Der Widerstand von unten

Kathrin Stumreich,

What would Ted Kaczynski´s daughter do? Was würde Ted Kaczynskis Tochter tun? Nach seinen tödlichen Briefbombenattentaten in den 1980ern wurde der US-amerikanische Mathematiker Ted Kaczynski mehrere Jahre lang vom FBI gesucht und schließlich Mitte der 1990er Jahre verhaftet. Einige Monate zuvor wurde sein Manifest „Industrial Society and Its Future“ veröffentlicht, in dem er aufforderte, die immer mehr in die Gesellschaft eingreifende Technologie nur mehr dazu zu verwenden, um diese Entwicklung aufzuhalten. Die österreichische Medienkünstlerin Kathrin Stumreich hat diese Technologie- und Medienkritik aufgegriffen und dafür den Marianne.von.Willemer.2016 Preis der Stadt Linz erhalten. Am 21. Juni 2017, 18:30, wird sie ihr Kunstwerk im Deep Space 8K sowie in der Ausstellung „Außer Kontrolle“ im Ars Electronica Center präsentieren. Im folgenden Interview stellt sie es uns bereits etwas näher vor.

Crystal Tesla

Credit: Kathrin Stumreich

Im Mittelpunkt der fiktionalen Geschichte steht die Figur Chrystal Tesla. Können Sie uns diese „durchschnittliche Zivilbürgerin“ kurz vorstellen und etwas näher beschreiben?

Kathrin Stumreich: Chrystal Tesla ist die fiktive Tochter des Mathematikers Theodore Kaczynski, der später als Unabomber fragwürdigen Ruhm erlangte. Chrystal studierte Ethnolinguistik und Ingenieurswesen in den USA, und setzt ihre Kenntnisse dazu ein, dem Überwachsungsapparat der NSA zu entgehen. Zwischen ihren technophilen und technophoben Tendenzen oszillierend, baut sie Objekte und entwickelt Praktiken zum Schutz ihrer Privatsphäre. Ihr Aktionsradius grenzt sich durch Finanzierbarkeit ein, aber ist auch bestimmt durch das Ausmaß von Wissen, Engagement und Eigenermächtigung. Chrystal nützt diesen möglichen Radius voll aus und wird mit ihrem technischen Wissen und handwerklichen Geschick aktiv.

Was Chrystals Charakter zu anderen „self empowerten“ ZivilbürgerInnen unterscheidet ist, dass sie etwas mehr Berechtigung hat, sich über die Überwachung ihrer eigenen Person Gedanken zu machen als andere – einfach wegen ihres genetischen Potentials und Backgrounds. So baut sie also absurde und gleichzeitig nachvollziehbare Objekte und ordnet deren Anwendbarkeit innerhalb ihres eigenwilligen Denk-Systems. Sie befindet sich in einer Spirale, die zum Tun und Schaffen antreibt. Anders als bei ihrem letztlich technikfeindlichen Vater ist ihr Streben an hochtechnologisierten Entwicklungen uneingeschränkt teilhaben zu können stark ausgeprägt. Ob nun ihre aktuellen Handlungen auch durch die in den Medien publik gemachte im Gefängnis diagnostizierte Schizophrenie ihres Vaters nur getriggert wurde oder gar durch Vererbung zum Vorschein kam, oder ob sich Chrystal einfach nur mit speziellen Fakten und Tatsachen auseinandersetzt und danach Handlungen initiiert, wissen wir nicht.

Apparaturen

Der „Wi-Fi Häcksler“ (links) und das „Lasermicrophone“ (rechts). Credit: Kathrin Stumreich

Was hat es mit den von ihr gebauten Apparaturen wie dem „Wi-Fi Häcksler“ oder dem „Lasermicrophone“ auf sich?

Kathrin Stumreich: Beide Apparaturen haben medienarchäologische Bezüge. Chrystal Tesla baut sie mit der Intension, Werkzeuge zu besitzen, mit denen sie sich gegen Überwachung schützen kann und zeitgleich auch ihre Umgebung selbst überwachen kann. Der Wi-Fi Häcksler basiert auf dem Prinzip eines Faraday’schen Käfigs – er ist aus einem Kupfergewebe hergestellt, das gewisse Wellenlängen abschirmen kann. In Chrystals Theorie häckselt diese Apparatur Datenpakete, die über den im Inneren des Käfigs positionierten Router per Wi-Fi nach außen übertragen werden. Das Kupfergewebe schirmt die 2,4 GHz Bandbreite komplett ab, wurde aber an manchen Stellen von Chrystal perforiert. Durch die motorbetriebene Drehung des Gewebes können nur dann Datenpakete nach außen dringen, wenn die Antenne des Routers in der Nähe der Perforierung steht. Was dann überhaupt von den Daten im Außenraum ankommt ist „gehäckselt“, bei einem Video sind es Glitches. Chrystal sind diese Störungen ein großes Anliegen.

Das Lasermicrophone basiert auf den Erfindungen von Graham Bell, der mit einer Lichtquelle bereits Ton übertragen konnte, und in weiterer Folge auf Leon Theremin, der für die russische Spionage dieses Prinzip anwandte und mit einer Infrarot-Lichtquelle auf Fensterscheiben zielte, um die Gespräche hinter den Scheiben zu überwachen. Dies funktioniert, weil die Vibrationen der Scheibe vom zurück reflektierenden Lichtstrahl übertragen und hörbar gemacht werden, nachdem sie auf einen Phototransistor treffen. Abermals verwendet Chrystal eine selbstgebaute Variante davon um ihren Neigungen nachzugehen und Gespräche über weite Entfernungen mitzuhören.

Werden wir in Zukunft so wie Chrystal Tesla selbst in den DIY-Werkzeugkoffer greifen müssen, um uns gegen eine Überwachung „von oben“ wehren zu können?

Kathrin Stumreich: Ich bin fasziniert von Technik, auch von den Techniken, die diese Überwachung erst ermöglichen. Hier haben wir sie wieder, diese Ambivalenz. Als Künstlerin kann ich diese Technik thematisieren und hinterfragen.

Was mich stört ist, dass wir alle mit unserer Online-Omnipräsenz Inhalte liefern, aus denen andere Konzerne großen Profit schlagen – und diese Inhalte werden kapitalisiert und wieder in unsere Leben eingespeist. Wenn sich die EndverbraucherInnen nicht selbst informieren, bleiben sie außen vor. Es ist 15 Jahre her als ich bei der Einschulung in einem großen Krankenhaus zum PatientInnenprogramm teilnahm, und ich fragte, ob und wie es geahndet wird, wenn Personal die Krankenakten von den eigenen Arbeitskollegen einsieht, was damals sehr einfach war. Keine meiner 25 Arbeitskolleginnen hat diese potentielle Datensicherheitslücke interessiert, diese Quote steht denke ich auch immer noch für das Interesse der Gesellschaft.

„Durch die Auseinandersetzung mit dem Thema findet automatisch eine Sensibilisierung statt.“

„Privacy by Design“ bedeutet im Fall einer Verschlüsselungs-App für Nachrichten zum Beispiel, dass die EntwicklerInnen nicht einmal für Behörden relevante Daten herausgeben können, weil diese nicht gespeichert werden. Inhalte der Gespräche sind mit Hilfe von Ende-zu-Ende-Verschlüsselung geschützt und können ausschließlich von den jeweiligen Gesprächspartnern eingesehen werden. Wolfie Christl, ein von mir sehr geschätzter Forscher und Netzaktivist, hat eine umfangreiche Studie veröffentlicht, sie ist online frei zugänglich.

WiFi Häcksler

Credit: Kathrin Stumreich

„What would Ted Kaczynski´s daughter do” ist Medienkritik und Selbstinszenierung zugleich. Was war der Auslöser für Sie, dieses (Video-)Projekt zu starten?

Kathrin Stumreich: Seit 2013 habe ich verschiedenste Verschlüsselungsmethoden und Abhörmethoden recherchiert. Mich hat interessiert, auf welchem Standard operiert die NSA heute und wie positionieren sich NGOs wie der Chaos Computer Club zu diesen Methoden. Was ist öffentlich zugänglich und gibt es auch Sphären in die ich nicht eindringen kann?

Meine Recherchen begannen in der Theorie und im Analogen bei Heinrich Hertz, der mit einem Funkeninduktor zum ersten Mal die elektromagnetische Welle nachweisen konnte, und gingen über Claude Shannon bis in die Gegenwart zu Methoden wie Prism, Van Eck Phreaking oder Tempest und Techniken, um Kupfergewebe für abhörsichere Räume herzustellen. Sie endeten in der Zukunft bei Prognosen für die Post-Quanten-Verschlüsselung.

Utah Data Center

Utah Data Center, Credit: eff.org

Parallel dazu setzte ich mich in der angewandten Praxis mit dem Thema Verschlüsselung  auseinander, ich traf in den USA einen der letzten lebenden Code-Talker in Albuquerque, um Aufnahmen vom alphabetischen Navajo Code zu filmen, welcher im Zweiten Weltkrieg zur Verschlüsselung von Botschaften eingesetzt wurde. Er basiert auf der Stammessprache der Navajos. Ich reiste zum Utah Data Center, das drei Wochen vor seiner offiziellen Eröffnung stand und konnte dort mit dem Portier sprechen, der, nachdem ich ihm ein Bild von dem angekündigten Opening in der „Administration Office“ zeigte, lachend meinte: „This doesn’t even exist“. Diese beiden persönlichen Kontakte durchkreuzten mein Bild, welches durch mediale Vermittlung zuvor erzeugt wurde.

Auf Basis dieser Recherchen begann ich Apparaturen zu bauen – teils nach DIY-Anleitung oder einfach nach Trial-and-Error-Prinzip, und es war eine Position notwendig, die weder schwarz noch weiß malt, sondern sich inmitten dieser Ambivalenzen befindet, und damit „natürlich“ umgeht. So formte sich „W.w. T. K´s d.d. …?“ mit mir als Chrystal Tesla, der neuen Agentin am Plan, wie sie von Lisa Spalt in ihrem Artikel in der Referentin benannt wird.

Der Marianne.von.Willemer.2016 Preis der Stadt Linz zeichnet in Österreich lebende Frauen aus, die digitale Medien als künstlerisches Werkzeug und Ausdrucksmittel nutzen. Welchen Eindruck haben Sie als Medienkünstlerin über die Verteilung von Frauen und Männern in der Medienkunst im Jahr 2017?

Kathrin Stumreich: Neue Medien und Digitale Kunst stellen die aktuellsten Formen in der Kunst dar, und der Marianne.von.Willemer Preis der Stadt Linz richtet sich seit dem Jahr 2000 als einziger Preis österreichweit genau an Künstlerinnen dieser Genres. Ich würde mir wünschen, dass hier mehr Institutionen nachziehen und dezidierte Calls und Stipendien etablieren.

Das Feld ist immer noch männlich geprägt, obwohl institutionell (innerhalb Awards und Stipendien Vergaben, Lehrende- und Studierendenverteilung) teils schon sichtbar auf eine bessere Verteilung hingearbeitet wird. Ob die Zahlen noch aufgrund der Affinität von Medienkunst zu Technik so gegeben sind, darüber lässt sich mutmaßen. In Klangkunst und Sound Art ist die Disbalance noch vielfach größer.

Der Marianne.von.Willemer.2016 – Preis für digitale Medien der Stadt Linz ist eine direkte Förderung von Künstlerinnen und zeichnet Frauen, die digitale Medien als künstlerisches Werkzeug und Ausdrucksmittel nutzen, aus. Gesucht wurden innovative künstlerische Arbeiten, die durch den Einsatz oder die explizite Bezugnahme auf digitale Medien gekennzeichnet sind. Der Name des Preises geht auf Marianne von Willemer zurück. Sie wurde 1784 in Linz geboren und kam als 14-Jährige mit ihrer Mutter nach Frankfurt am Main, wo sie Johann Wolfgang von Goethe kennenlernte. 1819 erschien Goethes „Westöstlicher Diwan“ und erst neun Jahre nach Marianne von Willemers Tod erfuhr die Nachwelt, dass mehrere der schönsten Gedichte daraus eigentlich aus ihrer Feder stammten. Die Leistungen der Autorin blieben im Schatten und wurden von der Fachwelt kaum bis gar nicht beachtet.

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