Was macht einen Menschen zum Menschen? Was ist die Essenz einer Maschine, und wie verhält es sich mit digitalen Daten? Fragen, die in der diesjährigen Themenausstellung der Ars Electronica 2017, beleuchtet werden. Unter dem Motto POINT ZERO kann man sich in den Tiefen der POSTCITY Linz auf die Suche nach dem Wesen von Mensch, Maschine und Daten begeben.
In einem ersten Interview hat uns Gerfried Stocker schon vor ein paar Wochen verraten, was es mit dem diesjährigen Festivalthema auf sich hat. Heute spricht er mit uns darüber, wie sich KünstlerInnen dem Thema der Künstlichen Intelligenz (KI) nähern, über die Themenausstellung POINT ZERO und seine persönlichen Highlights.
Gerfried Stocker. Credit: Florian Voggeneder
Auf welche Art und Weise setzen sich KünstlerInnen mit dem Thema „Künstliche Intelligenz“ auseinander?
Gerfried Stocker: Es gibt ein paar gut identifizierbare Themenstränge oder Strategien. Ein großer Bereich, der viele Künstler und Künstlerinnen interessiert, ist die ethische und philosophische Dimension, die sich rund um die Künstliche Intelligenz auftut. Es geht dabei um die zentrale Frage was Intelligenz überhaupt ist? Denn obwohl wir diesen Begriff dauernd verwenden, sind wir eigentlich nicht in der Lage, Intelligenz zu beschreiben. Wir wissen schlicht nicht, wo und wie sich Intelligenz in unserem Gehirn formt und verordnet. Damit unweigerlich verbunden ist natürlich auch die Frage nach dem Kern oder dem Wesen des Menschlichen, der Essenz des Menschlichen. Der ethisch-philosophische Ansatz adressiert deshalb eigentlich gar nicht so sehr die Künstliche Intelligenz, sondern in erster Linie uns Menschen selbst. Daran knüpft ein anderer großer Themenbereich, gewissermaßen eine Gegenüberstellung von Maschinenintelligenz und menschlicher Intelligenz, an: Was ist künstliche Intelligenz, was ist biologische Intelligenz? In einem dritten Bereich dreht sich alles um die konkreten Möglichkeiten, die Künstler oder Künstlerinnen erproben beziehungsweise für ihre eigene künstlerische Arbeit Intentionen nutzen können, wie zum Beispiel Machine Learning.
Es gibt also den philosophisch-ethischen Zugang, der nach dem Wesen des Menschen und unserer Intelligenz fragt; daran anknüpfend gibt es die wissenschaftlich-technologische Frage nach der Beschaffenheit einer künstlichen Intelligenz sowie ganz konkrete künstlerische Projekte, bei denen Technologien wie Machine Learning bereits eingesetzt werden.
Für alle Bereiche und Strategien gilt zudem, dass es beide Pole, den affirmativen genauso wie die kritischen, gibt. Man hat unter den künstlerischen Zugängen genauso apokalyptischen Szenarien wie Strategien, die sich auf Nutzen und Chancen von KI gründen.
„Kitty AI“ von Pinar Yoldas wird Teil der POINT ZERO Ausstellung. Credit: Pinar Yoldas
Was macht die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema KI wertvoll?
Gerfried Stocker: Ob nun affirmativ und kritisch, der große Vorteil der künstlerischen Auseinandersetzung ist, dass sie üblicherweise wesentlich reflektierter ist, als die stark verkürzte, massenmediale. Ich glaube, das ist einer der ganz entscheidenden und wichtigen Gründe, warum wir uns mit unserem Festival mit diesem Thema beschäftigen. Gerade in diesem Hype oder in dieser Hysterie, die rund um das Thema KI existiert, müssen mehr Grautöne zu den Schwarzweißbildern hinzukommen.
„Ready To Crawl“ von Hiroshi Sugihara wird ebenfalls in der Themenausstellung vertreten sein.
Wie spiegeln sich die unterschiedlichen Zugänge zur künstlichen Intelligenz in der Themenausstellung wieder?
Gerfried Stocker: Die Schau hat das Motto POINT ZERO und ist in drei Bereiche gegliedert: Human.0, Machine.0 und Data.0. Das POINT ZERO verweist gewissermaßen auf die Essenz, auf den Kern, von dem alles ausgeht und auf den man alles reduzieren kann. Was ist zum Beispiel der Kern oder die Essenz dessen, was wir als Menschlich beschreiben? Wobei das Menschliche natürlich ein Spezialfall des Biologischen ist. Machine.0 versucht dem nachzugehen, was die Essenz dessen ist, das aus Technologie, aus dem Mechanisch-elektronischen oder dem Maschinellen entsteht. Data .0 wiederum ist die Frage, was die Essenz aus etwas, das rein aus digitalen Daten geboren ist, wäre oder ist.
Wir sprechen ja schon oft von Digital Born Material, also Dingen, die nicht mehr mit analogen Medien gemacht und dann später digitalisiert wurden, sondern Werke aus dem künstlerischen oder anderen Bereichen, die direkt am Computer entstehen. Das, was die Fantasie so beflügelt, ist, dass wir mit den zu erwartenden Möglichkeiten der nächsten Zeit relativ bald so weit sein werden, dass wir zumindest in rudimentärer Form davon sprechen können, dass aus digitalen Daten, aus Code oder aus Software etwas entsteht, das einen Subjekt-Charakter hat.
In der Maschinenwelt sind wir zwar lang noch nicht dort, dass man sagen könnte, es entsteht etwas aus der Welt der Maschinen, das qualitativ auch nur ansatzweise mit dem vergleichbar wäre, was die Natur hervorbringt. Aber wir haben es doch schon ziemlich weit gebracht: Es gibt zum Beispiel Maschinen, die sich sehr gut bewegen oder sogar fliegen können. In der Welt der Daten beginnen wir gerade damit. Die Frage ist also jetzt: What’s the essence of something that is digitally born?
Tobias Gremmler wird ausgewählte Arbeiten zeigen. Credit: Tobias Gremmler
Stichwort digitally born: Spricht man da schon von Dingen, die ganz ohne Zutun des Menschen entstehen?
Gerfried Stocker: Außer, dass es als intellektuell-philosophische Übung sehr interessant ist, über solche Dinge nachzudenken, hat diese Frage eigentlich überhaupt keine Relevanz, weil sie von so großer Hypothese getragen ist. Eine Zeit, von der man wirklich sagen könnte, dass etwas ohne Zutun des Menschen entsteht, ist viel zu weit entfernt.
Überhaupt, wir übersehen in all den apokalyptischen Szenarien, in denen die Technik, die AI und auch Roboter uns den Rang ablaufen, vielfach, dass kein einziges Stück Technologie auf diesem Planeten nicht von uns Menschen gemacht wurde. Das heißt aber, dass es in jedem Fall nicht die Maschinen sind, die uns schaden oder den Rang ablaufen werden. Schaden kann uns nur das, was wir selbst mit uns machen. Und genau deshalb müssen wir uns auf das konzentrieren, was wir jetzt tun und dass wir die Entwicklung dieser Möglichkeiten so vorantreiben, dass sie eben nicht dazu führen, uns Menschen einmal zu schaden oder abzulösen. Das ist unsere eigentliche Verantwortung.
Der verbindende Faktor ist also in der gesamten Ausstellung wirklich der Mensch…
Gerfried Stocker: Der verbindende und der agierende Faktor.
Da schließt sich der Kreis zum Festival-Thema, das den Titel „Das Andere Ich“ ja nicht umsonst trägt.
Gerfried Stocker: „Das Andere Ich“ heißt nichts anderes, als zu sagen: Lass uns unsere ganzen Visionen, Ängste, Möglichkeiten und Fantasien rund um AI ansehen und dann darüber nachdenken, wer wir sind, was wir tun, wer wir sein wollen und was wir dafür tun müssen, damit wir dorthin kommen. Es liegt an uns, was wir aus der Technologie machen.
Auf welche Highlights kann man sich in der Themenausstellung POINT ZERO freuen?
Gerfried Stocker: Das Spannende an den Projekten dieser Ausstellung ist, wie sich ihre Auseinandersetzung mit dem Wesen von Maschine, Mensch oder Daten überschneidet.
Ein Highlight ist sicher das Projekt „cellF“ von Guy Ben-Ary, einem australischen Künstler. Er macht sich zunutze, dass man Zellen so behandeln kann, dass sie zu pluripotenten Stammzellen werden, die man anschließend in eine bestimmte Richtung weiterentwickeln lassen kann. Und genau das hat Guy Ben-Ary getan – er hat somatische Zellen zu neuronalen Zellen gemacht. Daraus entstand wiederum eine Zellkultur, die eine Art Super-Miniatur-Gehirn ist. Von Gehirn zu sprechen ist in dem Zusammenhang natürlich sehr spekulativ, da für ein wirkliches Gehirn natürlich Unmengen von Zellen benötigt werden würden. In einem symbolischen, kleinen Format entstand hier aber ein neuronales Netzwerk aus den Körperzellen des Künstlers. Es ist sozusagen ein symbolisches, externalisiertes Ich, ein anderes Ich, das der Künstler als eine Art Synthesizer einsetzt. Wenn diese Zellen aktiv sind, produzieren sie zwar kein Bewusstsein, keinen Gedanken oder nobelpreisverdächtige Theorien, aber sie machen das, was unser Gehirn oder unsere Intelligenz eigentlich ausmacht: nämlich sich ständig zu verschalten, Signale hin- und herzuschicken. Diese Signale verwandelt Ben-Ary in Töne. Er setzt sein externalisiertes, zweites Ich, als Instrument für Installationen und Performances ein.
Ein unheimlich schönes Projekt ist „Reading Plan“ von Lien-Chang Wang. Hier wird eine Großinstallation aufgebaut, in der Roboter in einer Art Klassenzimmer Bücher durchblättern. Es sieht rein optisch wahnsinnig schön aus.
„Archive Dreaming“ von Refik Anadol ist eine Arbeit, die auf Basis von „Deep Learning“ realisiert wurde. Es ist ein künstlerisches Projekt, das aus den im Moment versiertesten Möglichkeiten des Machine Learnings entstanden ist und Unmengen von Datenmaterialen oder von Archiven einem neuronalen Netzwerk zugeführt werden. Der Künstler hat einen Raum geschaffen, in den man eintaucht und diese Prozesse beobachten kann. Es ist eine der bislang wahrscheinlich bestmöglichen Erfahrungen, wie diese hohe Komplexität und Verarbeitungsdichte von Informationen in einem so komplexen, neuronalen Netzwerk funktioniert. Es ist ein unglaublich eindrucksvolles künstlerisches Erlebnis. Es ist wirklich so, als würde man in das Gehirn einer selbstlernenden Maschine einsteigen und sich dort bewegen können.
Ein weiteres Highlight sind für mich die Arbeiten von Akinori Goto. Mittels Motion Capturing überführt er den Menschen in Daten. Er digitalisiert die Bewegung eines Tänzers, einer Tänzerin, und erstellt aus diesen Daten eine 3D-Skulptur, die nur noch die Bewegung und nicht den Körper darstellt. Anschließend werden die Daten des Motion Trackings als kleine menschliche Figuren in diese Skulptur projiziert. In der neuen Arbeit, die jetzt für das Festival entsteht, gibt er den Leuten die Möglichkeit, diese 3D-Objekte anzugreifen und zu bewegen. Je nachdem, wie man das Objekt bewegt, wird diese Figur hineinprojiziert. Am Schluss ist man also wieder bei der menschlichen Bewegung, mit der man diese Skulptur in die Hand nehmen und diesen Bewegungs- oder Verwandlungsablauf von Körper in Daten in Maschine und wieder zurück in menschliche Aktion beobachten kann. Diese Arbeit ist bezaubernd schön und, wenn man sie sieht, auch unheimlich einfach zu verstehen.
Ebenfalls ein Highlight ist „MoRFES_02“ von Maria Yablonina. Die Arbeit besteht aus zwei Robotern, die ein Netz im Raum spinnen. Die Roboter fahren zwischen zwei Wänden hin und her, verankern eine Schnur an einem Mauerhaken, übergeben die Schnur dem anderen Roboter, verankern sie wieder… So weben sie für sich ein großes Netz in den Raum.
Gerfried Stocker ist Medienkünstler und Ingenieur der Nachrichtentechnik. 1991 gründete er xspace, ein Team zur Realisierung interdisziplinärer Projekte, das zahlreiche Installationen und Performance-Projekte im Bereich Interaktion, Robotik und Telekommunikation realisiert hat. Seit 1995 ist Gerfried Stocker künstlerischer Geschäftsführer von Ars Electronica. 1995/96 entwickelte er mit einem kleinen Team von KünstlerInnen und TechnikerInnen die richtungsweisenden neuen Ausstellungsstrategien des Ars Electronica Center und betrieb den Aufbau einer eigenen Forschungs- und Entwicklungsabteilung, des Ars Electronica Futurelab. Unter seiner Führung wurden ab 2004 das Programm für internationale Ars Electronica Ausstellungen aufgebaut und ab 2005 die Planung und inhaltliche Neupositionierung für das neue und erweiterte Ars Electronica Center aufgenommen und umgesetzt. Im Jänner 2009 wurde das ausgebaute Ars Electronica Center in Betrieb genommen.
Die Ausstellung POINT ZERO wird von 7. bis 11. September 2017 am Ars Electronica Festival 2017 in der POSTCITY Linz zu sehen sein. Um mehr über das Festival zu erfahren, folgen Sie uns auf Facebook, Twitter, Instagram und Co., abonnieren Sie unseren Newsletter und informieren Sie sich auf https://ars.electronica.art/ai/.