niemand mischt sich ein: Marianne.von.Willemer-Preis 2018

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„zu den waffeln“ wird auf der Fassade von Gazprom aufgefordert, „zu Kurz gekommen“ steht in riesigen Buchstaben am Bundeskanzleramt, „wider die totale kapitalation“ auf Bankgebäuden. Die weißen Buchstaben fließen über Häuserfronten, von einem Ort der Macht an den nächsten. Es ist der 9. Mai 2018, die Protestaktion Guerilla Tour zieht mit widerständigen und gewitzten Projektionen durch Wien. Und wer ist dafür verantwortlich? niemand.

„Jemand ist jeder, der Macht, Geld, Funktion oder sonst irgendein gesellschaftliches Hakerl hat“, erklärt Künstlerin starsky. „Alle anderen sind niemand und werden nicht gehört“. Das feministische, gesellschafts- und kulturpolitische Kunstprojekt Projekt „niemand mischt sich ein“ fasst die niemande der Gesellschaft zu einer Persona zusammen und gibt ihnen mit humoristischen Textprojektionen auf ausgewählte Orte in Wien eine Stimme.

Für ihre Arbeit erhielt starsky den Marianne.von.Willemer-Preis für digitale Medien 2018. Die mit 3.600€ dotierte Auszeichnung wird alle zwei Jahre vom Frauenbüro der Stadt Linz in Zusammenarbeit mit Ars Electronica und mit Unterstützung von dorf TV ausgeschrieben. Wir haben uns mit starsky getroffen und mehr erfahren.

Du hast mit „niemand mischt sich ein“ den Marianne.von.Willemer-Preis für digitale Medien 2018 gewonnen. Erzähl doch bitte ein bisschen darüber…

starsky: Das Projekt heißt „niemand mischt sich ein“ und wurde von niemand veranstaltet, oder wird immer noch veranstaltet. Niemand ist eine polyverse, freie Persönlichkeit, die sich jeder und jede nehmen kann, die ganz offen ist. Es ist ein Anti-Label, ein labelloses Label, ein Null, eine Leerstelle, Nichts. Wer ist niemand? Prinzipiell alle, die nicht jemand sind. Wer ist jemand? Jemand ist jeder, der Macht, Geld, Funktion oder sonst irgendein gesellschaftliches Hakerl hat und aufgrund dessen auch ernst und wichtig genommen wird. Alle anderen sind niemand und werden nicht gehört. Alle diese niemande sind zusammengefasst zu dieser offenen Person. Alle können kommen und sagen: Ich bin niemand. Das geht immer.

Das Projekt ist mehrteilig – für den ersten Teil haben wir statt einer Ausstellung im Künstlerhaus Wien einen offenen Arbeitsraum installiert. Im Vorfeld haben wir NGOs, widerständige Personen und Menschen, die für bestimmte Inhalte stehen, eingeladen, Inhalte ein- und mitzubringen. An verschiedenen Stationen konnte man aus unterschiedlichen Levels in die Arbeit einsteigen, entweder sehr analog, spielerisch oder digital. Wir hatten zum Beispiel am Boden eine riesige Karte vom Zentrum von Wien, wo man Orte der Macht eingetragen konnte. Wir fragten dafür NGOs, was für sie wichtige Orte und wer die Adressaten ihrer Messages sind, die wir dann auch versucht haben, einzubinden. Gemeinsam mit vielen anderen entwickelten wir eine Route. Das war dann der Höhepunkt dieses Projektes, eine Projektions-Guerilla-Tour durch die Stadt, wo viele Orte der Macht angefahren wurden, vom Bundeskanzleramt über die Präsidentschaftskanzlei, die ÖVP-Zentrale, die FPÖ-Zentrale, das Landesgericht, den Verfassungsgerichtshof, das Heldentor, das wir in Heldinnentor umbenannt haben, bis hin zu Banken, Versicherungen oder Gazprom und McDonald’s. Die Orte wurden mit zu ihnen passenden Texten überzogen. Der Inhalt entsteht aus der Kombination Ort und Text, weil es ein Unterschied ist, ob ich aufs Bundeskanzleramt „zu Kurz gekommen“ projiziere oder auf eine Billa-Filiale. Auf diesen Höhepunkt haben wir in diesem offenen Arbeitsraum hingearbeitet.

starsky. Credit: Robert Bauernhansl

„niemand mischt sich ein“ ist ein sehr feministisches Projekt. In der Pressekonferenz zum Marianne.von.Willemer-Preis meintest du, wir seien erst im ersten Drittel der Emanzipation. Was meinst du damit?

starsky: Ich halte diesen Prozess der Gleichstellung von weit entfernt von abgeschlossen. Man muss sich nur den Staatsakt zu 100 Jahre Republik und 100 Jahre Frauenwahlrecht ansehen. Man sieht eine Horde anzug- und krawattentragender Männer und ein paar bunte Fleckerl, das sind dann die Frauen dazwischen. Die Bilder und die Machtverhältnisse haben sich tatsächlich noch nicht sehr verändert, auch nicht die finanziellen Verhältnisse. Von gleicher Bezahlung für gleiche Arbeit sind wir weit entfernt. Das ist natürlich ein wichtiges Anliegen.

starsky / „niemand mischt sich ein“. Credit: Tiana Wirth

Du siehst dein Projekt auch als eine „Anleitung zur Selbstermächtigung“…

starsky: Ich arbeite mit dem Medium Projektion und das ist wirklich wunderbar geeignet für Demonstrationen, für widerständige Aktionen, für Dinge im öffentlichen Raum, weil es diese Übereinkunft der Gewaltfreiheit, des Nicht-Zerstörens und des Nicht-Demolierens sehr gut einhalten kann. Man kann riesige, sichtbare Messages in den öffentlichen Raum stellen, unangreifbar, weil wir nichts kaputt machen und auch nichts zurück bleibt. Ich drehe den Projektor ab und alles ist wieder weg, keine Spur, nichts bleibt.

Ich kann als niemand dem Bundeskanzler widersprechen, wenn ich das Medium Projektion dafür verwende. Das zeigt uns, dass wir eigentlich viel mehr Handlungsspielräume haben als die meisten von uns sich trauen, zu wissen. Es gibt Grenzen im Kopf. Wer vermutet schon, dass man als niemand dem Bundeskanzleramt widersprechen kann? Da muss man erst mal die Grenze überschreiten, damit man das schnallt. Und dann wird es aber wirksam im Geiste. Das sickert. Ich versuche auch immer, das durch meine Arbeit zu zeigen. Jede könnte sich einen Projektor nehmen und dem Bundeskanzler Paroli bieten. Wenn es jede machen würde, werden sie sich etwas überlegen. Bis jetzt haben sie mich noch nicht wirklich abdrehen oder verhindern können, in den meisten Fällen.

starsky / „niemand mischt sich ein“. Credit: Tiana Wirth

Haben sie dich denn wahrgenommen?

starsky: Sicher. 2000, als ich das zum ersten Mal gemacht habe, haben sie mich aber totgeschwiegen. Es wurde in keinem österreichischen Medium darüber berichtet. Sie haben die Polizei geschickt, ich diskutierte mit ihnen. Sie meinten, ich solle aufhören, ich sagte, nein, es ist Teil einer Demonstration, es ist gewaltfrei und nicht zerstörerisch und ich höre auf keinen Fall auf. Sie zogen also wieder ab. Klug! Sie haben mich totgeschwiegen und nicht reagiert. Erst jetzt, 2018, also 18 Jahre später, wird das ein bisschen wahrgenommen. Dieses Jahr wurde das erste Mal ein Bild im Standard gezeigt. Es war von einer Aktion gegen Burschenschaftler beim Akademikerball in der Hofburg; zusammen mit dem Mauthausen-Komitee, SOS Mitmensch und noch vielen anderen, haben wir auf das Heldentor, wo die Burschenschaften durchgefahren sind, den von mir sprachlich in das 21. Jahrhundert übersetzten Mauthausen-Schwur projiziert.

starsky / „niemand mischt sich ein“. Credit: Tiana Wirth

Wie kam es bei dir zu dieser feministischen Auseinandersetzung?

starsky: Man braucht nur versuchen, als Künstlerin und Technikerin in der Kunst irgendetwas zu machen und wird schnell entdecken, dass die ständige Entwertung der eigenen Arbeit das Umfeld ist. Da muss man sich natürlich wehren. Wobei, ich habe mich die ersten 15 Jahre gewehrt, ständig habe ich darauf aufmerksam gemacht. Das bewirkt aber gar nichts bei den ganzen Machos, die das nicht hören wollen. Es macht nur, dass ich eine ungemütliche, mühsame Feministin bin. Also ich habe mir eigentlich nur selbst geschadet und nichts verändert. Und ja, klar, ich habe immer geglaubt, jede Frau muss automatisch Feministin sein, weil das kann man ja nicht so hinnehmen, dass man so entwertet wird, und bin erst nach 20 Jahren draufgekommen, dass ganz viele Frauen patriarchal gestrickt sind. Weil es der einfachere Weg ist, das Patriarchale mitzutragen, weil man sich ansonsten nur Schwierigkeiten einhandelt. Du wirst nicht überall ausgegrenzt, du kannst vielleicht die Alibi-Frau sein, da musst du aber auf andere Frauen hinbeißen. Es kann immer nur eine Alibi-Frau geben, da ist nicht Platz für viele, sondern immer nur für ganz wenige, ausgewählte. Du musst dich optimieren für den männlichen Blick, wenn du das verweigerst, ruckelt es schon im Getriebe. Ich sehe es als Notwendigkeit als Künstlerin und Frau, Feministin zu sein.

starsky ist eine Pionierin der Projektionskunst. Ihr vielseitiges Werk umfasst imposante Großbildprojektionen, raumgreifende Lichtbild-Installationen, polymediale Live Performances und urbane Text-Interventionen. Allen gemeinsam ist das Verschmelzen von Bild, Sprache, Kommunikation und Raum zu einem Gesamtkunstwerk, das ebenso plötzliche wie flüchtige Erleuchtungen im emotionalen Gedächtnis der BetrachterInnen bewirken will. Ungeniert überschreitet starsky dabei die Grenzen zwischen Sub-, Pop- und Hochkultur und taucht alles und jedes in Farbe, Form, Wort und Licht: Architektur, Landschaft, Struktur und den öffentlichen Raum. starsky lebt und arbeitet in Wien.

Für ihr Projekt „niemand mischt sich ein“ erhielt starsky den Marianne.von.Willemer-Preis für digitale Medien 2018. Im Interview mit den diesjährigen Jurorinnen erfährst Du mehr über den Auswahlprozess, hier findest Du alle Informationen zum zweijährig ausgeschriebenen Preis.

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