Mehr als 1400 Stunden Arbeit stecken im Hause Sacher. Zumindest in der Papier-Version: Die beiden Papierkünstlerinnen Daniela Leitner und Sandra Reichl realisierten gemeinsam mit Ars Electronica Solutions ein faszinierendes Diorama für das Schaufenster des neugestalteten Cafés Sacher Eck in Wien.
Als eines von drei Projekten, die für das Sacher Eck von Ars Electronica Solutions umgesetzt werden, verzaubert nun ein detailreicher Schaukasten bummelnde PassantInnen und schlemmende Tortenfans zugleich. Das Haus Sacher in Papierform, in liebevoller Kleinstarbeit und unzähligen Stunden per Hand gefertigt, erzählt gemeinsam mit Animationen von Ars Electronica Geschichten vom Haus und Hotel Sacher. Eine interaktive Schnittstelle ermöglicht es, auch den eigenen „Sacher-Moment“ zu teilen – und am Diorama umgesetzt zu sehen.
Wir haben uns in Wien mit Daniela Leitner und Sandra Reichl getroffen und im Traditionshaus Sacher über das Diorama, seine Herausforderungen und die Liebe zur Arbeit an der Schnittstelle zwischen Analog und Digital gesprochen.
Credit: Vanessa Graf
Daniela, Sandra, ihr habt gemeinsam das Papiermodell für das Diorama für Sacher gebaut. Welche Vorbereitungen sind mit so einem Projekt verbunden?
Sandra Reichl: Zuerst geht es darum, das Haus auseinanderzunehmen, rein visuell. Viel schauen, vor allem die Pläne anzusehen. Man muss allerdings sagen, dass die Pläne ganz anders ausgesehen haben als das Originalhaus.
Daniela Leitner: Die Fenster mussten für die Animationen von Ars Electronica zum Beispiel eine bestimmte Größe haben. Deswegen haben wir einen ganzen Stock aus dem Haus Sacher genommen. Das Haus hätte eigentlich viel mehr Stockwerke! Es ist in drei Teile aufgeteilt, bei jedem haben wir Fenster entfernt. Optisch bleibt es aber das Haus Sacher.
Sandra Reichl: Die Herausforderung war, den Realismus mit dem Größenverhältnis so zu kombinieren, dass das Haus proportional stimmt. Hätten wir das Haus eins zu eins gebaut, wären die Fenster so klein, dass die Animationen nicht mehr zu sehen gewesen wären. Deswegen ging es im Designprozess darum, wie man eigentlich ein Haus entwickeln kann, das große Fenster hat, trotzdem aber zu 100% als das Haus Sacher erkannt wird. Zusätzlich sollte es nicht einfach nur ein Abklatsch der Realität sein. Es hat Perspektive, oder spielt vor, perspektivisch zu sein. Die Vorbereitung ist also eine Mischung aus Analyse des Hauses, Durchschauen der Pläne, viel gucken und Fotos machen und rationalisieren, sodass das Design dann noch immer in sich geschlossen charmant bleibt, ohne dass es abgeschnitten ausschaut.
Wie gestaltete sich die nächste Phase, der Prozess des Bauens?
Daniela Leitner: Mindestens ein Monat lang war es sicher reine Digitalarbeit. Für manche andere Projekte arbeiten wir rein analog mit Skalpell und Skizze, aber dadurch, dass die Fenster so oft wiederholt wurden und es eine solche Detailarbeit war, zeichneten wir zuerst das gesamte Haus in Vektoren. Nach diesem einen Monat, oder fünf, sechs Wochen, gingen wir erst in Produktion. Die Vorarbeit war wirklich sehr viel und sehr komplex. Weil es einfach sehr viele Schichten waren. Ich glaube, es waren pro Fenster…
Sandra Reichl: …zwischen zwanzig und dreißig Schichten. Der Prozess war zuerst das Haus per Hand zu zeichnen, es dann zu digitalisieren, in Vektor umzuwandeln, dann mehr oder weniger perspektivisch abzusichern, dass wirklich alle Fenster funktionieren, diese dann explodieren und schließlich in Einzelteile lasercutten. Diese wurden dann arrangiert und gesculptet, also geformt. Das Haus hat nicht nur flache Teile, sondern auch Struktur – wenn man sich zum Beispiel die Fahnen ansieht, sieht man Danielas wahres Talent. Das ist dann wirklich Hard Labor. Es gibt insgesamt glaube ich fünfzehn unterschiedliche Fenster, die sich vier- bis sechsmal wiederholen. Insgesamt auf jeden Fall über 75 Fenster! Die haben wir alle gebaut, alle Einzelteile zusammengesetzt.
Daniela Leitner: Wir nennen das den Sacher-Sommer. (lacht)
Sandra Reichl: Sommer, Herbst und Winter! Erst als alle Einzelteile fertig waren, haben wir das Grundhaus gebaut. Auf dieses Grundhaus wurde schließlich alles nacheinander aufgebaut.
Credit: Vanessa Graf
Wie war es für euch, mit einem so bekannten Traditionsbetrieb wie Sacher zu arbeiten?
Sandra Reichl: Es ist schön, einmal mit so einer Institution wie Sacher gearbeitet zu haben. Ich glaube, das wäre für jeden Designer und jede Designerin aus Österreich cool. Ich finde das super, mit den großen, alteingesessenen Marken in Österreich zu arbeiten. Wir haben Sacher als sehr hilfreich und nett empfunden, als wir aufgebaut haben.
Ich finde auch, dass das Technologische mit dem Analogen gut verschmilzt. Es ist eine schöne Mischung, aber es war, ehrlich gesagt, auch eine Herausforderung. Man stellt sich das so einfach vor, dass man ein analoges Teil einfach vor einen Bildschirm stellt und das gut funktioniert. In Wirklichkeit bemerkten wir im Prozess viele Details: Die Farbgebung des Himmels etwa ist extrem wichtig. Sie sollte sich nicht mit dem Haus oder der Papierfarbe schlagen. Wir mussten uns noch einmal damit auseinandersetzen, wie wir den Nacht- und den Taghimmel wirklich arrangieren wollten. Die Wolken durften nicht zu mächtig sein, das Blau nicht zu dunkel, denn sonst wird das Haus viel zu knallig weiß. Es war ein interessanter Prozess, zu sehen, dass das nicht so einfach ist. Es war eine Herausforderung, alles anzugleichen und anzupassen, sodass es nicht aussieht wie ein analoges und ein digitales Teil, sondern miteinander wirkt.
Credit: Vanessa Graf
Daniela Leitner: Auch das Design der Figuren wurde noch einen Tick mehr in die Richtung des Designs vom Haus geholt, weil es ursprünglich zu fremd war. Als wir es zusammenstellten, sah man zu starke Kontraste.
Sandra Reichl: Stilistisch waren die Figuren vorher Comic-hafter, das schlug sich mit dem Realismus des Hauses und umgekehrt. Jetzt sind die Figuren von den Proportionen und auch von der Gestik her ein bisschen realistischer. Das meine ich mit homogen. Man kann einfach zwei Sachen zusammenstellen und warten, ob es funktioniert, oder man kann in den Runden darüber hinaus noch einmal schauen, wie man es homogener gestalten kann, sodass es wirklich ausschaut, als wäre beides aus einer Welt.
Credit: Vanessa Graf
Woran liegt für euch der Reiz an dieser Schnittstelle zwischen Analog und Digital?
Daniela Leitner: Dass die Leute nie wissen, was man analog und was man digital gemacht hat. Es bleibt ein bisschen mystisch. Wo kannst du den Charme aus dem Analogen holen, wo die Effizienz aus dem Digitalen? Damit verkaufst du ein Produkt, das einfach verzaubert.
Sandra Reichl: Ich glaube, man spürt das einfach. Ein hundertprozentig digitales Projekt oder Produkt kann nie so charmant sein wie eines, bei dem man spürt, dass jemand mit Hand und Schweiß und Blut dabei war. In der heutigen Zeit, wo wir technologisch so weit sind, ist es umso schöner, auch das Digitale wieder ins Reale zu holen. Es hat nicht nur mit dem Analogen zu tun, sondern auch damit, wie wir mit Technologie interagieren. Wie weit lassen wir uns von ihr formen? Ich finde, das Design darf nie von der Technik bestimmt sein, sondern es darf immer nur Werkzeug sein.
Daniela Leitner: Ich bin ganz vorne dabei, falls etwas entwickelt wird, ein 3D-Scan oder ähnliches, mit dem man das Analoge ins Digitale holt und dann weiterbearbeitet. Das Analoge mit dem Digitalen zu fälschen ist viel aufwändiger als wenn man es mit den Händen macht. Ich möchte am Puls der Zeit sein, aber in Kombination mit analogem Crafting. Ich möchte die Technik nutzen, um diesen Charme so weit wie möglich zu schaffen…
Sandra Reichl: … und um einfach gute Geschichten zu erzählen. Was ist Charme? Gute Geschichten. Ich glaube, das Diorama erzählt die Geschichte von Sacher mit den Animationen sehr gut. Der Screen alleine hätte die Geschichte nicht so charmant erzählt und auch das Haus alleine nicht. In der Kombination ist es einfach eine schöne Geschichte.
Daniela Leitner arbeitet als freie Art Direktorin, Regisseurin und Illustratorin. Sie kollaboriert mit dem Animationsstudio Salon Alpin und vervollständigt deren Art-Department für animierte und interdisziplinäre handgefertigte Projekte. Daniela schrieb, führte Regie und designte den Animationskurzfilm “Nachsaison”, der seine Premiere im April 2017 feierte. Seither lief er auf renommierten internationalen Filmfestivals und gewann mehrere nationale und internationale Awards.
Sandra Reichl arbeitet zwischen Art Direktion und Design Produktion mit starkem Fokus auf Marken Identität, Branding und dem Entwickeln von visuellen Welten. Nach der HTL für Kommunikationsdesign in Linz absolvierte sie das Studium für Grafik und Werbung an der Universität für angewandte Kunst in Wien unter der Leitung von Professor Walter Lürzer. Anschließend arbeite sie mehrere Jahre bei namhaften österreichischen Werbeagenturen. Seit 2010 selbständig, kehrte Reichl, nach Projekten in Stockholm, Berlin und New York mit zahlreichen nationalen und internationalen Awards zurück nach Wien, um als freie Designerin mit den unterschiedlichsten Kreativ-Teams und Künstlern (WOW CREATIVES) für Agenturen und Marken zu arbeiten.
Das Papercraft Diorama der beiden Designerinnen Daniela Leitner und Sandra Reichl sowie die beiden anderen Projekte von Ars Electronica Solutions für Sacher sind ab sofort im Café Sacher Eck in Wien (Philharmonikerstraße 4) im Innen- und Außenbereich des Gebäudes zu betrachten.
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