit dem Zünder verbunden. Ich arbeitete am BAM in Berlin (Bundesanstalt für Materialforschung und –prüfung), die mir die Sprengstoffe zur Verfügung stellten. Die Zünder hatten einen Zeitschalter. Die Gegenstände explodierten nicht so, wie ich es wollte, und die Explosionen verfehlten die Gegenstände. Ich bin normalerweise sehr genau, deshalb weiß ich auch, dass es nur an dieser Zeitverschiebung lag – es war die einzige Variable, die anders als bei meinen Versuchen war. Die Techniker weigerten sich, mir zu glauben, denn aus ihrer Perspektive taten die Zünder genau das, was sie sollten, nur eben eine Sekunde später. Schlussendlich habe ich verstanden, dass diese Zeitverschiebung durch einen Kondensator entsteht, der den Zünder erhitzt – durch die Hitze wurde aber die Halterung verbrannt, die ich dafür benützte, den Zünder an Ort und Stelle zu halten. Die Explosion fand also am komplett falschen Ort statt. Die Techniker haben sich danach ziemlich geschämt und wir haben einen halben Tag Arbeit verloren, aber schließlich konnten wir das Problem beheben. Das war eigentlich die einzige Herausforderung.

Explosions Test Van Linden Tol Festival 2016

Martin Honzik, vorne, mit Manfred Mayr und Stefan Dallinger von der Freiwilligen Feuerwehr (v.l.n.r.). Credit: Vanessa Graf

Martin Honzik, Sie sind Leiter des Ars Electronica Festivals – wie entstand die Zusammenarbeit zwischen Aoife Van Linden Tol und Ars Electronica, die schließlich dazu führte, dass die Künstlerin beim diesjährigen Festival auftreten wird?

Martin Honzik: Diese Zusammenarbeit hat einen interessanten Hintergrund. Die Künstlerin Aoife van Linden Tol kommt aus Irland, arbeitet aber in Großbritannien. Sie ist die Gewinnerin einer Residency, die wir zusammen mit der ESA (European Space Agency) und dem Ars Electronica Futurelab ausgeschrieben hatten, im Rahmen des art&science Networks. Bei dieser Residency können Künstler und Künstlerinnen bis zu ein Monat an der ESA verbringen, an einem ihrer vielen Standorte, von Französisch-Guyana bis in die Niederlande. Aoife van Linden Tol hat mit ihrem Zugang zum „Explosvien“ offenkundig einen Knopf gedrückt, der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen der ESA überzeugt hat, sie aus den vielen Einreicherinnen zur Gewinnerin zu machen. Kein Wunder, birgt  doch bereits der Moment des Entstehens – der Urknall – quasi die Mutter aller Explosionen (wenigstens für uns Menschen) und werden doch auch viele Manöver im All oder um ins All zu kommen mit kontrollierten Explosionen eingeleitet.

Die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen freuen sich schon sehr auf diese Künstlerin, die da einen frischen Wind – mit leichtem Schwarzpulvergeruch – in die ESA Research Facilities bringen wird.

Aoife Van Linden Tol Explosions Festival 2016

Klaus Warsmayr, Sprengbefugter der Freiwilligen Feuerwehr in Leonding. Credit: Vanessa Graf

Herr Warsmayr, Sie sind einer der Sprengbefugten der Freiwilligen Feuerwehr in Leonding. Wie wurden Sie Sprengbefugter, und was muss man bei der Arbeit mit explosiven Mitteln beachten?

Klaus Warsmayr: Wir Sprengbefugten der Freiwilligen Feuerwehr Leonding sind eigentlich alle auch genau darüber zu den Sprengungen gekommen – durch die Feuerwehr. Man kann beim Landesfeuerkommando einen Kurs machen. Aus meiner Sicht ist dieser Kurs einer der schwersten. Man braucht einen tadellosen Leumund, außerdem werden wir auch danach immer wieder von der Behörde kontrolliert. Wenn man Sprengstoff einkauft, benötigt man einen aktuellen Leumundsnachweis. Zuerst muss man den Kauf beim Bürgermeisteramt anmelden, danach bekommt man von der Bezirkshauptmannschaft eine Genehmigung. Mit dieser Genehmigung fahren wir dann zum Verschleißer, der den Sprengstoff lagern und verkaufen darf. Wir selbst lagern den Sprengstoff dann im Feuerwehrhaus in einem Safe. Die Vorschriften sind hier schon sehr scharf. Die Zünder sind zum Beispiel alle registriert: Sie haben eine Nummer, das heißt, wenn wirklich etwas passiert und man findet einen Teil eines Zündesr, dann  kann man komplett nachvollziehen, woher das kam.

Explosions Aoife van Linden Tol Festival 2016

Die Zündschnur. Credit: Vanessa Graf

Aoife van Linden Tol arbeitet bei diesem Projekt mit Schwarzpulver. Wie gefährlich ist diese Art von Explosivstoff?

Klaus Warsmayr: Auch wenn dieser Sprengstoff wie Suppenwürze aussieht, wie das besonders bei Schwarzpulver der Fall ist  – er ist trotzdem sehr gefährlich. Wenn man sich durch Schwarzpulver eine Verbrennung zuzieht, ist das eine der schwersten Verbrennungen, die man haben kann. Deshalb sollte man ernsthaft und gewissenhaft arbeiten. Auch in der Zündschnur ist der Sprengstoff enthalten –  sie ist nichts anderes als fein gemahlenes Schwarzpulver und ein ganz feiner Kupferdraht. Das Alles ist ummantelt mit einem gelben Schutz, wie ein Netz. Die Schnur ist gelb, das ist ein Zeichen über die Zündgeschwindigkeit. Es gibt auch noch einen roten Faden, der zündet fast doppelt so schnell.

Aoife van Linden Tol ruft Menschen in Linz dazu auf, selbst Dinge mit emotionalem Wert einzuschicken. Bis zum 4. September 2016, um Mitternacht, können Objekte eingereicht werden. Diese sollten dann bis 7. September 2016 bei der POSTCITY in Linz, neben dem Hauptbahnhof, abgegeben werden. Um mitzumachen, besuchen Sie die Programm-Seite: https://ars.electronica.art/radicalatoms/de/second-story-linz/ .

Die „Second Story“ Performance wird während des Ars Electronica Festivals von 8. Bis 12. September 2016 stattfinden. Für die genauen Tage und Zeiten besuchen Sie bitte die Festival-Website https://ars.electronica.art/radicalatoms/de/ .

Aoife van Linden Tol

Aoife van Linden Tol wurde 1978 in Irland geboren und hat einen Abschluss vom Central St Martins College für Kunst und Design. Ihre Arbeiten wurden bereits auf internationalen Plattformen (wie zum Beispiel am ICA London, im MOMA und in Berlin) gezeigt. Seit 2002 beschäftigt sich die Künstlerin eingehend mit künstlerischen Formen von Explosionen. In diesem Zusammenhang erforscht sie komplexe Themen rund um Natur, Astronomie, Chemie und Physik. Wissenschaftliche Inspirationen sind bereits jetzt ein wichtiger Bestandteil ihrer Arbeit. Neben Explosionen umfasst ihr vielfältiges Spektrum auch Performances, Installationen, Malerei, Fotografie und Film. Die Künstlerin schafft abstrakte Werke, die sich mit grundlegenden Konzepten rund um Zeit und Materie sowie tiefgreifende menschliche Gefühle und Motivationen beschäftigen.

Martin Honzik Festival Leiter Ars Electronica

Martin Honzik ist Künstler und Leiter des Bereichs Festival/Prix/Exhibitions bei Ars Electronica. Er absolvierte das Studium für visuelle, experimentelle Gestaltung an der Kunstuniversität Linz (Abschluss 2001) wie auch den Master Lehrgang für Kultur- und Medienmanagement der Johannes Kepler Universität Linz und ICCM Salzburg (Abschluss 2003). Von 1998 bis 2001 war er Teil des Produktionsteams im OK Offenes Kulturhaus im OÖ Kulturquartier und wechselte 2001 zum Ars Electronica Future Lab, wo er bis 2005 in den Bereichen Ausstellungsdesign, Kunst am Bau, Interfacedesign, Eventdesign und Projektmanagement tätig war. Seit 2006 ist Martin Honzik Leiter des Ars Electronica Festivals, des Prix Ars Electronica wie auch der Ars Electronica Center Ausstellungen und der internationalen Ausstellungsprojekte der Ars Electronica.

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