Professor Horst Hahn ist Physiker und promovierte in Informatik – dennoch ist er bei der Medizin gelandet: Er entwickelt am Fraunhofer-Institut MEVIS Computerverfahren, die Medizinern dabei helfen, Informationen aus klinischen Bildern besser zu nutzen. Dadurch sollen Krankheiten früher erkannt und bestmöglich behandelt werden.
Sein Ziel ist nichts Geringeres, als die Medizin zu revolutionieren: sie genauer, sicherer und gleichzeitig kostengĂĽnstiger zu machen. Der Wissenschaftler Horst Hahn bringt unter anderem bei der FrĂĽherkennung sowie bei der Diagnose und der Therapie von Brustkrebs groĂźe methodische Fortschritte auf den Weg. Als Experte fĂĽr computerassistierte Medizin und bildgestĂĽtzte Therapie arbeitet er darĂĽber hinaus in zahlreichen weiteren Feldern der Medizin an zukunftsweisenden Entwicklungen, etwa der genauen Analyse des Behandlungserfolgs und der Risikobewertung verschiedener Therapieoptionen.
Beim Ars Electronica Festival 2016 wird Professor Horst Hahn zwei Präsentation im Deep Space 8K zum Thema „Pathfinding in the Human–Computer Medicine“ halten. Eigens entwickelte 3-D-Visualisierungen des menschlichen Herzens für den Deep Space 8K durch das Fraunhofer-Institut für Bildgestützte Medizin liefern dabei neue Ansichten der „Mensch-Computer-Beziehung“ im Bereich der Medizin. Grundlage dieses virtuellen Anatomiesaals bietet die vom Ars Electronica Futurelab speziell für den Deep Space 8K entwickelte Plattform „Universum Mensch“.
Wir haben bereits zuvor mit Professor Horst Hahn gesprochen.
Herr Prof. Hahn, Sie sorgen als Experte für bildgebende Verfahren in der Medizin dafür, dass Ärzte Computer bestmöglich nutzen und so Krankheiten früher erkennen und effektiver behandeln können. Welche wesentlichen Veränderungen sind in den nächsten Jahren durch den Einsatz von Computern hier zu erwarten?
Horst Hahn: Zunächst werden wir Lösungen sehen für die weitgehende Automatisierung bestimmter Teilaufgaben. Nämlich genau solcher, die die Ärzte heute als lästig und zeitaufwändig empfinden oder bei denen sie eigentlich überqualifiziert sind. Ein Beispiel ist das detaillierte Feststellen und sogar Quantifizieren zeitlicher Veränderungen im Therapieverlauf oder auch die Beurteilung von Lymphknotenbiopsien. Aufgaben, die insbesondere bei Krebspatienten oft auftreten. Zudem werden wir aber auch Aufgaben anpacken, die heute für den Menschen unzugänglich sind. Diese sind häufig mit komplexen Entscheidungen in einem hochdimensionalen Möglichkeitsraum verbunden. Ein Beispiel ist etwa die multidisziplinäre Phänotypisierung von Demenz- oder auch wieder Krebserkrankungen.
Wo zeichnen sich diese Entwicklungen bereits in den Kliniken ab?
Horst Hahn: Viele Radiologen, Pathologen und andere Ă„rztegruppen fragen sich heute „wird mich der Computer bald ersetzen?“ Die damit zum Ausdruck gebrachte Sorge hat in den letzten zwei Jahren enorm zugenommen. Der Grund dahinter ist ganz einfach. Das maschinelle Lernen hat nicht nur zu selbstfahrenden Autos gefĂĽhrt und dazu, dass nun der Weltmeister im Brettspiel Go von einem Computer geschlagen wurde. Auch komplexe Befundungsaufgaben, etwa die Detektion neuer Mikroverkalkungen in der Mammographie oder neuer Rundherde bei der Lungenbildgebung oder auch von Krebs auf Farbaufnahmen von Hautflecken, werden mitunter heute von Computern genauso gut wie von erfahrenen Ă„rzten gelöst. Zudem sind auch die Spracherkennungsverfahren reifer geworden und vor allem die Vernetzung der medizinischen Daten hat deutlich zugenommen.
Ihr ambitioniertes Ziel ist es die Medizin zu revolutionieren: sie genauer, sicherer und gleichzeitig kostengĂĽnstiger zu machen. Man könnte sich vorstellen, dass die Medizin teurer wird, wenn sie genauer und sicherer wird…
Horst Hahn: Wir wollen beweisen, dass dies ein Trugschluss ist. Genauigkeit und Zuverlässigkeit sind wesentliche Faktoren bei der Kostenersparnis. Wir sprechen dabei nicht nur von der Zeitersparnis bei der eigentlichen Diagnostik, sondern auch von den Folgekosten einer erfolglosen Behandlung oder der zu spät erkannten Notwendigkeit einer Therapieumstellung. Insbesondere bei der Chemotherapie bilden alleine Kosten der ohne Erfolg verabreichen Medikamente einen riesigen Berg. Noch wichtiger erscheint die mögliche Beschleunigung der Therapieentscheidungen aber aus Patientensicht, mit dem Ziel, möglichst viel Lebenszeit mit der richtigen Therapie zu verbringen – oder auch ohne Therapie, falls alle bestehenden fehlschlagen. Nicht zuletzt haben diese Medikamente ja oft auch erhebliche Nebenwirkungen.
In Ihrem Vortrag geht es um computerassistierte Medizin und der Frage, wie Mensch und Computer im Bereich der Medizin als „Team“ zusammenarbeiten können. Was ist ihrer Meinung nach die schwierigste Aufgabe dabei?
Horst Hahn: Im Moment werden wir, auch im Privatleben, ja fast ĂĽberrollt von den Fähigkeiten der neuen „digitalen Freunde“ – allen voran das eigene Smartphone. Bezogen auf die Medizin ist dabei interessant, dass Computer und Menschen sehr unterschiedliche Fertigkeiten haben – etwa bezĂĽglich Objektivität, Ausdauer, Fehleranfälligkeit, Intuition und Geschwindigkeit. Wir mĂĽssen lernen, Computer und die dahinter liegenden Datenbanken in ihren Stärken besser zu verstehen und „Algorithmen“ einzuĂĽben, wie wir Menschen unter Nutzung der Computer-Empfehlung zu einem ĂĽberlegenen Ergebnis kommen. Ganz ähnlich wie bei den seit 2005 durchgefĂĽhrten Freestyle-Chess-Meisterschaften, bei denen beliebig viele Menschen und Schachcomputer im Team antreten dĂĽrfen.
Das Fraunhofer-Institut MEVIS präsentiert beim Warm-up zur Linzer Klangwolke einen Film in dem auch ein neues Verfahren zur Visualisierung des Blutflusses zu sehen ist. Ist das für die klinische Routine Science Fiction oder kommt das auch bei Patienten in den Kliniken an?
Horst Hahn: Visualisierungen können in der Tat einen wichtigen Beitrag dazu leisten, für Patienten die Zusammenhänge in ihrem Körper verstehbar zu machen, und sie damit besser in die Therapieentscheidungen einzubeziehen. Zudem profitieren Ärzte davon, bereits vor einem schwierigen Eingriff verschiedene Varianten am Computer durchspielen zu können und letztlich den vielversprechendsten auszuwählen.
Der Vortrag „Pathfinding in the Human–Computer Medicine“ wird während des Ars Electronica Festivals 2016 am Fr 9.9.2016, 16:30-17:00 und Sa 10.9.2016, 11:30-12:00 im Deep Space 8K im Ars Electronica Center präsentiert. Mehr Infos finden Sie hier: https://ars.electronica.art/radicalatoms/deep-space-8k-pathfinding-human-computer-medicine/
Beim Warm-up zur Linzer Klangwolke am Samstag ab 19:30 im Donaupark Linz präsentiert das Fraunhofer-Institut MEVIS einen Film über ein neues Verfahren zur Visualisierung des Blutflusses.