Der Eine – Leitender Dramaturg am Landestheater Linz. Der Andere – Sound Artist, Mitbegründer der legendären Krachband Fuckhead und Noise Techno Performer. Dramaturg Andreas Erdmann und Sound Artist Chris Bruckmayr könnten nicht aus unterschiedlicheren Welten kommen.
„Storytelling“ ist jedoch ein Begriff, der beide verbindet: Sowohl Theater als auch Musikperformances leben vom Geschichtenerzählen. Digitale Medien und neue Technologien bringen massive Veränderungen, die längst nicht mehr nur unabhängige und experimentelle (Theater-)Gruppen betreffen, sondern auch klassische Institutionen.
Andreas Erdmann, Leitender Dramaturg am Linzer Landestheater, wird am Ars Electronica Festival an einer Podiumsdiskussion zum Thema Theater & Digital Media sprechen. Chris Bruckmayr, Sound Artist und Fuckhead-Mitbegründer, zeigt gemeinsam mit seinem Bruder Didi die interaktive Performance „Breaking the Wall“. Wir haben uns mit den beiden getroffen und herausgefunden, wie Digitale Medien ihre Tätigkeitsfelder durchmischen.
Mehr zum Thema Theater & Digital Media können Sie am Ars Electronica Festival von 7. Bis 11. September 2017 erleben: Der gleichnamige Themenschwerpunkt findet in Zusammenarbeit mit der European Theater Convention (ETC) statt und zeigt unterschiedlichste Projekte und Arbeiten an der Schnittstelle zwischen Digitalen Medien und Theater.
„Étude“ von Vibert Thio und Danger Du wird Teil des Themenschwerpunkts Theater & Digital Media. Credit: Quanta Art Foundation
Andreas Erdmann, Sie haben jahrelange Erfahrung im klassischen Theaterbetrieb. Wer heute „storytelling“ sagt, kommt an Digitalen Medien nicht vorbei – merkt man diesen Trend auch hier?
Andreas Erdmann: Natürlich. Und am deutlichsten, wenn das Theater diese neuen Medien wie Facebook, Youtube oder Instagram selbst bespielt, was mittlerweile unser täglich Brot ist. Genauso interessiert mich allerdings, was uns diese Medien über die alte Kunst des „Storytellings“, die zu unserem Kerngeschäft gehört, Neues lehren. Wie wichtig beispielsweise die Fokussierung auf ein Thema ist, wie sehr Geschichten sich an den Erzähler, die Erzählerin oder die Persönlichkeit des Künstlers oder der Künstlerin anschließen, auch wenn wir es eigentlich mit einem kollektiven Kunstwerk in einem sozialen Medium zu tun haben.
Sieht man in der Welt des Theaters, dass technologische Entwicklungen in einem weiteren Sinne auch hier mehr und mehr angewandt werden?
Andreas Erdmann: Neue Technologien finden zu allen Zeiten Eingang ins Theater. Und Theatermacher und Theatermacherinnen haben sich immer schon gefragt, wie moderne Medien die Welt verändern. Gerade vor dem Hintergrund, dass das Theater einen, man kann sagen, archaischen medialen Rahmen für diese Recherche bietet. Dabei verändern neue Technologien ja auch das Theater. Waren vor zwanzig Jahren Videoprojektionen und Computergrafiken auf einer Bühne das höchste der Gefühle, gibt es heute eine Welle von interaktivem Theater, das auch den Theaterraum verlässt und in dem die neuen Medien thematisiert werden.
Deren Einfluss auf unsere Wirklichkeit kann sogar dann zum Thema werden, wenn gar kein offensichtlich neues technisches Gerät wie Smartphone oder VR-Brille zu Einsatz kommt – so in den vielen neuen Spielarten des interaktiven, früher hätte man gesagt: „Mit-mach-„Theaters. Technisch waren solche Inszenierungen auch vor tausend Jahren möglich – heute sind sie aktuell, weil sie eine bestimmte Welterfahrung reflektieren, die mit dem Internet zusammenhängt.
„Sempookin“ von Ei Wada ist dieses Jahr ebenfalls Teil des Themenschwerpunkts Theater & Digital Media. Credit: Mao Yamamoto
Wie ist speziell am Landestheater Linz der Umgang mit neuen Technologien oder Digitalen Medien?
Andreas Erdmann: Diese Frage kann ich nur in Form eines kleinen Ausschnittes beantworten. Wir interessieren uns besonders für Theatermacher und Theatermacherinnen, die leidenschaftlich neue Wege suchen: ob das der Komponist Michael Obst mit elektronischer Musik tut oder der Schauspielregisseur Björn Gabriel mit Computeralgorithmen und Livevideos. Gleichzeitig steht dem immer der vorhin schon angesprochene „archaische“ Teil des Theaters gegenüber. Das, was dieses Medium schon seit Jahrtausenden vermag und was durch neue Medien manchmal nur zugespitzter formuliert wird. Diese Recherche wollen wir fortsetzen und ausweiten.
Auf der anderen Seite steht die mittlerweile schon normale Kommunikation mit unserem Publikum durch Homepage und soziale Medien. Auch sie eröffnet einen völlig neuen Dialog mit unseren Zuschauern und Zuschauerinnen, der auf das Theater stark zurückwirkt. Und immer stärker werden auf diesem Weg auch künstlerische Inhalte ausgetauscht, sehen Sie nur die speziell fürs Internet produzierten Videos, Blogs, Bilder und Musiken. Auch dieses Engagement wollen wir noch ausbauen.
Chris Bruckmayr wird, zusammen mit seinem Bruder Didi Bruckmayr, die Performance „Breaking The Wall“ am Ars Electronica Festival 2017 präsentieren. Sie ist Teil einer Reihe von interaktiven Performances, die bereits im Juni 2017 in Wien als Teil eines Forschungsprojektes zur Publikumsinteraktion gezeigt wurden.
Die Performance „Breaking the Wall“ entstand im Rahmen eines Forschungsprojektes…
Chris Bruckmayr: „Breaking the Wall“ ist als Teil eines Forschungsprojektes am Positive Impact Games Lab (PIG Lab) der Technischen Universität Wien entstanden. Das Lab erhielt eine Förderung für künstlerische Forschung, weil es sich, zuerst natürlich auf einer Gaming-Ebene, schließlich aber auch im Bereich Performance, mit Interaktion beschäftigt. Mein Bruder Didi Bruckmayr und ich sind als null.head teilnehmende Künstler – das ist eine Vermischung der Namen Fuckhead und meines Technoprojekts raum.null.
Es geht also um verschiedene Formen von Interaktion mit einem Publikum?
Chris Bruckmayr: Genau. Susanne Kirchmayr, die als Electric Indigo auftritt, erlaubt es dem Publikum zum Beispiel, bei einer Art Smartphone-Konzert durch eine spezielle App und durch das Handy in die Performance einzugreifen. Grundsätzliche Strukturen wie rhythmische Elemente oder Beats sind nicht angreifbar, aber die Atmosphäre lässt sich verändern. In „Breaking the Wall“ ließen wir in Wien, bei der ersten Aufführung aller Projekte, stark zu, dass das Publikum in unsere Rhythmus-Struktur eingreifen kann, und haben schließlich festgestellt, dass es funktionaler ist, wenn es auf niederschwelligere Ebenen zugreift.
Didi und Chris Bruckmayr bei der Performance „Breaking the Wall“ in Wien. Credit: Louise Lindenbolz
Wie sieht die Publikumsinteraktion also jetzt bei „Breaking the Wall“ aus?
Chris Bruckmayr: Grundsätzlich gibt es verschiedene Modelle der „Audience Interaction“. In vielen wird versucht, dass man das Publikum wirklich sehr aktiv integriert, dass es sozusagen selbst die Musik macht, die stattfindet. Solche Modelle sind schwierig und meiner Ansicht nach bis jetzt immer gescheitert. Meiner Erfahrung nach hat der Großteil des Publikums überhaupt kein Interesse, sich extrem aktiv zu beteiligen. Das hat viel mit dem Ausmaß des Konzerts oder der Publikumsgröße zu tun. Wir haben uns also überlegt, wie Publikumsinteraktion zufälliger funktionieren kann. Dazu arbeiten wir stark auf der Stimmungsebene. Es ist durchaus möglich, aktiv in unsere Performance einzugreifen – wir arbeiten zum Beispiel mit Laser-Barrieren, die, wenn man sie durchbricht, erlauben, auf unsere elektronische Struktur zuzugreifen. Es werden gewisse zufallsgesteuerte Rhythmen angesteuert, oder sogenannte Drones, also an- und abschwellende Elemente. Wir lassen das Publikum aber nicht nur mit Teilen der Musik interagieren, sondern auch mit dem Lichtsetup und mit den im Raum platzierten Moving Heads. Die Bewegungsmuster des Publikums, seine Größe und auch das, was es letztlich tut, beeinflusst die Lichtstimmung.
Dieser Einfluss auf unsere Musik muss aber nicht bewusst passieren, es kann auch durch „passive Interaktion“ geschehen. Wir geben dem Publikum die Chance, zu interagieren, aber falls es das nicht tut, funktioniert die Performance trotzdem. Wir schaffen einen Raum, in dem die Leute durch ihre normalen Bewegungen agieren und in die Performance eingreifen.
Eindruck der Veranstaltungsreihe zur Publikumsinteraktion in Wien. Credit: Louise Lindenbolz
Welchen Stellenwert misst du Digitalen Medien im Bereich Performance bei?
Chris Bruckmayr: Einen sehr hohen. Dinge wie das ganze Bühnenbild durch Musikvisualisierungen und Projektionen zu verändern spielen eine wichtige Rolle. Auch die Möglichkeiten, die man mittlerweile mit Tracking hat, sind für das Storytelling sehr interessant. In Zukunft wäre es interessant, so weit zu gehen, dass die gesamte Projektionstechnik und das Licht von den Schauspielern und Schauspielerinnen selbst gemacht werden. Das heißt, es gibt einen Bühnenraum, in dem sie durch ihr Verhalten fähig sind, alles zu beeinflussen, von den Projektionen über Lichter bis hin zur Musik. Genau das haben wir in Ansätzen bei „Breaking the Wall“ versucht.
„Breaking the Wall“ ist Teil des Themenschwerpunkts Theater & Digital Media. Warum wird diese Thematik jetzt wichtig?
Chris Bruckmayr: Es hat zum einen demographische Gründe, weil ein gewisser Teil der Bevölkerung, der bis jetzt den größten Teil des Publikums von Musik- oder Theaterinstitutionen ausgemacht hat, leider altersbedingt stirbt oder nicht mehr hingeht beziehungsweise hingehen kann. Das junge Publikum hat mittlerweile ein völlig anderes ästhetisches Empfinden und auch weniger Geduld. Es sucht nach einer Verschränkung der Smartphone- oder Gaming-Welt mit der gezeigten Performance. Mit Projektionen oder visuellen Tricks wird Performance oder Theater wesentlich verdaulicher für jüngere Leute. Auch Augmented Reality im Theater ergibt auf jeden Fall eine neue erzählerische Ebene. Man kann damit zum Beispiel leichter verschiedene Zeitebenen einführen, die sogar gegeneinander laufen oder auf eine interessante Art und Weise verschränkt sind. Auf einmal ist es möglich, auf verschiedenste Arten und Weisen in das Theaterstück einzusteigen. Da ist noch irrsinnig wenig passiert, es bleibt noch viel zu tun.
Andreas Erdmann ist Dramatiker und Dramaturg. Er studierte in Hamburg bei Prof. Jürgen Flimm, arbeitete in der Schweiz, in Österreich und Deutschland als Autor, Regisseur und Dramaturg. Seit 2016 ist er Leitender Dramaturg am Landestheater Linz.
Chris Bruckmayr, Mag., Sound Artist, produziert unter dem Namen raum.null Dark Techno Musik beim Vinyl-Only Label Belgrade dubs / Belgrade. Er trat mit Fuckhead und raum.null bei den Ars Electronica Festivals 2014 bis 2016 auf, sowie am Heart of Noise Festival 2016. Kreativproduzent bei der Ars Electronica SPACELS GmbH.
Der Themenschwerpunkt Theater & Digital Media wird am Ars Electronica Festival von 7. bis 11. September 2017 mit einer Vielzahl an Projekten an der Schnittstelle zwischen Theater und Digitalen Medien sowie Plattform-Talks zu erleben sein. Einen ersten Überblick über die Festival-Highlights finden Sie hier, das vollständige Programm folgt in Kürze.
Die Performance „Breaking the Wall“ kann man beim großen Ars Electronica Opening am Donnerstag, 7. September 2017, in der POSTCITY Linz sehen und mitgestalten. Der Eintritt ist frei. Alle Details zur Veranstaltung finden Sie hier. Um mehr über das Festival zu erfahren, folgen Sie uns auf Facebook, Twitter, Instagram und Co., abonnieren Sie unseren Newsletter und informieren Sie sich auf https://ars.electronica.art/ai/.