Ein Top, das selbst zum Kleid wächst. Ein Roboter, der modelt. Gigapixelaufnahmen und 3D-Videos von neuartigen Materialien – und eine live Modenschau. Das Programm der Werkschau des Studiengangs Fashion & Technology der Kunstuniversität Linz ist bunt! Am 23. November 2017 präsentieren die Studierenden ihre Arbeiten im Ars Electronica Deep Space – ungewöhnliche Präsentationsweisen und neuartige Textilien spielen dabei eine genauso große Rolle wie die Diversität der Models oder Nachhaltigkeit in der Modeproduktion.
Die Werkschau ist namensgebend für den gesamten Abend: Unter dem Motto „DE/MATERIALIZE“ werden neben der Modenschau auch neue Exponate im Ars Electronica Center präsentiert, VR-Applikationen vorgestellt und die Grenzen zwischen virtueller und analoger Sphäre verwischt.
Ute Ploier, Modedesignerin und Leiterin des Studiengangs Fashion & Technology an der Kunstuniversität Linz, hat uns im Interview bereits jetzt etwas mehr über die Show verraten.
Credit: Florian Voggeneder
Ute, du bist Leiterin des Studiengangs Fashion & Technology an der Kunstuniversität Linz. Kannst du uns ein bisschen davon erzählen?
Ute Ploier: Wir sind der Meinung, dass das Modesystem, wie es jetzt im Moment läuft, sehr bald an seine Grenzen stoßen wird. Allein das Phänomen der Fast Fashion hat den Output der Modeindustrie seit 2000 mehr als verdoppelt. Das sind unglaubliche Mengen an stofflichen, energetischen und humanen Ressourcen, die da hineingesteckt werden. Es ist ein System, bei dem man merkt, dass es an allen Ecken und Enden kracht. Darum haben wir uns ganz bewusst dazu entschlossen, dass wir in Linz einen Studiengang konzipieren, der eine Alternative darstellen soll zu einer herkömmlichen Modeausbildung. Auch mit dem Hintergedanken, dass Linz keine Modemetropole ist – das heißt, wir brauchen ein sehr spezielles Profil, damit die Leute zu uns kommen. Die Erfahrung zeigt, dass sie das auch tun. Wir haben im Moment um die 50 Studierende aus über dreizehn Nationen, aus Argentinien, Russland, England, Ungarn, Rumänien, Spanien, Portugal – es ist für einen Bachelor wirklich extrem international gemischt. Wir glauben eben daran, dass Technologie, wenn man sie richtig und clever nützt, ein Tool sein kann, das Mode nachhaltiger macht. Mit dem man Mode neu denken kann, mit dem man sie neu produzieren kann, mit dem man sie auch neu präsentieren kann.
Die Verbindung von Mode und Technologie wird von den meisten mit blinkenden T-Shirts assoziiert, genau das ist es aber nicht. Der Begriff Technologie umfasst für uns einerseits alte, traditionelle Technologien, die schon über viele Jahre in der Mode entwickelt wurden, bis hin zum High-Tech. Wir versuchen in diesem Studiengang, dass wir uns diesen ganzen Bogen anschauen und ihn den Studierenden nahebringen, damit sie dann Verknüpfungen zwischen traditionellen und modernen Technologien schaffen können.
Credit: Florian Voggeneder
Was sind das zum Beispiel für Technologien?
Ute Ploier: Ein Beispiel für eine traditionelle Technologie wäre der Blaudruck. Diese Technologie wird immer noch angewandt, im Mühlviertel gibt es zum Beispiel eine der wenigen Blaudruckereien. Es ist ein jahrhundertealtes Druckverfahren, also eigentlich ein Färbeverfahren. Man druckt vorher mit Wachs auf Stoffe und färbt danach mit einer Indigolösung darüber. Das Schöne an diesem Färbeverfahren ist, dass dieses Farbbad ewig hält. Man muss nur ab und zu die Sedimente rausfischen, es ist eine absolut nachhaltige, umweltschonende Art zu färben. Die Modeindustrie ist im Moment der Industriezweig, der am zweitmeisten zur Umweltverschmutzung beiträgt. Ein großer Teil davon ist eben die Färberei mit ihren vielen Chemikalien und schädlichen Stoffen, die in die Umwelt gelangen. Der Blaudruck ist ein Beispiel für eine traditionelle Technologie, bei der es sich lohnt, genauer hinzuschauen und sich zu fragen, ob man das in die Jetzt-Zeit transferieren kann. Ganz ähnlich ist es auch mit Lodenjacken – bei Messungen zu Tragegefühl, Feuchtigkeit und Isolierung in den Tiroler Alpen schnitten sie besser ab als moderne Daunen- oder High-Tech-Jacken. Es gibt also eigentlich einen großen Schatz an Technologien, auch in Österreich, regional, den wir uns anschauen. Aber auf der anderen Seite des Spektrums stehen ganz neue Technologien wie 3D-Druck oder 3D-Strick. Unsere Zusammenarbeit mit der Firma Kobleder aus Oberösterreich im Bereich 3D-Strick ist ein super Beispiel für eine nachhaltige Technologie: Ein Kleidungsstück wird sozusagen dreidimensional gestrickt und fällt fertig aus der Maschine. Man hat keinen Abfall, kaum einen CO2-Abdruck, weil es europäische, im besten Fall nachhaltige, zertifizierte Garne sind, und es holt die Produktion wieder zurück in die Region.
Credit: Florian Voggeneder
DE/MATERIALIZE ist eine Show von Werkstücken der Studierenden des Studiengangs, bei der also die Produkte genau solcher Arbeitsweisen präsentiert werden.
Ute Ploier: Genau. Es ist eigentlich eine multimediale Performance, die sich aus drei Teilen zusammensetzt. Der erste besteht aus Gigapixel-Aufnahmen, also extrem hochlösende Aufnahmen. Wir haben uns bei diesen Aufnahmen Strukturen, die unsere Studierenden erzeugt haben, wie unter einem Mikroskop angeschaut. Man sieht zum Beispiel Bioplastik, einen Kunststoff, den der Studierende Aaron Keller aus rein natürlichen Zutaten hergestellt hat. Eine andere Studierende, Ursula Vogel, hat ein selbstwachsendes Kleidungsstück aus einer Wüstenpflanze entworfen. Diese Pflanze lebt in der Natur über Felsen oder im Sand. Sie ist nicht in der Erde verwurzelt, sondern ist ein Luftwurzler. Sie fühlt sich als Faser sehr angenehm an. Unser Bachelor ist eine Experimentierwiese, ein Spielfeld. Wir sagen: Denkt über die normalen Spielregeln hinaus, die es in der Mode gibt, streckt die Fühler aus, entwickelt eigene Materialien! Wie könntet ihr Mode noch denken, was könnte sie noch sein? Natürlich sind das Experimente und keine fertigen Produkte, aber uns ist wichtig, dass diese Grenzen ausgedehnt und gesprengt werden. Dass man wirklich versucht, nachhaltige Alternativen für die Mode zu finden, weil wir glauben, dass es höchst an der Zeit ist.
Credit: Florian Voggeneder
Dabei entsteht schlussendlich eine ganz neue Auseinandersetzung mit Materialien.
Ute Ploier: Aber auch mit Designprozessen! Wenn man bei einem Designprozess Technologie einsetzt, können Formen und Strukturen entstehen, die man sich so gar nicht ausdenken könnte – Schlagwort generatives Design.
Auch unsere Präsentation wurde so konzipiert, dass sie keine klassische Modenschau ist. Wir gehen anders mit Mode um, das soll auch bei der Präsentation zu sehen sein. Der erste Teil besteht wie gesagt aus den Gigapixel-Fotos. Im zweiten Teil zeigen wir 3D-Videos, die wir im Roboter-Labor gedreht haben. Es modelt der Roboter, aber er ist auch gleichzeitig der Kameramann. Wir stellen hier die Frage: Was ist ein Körper? Wie muss ein Körper aussehen? In der Mode gibt es sehr oft Tendenzen zu einer merkwürdigen Idealisierung. Damit beschäftigen wir uns im Studiengang stark. Also stellen wir auch hier die Frage nach Alternativen: Was könnten alternative, ästhetische Konzepte sein? Das Schönheitsideal, dass in der Werbung und in den Medien vielfach propagiert wird, führt zu sehr großem Druck und teilweise auch zu sehr großen Problemen führt. Ich bin der Meinung, dass man das kritisch hinterfragen muss. Wir möchten das auch den Studierenden gerne mitgeben. Der letzte Teil der Präsentation ist eine Live-Performance, in der die zehn Outfits der Gigapixel-Aufnahmen und des Videos live von Models gezeigt werden. Wir haben eine Mischung aus Agentur-Models und Street-Cast-Models, jüngere Leute, ältere Leute verschiedener Herkunft, um auch so ein breiteres Spektrum unserer Gesellschaft abzubilden.
Credit: Florian Voggeneder
In der Beschreibung heißt es, es wird „präsentiert von materiellen und immateriellen Körpern“. Was ist damit gemeint?
Ute Ploier: Materielle Körper wären zum Beispiel die Models. Immaterielle Körper – wir haben teilweise Kleidungsstücke, die wir mit Magic Arms inszeniert haben. Das heißt, es ist kein Körper darunter, aber der Körper lässt sich erahnen. Das Kleidungsstück selbst macht den Körper. Es gibt zum Beispiel eine Szene im Video, da sieht man einen weißen Kimono, der mit Magneten bestückt ist. Der Roboter führt den Kimono ins Publikum und dadurch, dass er dreidimensional und extrem plastisch aufgespannt ist, kann man sich den immateriellen Körper vorstellen, obwohl kein Körper im Kimono ist. Wir pendeln zwischen analog und digital, zwischen real und virtuell, es ist eine Reise zwischen mehreren Welten und auch ein Verschwimmen von Grenzen.
Welche Chancen siehst du dank des technologischen Fortschritts für die Mode? Was ist die Zukunft der Mode?
Ute Ploier: Für mich ist genau das der spannendste Aspekt der Mode. Ich bin jetzt seit mehr als zwanzig Jahren in dem Geschäft und bin an den Punkt gekommen, dass ich die Sinnhaftigkeit dieser Prozesse in der Mode sehr stark hinterfrage. Diese Ãœberlegungen spiegeln sich sehr stark in dem Programm für den Studiengang wieder. Ich glaube, dass sich extrem viele Tore für die Mode öffnen, auch für unsere Studierenden. Das Studium hier bietet eine ganz spezielle Ausbildung. Wir merken das auch – im vierten Semester müssen die Studierenden zum Beispiel ein Praktikum machen. Wir waren gespannt, welche Plätze sie bekommen würden, und es war dann wirklich eine spannende Bandbreite von kleineren independent labels bis hin zu großen Firmen, alle von wirklich hoher Qualität. Ich glaube, dass einer der Gründe dafür war, dass die Firmen diese neuartige Auseinandersetzung mit Mode in den Portfolios der Studierenden gesehen haben.
Credit: Florian Voggeneder
Also ist das auch wirklich etwas, das man auf allen Levels beobachten kann.
Ute Ploier: Auf jeden Fall. In großen Firmen ist es natürlich schwieriger, es dauert länger, bis sie komplett umgestellt haben. In der textilen Wertschöpfungskette fängt das schon beim Faserhersteller an – wenn ein Faserhersteller nicht nachhaltig produziert, kann es das Endprodukt auch nicht sein. Bis Giganten in der Faserherstellung ihre Produktionsketten umgestellt haben, das wird noch dauern, aber man merkt, dass sie dabei sind. Lenzing, ein Kooperationspartner von uns, der auch die Show unterstützt hat, hat jetzt zum Beispiel Seide aus Holz entwickelt. Man sieht, dass überall geforscht wird, dass es überall knistert, dass eine Aufbruchsstimmung da ist. Bis man wirklich bei einer durchgehend nachhaltigen Produktion für viele ist, das ist wirklich noch Zukunftsmusik, aber man merkt zumindest, dass sich etwas tut. Da kann Technologie ein guter Katalysator sein.
Die Modedesignerin Ute Ploier studierte Fashion Design an der Central Saint Martins Universität in London und der Universität für Angewandte Kunst in Wien unter der Leitung von Raf Simons, Viktor & Rolf und JC de Castelbajac. Mit ihren Kollektionen gewann sie mehrere Preise, unter anderem den „Prix Hommes“ für die beste Männerkollektion am renommierten „Festival d’Hyères“ für Fashion und Fotografie in Frankreich. Sie war außerdem Finalistin bei den prestigeträchtigen „Swiss Textile Awards“ in Zürich. Ihre Arbeit wurde unter anderem im i-D Magazine und dem New York Times Magazine präsentiert. Neben ihrer eigenen Linie hat Ute Ploier bereits mit Kunden wie La Redoute oder Topman zusammengearbeitet. Sie leitet außerdem den Fashion & Technology Studiengang an der Kunstuniversität Linz. Ute Ploier lebt und arbeitet in Wien.
Die Show DE/MATERIALIZE des Studiengangs Fashion & Technology der Kunstuniversität Linz findet am 23. November 2017 im Deep Space im Ars Electronica Center statt. Sie ist namensgebend für den gesamten Abend – beim Event DE/MATERIALIZE werden unter anderem auch die neuen Exponate des Ars Electronica Centers präsentiert. Alle Informationen zum Event finden Sie auf unserer Webseite.
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