„Wir trainieren hier direkt mit dem Gehirn“, erklärt Sarah Breinbauer, Marketing- und Event-Managerin bei g.tec, und könnte es buchstäblicher nicht beschreiben. Die oberösterreichische Medizintechnik-Firma entwickelt Brain Computer Interfaces (BCI), also Schnittstellen zwischen Gehirn und Computer, die es auf bemerkenswerte Weise schaffen, Therapiefortschritte bei SchlaganfallpatientInnen zu erzielen.
Was mit anderen Mitteln oft schlichtweg unmöglich scheint, wird durch die Computer-Gehirn-Interfaces machbar: Motorische Fähigkeiten kehren zurück, Bewusstseinszustände von Koma- oder Locked-In-PatientInnen können akkurat nachgewiesen werden und die handlichen Geräte der Unicorn Suite fungieren sogar als praktische Hilfsmittel für den Hausgebrauch.
Bei „Bugfix the Brain“ am Ars Electronica Festival von 6. bis 10. September können Sie herausfinden, was sich genau hinter den Entwicklungen von g.tec verbirgt – Terminvereinbarung für PatientInnen, Pflegepersonal, Familienmitglieder, TherapeutInnen oder NeurologInnen sind bei Sarah Breinbauer (E-Mail: breinbauer@gtec.at) möglich. Vorab hat sie uns im Interview schon mehr erzählt.
g.tec zeigt am Ars Electronica Festival 2018 einige innovative Technologien des Therapiezentrums in Schiedlberg. Kannst du mir beschreiben, woran und womit ihr hier arbeitet?
Sarah Breinbauer: Wir entwickeln schon seit Jahren Brain Computer Interfaces (BCI), also Schnittstellen zwischen Gehirn und Computer, mit denen man Gehirnströme von Patienten und Patientinnen messen kann. Diese wenden wir in verschiedenen Formen an, zum Beispiel für Schlaganfall-Therapien. In Schiedlberg haben wir das recoveriX Gym gegründet, in dem wir mittels BCI ein System entwickelt haben, das Physiotherapeuten oder Ergotherapeutinnen für die Schlaganfalltherapie verwenden können. Zu uns kommen zum Beispiel viele Patienten oder Patientinnen, die chronische körperliche Beeinträchtigungen haben, an den Armen oder den Fingern und Händen, und die schon alle möglichen Rehabilitationsmöglichkeiten ausgeschöpft haben. Oft haben sie nicht mehr wirklich die Möglichkeit, viel weitere Therapie zu machen, weil einfach nichts mehr hilft. Sie waren zum Beispiel schon in Physiotherapie oder Langzeit-Reha, aber erst mit recoveriX, unserer Schlaganfall-Therapie, sehen sie nach Jahrzehnten nach dem Schlaganfall Verbesserungen. Das ist total schön zu sehen!
Wir hatten zum Beispiel eine Patientin, die vor 20 Jahren einen Schlaganfall hatte und seitdem körperlich beeinträchtigt war. Sie ist davon ausgegangen, dass es einfach nicht mehr besser wird, und hat mit der Beeinträchtigung leben gelernt. Sie konnte ihre Hand lange nicht richtig bewegen, kam aber dann zu uns und machte 25 recoveriX Einheiten. Auf einmal konnte sie wieder Dinge in die Hand nehmen und festhalten! Das war jahrelang nicht möglich. Diese Art von Verbesserung erzielen wir mit recoveriX, das ist wirklich besonders.
Credit: Florian Voggeneder
Warum funktioniert recoveriX so gut?
Sarah Breinbauer: Mit recoveriX schafft man es, am Gehirn selbst zu arbeiten und das Gehirn selbst zu trainieren. Ein Patient oder eine Patientin sitzt vor einem Bildschirm und bekommt die Aufgabe, an eine bestimmte Handbewegung zu denken. Diese Bewegung kann er oder sie aber eigentlich nicht mehr ausführen, weil der Körper durch den Schlaganfall beeinträchtigt wurde. In der recoveriX Therapie geht es darum, an die Bewegung zu denken – so erzeugt das Gehirn fast genau dieselben Aktivitäten wie beim Durchführen der Bewegung. Das BCI misst diese Gehirnaktivitäten und überträgt sie in Echtzeit auf einen Computer. Darauf aufbauend gibt es dann verschiedene Feedback-Mechanismen: Ein virtueller Avatar bewegt zum Beispiel eine virtuelle Hand. Der Patient oder die Patientin bekommt ein visuelles Feedback in derselben Zeit, in der an die Handbewegung gedacht wird. Das ist sehr effektiv und geht etwas in die Richtung von Spiegeltherapie, es ist sehr stark daran angelehnt. Ein zweites Feedback ist, dass die Patienten oder Patientinnen an der beeinträchtigten Hand mit Muskelstimulatoren ausgestattet werden. Das heißt, es folgt nicht nur ein visuelles Feedback durch den Avatar, sondern auch eine wirkliche Muskelstimulation. Es ist ein haptisches Feedback. Das führt dazu, dass das Gehirn neue Wege lernt, diese Bewegung wieder durchzuführen. So wird die Peripherie angeregt, die Gehirnplastizität wird verbessert, wie man das im Fachjargon nennt.
Credit: Florian Voggeneder
Neben recoveriX zeigt g.tec auch mindBEAGLE und Unicorn Speller. Welche Technologie versteckt sich hinter diesen beiden Namen?
Sarah Breinbauer: mindBEAGLE ist ein System, das zum Koma-Assessment verwendet wird. Neurologen oder Neurologinnen haben mit diesem System die Möglichkeit, herauszufinden, ob Koma- oder Locked-In-Patienten und -Patientinnen, die sich nicht mehr artikulieren können, bei Bewusstsein sind oder nicht. Man weiß bei diesen Patienten und Patientinnen oft nicht zu hundert Prozent, ob sie ihre Umgebung wahrnehmen oder nicht. Mit diesem System misst man also die Gehirnströme, stellt den betroffenen Personen unterschiedliche Fragen oder Aufgaben und versucht dadurch herauszufinden, ob sie bei Bewusstsein sind. Mit mindBEAGLE kann man sehen, ob ein Patient oder eine Patientin die Aufgaben oder Sprache versteht, ob er oder sie sich zum Beispiel Handbewegungen vorstellen kann oder die Umgebung wahrnimmt. Das ist für Neurologen und Neurologinnen sehr schön, weil Diagnosen verbessert werden können. So kann auch der Therapieablauf genauer angepasst werden.
Credit: Florian Voggeneder
Um was handelt es sich bei Unicorn Speller?
Sarah Breinbauer: Die Unicorn Suite ist ein Brain Computer Interface, das von uns als leistbares BCI-System entwickelt wurde. Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen können es verwenden, um zum Beispiel auf einer virtuellen Tastatur zu schreiben, Roboter oder Haushaltsgeräte anzusteuern oder zu zeichnen. Es ist sehr leicht zu bedienen, wir möchten einfach, dass Menschen, bei denen für ein solches System Bedarf besteht, es gut benützen können.
Diese drei sehr innovativen Systeme werden beim Ars Electronica Festival 2018 unter dem Titel „Bugfix the Brain“ ausgestellt…
Sarah Breinbauer: Richtig. Die Ausstellung „Bugfix the Brain“ richtet sich speziell an Physiotherapeuten und -Therapeutinnen, Ergotherapeuten und -Therapeutinnen, Neurologen, Neurologinnen, auch an Neurochirurgen und –Chirurginnen sowie Pfleger und Pflegerinnen. Auch Menschen, die zum Beispiel Familienangehörige betreuen, sind herzlich eingeladen. Bei „Bugfix the Brain“ kann man diese Systeme einmal kennenlernen und verstehen, wie sie funktionieren. Auch die Anwendung wird erklärt. Es geht wirklich darum, die Möglichkeiten der BCI-Technologie kennenzulernen, weil sie im therapeutischen Bereich noch nicht so etabliert sind.
g.tec ist einer der großen Vorreiter in diesem Feld.
Sarah Breinbauer: Für die motorische Therapie werden BCIs wirklich noch nicht so oft eingesetzt. Es ist eine ziemlich tolle Errungenschaft und eröffnet den Therapeuten und Therapeutinnen sehr viele Möglichkeiten, wie sie gemeinsam mit Patienten und Patientinnen arbeiten können. Vor allem geht es darum, dass nicht nur der Körper trainiert wird, sondern auch das Gehirn. Man versucht also, neue Wege zu finden und Bewegungsabläufe durch neue Technologien neu zu lernen. Wir würden uns auch sehr freuen, wenn Therapeuten und Therapeutinnen mit interessierten Patienten und Patientinnen zu „Bugfix the Brain“ kommen und sich das System gemeinsam erarbeiten. So kann man selbst auch gleich sehen, welche Verbesserungsmöglichkeiten es noch gibt!
Credit: Florian Voggeneder
Was hat es eigentlich mit dem Namen „Bugfix the Brain“ auf sich?
Sarah Breinbauer: In der Programmiersprache heißen Fehler in der Software „Bugs“. Wenn ein Programmierer oder eine Programmiererin versucht, diese Bugs zu finden, sagt man, er oder sie macht „Bugfixing“. Wir finden das ein sehr schönes Wortspiel für das Gehirn – wenn jemand durch einen Schlaganfall oder eine Gehirnverletzung eine körperliche Beeinträchtigung hat, sitzt das Problem nicht nur im Körper, sondern vor allem im Gehirn. Wir möchten also Systeme entwickeln, die es trotzdem möglich machen, Dinge wieder zu tun, die auch vorher möglich waren.
Wo liegt das Potential für diese Technologien?
Sarah Breinbauer: In der Rehabilitation gibt es auf jeden Fall sehr viele Einsatzmöglichkeiten! Bei recoveriX möchten wir zum Beispiel in die Richtung gehen, nicht nur die Arme oder Hände zu trainieren, sondern auch die Füße oder die Sprache. Das Sprachzentrum liegt im hinteren Bereich des Gehirns, man könnte also Tests und ein BCI entwickeln, die gezielt die Sprache trainieren. Ein anderer weiterer Schritt ist, dass das System in Schlaganfall-Therapien eingebracht und angewandt wird. Es wäre schön, wenn es recoveriX Gyms an vielen Orten gäbe, wo Therapeuten, Therapeutinnen, Neurologen und Neurologinnen selbstständig mit Patienten und Patientinnen die Hände, Beine oder die Sprache trainieren. Es wäre wie ein Besuch im Fitnessstudio! Wir möchten zeigen, dass es eigentlich sehr einfach umzusetzen ist und dass die Hemmschwelle nicht mehr so groß sein muss, weil das System so leicht zu bedienen ist, dass es alle anwenden können. Wir sind nicht mehr nur in der Forschung, sondern gehen wirklich zur Anwendung über.
mindBEAGLE soll in Zukunft ein Diagnose-Tool werden, das von Neurologen und Neurologinnen verwendet werden kann. Hier im recoveriX Gym in Schieldberg machen wir nach den Therapie-Einheiten immer eine mindBEAGLE-Sitzung, um zu sehen, wie sich die Verbesserung im Gehirn eingestellt hat. mindBEAGLE hat zusätzlich außerdem die schöne Möglichkeit, dass, wenn Patienten oder Patientinnen bei Bewusstsein sind, eine Kommunikation durch einfache Ja- oder Nein-Fragen hergestellt werden kann. Eine Neurologin in Italien hatte zum Beispiel eine Patientin, eine Mutter, von der alle jahrelang dachten, dass sie nicht bei Bewusstsein war. Nach einer mindBEAGLE-Sitzung konnte festgestellt werden, dass die Patientin phasenweise versteht, was um sie herum passiert, so konnte dann schließlich auch eine Kommunikation ermöglicht werden. Die Tochter der Patientin hat sich wahnsinnig gefreut! Es verändert natürlich vieles, wenn man sicher weiß, dass jemand bei Bewusstsein ist. So wie bei der Patientin in Italien kann man mindBEAGLE bei vielen Personen einsetzen, das wäre eine Vision für die Zukunft.
Sarah Breinbauer ist ein echtes Stahlstadtkind. Sie studierte berufsbegleitend Gesundheits-, Sozial- und Public Management an der Fachhochschule Linz und ist heute für Marketing und Events der Firma g.tec zuständig. Ihre berufliche Vergangenheit lässt sich von Argentinien bis ins Ars Electronica Center zurückverfolgen, wo sie erstmals mit den kreativen Aufgaben des Marketings und den unzähligen Anwendungsmöglichkeiten von Brain-Computer Interfaces in Berührung kam.
„Bugfix the Brain“ von g.tec wird am Ars Electronica Festival von 6. bis 10. September 2018 täglich in der POSTCITY Linz zu besuchen sein. Mehr zu den BCI-Systemen und dem Festival-Programm erfahren Sie bei g.tec oder auf unserer Webseite.
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