Tag der Ermutigung: ZusammenHelfen-Konferenz

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Wo liegen die Herausforderungen für freiwillige Helfer und Helferinnen? Welche Fähigkeiten werden momentan gebraucht, wie sieht die Situation für geflüchtete Menschen aus und was macht eigentlich gelungene Integration aus? Fragen, mit denen sich Nicole Sonnleitner und Melanie Jungwirth von ZusammenHelfen in Oberösterreich tagtäglich auseinandersetzen.

Um diese Debatte auch mit den Freiwilligen und geflüchteten Menschen selbst zu führen sowie als Zeichen der Wertschätzung und Motivation findet nun schon zum wiederholten Male die große ZusammenHelfen-Konferenz am Ars Electronica Festival statt. Engagierte, interessierte und geflüchtete Menschen sind herzlich eingeladen, am „Tag der Ermutigung“, 8. September 2018, ab 10 Uhr in die POSTCITY Linz zu kommen, Vorträgen zuzuhören, an den Diskussionen teilzunehmen und sich auszutauschen. An allen fünf Festivaltagen, von 6. bis 10. September 2018, findet außerdem das ZusammenKommenLab statt, an dem gemeinsam gebastelt, ausprobiert und gekocht werden kann.

Im Interview verraten Nicole Sonnleitner und Melanie Jungwirth von ZusammenHelfen in Oberösterreich mehr.

Kenan Güngör („think.difference“, Integrationsexperte) , Melanie Jungwirth (ZusammenHelfen in Oberösterreich), Nicole Sonnleitner (ZusammenHelfen in Oberösterreich), Abena Twumasi (ZusammenHelfen in Oberösterreich), Gudrun Biffl (Donau-Universität Krems, Department Migration und Globalisierung) , Rachid Badouli (Projekt „La Fondation Orient-Occident“, Marokko), Rudi Anschober (Integrations-Landesrat OÖ). Credit: Land OÖ

Dieses Jahr findet die ZusammenHelfen-Konferenz zum dritten Mal beim Ars Electronica Festival in der POSTCITY statt. Wo liegt euer Fokus?

Nicole Sonnleitner: Wir merken immer häufiger, dass den Leuten, die sich für geflüchtete Menschen engagieren, langsam der Atem ausgeht. Wir möchten die Motivation wieder stärken, also haben wir die diesjährige Konferenz unter das Motto „Tag der Ermutigung“ gestellt. So, wie sich die politische Landschaft im Moment gestaltet und dadurch auch die Situation von geflüchteten Menschen, ist es auch für die Freiwilligen wichtig, dass sie gestärkt werden. Es geht darum, sich gegenseitig Mut zu machen, sich gegenseitig zu stärken. Genau das wollen wir mit der Konferenz, den einzelnen Themen und den Vortragenden schaffen.

Das heißt, es existiert auch 2018 immer noch ein Bedarf für engagierte Freiwillige.

Nicole Sonnleitner: Der Bedarf ist größer, als man glauben würde. Viele NGOs haben mittlerweile Probleme, neue Freiwillige zu finden. Das hat verschiedene Gründe: Das Thema dauert jetzt schon sehr lange, seit 2015. Ein anderer Grund ist, dass bei vielen Freiwilligen eine gewisse Frustration wegen der Situation der Geflüchteten da ist. Das führt dazu, dass sich viele nicht mehr engagieren. Von der Seite der geflüchteten Menschen ist der Bedarf nach wie vor groß. Sie brauchen Unterstützung bei der Integration in Österreich. Es gibt Menschen, die Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache haben; es gibt Menschen, die bei der Ausbildung Hilfe brauchen, aber genauso bei Behördengängen, Wohnungssuche, Arztbesuchen, also wenn man so will in allen Lebensbereichen.

Credit: Tom Mesic

Wie kann man also HelferInnen mit der Konferenz ermutigen?

Melanie Jungwirth: Zuerst ist vielleicht hervorzuheben, dass es dieses Jahr nicht nur um Helfer und Helferinnen geht. Mit dem neuen Namen ZusammenHelfen-Konferenz möchten wir auch geflüchtete Menschen stärker zu Wort kommen lassen. Menschen, die schon seit einigen Jahren in Österreich leben, werden von ihren Erfahrungen berichten, Poetry Slammen und auch erzählen, wo sie noch Hilfe benötigen. Ein großes Thema ist zum Beispiel die Rechtslage. Anny Knapp, die Obfrau vom Verein asylkoordination österreich, spricht darüber, was nach dem zweiten negativen Bescheid getan werden kann. Danach gibt es eine Podiumsdiskussion, die sehr wohl auch ermutigend sein soll: Es geht um die Zukunft der Integrationspolitik in Österreich. Dafür kommen nationale Vertreter und Vertreterinnen wie zum Beispiel der Bundesgeschäftsführer der Volkshilfe, Erich Fenninger, oder auch Ferdinand Maier von der „Allianz Menschen.Würde.Österreich“. Es wird auch jemand von der Caritas, vom Österreichischen Integrationsfonds und auch vom Außenministerium sprechen.

Gleichzeitig zur ZusammenHelfen-Konferenz findet in Linz ein Austauschtreffen zum EU-Projekt „Welcome and Integration for Refugees in Europe“ (WIR) statt, das auch bei unserer Konferenz vorgestellt werden wird. Das sind Menschen aus Schweden, aus Lettland, quer durch Europa, woran man sieht, dass das Thema auch EU-weit ein großes Anliegen ist.

Später spricht Adnan Ghani, ein Syrer, der nach Schweden geflüchtet ist, über sein Projekt „Support Group Network“. Es ist eine Gruppe, wo sich Geflüchtete gegenseitig unterstützen. Abschließend spricht der Unternehmer, Autor und EU-Jugendbotschafter Ali Mahlodji. Ich finde, wenn jemand Mut macht in Österreich, dann ist das Ali Mahlodji. Er vermittelt seine Botschaft wirklich sehr gut, hat selbst schon in sehr vielen Jobs gearbeitet und vieles ausprobiert, war auch Schulabbrecher, und ist in seinen Reden sehr motivierend.

Nicole Sonnleitner: Er schafft es, dass er junge Leute motiviert und ihnen Hoffnung gibt. Für unseren Tag der Ermutigung wollten wir genau jemanden wie ihn, der einerseits eine persönliche Perspektive mitbringt und selbst viele Stationen durchlaufen hat, und andererseits seine professionelle Perspektive als Unternehmer einbringt. Er ist genau der Richtige, um zum Abschluss der Konferenz allen noch einmal einen Schwung und Motivation mitzugeben. Das ist sowohl für die geflüchteten Menschen als auch für die Freiwilligen wichtig!

Credit: Tom Mesic

Nach der Konferenz wird auch noch „Social Furniture“ vorgestellt. Worum geht es hier?

Nicole Sonnleitner: Wir haben uns sehr gefreut, dass das Festivalteam der Ars Electronica mit dieser tollen Idee auf uns – das Unabhängige LandesFreiwilligenzentrum (ULF) – zugekommen ist. Es handelt sich dabei um ein Projekt, bei dem sich geflüchtete Menschen gemeinsam mit Österreicher und Österreicherinnen freiwillig engagieren und mit tollen, selbst gebauten Holzmöbeln zur Festivalarchitektur beitragen werden. Die entstandenen Möbel werden nach dem Festival an geflüchtete Menschen, NGOs und das neue Haus der Menschenrechte von „SOS-Menschenrechte“ gespendet. Zusätzlich dazu freuen wir uns, dass wir drei dieser Möbelstücke im Rahmen unserer Konferenz verlosen können. Dieses Projekt eint für uns viele wichtige Dinge: gemeinsam etwas schaffen, zusammen etwas bauen, Spaß haben, geflüchtete Menschen können etwas Sinnvolles machen und tätig werden und bekommen dafür Anerkennung und Wertschätzung, lernen neue Leute kennen. Das sind sehr wesentliche Dinge, die für uns meist selbstverständlich sind. Abgesehen davon werden es wirklich tolle Möbel!

Credit: Tom Mesic

Gibt es auch wieder ein ZusammenKommenLab?

Melanie Jungwirth: Ja! Neben der Konferenz findet an allen Festivaltagen das ZusammenKommenLab statt, wo dieses Jahr viele Sachen gemeinsam gefertigt werden. Die „Über den Tellerrand Community Linz“ wird wieder kochen, mit einem neuen Motto an jedem Tag und passend zum Festivalthema werden wir auch ein Repair Café veranstalten. Wir nähen außerdem Patchwork-Polsterüberzüge und vielleicht auch Decken, für die wir alte Stoffe und Kleidung wiederverwenden und zu etwas Neuem machen. Die entstandenen Stücke werden entweder gespendet oder können von den Besuchern und Besucherinnen mit nachhause genommen werden.

Die Konferenz findet mitten im Medienkunstfestival statt. So treffen ziemlich verschiedene Welten aufeinander – hilft das, auch Menschen außerhalb des Freiwilligenbereichs zu erreichen?

Nicole Sonnleitner: Grundsätzlich haben wir das Gefühl, dass diese Kooperation für beide Seiten sehr befruchtend sein kann. Das ist auch der Grund, warum wir die Konferenz nun schon zum dritten Mal am Ars Electronica Festival veranstalten. Wir finden, dass zum Festival Menschen kommen, die bereit sind, ihren Horizont zu erweitern, sonst würden sie kaum dieses doch sehr visionäre Festival besuchen. So visionär wollen auch wir im Freiwilligenbereich sein und in einem solchen Setting können wir zu diesem Zweck viele Menschen erreichen. Wenn wir einige dieser Menschen motivieren können, sich ein wenig mit diesem wichtigen Thema auseinanderzusetzen, ist das für uns ein Erfolg! Natürlich wollen wir mit dem Festival auch den freiwillig Engagierten einen tollen Rahmen bieten, denn es ist ermutigend, wenn so viele internationale Gäste da sind. Darum geht es uns doch, um das ZusammenHelfen, das ZusammenKommen, das gibt uns allen Kraft, das motiviert.

Credit: Tom Mesic

So passiert zwangsläufig auch eine Auseinandersetzung mit dem Festivalthema, dieses Jahr „Error – the Art of Imperfection“. Wo siehst du Fehler in der Integration?

Nicole Sonnleitner: Das ist ein sehr komplexes Thema. Der größte Fehler, den man machen kann, auch als Privatperson, ist, dass man sich dem Thema verschließt. Und dass man Kultur oder Integration als etwas Statisches begreift! Das ist genau das, was die letzten Jahre gezeigt haben: Dass es so nicht funktionieren kann. Integration ist dynamisch, man muss Integration gemeinsam gestalten, das ist aus meiner Sicht essentiell. Es sind in der Notsituation 2015 vielleicht Versäumnisse geschehen, aber ich denke, das war vielleicht genau das, warum die Zivilgesellschaft so engagiert reagiert hat und so viel Positives geschaffen hat. Es geht darum, daraus zu lernen und gemeinsam eine Idee von Integration oder Kultur in Österreich zu schaffen. Da sind alle Seiten gefordert und müssen eingebunden werden.

Error ist nicht nur der Fehler, sondern auch die Abweichung von der Norm. Geflüchtete Menschen werden oft als eine solche Abweichung wahrgenommen – was ist denn aber eigentlich diese Norm in der Integration oder Kultur?

Melanie Jungwirth: Ich glaube, dass fast alles eine Abweichung von der Norm ist. Wer legt denn schon fest, was die Norm ist?

Nicole Sonnleitner: Das Integrationsleitbild in Oberösterreich ist aus meiner Sicht der Versuch, für die Integration in Oberösterreich eine Norm oder einen gemeinsamen Nenner zu finden. Grundsätzlich haben die letzten Jahre gezeigt, dass das, was wir glauben, die Norm ist, sehr schnell erschüttert werden kann. Es gibt Einflüsse und Gegebenheiten, die diese Norm sehr schnell ins Wanken bringen. Ich kann das gut mit den Erfahrungen in unserem – dem Freiwilligenbereich – beschreiben: Wir haben jahrelang versucht, eine Norm festzulegen, um gute Rahmenbedingungen für Freiwillige zu schaffen. Scheinbar plötzlich gab es 2015 die große Fluchtbewegung und ganz schnell galt kaum mehr eine Norm, ein Standard im Freiwilligenbereich. Vieles, was wir uns vorher überlegt hatten, erschien auf einmal absurd, war unbrauchbar weil die Situation etwas anderes erforderte. Es war ein wahnsinniger Lernprozess. Es war in der Situation wirklich dramatisch, weil wir nicht mehr wussten, wie wir agieren sollen, wie wir es schaffen, die vielen Hilfeleistungen zu koordinieren, was eigentlich unsere Rolle ist. Wir haben erkannt, dass wir uns zwar weiterhin um gute Rahmenbedingungen bemühen werden, dass wir aber auch bereit sein müssen, diese zu überdenken und neue Wege zu gehen. Wenn man ständig versucht, so verkrampft an einer Norm oder einer Vorstellung davon festzuhalten, kann das nicht funktionieren.

Credit: Land OÖ

Wie kann man gemeinsam eine neue Norm aushandeln, eine gemeinsame Kultur schaffen?

Nicole Sonnleitner: Dazu braucht es bestimmt wahnsinnig viel. Grundsätzlich muss die Bereitschaft dazu da sein, es braucht viel Mut, Toleranz, Respekt und alle Akteure und Akteurinnen müssen an einem Strang ziehen, sich positiv einbringen. In der aktuellen Situation muss ich mich sehr bemühen, den Glauben, so etwas sei zu schaffen, nicht zu verlieren.

Trotzdem bemüht ihr euch mit der Konferenz und euren Aktivitäten Jahr für Jahr, diese Herausforderung anzugehen.

Nicole Sonnleitner: Wir denken, dass wir mit unseren ZusammenHelfen Aktivitäten einen positiven Beitrag leisten können. Es motiviert die Freiwilligen, aber auch uns. Wir reden auch immer öfter von ZusammenKommen – wie beispielsweise im Lab. Mir würde es gefallen, wenn wir irgendwann von ZusammenLeben Aktivitäten reden. Dann haben wir nämlich schon einiges erreicht.

Nicole Sonnleitner ist seit 2008 Leiterin des Unabhängigen LandesFreiwilligenzentrums (ULF), zu dem auch die Anlaufstelle ZusammenHelfen in OÖ gehört. Sie ist gelernte Krankenschwester und studierte Sozialwirtin. Sie weiß sowohl beruflich wie auch privat wie wichtig und wertvoll freiwilliges Engagement ist.

Melanie Jungwirth arbeitet seit 2017 bei ZusammenHelfen in Oberösterreich. Die Kommunikationswissenschaftlerin hat sich auch selbst immer wieder freiwillig bei sozialen Projekten, auch im Flüchtlingsbereich, engagiert.

Die ZusammenHelfen Konferenz findet am 8. September 2018 ab 10:00 Uhr in der POSTCITY Linz am Ars Electronica Festival 2018 statt. Die Teilnahme an der Konferenz ist kostenlos. Zur Anmeldung geht es hier. Für die Dauer des Ars Electronica Festivals, von 6. bis 10. September 2018, findet außerdem das ZusammenKommenLab in der POSTCITY Linz statt, wo verschiedene Projekte und Ideen rund um den Bereich „Gemeinsam für geflüchtete Menschen“ vorgestellt werden.

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