Schon am ersten Festivaltag bietet das Ars Electronica Festival 2017 jede Menge interessanter Vorträge: Mit dem Eröffnungssymposium zum Thema „Wie Kultur Technologie formt“ wird ein erster Impuls für die kommenden Tage gegeben.
Der Festival-Freitag, 8. September 2017, führt die Ideen des ersten Tages weiter und widmet sich im großen Symposium schließlich voll und ganz dem diesjährigen Festivalthema „Artificial Intelligence – das Andere Ich“. In vier Themenblöcken erklären Experten und Expertinnen die verschiedensten Aspekte der Künstlichen Intelligenz (KI) – vom Kontrast zwischen Erwartungen und Realität über Ethik bis hin zur Kreativität von KI umfasst das Symposium ein breites Spektrum an Ansätzen, Ideen und Inhalten.
Einer der vortragenden Experten ist Mark Coeckelbergh: Der Technikphilosoph und Professor für Medien- und Technikphilosophie an der Universität Wien wird einen Einblick darauf geben, inwiefern Maschinen eigentlich Kunst schaffen können. Wir haben den Technikexperten zum Interview getroffen und herausgefunden, wo er die Verbindung zwischen Künstlicher Intelligenz, Kunst und Kultur sieht.
Die Fotos zeigen Kunstwerke, die in der Themenausstellung POINT ZERO am Ars Electronica Festival 2017 präsentiert werden. Hier: „Reading Plan“ von Lien-Cheng Wang. Credit: Kaohsiung Museum of Fine Arts
Im diesjährigen Symposium zum Festivalthema geht es unter anderem darum, wie Kultur Technologie formt. Üblicherweise spricht man davon, welchen Einfluss die Technologie auf unsere Kultur hat – was macht diese umgekehrte Überlegung so spannend?
Mark Coeckelbergh: Normalerweise denken wir über Technologie, als wäre sie von der Kultur losgelöst, etwas rein Technisches. In meinen letzten Arbeiten, zum Beispiel im Artikel „Technology Games“ oder in meinem neuen Buch „Using Words and Things“, argumentiere ich jedoch, dass Technologie immer in Spielen und einer Lebensart verankert ist. Wenn wir neuen Technologien wie Robotern oder künstlich intelligenten Geräten begegnen, geben wir diesen Technologien eine Bedeutung, indem wir uns darauf stützen, was wir bereits kennen und wie wir Dinge bereits tun. Technologien können die Spielregeln komplett verändern, aber mein Argument ist, dass dies nur möglich ist, weil eben schon ein Spiel existiert. Es gibt Arten, Dinge zu machen, geteilte Praktiken, die der Technologie Bedeutung geben. Auf diese Art formt Kultur Technologie.
Kultur sollte jedoch nicht als komplett separat gesehen werden, als hätte sie nichts mit Technologie zu tun. Kultur existiert nur in lebendigen Praktiken sowie in unserer Nutzung und Interaktion mit neuen und aufkommenden Technologien. Technologie ist immer auch kulturell, und Technologie ist menschlich – genauso, wie Menschen auch technologisch sind. Technologie besitzt all die Schönheit des Menschen und verkörpert all das Leiden und die Probleme der menschlichen Kultur. Technologie und Kultur sind miteinander verwoben.
„Ad lib.“ von Michele Spanghero. Credit: Vanessa Graf
Das Thema des diesjährigen Festivals ist „Artificial Intelligence – das Andere Ich“. Wie trägt Künstliche Intelligenz zu diesem Prozess, in dem Kultur Technologie formt, bei? Welche Effekte kann man heute schon davon sehen?
Mark Coeckelbergh: Wenn Leute auf die neuen Entwicklungen der Künstlichen Intelligenz reagieren, haben sie schon eine vorgefertigte Idee des Menschen im Kopf. Oft beinhält diese Vorstellung, dass Menschen keine Maschinen sind. Im Westen finden wir es generell sehr wichtig, zwischen Menschen und Nicht-Menschen zu unterscheiden. In diesem Fall ist es wichtig, diese Grenze zu sichern und zu verteidigen. Posthumanisten und Posthumanistinnen haben hiermit weniger Probleme, sie hinterfragen traditionelle Unterschiede und empfehlen es, diese Grenzen zu überschreiten und eine inklusivere Einstellung gegenüber Nicht-Menschen, seien diese nun natürlich oder künstlich, zu schaffen.
Es kommt noch dazu, dass manche künstlich intelligenten Maschinen menschenähnlich erscheinen. Wir sind soziale Geschöpfe und haben uns bereits ein Repertoire an Reaktionen angeeignet, die für alles, was fremd oder anders erscheint, angewandt werden. Wir kennen diese sozialen Spiele schon. Wenn wir einen Roboter treffen, beeinflusst all dies die Begegnung. Maschinen zu schaffen, die als quasi-anders erscheinen, hat eine lange Geschichte in unserer Kultur, angefangen vom Golem und Frankenstein bis hin zu kontemporären Science Fiction Filmen wie Ex Machina. Offensichtlich gibt es ein Verlangen nach einem künstlichen Fremden, oder vielleicht einfach nach etwas Fremden tout court. KI und Robotik fallen in ein Feld von sozialen Beziehungen mit vorgefertigten Vorstellungen. Wenn es in einer Gesellschaft Probleme mit sozialen Beziehungen gibt, zum Beispiel im Bereich Gender oder mit Leuten, die Schwierigkeiten mit romantischen Beziehungen haben, werden diese in Technologien wiedergespiegelt. Hier sieht man wieder: Technologien sind nicht nur technisch, sondern auch menschlich und kulturell.
„Sculpture of Time“ von Akinori Goto. Credit: Akinori Goto
KI wirft auch interessante Fragen über menschliche Kunst und Kreativität auf, die normalerweise als Teil einer „Hochkultur“ gesehen werden. Wir sehen, dass Roboter zum Beispiel Kunst schaffen. Aber zählt das wirklich als Kunst? Was ist Kunst? Was ist Kreativität? Sind kreative Technologien ein Problem oder können wir sie als Mitschaffende akzeptieren? Könnten sie vielleicht eine andere Art von Kreativität besitzen? Ist das ein Problem oder ein aufregendes, neues Gebiet, das neue Möglichkeiten für die menschliche Kultur eröffnet? Ist die menschliche Kultur sowieso hybrid, menschlich und nicht-menschlich? Ich werde mehr über all das in meinem Vortrag am Festival sprechen. Jetzt möchte ich nur sagen: Es sind die Technologien, Künstliche Intelligenz und die Robotik, die kulturelle Herausforderungen und auch Möglichkeiten schaffen. KI und Robotik zwingen uns dazu, Fragen darüber zu stellen, was es bedeutet, Mensch zu sein, was Kultur ist und was sie sein sollte.
„Nyloïd“ von Cod.Act. Credit: Xavier Voirol
Technologie ist als Teil der menschlichen Kultur immer auch Ausdruck der Zeit. Wie haben unterschiedliche Kulturen in der Vergangenheit Technologie geformt? Wie zeigen sich soziale und kulturelle Einflüsse in der heutigen Technologie?
Mark Coeckelbergh: Das stimmt. Aber man könnte Technologien auch nicht so sehr als Ausdruck der Zeit sehen, sondern vielmehr als eine Art kulturelles Werkzeug. Sie werden als Instrumente benutzt, mit den drängenden Fragen der Zeit umzugehen. Als ich für mein Buch „New Romantic Cyborgs“ recherchierte, fiel mir auf, dass das romantische Denken im 19. Jahrhundert stark mit dem technologischen Fortschritt zusammenhing, so sehr sogar, dass manche von „romantischen Maschinen“ sprechen. Aber das trifft nicht nur auf die Vergangenheit zu. Im Buch will ich zeigen, dass romantisches Denken immer noch unsere Technologien und die Art, wie wir sie benutzen, formt. Zum Beispiel benutzen wir Technologien, um uns in eine andere Realität zu flüchten, um eine verlorengegangene Magie zurückzubringen oder um Differenzen zwischen Geist und Materie zu überbrücken. Alle kulturellen Probleme und Herausforderungen der Modernität kehren in unseren Technologien wieder. Widerstand ist zwecklos – besser, man setzt sich damit auseinander.
Allgemeiner gesagt sehen wir heute in der Diskussion über Künstliche Intelligenz, dass viele Fragen unserer Zeit zurückkehren. Zum Beispiel ist ein großes soziales und politisches Problem momentan das Thema der Gerechtigkeit und Ungleichheit. Es gibt ein Gefühl der Krise und viele Proteste. Es gibt auch Sorgen wegen des Klimawandels und darüber, wie wir mit der Umwelt umgehen. Wir können jetzt beobachten, dass diese Fragen in der Diskussion rund um Künstliche Intelligenz wieder auftauchen. Plötzlich sprechen Leute aus der Technik, nicht aus der Politik, über Grundeinkommen und die Risiken der Künstlichen Intelligenz. Es sind auch Leute aus der Technik, die Lösungen für Umweltprobleme vorschlagen. Natürlich gibt es auch Politik. Aber es geht darum, dass Technologien genauso wie Diskurse und Politik eine Rolle spielt. Im politischen Theater sind Künstliche Intelligenz und Elektroautos auf derselben Bühne wie auch Menschen und Diskurse. Soziale und politische Fragen vermischen sich mit technologischen und wissenschaftlichen Fragen.
„cellF“ von Guy Ben-Ary. Credit: Rafaela Pandolfini
Gibt es klar erkennbare Unterschiede zwischen verschiedenen Kulturen?
Mark Coeckelbergh: Es gibt Unterschiede. Bei meiner Arbeit an der Ethik in der Robotik fand ich zum Beispiel heraus, dass japanische Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen viel weniger Probleme mit menschenähnlichen Robotern haben als Leute im Westen. Im Westen denken wir, dass es sehr wichtig ist, zwischen Menschen und Nicht-Menschen zu unterscheiden. Als ich mit einem japanischen Wissenschaftler darüber sprach, verstand er nicht, was daran so wichtig sein soll. Also ja, es gibt Unterschiede.
Andererseits gibt es keine homogene Kultur wie „den Westen“: Vielmehr sind es alle möglichen Arten von Subkulturen, von denen manche sehr offen gegenüber neuen Technologien sind. Ich finde außerdem, dass wir Orientalismus und andere solcher Ismen vermeiden sollten: Japan ist nicht eine ganzheitlich andere Kultur, es wird auch von der Modernität geformt, es ist also einfach eine andere Art von Modernität. Kulturen sind hybrid, sie sind Monster, sie sind Ökologien verschiedener kultureller Lebensformen, mit unzähligen schönen und hässlichen Seiten. In der Westlichen Moderne gab es schon immer ein romantisches Verlangen nach einer prämodernen Vergangenheit. Also ja, es gibt Unterschiede, aber man sollte sie nicht übertreiben. Wir sind alle Menschen und wir interagieren alle mehr oder weniger intensiv mit Technologie. Wir hängen in unserem Leben von Technologie ab. Auf diese Art sind wir alle Cyborgs.
„Singularity“ von Kathy Hinde und Solveig Settemsdal. Credit: Solveig Settemsdal
Ihr neuestes Buch handelt von Sprache und Technologie. Spielt Sprache, die ja oft als wichtiges Kennzeichen für Kultur verwendet wird, eine Rolle in der Formierung von Technologien? Welche anderen Faktoren sind in diesem Prozess wichtig?
Mark Coeckelbergh: Sprache ist sehr wichtig in der Formierung von neuen Technologien, weil es, wie auch andere Instrumente, der Bedeutung und Nutzung von Technologie eine Form gibt. In meinem neuesten Buch „Using Words and Things“ gebe ich das Beispiel von sozialen Robotern. Die Erfindung von sozialen Robotern, Maschinen, die im Umgang mit Menschen eine Mensch-zu-Mensch-Interaktion zu imitieren versuchen, war eine technische Herausforderung wie auch eine sprachliche. Mit dem Begriff des „sozialen Roboters“ versuchen die zuständigen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen uns zu zeigen, dass diese Roboter freundlich sind, dass wir einfach und sicher mit ihnen interagieren können und dass die Imitation des Sozialen gelungen ist. Man kann das aber hinterfragen und sich Gedanken über die ethischen und sozialen Implikationen Gedanken machen. Solch kritische Arbeit muss sich zwingend mit der Technik und Wissenschaft auseinandersetzen, aber auch mit der Sprache.
Sprache spielt außerdem zunehmend eine wichtige Rolle in der Künstlichen Intelligenz und Robotik: Um diese Maschinen intelligenter und „sozialer“ zu machen, ist das sprachliche Interface eine Schlüsselkomponente. Heutzutage nimmt das immer mehr die Form eines Sprachinterface. Es kommen immer mehr Geräte, die mit uns sprechen. Unsere Wahrnehmung dieser Maschinen und Geräte wird stark davon abhängen, wie die Sprache von dem Interface genutzt wird. Wenn der sprachliche Austausch „natürlich“, sozial erscheint, dann werden wir diese Geräte als Fremde behandeln. Ist das Täuschung? Ist das problematisch? Wollen wir wirklich diese technologische Version von Alice im Wunderland? Wollen wir künstliche „Freunde“? Wird diese Technik nur von Firmen genutzt, um unsere Daten besser zu erfassen, die wiederum an andere Firmen verkauft werden? Oder ist es vollkommen unbedenklich? Sollen wir dieser technologischen Welt von Komfort und Verführung nachgeben, diesem Internet von magischen Dingen?
Um diese Fragen zu beantworten, muss man andere kulturelle Faktoren beachten, die bereits jetzt mit der Sprache vermischt sind: unsere Werte und Glauben. Konfrontiert mit den neuen technologischen Entwicklungen sollten wir mehr darüber nachdenken, welche Art von Gesellschaft und Welt wir wollen und welche Leben es wert sind, gelebt zu werden. Nicht, um Technologie abzuweisen, oder um losgelöst von Technologie zu denken, denn das ist sowieso unmöglich – vielmehr sollten wir es tun, um herauszufinden, mit welchen Technologien wir leben möchten. Das ist eigentlich dieselbe Frage wie jene, welche Kultur wir haben möchten.
Mark Coeckelbergh ist Professor für Medien- und Technikphilosophie am Institut für Philosophie der Universität Wien. Zudem ist er (Teilzeit) Professor of Technology and Social Responsibility an der De Montfort Universität in Großbritannien. Derzeit steht Coeckelbergh der Society for Philosophy and Technology, der internationalen Gesellschaft für Technikphilosophie, als Präsident vor. Zu seinen Publikationen zählen unter anderem Growing Moral Relations (2012), Human Being @ Risk (2013), Environmental Skill (2015), Money Machines (2015), New Romantic Cyborgs (2017) und Using Words and Things (2017) sowie zahlreiche Artikel im Bereich der Technikphilosophie, insbesondere der Philosophie und Ethik der Robotik und Informations- und Kommunikationstechnologien.
Mark Coeckelbergh wird am Freitag, 8. September 2017, bei der Konferenz zum Festivalthema „Artificial Intelligence – Das Andere Ich“ am Ars Electronica Festival 2017 darüber sprechen, ob Maschinen Kunst schaffen können. Er spricht außerdem am Eröffnungssymposium, „Wie Kultur Technologie Formt“. Neben Mark Coeckelbergh wartet ein umfangreiches Line-Up an herausragenden Experten und Expertinnen auf Sie – genaue Details erfahren Sie in Kürze auf unserer Webseite.
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