InduSTORY oder die Kunst Industriegeschichten zu erzählen

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Die Wahl der Ausstellungsthematik künstlerische Konzepte in den Zusammenhang mit industriellen Entwürfen für zukünftige Konsumgüter zu bringen, spiegelt die Expertise der Kuratorin Shoko Takahashi wider. Mit dem Background einer Produktplanerin und Geschäftsfeldentwicklerin konzipiert sie am Ars Electronica Futurelab Workshops, die der Industrie helfen sollen, Visionen für Produkte der Zukunft zu entwickeln. Was Industriedesign denn mit Kunst zu tun hätte,“ war keine selten gestellte Frage bei der Eröffnung von „InduSTORY“ in der Knowledge Capital- Ausstellung in Osaka. Zusammen mit dem Leiter des Ars Electronica Festivals, Martin Honzik, erklärt sie dem fragenden Publikum den Ansatz anhand der Exponate. Diese stammen vom KünstlerInnen-Duo neurowear, namentlich Kana Nakano und Tomonori Kagaya sowie des Prototyping & Design Laboratory, das von Prof. Shunji Yamanaka geleitet wird. Die Aktualität der Thematik kann man vom BesucherInnenstrom ableiten, zeigte dieser neben einer außerordentlich guten Resonanz auch die Teilnahme vieler Industrieller, die über das kunstinteressierten des Kernpublikums weit hinausgeht. Was die beiden komplett unterschiedlichen Umsetzungen gesellschaftlich relevanter Industrieprodukte verbindet war die Ausgangsfrage des Interviews mit Shoko Takahashi.

Shoko Takahashi: Es geht bei beiden Ansätzen darum, den partizipatorischen Aspekt bei der Produktentwicklung mit den Mitteln der Kunst aufzuzeigen. Seit der Digitalen Revolution und dem Internet der Dinge, also dem Phänomen dass Computer Menschen unmerklich im Alltag unterstützen, ist die Herstellung von Konsumgütern längst kein einseitiger Prozess mehr. Die Industrie im klassischen Sinne, also jene, die den Menschen die Produkte schuf und die Werbung der Kommunikation diente, ist passé. Dank neuer Technologien, wie dem 3-D Drucker und dem Austausch über das Internet, werden Individuen außerhalb der industriellen Elite zu ErfinderInnen und EntwicklerInnen. Somit sind Konzerne vermehrt dazu angehalten sich einen Vorsprung durch Fragestellungen zu verschaffen, die von einem anderen als dem klassischen Standpunkt der Wertschöpfung für das Unternehmen ausgehen. Bei der Ideenfindung hilft die Kunst als Vermittlerin.

Betrachtet man die Exponate, entdeckt man auf der einen Seite futuristisch wirkende Replikationen des menschlichen Organismus, auf der anderen Seite Produkte, die Gadgets (technisches Spielzeug)  abbilden. Kannst Du die gerade erklärte Klammer anhand von Beispielen der Reihe nach konkretisieren?

Shoko Takahashi: Bei den von Dir erwähnten Replikationen handelt es sich um Einzelanfertigungen des Prototyping & Design Laboratory. Die Roboterserie „Ready To Crawl“ verweist auf eine Vision, dass Menschen wie Du und ich zukünftig nicht nur bei der Schaffung eines individuellen Ersatzes von Gliedmaßen beteiligt sein werden. Es soll auch auf den Prozess dieser Schöpfung hinweisen. Die Designs zeigen, dass der zukünftige Weg keine starren, vorgefertigten Modelle vorsieht, sondern die Passform einer Prothese vom Individuum bestimmt werden kann. Wie das funktioniert erklärt sich anhand des Herstellungsverfahrens. Die Formgebung resultiert aus dem so genannten Sintering.

Beim konventionellen 3-D Druck resultiert die Gestalt aus der  Addition von Schichten, die aus dem erwärmten Material erzeugt wird. Beim Sintering dagegen wird per Laser ein Block aus pulverartigem Werkstoff erhitzt und zwar in der Art, dass die am Computer entworfene Form in einem Stück zusammenschmilzt, während der Rest des Pulvers weggeblasen wird. So ist die Konstruktion ein einmaliger Vorgang, bei dem das  Zusammensetzen per Schrauben und Gelenken wegfällt. Dies sieht man exemplarisch an dem Exponat das einer Art Tausendfüßler gleicht, der bis auf den Motor, der eine Feder antreibt, aus einem einzigen Stück gefertigt ist. Natürlich bedarf es eines Trial & Error-Verfahrens und der Herstellung vieler dysfunktionaler Endprodukte bis letztendlich ein ideales Modell entstanden ist. Gibt es aber erst einmal feste Regeln für Abstände, Größe  und Stabilität der Produkte, kann jede(r) sein individuelles Teil herstellen.

Es gibt ein weiteres beeindruckendes Ausstellungsobjekt vom gleichen Künstler, der Roboter „Apostroph“, der eine außergewöhnliche Annäherung an die Schöpfung eines Roboters selbst darstellt. Es wird durch eine sehr einfache Struktur ermöglicht, aus gebogenen Formen und Motoren. Die Schönheit eröffnet sich nicht nur durch das ansprechende Design, sondern auch durch die Robustheit und Stabilität, die von den Naturgesetzen her abgeleitet ist. Diese scheint vom klassischen Industriedesign abgelöst zu sein, die danach strebt präzise Bewegungen durch exakt kalkulierte Steuerungsgeräte zu verwirklichen.

Bevor es soweit ist,  dass man zu einer Prognose über die Funktionalität durch Trial & Error kommt, braucht man doch schon beim Entwurf am Computer eine Idee von dem  was man anfertigen will. Woher stammen denn die Ursprungsannahmen oder das Wissen über die Form und Funktionalität der Roboter? Wohl doch aus existierenden Industriemodellen? Außerdem stellt man sich unter Robotern etwas anderes vor als unter Prothesen… sie brauchen Strom und eingespeiste Informationen, also irgendeine Form von Software um zu funktionieren.

Shoko Takahashi: Die Funktionsweise von „Apostroph“ basiert auf Beobachtungen des natürlichen Verhaltens lebender Organismen. Die Stabilität eines jeden Lebewesens basiert auf den Gesetzen der Schwerkraft, bzw. auf dem Kampf gegen die Schwerkraft. Die ideale Positur, die man unbewusst einnimmt ergibt sich aus dem Moment der geringsten Anstrengung, die der Körper aufwenden muss um seine Balance zu finden. Apostrophs Gelenke, die die gebogenen Rahmenteile verbinden beherbergen Motoren, die es ermöglichen dass sich die einzelnen Teile um 360° drehen und so programmiert sind, dass sie äußerer Anstrengung, also der Schwerkraft  entgegenwirken.  Im Großen und Ganzen ähnelt der Mechanismus einem Menschen, der aus dem Liegen aufsteht. Bevor wir bequem auf unseren Füßen stehen müssen wir uns erst einmal ausrichten.

Bezogen auf den anderen Teil der Ausstellung InduSTORY: Was verbirgt sich hinter den Prototypen, die von neurowear stammen? Sie geben wohl eine ganz andere Antwort auf die zukünftigen Bedürfnisse unserer Gesellschaft… Welche sind das?

Shoko Takahashi: „neurowear“ ist ein in Tokio ansässiges Projektteam, das sich auf die Schaffung von „Kommunikation für die nahe Zukunft“ konzentriert. Sie gestalten Prototypen neuer Produkte und Dienstleistungen auf der Basis biologischer Signale wie Gehirnwellen, Herzschlag etc. Das sind vor allem so genannte Gadgets, also technische Spielzeuge, die sich in den Alltag stylisch integrieren lassen. Die im Rahmen von „InduSTORY“ gezeigten Exponate sind im Einzelnen: „mononome“ was das erste „Eye of Things“ Gerät  ist. Es kann auf Möbel und Haushaltsgeräte angebracht werden um BenutzerInnen darauf aufmerksam zu machen, dass zum Beispiel der Kühlschrank aufgefüllt gehört oder es an der Zeit wäre mal wieder zu staubsaugen. Dies tut es indem die Augen traurig dreinschauen. „onigilin“ ist ein Gerät, das dabei hilft zu meditieren. Es kontrolliert die drei Elemente, die zur Entspannung  wichtig sind, nämlich Körperspannung, Atemgeschwindigkeit und Herzschlag. In der Form eines Reisbällchens kann es überall hin mitgenommen werden. Dann zeigen wir noch „cotorees“, drei kegelförmige Geräte, die als Vöglein stilisiert sind. Jeder dieser Vögel kann nur eine Funktion ausführen, wie zum Beispiel eine APP auch nur einen einzigen Gebrauchswert hat. Einer kann zum Beispiel eine Wettervorhersage machen, einer dient als Übersetzer, der Wikibird funktioniert wie ein Nachschlagewerk.

Welchen Mehrwert bringen solche Geräte für den Alltag der Menschen?

Shoko Takahashi: Alles in allem erinnern sie uns daran, dass wir mit der Übertreibung der Smartphone-Manie einem Gerät huldigen, das uns dazu bringt 24 Stunden in einen kleinen Kasten zu starren, der alles können soll. Das Überführen einzelner Funktionen in kleine, verspielte Gerätschaften, erziehen uns vielleicht um, bringen sogar mehr Menschlichkeit in unseren Alltag, erzeugen Aufmerksamkeit wo wir heute immer mehr Kids haben, die sich abkapseln – zwar verbunden sind, aber nur noch virtuell. Wir verlieren den Blick auf unsere Umwelt.

Konzepte wie die verschiedene Funktionen durch traurige oder fröhliche Augenpaare auszudrücken basiert auf den natürlichen Verhaltensweisen von Menschen. Verglichen mit einer App, die ein Bedürfnis durch eine technische Oberfläche und deren Funktionen erfüllt, ist das neurowear-Konzept eine Art Spiegel des menschlichen Gegenübers.

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